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db deutsche bauzeitung 03|2012
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db deutsche bauzeitung 03|2012

Zerklüftete Passagen zum Fluss

Plaza Pormetxeta in Barakaldo, Grossraum Bilbao (E)

Es hätte auch einfach eine Bahnüberführung werden können. Doch was drei junge spanische Architekten 2001 im Europan-Wettbewerb entwarfen und schließlich realisierten, ist eine spannende Abfolge multifunktionaler Räume am Übergang von der Stadt zum Fluss. Hat das scharfkantig, coole Design auch seine Tücken, zum maroden Ort passt die Plaza durchaus; sie ist ein markanter Aufbruch zu neuen Ufern.

29. Februar 2012 - Christoph Gunßer
Die 100 000 Einwohner-Stadt Barakaldo, auf halbem Weg zwischen Bilbao und der Atlantikküste gelegen, stand nach dem Niedergang ihrer Stahlindustrie in den 90er Jahren vor großen Veränderungen: Ein seit dem 19. Jahrhundert versperrter, 40 ha großer Uferstreifen entlang des Nervion wird seither als neuer Stadtteil entwickelt. Mit Unterstützung des EU-Programms URBAN und der staatlich-regionalen Organisation Ria 2000 versucht die Stadt vom »Bilbao- Effekt« zu profitieren. In der Nachbarstadt haben weitsichtige öffentliche Investitionen in neue Infrastruktur (Öffnung zum Flussufer, Bau einer Metro) und markante Architektur (besonders, aber längst nicht nur, das Guggenheim Museum von Frank O. Gehry von 1997) aus der rostenden Hafenstadt ein Touristenziel erster Güte werden lassen. Nun schließt Barakaldos Uferquartier eine der letzten Lücken in der neuen Bandstadt entlang des Flusses.

20 m Höhenunterschied für Klippen und Höhlen

Eine Barriere zwischen der alten, am Hang gelegenen Stadt und der Uferzone bildet aber weiterhin die Trasse der Vorortbahn. Im Bereich der neuen Plaza schafft der Entwurf der drei Architekten den mit 20 m Höhenunterschied verbundenen Sprung über die Bahn allerdings mit spielerischer Leichtigkeit: Eine artifizielle Landschaft aus Rampen, Terrassen, Toren und Balkonen führt mäandernd hinüber, öffnet und verstellt im Wechsel den Blick auf Stadt und Fluss, bildet metallene Klippen und Höhlen, um schließlich in einem Platz zu Füßen der umgenutzten alten Stahlwerksverwaltung zu münden, wo rostige Pergolen Spielinseln überwölben.

Nun sind solch spitzwinklig-polyedrische Gebilde nichts Neues mehr, seit CAD-Programme nach Belieben »Faltungen« generieren, berechnen und baubar machen. Ein gewisser anti-modischer Reflex ließ beim Autor erst nach, als er selbst über diese komplexen Klippen schritt. Die künstliche Landschaft verlockt tatsächlich dazu, dem bunten hexagonalen Pflaster zu folgen und aus der engen Stadt oder dem tristen Bahnhof hinüberzugehen ins Offene. Unterwegs auf den Rampen bieten sich immer wieder Räume zum Verweilen, um aus der Deckung der metallenen Rahmen voraus- oder hinabzuschauen auf das Treiben der Stadt und das träge Gleiten des Flusses, wo ein kleiner neu gestalteter Bootsanleger auf Passagiere wartet.

Schräge Flanken, scharfe Kanten

Regnet es, und das ist im Norden Spaniens gar nicht so selten, erweisen sich die von Weitem so trutzigen Überhänge indes als durchlässig für Nässe, denn die vieleckigen Volumen bestehen – auf einer tragenden Basis aus Beton – aus geschlitzten und schräg aufgebogenen Aluminiumplatten, die von einem leichten Stahlfachwerk gehalten werden. Edelstahlschienen bilden die scharfen Grate, an denen die Aluplatten sichtbar verschraubt sind.

Bei den changierenden kristallinen Oberflächen, die je nach Blickwinkel geschlossen wie Stein oder durchsichtig wie Schleier wirken und zudem nachts von (plump) aufgesetzten LED-Strahlern in ein kaltes Licht getaucht werden, hatten die Architekten offenbar die amorphen Gesteinsformationen der Umgebung mit ihren Eisenerzminen im Sinn, und auch nautische Assoziationen gab es im Team.

