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db deutsche bauzeitung 10|2012
Arbeitswelten
db deutsche bauzeitung 10|2012

Eine Frage der Balance

Bürohaus für Schlaich Bergermann und Partner in Stuttgart

Wie stellt man sich die Arbeitsräume eines der renommiertesten Büros für Tragwerksplanung und Ingenieurbau vor, das sich seit Jahrzehnten durch leichte und weitgespannte Konstruktionen verdientermaßen einen Namen macht? Vermutlich eher kühl, hochtechnisiert, schlicht auf das Funktionelle beschränkt. Umso mehr überrascht es, auf ein »weiches« Ambiente zu stoßen, in dem vielerlei Materialien und Farben für Lebendigkeit sorgen, eine angenehme und gemütliche Wohnzimmeratmosphäre versprühen und gar ein rosa Teppich seinen Platz findet.

1. Oktober 2012 - Christine Fritzenwallner
Stärker hätte der Kontrast kaum sein können. Der Umzug aus zwei prachtvollen alten, aber für die Belegschaft zu klein gewordenen Villen, am Hang der Stuttgarter Karlshöhe gelegen, hin zu einem urbanen, lauten Verkehrsknotenpunkt im Westen der Stadt, ging im Sommer letzten Jahres über die Bühne. Dass dabei das Büro vom vorherigen Standort gerade einmal 1 km entfernt ist, ändert nichts an der Umstellung, die sich für die rund 100 Mitarbeiter ergab. War man früher von Grün umgeben und abgeschieden vom städtischen Trubel, flankieren nun zahlreiche Geschäfte das Büro, mehr noch: Man sitzt direkt über einem bis Mitternacht geöffneten Supermarkt und kann eine Ebene tiefer zur S-Bahnstation abtauchen. Teilte man sich zuvor hinter dicken Wänden mit ein bis drei Mitarbeitern ein Zimmer, arbeitet man nun überwiegend in Gruppenbüros, die trotz niedriger Deckenhöhe dank raumhoher Verglasungen luftig wirken. Statt wie früher das Haus verlassen zu müssen, um die Kollegen im rund 200 m entfernten Nachbargebäude zu treffen, geht es nun schneller und je nach Wetterlage trockener. Und erst recht für die für jeden Morgen angesetzten kurzen Kaffeepausen zum Austausch oder den wöchentlichen Jour fixe um 10 Uhr muss sich keiner mehr in die letzte Ecke quetschen – nun ist ausreichend Platz für alle.

Vertrauen in den Architekten

Mit der Gestaltung ihrer neuen Räume haben die weltweit agierenden Ingenieure schlaich bergermann und partner das ebenso bekannte Büro für Architektur und Kommunikation Ippolito Fleitz beauftragt. Wohl wissend, auf deren Gefühl für Farben und Raumwirkung vertrauen zu können, das diese in jedem ihrer individuell auf den Kunden zugeschnittenen Raumgestaltungen unter Beweis stellen. Doch während sich sonst stärker eine Konzeptidee aus deren Projekten ablesen lässt, stand hier »nur« die spätere Raumwirkung im Vordergrund. Es sollte »etwas Lebendiges werden, und natürlich sollten die Markenwerte wie Präzision, Zuverlässigkeit und Strukturiertheit transportiert werden«, erklärt Peter Ippolito, »und es durfte nicht zu straight sein« – aber das waren schon die wenigen Vorgaben von schlaich bergermann und partner.

Dessen einziges, klar und deutlich in Erscheinung tretendes Corporate IdentityElement findet sich bereits am Eingang des Büros, im nach vorne verglasten Treppenhaus vom EG ins 1. OG, umgeben von einer Spiegelrückwand und dunkelgrauen Flächen: eine extrem schlanke Stahltreppe, die – wer das Büro oder z. B. den Turm auf dem Stuttgarter Killesberg kennt, wird richtig vermuten – beim Gehen leicht schwingt. Einen besseren Standort für ein solches Aushängeschild als hier zur belebten Straße und zur Bushaltestelle hin hätte sich wohl kaum finden lassen. Die Treppe ist das einzige Element, was die Ingenieure für ihr neues Büro selbst geplant haben, denn das Gebäude wurde seitens eines schwäbischen Besitzers entkernt und umgebaut. Intern wurde für den Treppenentwurf sogar ein Wettbewerb unter den Mitarbeitern initiiert.

