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db deutsche bauzeitung 01|2010
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db deutsche bauzeitung 01|2010

Flexible Hülle für die Super-Röhre

Forschungsgebäude für einen Hochfeldtomografen in Heidelberg

Die Technik wechselt, das Gebäude aber bleibt – gerade in der Forschung müssen Bauten auf veränderte Inhalte vorbereitet sein. Die Apparatemedizin etwa entwickelt sich so rasch, dass für Labore und Analysegeräte nur hochflexible bauliche Strukturen in Frage kommen. Wie aber lässt sich solchen Gebäuden ein Gesicht geben, das vielleicht sogar etwas über die komplizierte Nutzung verrät? Das Beispiel vom Krebsforschungszentrum Heidelberg zeigt, wie es gehen kann.

13. Januar 2010 - Christoph Gunßer
Der Apparat, um den es hier geht, wiegt stolze 32 t. Das »T«, das ihn besonders macht, steht jedoch nicht für Tonne, sondern für Tesla, die magnetische Feldstärke. Sieben Tesla, das 140 000-fache des Erdmagnetfeldes, ist das Feld stark, das der neue Hochfeldtomograf des Krebsforschungszentrums aufbaut, um in Schnittbildern bis auf die molekulare Ebene der Krebszellen von Probanden und Versuchstieren vorzudringen. Im Klinikbetrieb zugelassen sind bislang nur 3,5 Tesla. Das neue Gerät bedeutet also einen Maßstabssprung.

Beim Bau in direkter Nachbarschaft zu anderen Instituten und Kliniken ging es folglich nicht nur um den Schutz für diese kolossal teure »Röhre«, es musste auch vor dem Gerät und seinem Kraftfeld geschützt werden. Wie stark das ist, davon konnte sich der Rezensent selbst ein Bild machen: Schon vor der Röhrenöffnung lässt es metallene Pinnwände schweben und Armbanduhren stillstehen; mancher bekommt einen metallischen Geschmack im Mund; es können Wahrnehmungsstörungen auftreten.

Diesen Gefahren der Materie ließ sich nur mit einem Mittel begegnen – mit mehr Materie: Die Magnet-Röhre wurde in eine 250 t schwere Hülle aus Stahl eingebaut. »Sie sah aus wie ein Stück von einem U-Boot«, berichtet der Projektleiter vom Büro Heinle, Wischer und Partner, das diese seltsamen Kräfte architektonisch zu bändigen hatte. Weitere, als Faradayscher Käfig fungierende Hüllen, dieses Mal in den Wänden, waren nötig, bis die arbeitsrechtlich zulässige Feldstärke von 20 milli-Tesla erreicht wurde. Zwei Sicherheitsschleusen schirmen den Untersuchungsraum deshalb vom übrigen Gebäude ab. Vor dem Betreten des Röhrenraums sind tunlichst alle Metallgegenstände abzulegen. Träger von Herzschrittmachern hält schon vor dem Gebäude ein Geländer mit Warnschildern auf. Um die benachbarten physikalischen Institute der Universität nicht zu stören, wurde der Tomograf in der entgegengesetzten Ecke des Gebäudes platziert. Im Hause selbst trennt ein geräumiger Korridor die zu Vorbereitung und Auswertung dienenden Labors vom magnetischen »Herz« des Hauses. Diese dauerhaft nutzbaren Räume sind im Gegensatz zum fensterlosen Untersuchungsbereich ausgesprochen hell gehalten. Hier kommt dem Haus seine solitäre Stellung zugute.

Die Fassade als magnetische Wahrnehmungsstörung

Lassen sich die hier wirkenden unsichtbaren, aber doch mächtigen Kräfte architektonisch oder gar städtebaulich darstellen? Soll man sie überhaupt sichtbar machen oder eher verstecken? Dass hier etwas Besonderes passiert, vermittelt schon das Format des Gebäudes: Nur 25 m im Quadrat misst der Grundriss, 7 m erhebt sich der Quader über dem Gelände – ein Zwerg inmitten zum Teil vielstöckiger Labor- und Verwaltungsgebäude. Das Haupthaus des Krebsforschungszentrums wurde Anfang der 70er Jahre ebenfalls von Heinle, Wischer und Partner entworfen. Der Unité-artige Riegel wird derzeit totalsaniert.

