Akteur

Margarete Schütte-Lihotzky
* 1897 Wien 2000 Wien

Bauen für die Unterprivilegierten

Architektin Margarete Schütte-Lihotzky starb am Dienstag 102-jährig in Wien

19. Januar 2000 - Gert Walden
Margarete Schütte-Lihotzky zählte zu den Unbequemen in diesem Land. Sie hat sogar ihren konsequenten Weg des Nonkonformismus perfektioniert. Am 23. Jänner 1897 geboren war sie die erste Absolventin der Architekturklasse an der Wiener Kunstgewerbeschule unter Oskar Strnad. Als Architektin - nicht als Architekt, wie sie selbst stets betonte - hat sie sich Zeit ihres Lebens theoretisch und praktisch mit dem Bauen für die weniger privilegierten Schichten beschäftigt. Und als KPÖ-Aktivistin hat sie gegen alle Spielarten des Faschismus gekämpft, wobei sie im Dritten Reich nur knapp der Ermordung entgangen ist.

Mit einer solchen Haltung gegenüber dem Leben und dem Bauen war es kein Wunder, dass die gebürtige Wienerin erst spät jene Anerkennung gefunden hat, die ihr im internationalen Rahmen zustand. Erst 1993 wurde ihr im Museum für Angewandte Kunst eine erste Werkschau gewidmet und dort wurde auch die „Frankfurter Küche“ rekonstruiert, welche Schütte-Lihotzky für die Siedlungen der Main-Metropole in den 20er Jahren entworfen hatte.

Friedrich Achleitner hat Schüttes Hinwendung zum Bauen einmal als „ethischen Realismus“ bezeichnet. Realistisch war die Methode der Erfassung der Bedürfnisse der Benützer ihrer Bauten, ethisch war ihre Einstellung gegenüber dem Planungsziel. Denn die Brecht'sche Frage nach dem „Wem nützt die Architektur“ hat Schütte-Lihotzky mit ihrem Gesamtwerk klar beantwortet: den betroffenen Menschen.

Das Besondere der Architektur von Margarete Schütte-Lihotzky lag im präzisen, aber auch subjektiven Entwerfen für Menschen, getragen von einem ausgeprägten sozialem Gewissen. Damit unterschied sich Schütte von den Vertretern einer funktionalistischen Moderne, die eine Auflösung der Architektur in der Synthese aller Naturwissenschaften verfolgten. Darüber hinaus war ihr der Geltungsdrang und das Glamour-Design einiger Star-Architekten vollkommen fremd.

Der aufklärerische Glaube an die Fähigkeit des Individuums, die Welt zu verändern, hat sie ihr Leben lang begleitet und ihren Lebensweg bestimmt. Nachdem im Deutschland des aufkeimenden Faschismus das Arbeiten immer schwieriger, folgte sie dem Frankfurter Planungsstadtrat Ernst May ins Kurzzeit-Hoffnungsland der Modernen Architektur, in die Sowjetunion, wo ihre Kindergärten - eine wichtige Bauaufgabe für Schütte - durch den Krieg zerstört wurden.

1938 ging sie dann auf Anregung von Bruno Taut an die Bauakademie in Istanbul, wo sie für die illegale KPÖ tätig wird. Im Dezember 1940 reist sie nach Wien, um mit dem österreichischen Widerstand Kontakt aufzunehmen, wird aber verraten und verbringt die Jahre bis Kriegsende in einem bayrischen Gefängnis, wo sie von den Amerikanern befreit wird.

Wieder in Wien hatte sie im Klima des Kalten Krieges kaum Chancen Bauaufträge zu erhalten. Sie engagiert sich für die CIAM, jener Vereinigung der wiederstarkten Moderne, und kann dann für die KPÖ am Höchstädtplatz einen heute zerstörten Teil des Globus-Verlagshauses realisieren.

Kleine Aufträge für Kindergärten der Gemeinde Wien folgen, wobei sie ihr Pavillon-System verwirklichte. Eine letzte Miniatur ihrer architektonischen Fähigkeiten skizzierte sie in ihrer Wohnung in der Wiener Franzensgasse, die auf kleinster Fläche räumlichen und sinnlichen Reichtum ausstrahlte, den kaum ein Besucher vergessen konnte. Österreichs erste Architektin erlag fünf Tage vor ihrem 103. Geburtstag einem Herzversagen.

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