Vielfältige Angebote

Im 1. OG, der Empfangs- und Kommunikationsebene, angelangt, ist man überrascht. Haben das Treppenhaus und der Eingangsbereich in seiner Anmutung noch die herkömmlichen Vorstellungen erfüllt, die man sich bezüglich der Gestaltung eines neuen Ingenieurbüros von schlaich bergermann und partner zuvor vielleicht ausmalte, trifft man im großen offenen Zentrum der ersten Etage auf eine Fülle von Farben, Materialien und Möbelstücken – von lackiertem MDF, Nussbaum-Furnierholz über pinkfarbene Sofakordeln und Lichttulpen, einem Edelstahlvorhang und Metalllochdecken bis hin zu Akustikputz und membran-bespannten Lichtdecken. Für Ippolito ist dies ein taktisches Gegensteuern: »Wo visuelle Pfade erwartet werden, muss man ganz bewusst etwas anderes machen, Querdenken zulassen.« Die gewünschte Lebendigkeit spiegelt sich neben der farbenfrohen Innenausstattung in mannigfachen, räumlichen Angeboten an die Mitarbeiter zum Sitzen, Lesen oder Sich-Austauschen und in verschiedenartigen, flexiblen Besprechungsbereichen wider: Es gibt zwei lange weiße Tische mit insgesamt 24 Sitzplätzen, an denen z. B. auch gemeinsam zu Mittag gegessen werden kann – zuvor war dies kaum möglich. An die offene, aber abtrennbare Küche grenzen Stehtresen, kleinere Einzeltische und die riesige, mit vier Sonnenschirmen und viel Grün bestückte Dachterrasse. Vor der raumhohen, hölzernen Bibliothekswand bietet ein halbkreisförmiges Sichtschutz-Polster die Möglichkeit, sich etwas abzugrenzen, daneben lockern ein paar lose bunte Polsterhocker und Ohrensessel sowie seit Kurzem auch ein Klavier erneut den Raum auf. Schließlich umfasst ein dünner grauer Vorhang eine wiederum offene Besprechungsmöglichkeit – mit der sicher ungewöhnlichsten Farbzusammenstellung im ganzen Büro, thront doch der mittelblaue, leicht glänzende, quadratische Tisch auf einem rosafarbenen Plüschteppich. Zugegeben: Was niedergeschrieben wie ein wahlloses buntes und wild zusammengeworfenes Nebeneinander erscheinen mag, funktioniert erstaunlich gut und ist in sich stimmig. Flankiert wird die große offene Zone von weiteren, abgeschlossenen Besprechungs- und Medienräumen, Archiv, Plottraum und einem Duschbad und Schließfächern.

Präzision, Struktur, Flexibilität

In den fünf weiteren Geschossen mit den eigentlichen Arbeitsplätzen ist die Atmosphäre hingegen konzentrierter und ruhiger, auch optisch. Farben (etwa Hellblau, Orange oder Violett) werden nur dezent eingesetzt, etwa zur Wiedererkennung im Zugangs- oder im Sanitärbereich. Sie geben jeder Etage, zusammen mit einer immer leicht abgewandelten Aufteilung und Abfolge der Büros, ein individuelles Gesicht. Verglaste Einzel- oder Zweierbüros sind die Seltenheit, aber nicht nur bei den Geschäftsleitern und Partnern in der obersten Etage zu finden, deren Arbeitsplätze sich sonst hinsichtlich Materialwahl oder Mobiliar nicht von den anderen unterscheiden. Doch auch wer im offenen Raum sitzt, ist durch die Anordnung der Büroschränke optisch abgeschottet und hat in der Regel eine »Rückwand«, um private Fotos oder Projekte auf der magnetischen Oberfläche anzupinnen. Die Organisation der Arbeitsplätze ist außerdem flexibel: Zweierbüros lassen sich z. B. recht einfach zu Einzelzimmern umbauen. Hierzu können in allen Achsen wie auch auf halber Achse zwischen den Schreibtischen Glastrennwände nachinstalliert werden.

Aber ob dies tatsächlich einmal notwendig sein wird? Hinsichtlich einer guten Raumakustik haben Ippolito Fleitz nämlich alle Register gezogen: Nicht nur der braune, flauschige Teppich dämpft, sondern auch gepolsterte Stützen und an den Glaswänden befestigte Textilpaneele. Zusätzlich schluckt die in der Mittelzone angebrachte löchrige Metallrasterdecke Schall (eine Revisionsdecke, die je nach Sonnenstand das Licht stimmungsvoll reflektieren soll), ebenso wie die weiße Akustik-/Kühldecke, die sich über die Arbeitsplätze zieht. Diese sowie die entlang der Fassade angebrachten Konvektoren zum Heizen lassen sich von den Mitarbeitern ansteuern, sodass sie die Raumtemperatur auf Wunsch geringfügig ändern können. Ebenso lassen sich der außenliegende Sonnenschutz, der Blendschutz sowie das Präsenzmelder-basierte Licht an den Arbeitstischen individuell regeln. Anstelle auf herkömmliche Büromöbelsysteme zurückzugreifen, wurden diese wie auch die »schwebenden« (da vom Boden abgehobenen) Büroschränke eigens für das Projekt entwickelt. Nur so ist, erklärt Ippolito, tatsächlich eine »gestalterische Durchgängigkeit möglich und alles präzise aufeinander abgestimmt. Und teurer ist dies auch nicht.«

Zum Stichwort »abgestimmt« stellt sich aber noch eine Frage: Wie stark sollten Mitarbeiter eigentlich in einen solchen Umzug und die baulichen und gestalterischen Maßnahmen einbezogen werden? Laut Ippolito liegt auch hier der Schlüssel in der angemessenen Kommunikation und Information. Die großen Fehler kennt wohl jeder aus eigener Erfahrung: »Wird nicht kommuniziert, ist der Unmut später groß. Wird hoffnungslos zerredet oder werden gar Arbeitsgruppen gebildet, leidet das ganze Konzept und es kommt zu Zeitproblemen.« Hier ist weder das eine eingetreten noch hat das andere stattgefunden. Auch bei ihrem Büroumzug haben schlaich bergermann und partner also wieder einmal die richtige Balance gefunden.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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