An dieser »Küchenreiben ähnlichen« Oberflächengestaltung stoßen sich viele Leute vor Ort, im übertragenen und im Wortsinn: Spielende Kinder verletzten sich schon an den scharfen Kanten. Zudem erschienen die schrägen Brüstungen der Bauaufsicht zu einladend für kleine Kletterer – sie ließ davor reguläre Metallgeländer errichten. Das sieht nicht nur unschön aus, es konterkariert auch die Idee von der belebten, fließend modellierten Brücke, wo die Leute auf runden Sitzhölzern verweilen sollen. Dieses erwünschte »Herumlungern« wird nun gerade an den interessanten Stellen unterbunden. Skater nutzen die Rampen aber offenbar gern, auch für Ballspiele bieten sich die geschützten Terrassen an. Erste Dellen im weichen Blech und Graffiti zeugen von weniger willkommenen Besuchern.

Prekärer Platz unter künstlichen Bäumen

Auf der eigentlichen Plaza zu Füßen des Übergangs, wo um das ehemalige Verwaltungsgebäude des Stahlwerks herum Platz zum Verweilen und Spielen geschaffen wurde und künftig auch Ladenfläche sowie die Abfahrt in eine Tiefgarage vorgesehen sind, dort also finden sich dann doch noch echte Felsen: Als reizvoller, auch vom differenzierten Beleuchtungskonzept unterstrichener Kontrast zum glatten, kalten, Patina-freien Metall sind die hölzernen Bänke auf Brocken aus roh gebrochenem Stein befestigt.

Und, weitaus kontroverser: Die in rostigem Cortenstahl ausgeführten »Bäume« – wie die kranartigen Leuchten eine Reverenz an das aufgelassene Stahlwerk an dieser Stelle – sind mit grobem Schotter belegt, der allein von einem Maschendrahtgeflecht gehalten wird.

Der so erzielte Schattenwurf mag dem von Bäumen tatsächlich ähneln; das bereits nach kurzer Zeit starke Durchhängen der schweren Netze weckt aber nicht eben Vertrauen in diese reizvolle Konstruktion. Architekt Javier Peña Galiano betont, es handle sich bei dem Geflecht um ein Schweizer Spezialprodukt, und fürchtet keinen fatalen Schaden an dieser Stelle. Doch wer wird seine Kinder hier guten Gewissens spielen lassen?

So verwundert nicht, dass die Meinungen über die Plaza vor Ort überwiegend ablehnend sind. »Tonto«, albern und dumm, sei die Gestaltung, und mit fast 10 Mio. Euro viel zu teuer, ist zu hören.

Doch haben das die Leute von Gehrys Guggenheim Museum, Calatravas Brücke oder Norman Fosters Metrostationen anfangs nicht auch gesagt? Inzwischen nennen sie die muschelförmigen Abgänge zur Metro liebevoll »Fosteritos« (Fosterchen) und promenieren sonntags stolz ihren Fluss entlang.

Vernetzung mit Nebenwirkungen

Die Plaza, das sei etwas für die Touristen, murrt man in Barakaldo. Und sicher haben die unerfahrenen Architekten aus dem sonnigen Murcia und Madrid die baskischen Eigenarten teilweise falsch eingeschätzt und beim Umsetzen ihres urbanistisch wie plastisch überzeugenden Konzepts zu unbefangen experimentiert.

Anscheinend mangelte es den zahlreichen beteiligten Akteuren der Operation auch am Willen zur Verständigung. Doch funktional ist sie, die neue Plaza Pormetxeta, bequem zu begehen – und unverwechselbar: Fremd und verlockend liegt sie vor der Stadt, eine schimmernde Landmarke im gesichtslosen Siedlungsbrei, die, wenn der Immobilienmarkt wieder anzieht, noch durch einen 80 m hohen gläsernen Turm ergänzt werden soll. Er war von Anfang an Teil des Entwurfs und erinnert ebenfalls entfernt an einen Kran. Im Kern ist die Plaza Pormetxeta jedoch kein weiteres Objekt, sondern ein verbindender Raum, der einen andersartigen Blick auf die einzigartige Topografie der Nervion-Mündung eröffnet. Wie der viel zitierte Bilbao-Effekt lehrt, sind es heutzutage eben auch solche »geliehenen«, oft skurrilen Identitäten, die Orte prägen, Aufsehen erregen, und »Platz machen« in den Köpfen und in den Städten für neue, übergreifende Ideen. Was ist dagegen schon eine Bahnüberführung?

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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