Akteur

Morphosis
Santa Monica (USA)

Architektonische Metamorphosen

Eine Werkschau von Thom Mayne und Morphosis im Centre Pompidou in Paris

Seit Thom Mayne vom Architekturbüro Morphosis im vergangenen Jahr den Pritzker-Architekturpreis erhalten hat, stossen seine dekonstruktivistisch angehauchten Metamorphosen vermehrt auf Interesse. Das Centre Pompidou präsentiert nun Projekte von Morphosis in einer Werkschau.

5. Mai 2006 - Roman Hollenstein
Architektur, man weiss es, lässt sich im Museum nur bedingt wiedergeben. Seit der Computer die handgefertigten Ansichten und Pläne verdrängt hat, muss man zudem immer öfter auf die Begegnung mit Originalzeichnungen verzichten. Deshalb ergriffen die Architekten die Flucht nach vorn und deklarierten die meist von ihnen selbst - und daher ohne kritische Reflexion - als architektonische Gesamtkunstwerke konzipierten Ausstellungen als eigenständige Werke. So haben Herzog & de Meuron schon 1995 ihre Pariser Schau und später die Retrospektiven in Montreal und Basel ins Werkverzeichnis aufgenommen. Auch Rem Koolhaas, Renzo Piano oder UN Studio verwandelten ihre Präsentationen in museale Selbstdarstellungen. In diesen illustren Kreis einzureihen sucht sich nun auch Morphosis, das Büro des letztjährigen Pritzker-Preis-Trägers Thom Mayne, indem es seine Ausstellung im Centre Pompidou zur Architektur erklärt. Die im obersten Stockwerk des Pariser Modernetempels realisierte baukünstlerische Intervention besteht aus einem sanft ansteigenden, mit Glas ausgefachten Aluminiumraster. Wie eine umgestürzte Fassade beherrscht es den Ausstellungsraum und gibt dem Eintretenden zu verstehen, dass Mayne und Morphosis mit den Konventionen des orthogonalen Raums brechen und die Architektur als topographische Gratwanderung sehen.

Formale Spielereien

Ende der achtziger Jahre kulminierte das postmoderne, durch James Stirling beeinflusste Frühwerk von Morphosis im Kult-Restaurant «Kate Mantilini» von Beverly Hills und im Crawford House von Santa Barbara. Danach wandte sich das 1972 gegründete Büro, das sich - seinem Namen folgend - immer wieder neu formen will, der von Gehry propagierten kalifornischen Variante des Dekonstruktivismus zu. Doch kaum hatte das Team die ersten bedeutenden Aufträge erhalten, trennte sich Mayne 1992 von seinem Partner Michael Rotondi. Die wichtigsten seither von Morphosis entworfenen Projekte werden nun in der Pariser Schau mittels Plänen, Computerbildern, Videos und einer Vielzahl reizvoller Modelle unter der bald an eine Vitrine, dann wieder an einen Bildschirm erinnernden, schrägen Glasebene vorgestellt. Auf einer Projektionsfläche in der Tiefe des Raums sind dazu die «Stillen Kollisionen» zu sehen, die Frédéric Flamands Tanzkompanie in einem Bühnenbild von Mayne aufführte. Damit soll wohl angedeutet werden, wie viel Architektur in der Vorstellung des 62-jährigen Kaliforniers mit Bewegung, Chaos und Raum zu tun hat.

Will man die nach einem undurchschaubaren Prinzip angeordneten Exponate studieren und nicht nur wie ein Riese auf der 250 Quadratmeter grossen Glasfläche über Haus- und Stadtmodelle wandeln, geht ohne Plan gar nichts. So findet man die Modelle der Diamond-Ranch-Schule in Pomona, mit der Mayne und Morphosis 1996 ihren Neuanfang eindrücklich demonstrierten, auf Feld «S-5». Dem weniger gelungenen Sitz der Hypobank in Klagenfurt, der wie ein in sich zusammengebrochenes Riesendach aus Stahl erscheint, ist hingegen das Feld «O-1» zugewiesen. Mit dieser exzentrischen Schöpfung besetzten die Südkalifornier 1999 erstmals europäisches Terrain. Ihr folgt nun in Spanien ein Wohnkomplex, der aus dem dreidimensionalen Geflecht eines Scheibenhochhauses und einer Hofhausanlage besteht.

Nähe zur Kunst

Zwei konventionellere Gebäude setzen neuerdings in Kalifornien Akzente: der seit 2004 mit den beweglichen Wimpern seiner Sonnenblenden klimpernde Caltrans-Sitz in Los Angeles und die Grossstadtikone eines soeben vollendeten Verwaltungsgebäudes in San Francisco. Hier wird das Bestreben von Morphosis, auf die Komplexität der Welt mit einer Aufsplitterung von Architektur und Raum zu reagieren, zur formalistischen Attitüde. Als ausdrucksstärker erweist sich etwa die im Bau befindliche Erweiterung der Cooper Union in New York mit ihrem höhlenartigen, nach aussen wie eine Explosionswunde aufklaffenden Erschliessungskern.

Auf den Bedeutungsverlust des öffentlichen Raums in einer zunehmend medialer ausgerichteten Welt antwortet Morphosis mit intuitiv hergeleiteten Stadt- und Gebäudeformen, wie die spaghettiartigen Überwucherungen des Stadtkörpers beim New York City Park zeigen. Dieser Entwurf wird leider ebenso unrealisiert bleiben wie das spannende Wettbewerbsprojekt für die Europäische Zentralbank in Frankfurt - eine Bauskulptur, die mit ihren gegeneinander verschobenen und abgeknickten Körpern den Raum rhythmisiert und Durchblicke gewährt hätte. Mit ihren Tentakeln sollte sie brückenartig über den Main hinausgreifen und so die Nähe von Morphosis zur Kunst verdeutlichen, befasste sich Thom Mayne doch immer wieder mit dem Werk von Gordon Matta-Clark, Robert Smithson, Keith Sonnier oder James Turrell. Diesen künstlerisch-geistigen Hintergrund des Schaffens von Morphosis vertieft die gleichzeitig im Centre Pompidou präsentierte Ausstellung «Los Angeles - naissance d'une capitale artistique».

[ Bis 17. Juli im Centre Pompidou, anschliessend im Museum of Contemporary Art in Los Angeles. Katalog: Morphosis. Continuities of the Incomplete (Continuités de l'inachèvement). Editions du Centre Pompidou, Paris 2006. 208 S., Euro 39.90. ]

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Thom Mayne

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90404 Santa Monica
Vereinigte Staaten von Amerika