Akteur

INNOCAD Architektur ZT GmbH
Graz (A)

Mit gutem Gewissen auf schwierigem Terrain

SPLITTERWERK lassen den Hang durchs Haus laufen, InnoCAD stemmen sich über die 100-jährige Hochwassermarke

9. April 2005 - Oliver Elser
Ist es nicht pervers? Generationen von Architekturstudenten werden zwar Semester für Semester darauf getrimmt, munter Hotels, Museen und Fußballstadien aufs Papier zu bringen, so gut wie nie aber werden sie mit dem konfrontiert, was ihnen als jungen Architekten am ehesten blühen wird - dem Einfamilienhaus. Das gilt in aufgeklärten Kreisen als die Brutstätte des Bösen. Weil es die Familie „zementiert“, nuscheln die Salonrevolutionäre unter den Professoren, oder, so die mildere Variante, weil es die Landschaft „verhüttelt“. Oder, jetzt spricht der Pragmatiker, weil sich als Architekt damit kein Geld verdienen lässt. Stimmt ja alles auch irgendwie, nur ist noch nicht einmal das letzte Argument so stark, dass nicht unzählige enthusiastische Architekten, keineswegs nur die jungen, ihre Zeit in endlosen Bauherrenbesprechungen vergeuden würden, schließlich will das Portfolio mit fertigen Werken gefüllt sein.

Die beiden Architektengruppen SPLITTERWERK und InnoCAD sind keine Anfänger mehr. SPLITTERWERK besteht seit 1988, InnoCAD immerhin seit 1999. Beide sind aus der Technischen Universität Graz hervorgegangen. Die einen sind bereits im ersten Semester aus den Zeichensälen in ein selbst organisiertes Büro geflüchtet, die anderen haben die verschwenderisch üppigen Stiegenpodeste im Gebäude von Günther Domenig kurzerhand besetzt und ebenfalls schon während des Studiums zu bauen begonnen. Während SPLITTERWERK immer auch Projekte im Grenzbereich zur Kunst gemacht hat, ist InnoCAD ein Büro, das bereits beeindruckend viele Gebäude realisieren konnte, zum Teil sogar als eigener Bauherr. Zu warten, dass eines Tages die Tür aufgeht und ein Kunde hereinspaziert, haben sie sich längst abgewöhnt.

Im Falle von SPLITTERWERK ereignete sich aber genau das. Aufgrund eines Zeitungsartikels meldete sich ein Interessent und bestellte für sich und seine Familie ein Ferienhaus auf einem geerbten Grundstück mit Hanglage in der Weststeiermark. Der Bauherr hatte vor, nicht mehr als drei, vier Wochenenden im Jahr das Haus zu nutzen, wollte aber mit der Gegend weiter verbunden sein, in der er aufgewachsen war. Das Ergebnis ist von so radikaler Einfachheit, dass einem Adolf Loos einfällt, der Skeptiker aufgeschäumten Originalitätswahns: „Unsere ganze neue Architektur ist am Reißbrett erfunden (. . .) Gute Architektur kann beschrieben, sie müßte nicht gezeichnet sein.“ Der „Grüne Laubfrosch“ lässt sich ganz in diesem Sinne erklären: ein Dach über einem Hang, der durch das Haus hindurchläuft. Auf dem schrägen Boden ein Glaskasten aus Baumarkttüren, darin ein Kasten aus verspiegelten Möbelelementen schwedischer Herkunft, darüber drei verschiebbare Schlafplattformen, neben WC und Dusche (im Kasten) die einzigen horizontalen Ebenen. Das war's. Was im Moment noch fehlt, sind Sitzmöbel, die sich aus dem schrägen Boden herausfalten lassen, und die endgültige Bauabnahme durch die Gemeinde, die sich an dem grünen, nachts beleuchteten Dach stört. Dabei ist das Haus ja kein Haus, sondern irgendetwas sehr anderes, sehr Aufregendes zwischen Raumexperiment und Scheune.

Im Gegensatz zum Wohnbau „schwarzer Laubfrosch“ (ALBUM vom 17. 7. 2004), der die Bewohner mit Farbblasen einschließt, ist sein grüner Verwandter auf maximale Offenheit angelegt. Der Traum der Moderne von der Auflösung der Architektur in der Landschaft wird hier aber nicht naiv weitergedacht. Die Privatsphäre bleibt durch steuerbare Lamellen gewahrt, mit denen der Unterstand verschlossen werden kann. Je nach Laune in Schwarz oder Weiß. Die offenen Giebelseiten sind mit Maschendraht bespannt und werden irgendwann zuwachsen. So sehr das Haus eine Herausforderung für die Bewohner der schrägen Ebene sein mag, so zurückhaltend, ja technisch zeigt es sich nach außen. Landschaftsschutz einmal nicht mit nachgeahmter Tradition, sondern in der Sprache landwirtschaftlicher Nutzbauten.

Für InnoCAD ist es nicht das erste Mal, dass die jungen, alle im Jahr 1972 geborenen Architekten zu ihren Kindheits- und Jugenderinnerungen abtauchen und aus dem Fundus der Siebzigerjahre hervorziehen, was die meisten, die diese Zeit noch in den Knochen haben, lieber auf dem Müllhaufen der Geschichte deponiert sehen würden. Mit orange-braun gestreiften Sonnenschutz-Markisen wurden bereits die Balkone des Apartmenthauses „G40“ in Graz umhüllt, und in mehr als einem Wettbewerbsprojekt von InnoCAD finden sich geschmiedete Balkongitter, deren ornamentale Verschlingungen schwüle Bilder von Kleingarten- und Grillparty-Idylle heraufbeschwören. Bei der Casa D sind nicht nur die Materialien daran schuld, dass sich auf Anhieb gar nicht entscheiden lässt, ob das Haus 1975 oder 2005 gebaut wurde. Die Rückseite erinnert in ihrer gedrungenen Massivität an den Bunkerstil unzähliger Bauten der Siebziger, seinerzeit die Zeichen einer neuen Innerlichkeit und des Abwehrzaubers gegen Umweltzerstörung und gesellschaftliche Umbrüche.

Dennoch ist das Haus mehr als nur ein Bildträger. Obwohl die Umgebung so banal erscheint, lauert in dem Neubaugebiet im oberösterreichischen Hartkirchen eine Bedrohung, die von den Fertighäusern der Nachbarschaft nach Kräften kaschiert wird. Denn das Gelände ist eine Hochwasserzone. Für InnoCAD ein willkommener Anlass, um zu demonstrieren, dass gute Architektur auch einen funktionellen Mehrwert haben kann und nicht allein durch einen bestimmten Geschmack definiert ist. Um das Haus vor allen Widrigkeiten zu schützen, wurde es mit Stahlprofilen über die Marke des „100-jährigen Hochwassers“ gehoben.

Wenn schon Einfamilienhaus, mögen sich InnoCAD gedacht haben, dann soll es wenigstens so aussehen, als hätte es bereits eine dreißigjährige Geschichte. Wirkt doch die Umgebung nur deswegen so trist, weil sie noch keine Chance hatte, einen Platz im Leben zu finden.

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INNOCAD Architektur ZT GmbH, Foto: Sebastian Kapfhammer

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