Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 06|2011
Hören und Sehen
db deutsche bauzeitung 06|2011

Raumerlebnis unter Sparzwang

Theater Gütersloh

Ein tiefes Loch in der Haushaltskasse und engagierte Bürger verhinderten zunächst den ambitionierten Neubau des Stadttheaters. Durch Spenden und drastische Verringerung des Raumprogramms gelang schließlich die Umsetzung eines beispielhaften Konzepts, das sich durch die optimale Nutzung des verfügbaren Raums auszeichnet und aus der Beschränkung der gestalterischen Mittel heraus ein nobles Ambiente erzeugt.

1. Juni 2011 - Susanne Kreykenbohm
Die Planungsgeschichte vom Architekturwettbewerb bis zur Fertigstellung zog sich mehr als 17 Jahre hin. Sparzwänge, Bürgerbegehren und der Abriss eines Nachkriegsprovisoriums begleiteten das Team um den Hamburger Architekten Prof. Jörg Friedrich (pfp Architekten) während dieser Zeit. Trotz der vielen finanziellen Einschränkungen zeigt sich der Neubau nun als markanter Kubus mit skulpturalem Innenleben.

»Zumeist zeichnet sich der Bühnenturm als Baukörper ab«, erklärt Ulf Grosse vom Büro pfp Architekten. »In Gütersloh ist das nicht so. Wir haben alle Funktionen um die Bühne herum gelegt und gestapelt, so dass der Turm fast im Gebäude verschwindet.« Möglich ist diese vertikale Konzeption, weil es sich bei der Gütersloher Spielstätte um ein Theater ohne eigenes Ensemble und Werkstätten handelt. Die künstlerische Leitung stellt ein anspruchsvolles Programm aus nationalen und internationalen Produktionen zusammen, die mit Bühnenbild, Kostümen und Schauspielensembles für ein paar Tage in der Stadt gastieren. Der Neubau bietet mit seiner Hauptbühne und einer kleineren Studiobühne Raum für Sprech- und Musiktheater, große Sinfoniekonzerte finden in der benachbarten Stadthalle aus den 70er Jahren statt.

Lange mussten die Gütersloher auf das neue Theater warten. Zunächst diente ein Nachkriegsprovisorium als Spielstätte. Im Jahr 1993 lobte die Stadt einen Architekturwettbewerb mit einem viel größeren Raumprogramm und Budget aus, den pfp Architekten mit einem längsgerichteten, elegant gegliederten Konzept gewannen. Schon bald wurde aber klar, dass die Stadt den ersten Preis aus Geldmangel nicht realisieren konnte. Das Vorhaben lag sieben Jahre auf Eis, bis man die Wettbewerbsgewinner im Jahr 2000 mit einer Machbarkeitsstudie für ein wesentlich kleineres Haus beauftragte. Aus der Not machte Jörg Friedrich eine Tugend und entwickelte daraufhin die Idee eines vertikalen Theaters. Doch auch diese Version erregte angesichts der leeren Stadtkasse zahlreiche Gemüter. Es formierte sich ein »Verein Bürger für Gütersloh«, der die Planung mit einem Bürgerbegehren stoppte und so für weitere Jahre auf Eis legte. Schließlich änderte sich die Stimmung doch noch zugunsten eines Neubaus. 2006 stimmte der Rat – nach Ablauf der Bindungsfrist des Bürgerentscheids – für den Theaterkubus als Sparvariante für 21,75 Mio. Euro. Der inzwischen marode Zustand des Nachkriegsprovisoriums war sicher einer der Hauptgründe für den politischen Stimmungsumschwung. Denn jenes entsprach längst nicht mehr den geltenden Sicherheitsbestimmungen. So riss man die Halle ab und begann 2008 endlich mit dem Bau eines neuen Theaters.

Konzept und Gestalt im Stadtraum

Nach Süden öffnet sich der Würfel mit seiner Schauseite, einer 1 000 m² großen Glasfassade aus hochwertigem, Dreischeiben-Sonnenschutzglas – man wollte auf eine zusätzliche Sonnenschutzkonstruktion verzichten. Bei Tage lässt sich das skulpturale Innenleben hinter der reflektierenden Glasfläche leider nur erahnen. Die drei Putzfassaden wirken trotz der wenigen, wohlproportionierten Fensterschlitze und zweier auskragender Baukörper – Hinterbühne nach Norden und Studiobühne nach Osten – abweisend. Ulf Grosse: »Eigentlich wollten wir die Außenwände mit Metallpaneelen verkleiden. Aber die Thermoputzvariante war günstiger.« Der Theaterkubus erscheint städtebaulich wie ein zu moderner Fremdkörper, der im beschaulichen Gütersloh gelandet ist, auf einer weiten, für den Ort viel zu großen, unwirtlich wirkenden und mit Asphaltsteinen gepflasterten Fläche.

Auf dem weitläufigen Platz, der die Stadthalle von 1978 und den benachbarten historischen Wasserturm mit dem Theater verbinden soll, sind nach den Plänen der Landschaftsplaner WES weiße Betonkissen sporadisch als Sitzgelegenheiten verteilt und einige, wenige Bäume gepflanzt. Ursprünglich waren auch Wasserspiele geplant, die – wie weitere Bäume – dem Spardiktat zum Opfer fielen. Überhaupt ist die Parkplatzsituation und die Erschließung des Geländes bis zur Stadthalle unzureichend geklärt. Mehr Investitionen in die Gestaltung der Außenanlagen wären eine Lösung. Weil das städtebauliche Gesamtkonzept vorsieht, aus Stadthalle, Wasserturm und Neubau ein Ensemble zu bilden, befindet sich der Theatereingang nicht – wie es sich anbieten würde – in der großen Schauseite nach Süden. Er liegt etwas versteckt im Osten, orientiert zur Stadthallenrückseite und zur Stadtmitte, die man von hier allerdings nur zu Fuß erreicht.

