Akteur

Margarete Schütte-Lihotzky
* 1897 Wien 2000 Wien

„Sie waren so elegant“

Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000). Eine der bedeutendsten Architektinnen des 20. Jahrhunderts hat mit Adolf Loos zusammengearbeitet, im Widerstand gegen Hitler gekämpft und ist zeitlebens Kommunistin geblieben.

26. Januar 2000 - Jan Tabor
Eine fensterlose, aus Fichtenbrettern gezimmerte Bude steht im 20er Haus. Die Installation „Oktober 1810 ...“ ist der Beitrag von Christine und Irene Hohenbüchler für die Ausstellung „Aspekte/Positionen“. Drinnen, an den Wänden der rätselhaften Holzhütte, sind beschriftete Blätter angebracht, die an die Bedeutung des Widerstandes gegen den Austrofaschismus und den Nationalsozialismus erinnern. Auf einem der Blätter ist zu lesen: „1941: 22 Jänner. Margarete Schütte-Lihotzky und Erwin Putschmann werden zusammen in einem Wiener Cafe verhaftet. Die Verhaftung löste eine 9 Monate dauernde Welle von Polizeirazzien und Festnahmen aus. 536 Verdächtige werden gefangen.“

Das Kaffeehaus Viktoria am Schwarzenbergplatz, in dem Putschmann und Schütte-Lihotzky verhaftet wurden, gibt es nicht mehr. Der Gestapospitzel, der die Verhaftungswelle auslöste, hieß mit Decknamen „Ossi“. Dass er es war, der die KP-Gruppe verraten hatte, erfuhr Schütte-Lihotzky in der Untersuchungshaft auf eine bemerkenswerte Weise: Die Mitteilung war in die Aluminiumbecher eingeritzt, mit denen die Gefangenen in den Einzelzellen mit Trinkwasser versorgt wurden - eine Nachricht, die bei den Gestapoverhören einen lebensrettenden Vorteil brachte. Vielleicht war es dieser Information zu verdanken, dass Margarete Schütte-Lihotzky, die mit der Todesstrafe rechnete, bloß zu 15 Jahren Kerker verurteilt wurde.

15 Jahre Kerker für 25 Tage im Widerstand - nur so lange hatte sich die Architektin nach ihrer Rückkehr aus dem türkischen Exil im nationalsozialistischen Österreich aufgehalten. In ihrem 1994 erschienenen Buch „Erinnerungen aus dem Widerstand“ beschreibt sie die folgende Szene: Unterwegs im grünen Heinrich fragte sie der Gerichtsaufseher Steiner, wo ihr Prozess stattfinde. „Berliner Volksgericht, zweiter Senat“, antwortete Schütte-Lihotzky. „O je!“, seufzte Steiner und versuchte sie gleich zu trösten, indem er ihr den Hinrichtungsvorgang schilderte: „Das Ganze dauert nur sieben Sekunden. Nach dem Krieg kriegen Sie dann ein Denkmal.“ In der Nacht vor ihrem Prozess, am 22. September 1942, stellte Schütte-Lihotzky aus Papierstücken Lockenwickler her, um ihre Frisur herzurichten und dem Blutrichter auch durch ihr Äußeres zu zeigen, dass es der Gestapo nicht gelungen war, sie zu brechen. Als Margarete Schütte-Lihotzky 1997 von Manfred Nehrer, dem Künstlerhaus-Präsidenten, gefragt wurde, was sie sich zum hundertsten Geburtstag wünsche, antwortete sie: „Ein schönes Kleid.“

Als ich Margarete Schütte-Lihotzky kennen gelernt habe - das war 1978 -, war sie in Österreich noch eine Persona non grata. Der Grund: Sie war Kommunistin geblieben, sogar eine aktive. Wer ihr Buch liest, ihre Erinnerungen an die zahlreichen Mithäftlinge und hingerichteten Freunde, dem wird es kaum schwer fallen, dies zu begreifen. Harald Sterk, Kunstkritiker der Arbeiterzeitung, für die ich damals kleine Ausstellungsberichte zu schreiben begann, fragte mich einmal, ob ich nicht mit ihm Grete Lihotzky besuchen möchte, zu der er gerade gehen wollte. Frau Schütte-Lihotzky war sehr freundlich, mehr an uns als an unseren Fragen interessiert. Es war ein seltsames Gefühl, mit einer Architektin zu sprechen, die Adolf Loos, Josef Frank, Ernst May, Le Corbusier, Bruno Taut und viele andere Heroen der klassischen Moderne persönlich kannte. Nur: Über sie wollte sie nicht sprechen. Sie wollte über Herbert Eichholzer sprechen, den talentierten Architekten aus Graz, der ebenfalls aus der Türkei nach Österreich zurückgekehrt und 1943 hingerichtet worden war. Für ihn wollte sie Anerkennung erreichen.

