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db deutsche bauzeitung 12|2013
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db deutsche bauzeitung 12|2013

Lichtblick

Temporäres Restaurant in London (GB)

Unter dem Dach einer ehemaligen Tankstelle platziert, bietet »The Filling Station« Raum für Gastronomie und Kultur mit Blick aufs Wasser. Material und Konstruktion sind preisgünstig und einfach, schaffen aber dennoch einen poetischen Ort inmitten der wüsten Baustellenlandschaft von King's Cross.

2. Dezember 2013 - Dagmar Ruhnau
Auf dem Gelände hinter King's Cross, einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Londons, entstehen zurzeit auf 27 ha ehemaliger Gleis- und Schuppenflächen neue Einkaufsstraßen, Bürogebäude und Wohnblocks. Das ehemals verrufene Bahn- und Industrieareal am Kreuzungspunkt von Eisenbahn, Straßen und Wasserwegen (das im 18. Jahrhundert noch ein verträumter Badeort war) wandelt sich zu einem Stück Stadt des 21. Jahrhunderts: sauber, glatt, effizient, mit einem Hauch Nostalgie durch umgebaute Lagerhäuser. Bis 2020 sollen hier 45 000 Menschen leben, arbeiten und studieren. Doch noch steht Kran neben Kran, kaum etwas ist fertig und überall guckt noch das Alte hervor. Am östlichen Rand des Geländes steht ein kleines Gebäude, eingezwängt auf einem dreieckigen Grundstück zwischen zwei breiten Straßen und dem Regent's Canal, der sich erst langsam wieder zu einem Ort mit Aufenthaltsqualität entwickelt.

Das Gebäude ist tagsüber kaum wahrnehmbar und geht auch bei Dunkelheit trotz Beleuchtung neben der lichtüberfluteten Baustelle und anderen schreienden Lichtinstallationen ziemlich unter. Und doch fällt es auf, indem es den zumeist banalen und plumpen Großbauten eine feine Eleganz entgegensetzt. Die Hülle besteht aus geschwungenen Kunststoffelementen, die in Bögen ungefähr die Form des Grundstücks nachzeichnen. Bei bedecktem Himmel wirkt der Bau rätselhaft, grau wie der alte Straßenbelag und wie eine undurchdringliche Wand. Der weiße Schriftzug »The Filling Station« ist kaum zu lesen und hilft auch nicht weiter, denn hier handelt es sich erkennbar nicht um eine Tankstelle. Doch bei Sonne erscheint auf der Fassade ein zauberhaftes Spitzenmuster; und fällt das Licht von hinten gegen die Elemente, zeigt sich ihre Transluzenz: Unterkonstruktion und Teile der Einrichtung werden als abstrakte Muster sichtbar. Nachts sind die Elemente effektvoll illuminiert, der Schriftzug leuchtet grün. Das Gebäude wird noch zarter und durchlässiger – ganz wie die leuchtende Laterne, die die Architekten beim Entwurf vor Augen hatten.

Verkehrsbau wird Idyll

»The Filling Station« steht tatsächlich auf einem ehemaligen Tankstellengrundstück. Für die Zeit, bis hier Wohnungen entstehen, verwandelte es das Architektenduo Carmody Groarke für die Eventgastronomen von Bistrotheque, bekannt für temporäre Restaurants (s. auch db 9/2010, S. 24), in eine »heiße« Adresse für hippe Londoner. Über dem durch das wechselnde Erscheinungsbild nicht ganz fassbaren, 4 m hohen und 200 m langen Baukörper schwebt das alte Tankstellendach, doch statt der üblichen gerundeten, viel zu dicken Verkleidung zeigt sich nun eine klare weiße, wohlproportionierte Scheibe. Das Grün der Leuchtschrift erinnert an die ehemalige Nutzung durch einen britischen Ölkonzern, dessen alte Tanks sich noch im Boden befinden. Auch das Tankstellengebäude blieb erhalten, mitsamt Ver- und Entsorgungsleitungen. Hier wurde die Küche eingerichtet, im ehemaligen Verkaufsraum bieten weiß eingedeckte Tische Platz für 50 Personen. Um dieses und ein weiteres kleines Gebäude am gegenüberliegenden Ende des Grundstücks entwickeln sich die GFK-Elemente und bilden dazwischen einen kleinen Hof aus, der sich zum Kanal öffnet. Hier wird im Sommer auf Bierbänken gesessen, gegrillt und getrunken, auch kulturelle Veranstaltungen gibt es. Sobald man unter den beiden riesigen Nadelbäumen um die Ecke biegt, vergisst man fast, dass man in London ist. Die Großbaustelle von King's Cross leuchtet zwar durch die Kunststoffpaneele hindurch, doch der Blick geht auf den ruhigen Kanal mit seinen Hausbooten und auf »The Granary«, ein ehemaliges Lagerhaus, das für die University of the Arts um- und ausgebaut wurde (Architekten: Stanton Williams).

Einfachheit mit grosser Wirkung

So raffiniert und vielschichtig die Architekten den Ausdruck und die Wirkung der kleinen »Laterne« gestaltet haben, so einfach und zurückhaltend ist die Konstruktion. Zwischen den GFK-Elementen ist jeweils ein Sperrholz-Schwert angeordnet, die Verbindung erfolgt über Bolzen durch jeweils ein Gelenk und die inneren Flansche der Paneele. Diese Kette wiederum wird gehalten von einer einfachen Gerüstkonstruktion, die als Herzstück und Inbegriff des temporären Baus in Szene gesetzt wird: Durch Sonnenlicht am Tag und gezielte Beleuchtung nachts zeichnen sich die Schatten der Rohre auf der geschwungenen Fassade ab.

Der Schriftzug erinnert übrigens nicht zufällig an amerikanische Diner der 50er Jahre. Das gesamte Konzept folgt dieser Richtung, allerdings ohne Polsterbänke und mit einem südlichen Einschlag. Von der Palme bis zur Wandbemalung wird eine dezent »mexikanische« Atmosphäre hergestellt, und die Speisekarte erzählt die Geschichte einer (fiktiven) Dame namens Shrimpy, die von ihren Reisen aus Mexiko die verschiedenen Tortas, Cocktails und v. a. Fischgerichte mitgebracht hat. Und so sitzt man hier und entdeckt im Grauen, Gezackten der Kunststoff-Hülle des Restaurants zu guter Letzt auch noch Ähnlichkeit mit den Schalen von Shrimps und Austern.

Für drei Jahre, bis 2014, hat »The Filling Station« eine Genehmigung, ursprünglich waren nur zwei Jahre geplant. Jetzt im Winter finden nur einzelne Veranstaltungen statt, doch soll das Restaurant ganzjährig für das Publikum offenstehen. So arbeiten die Architekten gegenwärtig an einer Lösung, die den Hof dauerhaft nutzbar macht – ein Vorhang, der vor Kälte schützt, wünschenswerterweise aber die Aussicht nicht verdeckt. Gleichzeitig wird darüber verhandelt, ob sich die Genehmigung um ein weiteres Jahr verlängern ließe.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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