Gebäude 243 für den 7-Tesla-Tomografen entzieht sich dagegen der nüchternen Labor-Ästhetik. Man nimmt es gar nicht als Nutzraum wahr. Umgeben von einem »Burggraben« – die erwähnte, elegant gelöste Grenze für Träger von Herzschrittmachern – , strahlt es etwas Unnahbares, fast Sakrales aus. Dazu trägt sein gedrungenes Format, aber auch ganz wesentlich die Fassade bei. Sie ist tatsächlich »nutzlos«, denn die unregelmäßig gereihten vertikalen Lamellen sind in einigem Abstand frei vor die schwarze Faserzementfassade montiert. Wer am Gebäude entlanggeht, nimmt die eigentlich banalen Alu-Latten als irritierenden Wechsel von Geschlossen und Offen, Hell und Dunkel wahr. Formaler Ausgangspunkt dafür waren die Feldstrukturen, die Metallspäne um Stabmagneten ausbilden. Räumlich umgesetzt, werden diese Strukturen jedoch zu Vexierbildern, welche die Quaderform des Gebäudes auflösen und wie eine Allegorie der Wahrnehmungsstörungen im Herzen des Gebäudes erscheinen. Der ursprüngliche Plan, die Lamellen aus reflektierendem Edelstahl zu fertigen und erheblich dichter anzuordnen, musste leider aufgegeben werden. Die Spiegelungen hätten die nebenan landenden Hubschrauberpiloten gefährlich irritiert. Auch reichten die rund 5 Mio. Euro Gesamtbudget nur für 200 Stück, die außerdem an den Zugängen unterbrochen werden mussten. Dennoch überspielt dieser Vorhang den durch Fen- ster und Leitungen doch inhomogenen Quader wirkungsvoll und macht aus ihm mehr als eine »Garage« für die »Super-Röhre«, wie ihn Spötter anfangs bezeichneten.

Flexibler Rasterbau mit verschiebbaren Stützen

Bei aller Kunst am Bau wurde das Gebäude an sich doch als hochflexibler »Behälter« konzipiert. Die Konstruktion basiert auf einem Stahlstützen- raster von 8,40 m, das mit dem laborüblichen Ausbauraster von 1,20 m konform geht. Die Mittelzone der im Grundriss neun Felder ist besonders variabel, da sich die vier zentralen Stützen entlang der Unterzüge verschieben lassen. Der Tomograf wurde nicht umbaut, sondern in die fertige Hüllkonstruktion eingebracht. Über eine Hintertür ist die Gerätetechnik zugänglich. Hier wird zum Beispiel das flüssige Helium zur Kühlung des Magneten angeliefert.

Auch die gesamte Technik selbst musste vom Magnetfeld abgeschirmt werden. Beispielsweise wird der Untersuchungsraum über Projektoren beleuchtet, da Glühbirnen vom Magnetfeld rasch zerstört würden (für die Grundbeleuchtung des Gebäudes sorgen in die Decken integrierte LEDs). Insgesamt gelang aber eine gute funktionale Trennung von technischen Zonen und solchen, die dem menschlichen Aufenthalt dienen. Die zweigeschossige Halle ist so geräumig, dass sie auch als Treffpunkt und für Präsentationen genutzt wird. Die tragende Stahlkonstruktion ist zwar aus Brandschutzgründen ummantelt (F 60), die voll verglaste, tragende Nordfassade der Labors, leichte Trennwände, Stege und Treppe sowie das Geländer aus »Maschendraht«, bilden gleichwohl eine filigrane Binnenstruktur. Speziell entwickelt wurden die »Technik-Module« der Labortrennwände: Hierin sind alle technischen Installationen wie Heizung, Zu- und Abluft sowie Lichtschalter und Schränke gebündelt, so dass sich die Raumteiler auf dem Doppelboden verschieben lassen. Man wird sehen, ob diese Möglichkeiten der Flexibilität hier tatsächlich genutzt werden, oder ob – wie bei vielen früheren Angeboten dieser Art – die Macht der Gewohnheit stärker ist. Absehbar ist indes, dass die Untersuchungsmethoden weiter verfeinert werden – mit ungewissen räumlichen Konsequenzen. Darauf ist dieses Gebäude, auch durch seine ansprechende Gestaltung, so gut wie möglich vorbereitet.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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