Gern sprach Schütte-Lihotzky über die Architektur in der Sowjetunion, ungern hingegen über die politische Situation dort. Das Scheitern der radikalen architektonischen Moderne, wie sie die Entscheidung Stalins, den Formalismus zu verbieten und einzig den sozialistischen Realismus zu erlauben, umschrieb, hielt sie für unabdingbar. Für den Erfolg des Konstruktivismus hätten noch viele Voraussetzungen gefehlt, vor allem die bevorzugten Baustoffe Eisen und Glas. Ähnlich wie der aus dem Exil nach Wien zurückgekehrte Architekt Ernst A. Plischke war auch Schütte-Lihotzky darüber verbittert, dass sie, von einigen Ausnahmen abgesehen, von der sozialistischen Wiener Stadtverwaltung keine Bauaufträge erhielt. Ganz im Unterschied zu den ehemaligen NS-Architekten, die - wie etwa Franz Schuster - mit Aufträgen und Ehren überhäuft wurden. Wohl aus diesem Grund sprach sie über ihre Wiener Jahre nicht gern. Man hatte sie boykottiert.

Ich war dabei, als Margarete Schütte-Lihotzky das nach ihrem Entwurf 1932 errichtete Doppelhaus in der Wiener Werkbundsiedlung zum ersten Mal in ihrem Leben sah. Aus irgendeinem Grund, vielleicht wegen meines böhmisch-kommunistischen Akzents, vielleicht, weil ich Emigrant war, mochte sie mich. Während unseres dritten oder vierten Besuchs in ihrer Wohnung in der Franzensgasse passierte etwas, was Sterk überraschte: Frau Lihotzky stimmte meinem Vorschlag zu, mit uns nach Lainz zu fahren und die Siedlung in der Hermesstraße, die sie gemeinsam mit Adolf Loos 1922 entworfen hatte, zu besichtigen. Ich holte das Auto, und wir fuhren gleich hin. Unterwegs schlug ich vor, wir könnten, weil es am Weg lag, die Werkbundsiedlung besichtigen. Gute Idee, sagte Frau Lihotzky, sie hätte die Siedlung noch nie gesehen. Als ich sie auf ihr Doppelhaus ansprach, erzählte sie, dass sie die Pläne aus Moskau geschickt hatte, wohin sie mit der ganzen Architektengruppe um Ernst May aus Frankfurt am Main 1930 übersiedelt war. Nach dem Krieg, als sie nach der Befreiung aus dem Kerker im bayerischen Aichach zurück nach Wien gekommen war, hatte sie andere Sorgen.

In der Werkbundsiedlung, in der Woinovichgasse 2-4, trafen wir eine Bewohnerin, die uns ihr Haus bereitwillig zeigte. Jetzt würde sie es auch nicht anders machen, sagte Frau Lihotzky nach der Besichtigung. In der Hermessiedlung beim Lainzer Tiergarten, die sie 1922 gemeinsam mit Adolf Loos entworfen hatte, hatten wir wieder Glück. Wir fanden ein Haus, das Einzige übrigens, das noch weitgehend im Originalzustand erhalten geblieben war.

Mit der Frau, die das Haus mit ihrem Mann selbst errichtet hatte, entwickelte sich ein überaus interessantes Gespräch über zwei Fehlgriffe des genialen Architekten Adolf Loos. Die eine betraf die Stiege zum Schlafzimmer im Dachgeschoss. Loos bestand darauf, die Stiege vom Vorzimmer in das Wohnzimmer zu verlegen. Mit dem Resultat, dass die Bewohner die Stiege mit Brettern zunageln mussten, damit die überaus kostbare Wärme des einzigen Ofens im Wohnzimmer nicht ins Schlafzimmer unter dem Dach auswich. Die zweite Fehlplanung war das Doppelfenster aus Eisenprofilrahmen, das bis auf einen kleinen Ausschnitt nicht geöffnet werden konnte und das fest verglast wurde, so dass die mit der Zeit innen schmutzig gewordenen Scheiben bis zum damaligen Tag nicht geputzt werden konnten.

Dann sagte die Siedlerin, die etwa so alt war - um die achtzig - wie die Architektin: „Ich kann mich an Sie gut erinnern, Frau Baumeister. Und an Herrn Loos auch. Sie waren beide so elegant.“ Frau Lihotzky antwortete: „Jetzt sind wir beide elegant.“ Und was das Fenster anlange, bald würde sie Loos wieder treffen und es mit ihm besprechen. Ich war dabei und hatte kein Tonaufnahmegerät mit.

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