Die Finanzierung des Theaterneubaus verdankt die Stadt Gütersloh u. a. den beiden hier ansässigen Weltunternehmen Miele und Bertelsmann, die zusammen 5 Mio. Euro gestiftet haben. Außerdem gelang es dem Theaterförderverein, weitere 1,1 Mio. Euro zu sammeln.

Skulptur im Innern – Licht und weiss

Drinnen eröffnet sich eine eigene Welt. Von der Seite kommend, gelangt der Besucher zunächst zur Garderobe direkt unter der großen Schräge des Zuschauerraums. Aus dieser niedrigen, aber dennoch angenehmen Foyerzone führt eine große einläufige Treppe auf die eigentliche Saalebene. Hier öffnet sich ein viergeschossiger Luftraum als Foyer mit einer großartigen Treppenskulptur, die jeden Gast magisch nach oben zieht. Als weiteres Volumen ragt der Zuschauerraum in den Raum. Alles ist Weiß in Weiß: Boden, Wände, Decken, Umgänge, Brüstungen. Geschickt spielen die Architekten mit dem Licht, indem sie die weißen Flächen über Lichtvouten an den Brüstungen und Wänden indirekt beleuchten. Am Abend präsentiert sich das Theater von seiner schönsten Seite: Die große Glasfläche im Süden verwandelt sich in ein Schaufenster, das das Innenleben nach außen kehrt und die Besucher zu Darstellern werden lässt. »Das Thema sehen und gesehen werden ist im Theater ein wichtiger Faktor«, betont Ulf Grosse. »Jeder Besucher hat auf der Wendeltreppe seinen persönlichen Auftritt.« Große Spiegel auf verschiedenen Foyerebenen vervollkommnen diese Wirkung und bieten neue Raumerlebnisse. Auf der obersten Ebene angekommen, erreichen die Besucher die Skylobby. Der 400 m² große Empfangsraum befindet sich auf dem Zuschauerraum. Von hier sieht man weit über die Stadt in die Landschaft. Runde Skylights erweitern den Blick nach oben in den Himmel und lassen die lichte Raumhöhe von 3,50 m großzügiger erscheinen. Eine kleine Außenterrasse auf dem Dach der Studiobühne lädt zum Verweilen ein. Da die Skylobby vom Gastronomen der benachbarten Stadthalle betrieben wird, mussten die Architekten keine Küche planen. Eine Anrichte für die angelieferten Speisen hinter der 16 m langen, verspiegelten Bar reicht aus. Weil die Skylobby auch separat genutzt und gemietet werden kann, gibt es einen eigenen Eingang über das zweite Treppenhaus im Westen. Ein Gang durch dieses dreieckige Treppenhaus beweist erneut die gekonnte Lichtführung. Horizontale und vertikale Glasschlitze sowie kleine Glaserker bieten überraschende Ein- und Ausblicke. Ein besonderes Detail sind die ohne Rahmen ausgeführten Brandschutzverglasungen. Schließlich dient das Treppenhaus gleichzeitig als Fluchtweg.

Material- und Farbwahl – Kontrast bei den Bühnen

Spielt das Theater in Gütersloh vor allem im weißen Foyer? Beim Betreten der Bühnen kehrt sich das Bild um. Dunkle Farben und eine sparsame, sehr zweckmäßige Gestaltung haben hier den Vorrang. Man ist wieder geerdet, um sich von der Welt des Schauspiels fesseln zu lassen. Die zweckmäßig gestaltete, kleine Studiobühne (200 m²) öffnet sich als schwarzer Kubus mit einem großen Fenster zur Stadt, das bei Bedarf verdunkelt werden kann. Sie wird flexibel genutzt und dient auch als Probebühne oder als Konzertbühne für kleinere Musikaufführungen. Zur Studiobühne gehört ein sehr kleines, innenliegendes Foyer, das eher wie ein etwas zu groß geratener Lichtschacht wirkt und v. a. durch seinen grasgrünen Boden auffällt. Die große Bühne und ihr Zuschauerraum mit maximal 532 Plätzen (530 + 2 Rollis) sind geprägt vom Signalrot der Stuhlpolster, das sich nicht ganz mit den rostroten Akustikpaneelen verträgt. Die Stühle steigen in steilem Winkel vom Bühnenniveau bis in die Ränge. Nicht umsonst wirbt das Theater mit der Nähe zum Geschehen: Die Entfernung vom Rang zur Bühne beträgt nur 22,4 m. Der Bühnenraum erinnert auf den ersten Blick an eine Guckkastenbühne. Er besteht aus der Hauptbühne (250 m²), zwei Seitenbühnen (je 170 m²), der Hinterbühne (200 m²) und einem vorgelagerten Orchestergraben (80 m²) sowie der Oberbühne mit Schnürboden und der dazugehörigen Bühnentechnik. Auf zwei Etagen oberhalb der Seiten- und Hinterbühne liegen die Künstlergarderoben und ganz oben die Büros der künstlerischen Leitung sowie die Technikzentrale. Im EG ist die Anlieferzone in den Baukörper integriert. Lastwagen können dort durch ein großes Tor direkt bis zur Rampe am Lastenaufzug vorfahren. Sichtbeton und Gussglas verleihen der Anlieferung einen attraktiven, industriellen Charme. »Bei der Eröffnung schlug Prof. Friedrich vor, man könne diesen Raum auch für Inszenierungen nutzen«, erzählt Ulf Grosse. Die beste (Raum-) Inszenierung jedoch ist und bleibt das Foyer.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: