Akteur

Frank O. Gehry
Gehry Partners, LLP - Los Angeles (USA)

„Wozu diese verdammte Architektur?“

Mit dem Guggenheim-Museum im baskischen Bilbao wurde Frank Gehry Ende der 90er-Jahre weltberühmt. Ute Woltron klärte er darüber auf, dass er sich nie als Dekonstruktivist betrachtet hat und dass er auch nicht die Welt mit Architektur zu retten gedenkt.

26. September 2007 - Ute Woltron
Standard: Hat Spitzenarchitektur heute überhaupt noch die Absicht, die Welt zu einem besseren Ort zu machen?

Gehry: Angesichts der Probleme in Afrika, Indien, Afghanistan und so weiter ist die Idee, Architektur als Kunstform verstehen zu wollen, zu vernachlässigen. Man sollte meinen, dass erst die humanitären Probleme dieser Welt gelöst werden müssen. Dann hat auch die Architektur ihre Berechtigung als Teil der kulturellen Nahrung, die wir alle suchen. Doch für Menschen in Armut ist das Luxus, sie suchen vielmehr Wege, um zu überleben.

Standard: Das aus dem Mund eines weltberühmten Architekten zu hören ist erstaunlich.

Gehry: Sie wollen doch wissen, wer diese verdammte Architektur überhaupt braucht?

Standard: Ich hätte die Frage anders gestellt, aber ja, was soll das alles?

Gehry: Ich sag's ja. Wären wir Architekten alle nette Leute, würden wir dem Peace Corps beitreten und hinausziehen, um all diesen Menschen zu helfen. Genau das sollten wir tun. Doch wir tun es nicht. Mein Freund Bono von U2 versucht es, und auch Bob Geldorf. Aber ich bin nicht sicher, ob ihr Weg der richtige ist. Sie verwenden ihren Ruhm, und da schwingt immer auch ein Teil Selbstzweck mit, deshalb mache ich so etwas nicht.

Standard: Die Immobilienindustrie ist weniger vornehm. Die schmeißt die Menschen aus den Slums und entwickelt neue Stadtareale für Unternehmen und Reiche.

Gehry: Das kann man natürlich kritisieren, doch gibt es auch positive Effekte wie im Falle des Guggenheim in Bilbao. Ich hätte das nie erwartet, doch das Gebäude hat Jobs geschaffen, es bringt Geld in die Region, weil Leute aus aller Welt anreisen, um es zu sehen. Und es hat dort wieder eine Art Selbstbewusstsein etabliert, das verloren gegangen war. Architektur kann also durchaus ein Katalysator sein. Sie löst nicht die Probleme der Armut und des Hungers, aber sie kann sie mildern. Ich habe keinen Gott-Komplex und gebe mich dem Glauben hin, ich könne die Welt retten, aber jeder sollte seinen Beitrag leisten.

Standard: Die Frage, welche Rolle die Architektur generell spielen kann, beantworten Sie damit aber nicht.

Gehry: Ich halte den Ansatz des Dalai Lama für absolut richtig. Er sagt, das Wichtigste sind Mitgefühl und Warmherzigkeit. Würde jeder danach handeln, wäre die Welt letztlich eine andere.

Standard: Sie haben einmal gesagt, Sie seien von Architektur besessen und wollten Ihren Beitrag für diese Welt leisten.

Gehry: Das ist nur das halbe Zitat. Ich habe in diesem Zusammenhang auch gesagt, ich will mich selbst als Architekt finden - das ist die wichtigere Stelle.

Standard: Darin sind Sie offensichtlich erfolgreich. Neben Oscar Niemeyer gibt es kaum einen anderen Architekten, dessen Häuser derart eindeutig einer persönlichen Handschrift zuordenbar sind.

Gehry: Das stimmt nicht, denken Sie an Mies van der Rohe oder Le Corbusier.

Standard: Die Rede ist hier von den Lebenden, nicht von den Toten.

Gehry: Na gut, aber Zaha Hadid ist ebenfalls unverwechselbar, vielleicht sogar auch Coop Himmelb(l)au. Ich arbeite intuitiv, ich habe kein vorgefertigtes Konzept. Ich reagiere auf Menschen, Situationen, Zeit, Ort, Budget, und dann entsteht ein Gebäude. Ich will die Leute mit meiner Arbeit weder entzücken noch aufregen. Ich will Häuser für einen spezifischen Nutzen an einem spezifischen Ort machen, und ich bin froh darüber, dass die meisten von ihnen brauchbar sind.

Standard: Sie haben allerdings auch Kritiker. Die meinen etwa, es ginge Ihnen nur um gewagte, aufregende Formen.

Gehry: Bilbao ist auch dafür ein gutes Gegenbeispiel. Es ist ein Museum, das die Künstler mögen, doch manche Kuratoren halten es für unbrauchbar. Ebendiese Kuratoren bauen dann selbst Museen, die dann aber tatsächlich komplett unbrauchbar sind. Nehmen Sie das neue Museum of Modern Art in New York her. Das ist ein Desaster für die Kunst.

Standard: Wenn wir schon beim Sticheln sind: Ein weiterer Vorwurf besagt, Sie würden ein und dasselbe Haus immer wieder bauen.

Gehry: Zeigen Sie mir, wo. Wo habe ich mich wiederholt? Auch die Kritik, ich würde mich lediglich in Formen ergehen, stimmt nicht. Ich lege größten Wert auf das Funktionieren meiner Architektur, und alle Häuser dienen unterschiedlichen Zwecken.

Standard: Lassen Sie uns über den Dekonstruktivismus sprechen.

Gehry: Ich habe damit nichts zu tun. Sogar der wichtigste Theoretiker des Dekonstruktivismus, Jacques Derrida, hat mir die Absolution erteilt: Er hat zugestimmt, dass ich nicht dazugehöre.

Standard: Landläufig gelten Sie jedoch als der Berühmteste von ihnen.

Gehry: Als ich mein Haus in Santa Monica umgebaut habe, habe ich alte Teile weggenommen und mit neuen Teilen ersetzt, und irgendjemand hat das aufgegriffen und gemeint: Mr. Gehry ist Dekonstruktivist. Aber ich pflege diese Art der Philosophie nicht. Man hat mich in diese Ecke gestellt. Ich habe nicht dagegen protestiert. Es ist mir egal.

Standard: Sie sind mit Kulturbauten bekannt geworden. Eine der schwierigsten Aufgaben für Architekten ist jedoch der Wohnbau. Haben Sie sich dem je gewidmet?

Gehry: Ich habe natürlich auch Wohnbauten gemacht, die freilich nicht so bekannt sind. Tatsächlich arbeite ich eben wieder an einem, und auch der wird sicher nicht öffentlich als Architekturikone gefeiert werden, und das ist auch gut so. Denn ich will kein Statement damit abgeben, sondern einen guten Ort für Leute machen, die dort wohnen werden. Tatsächlich höre ich jetzt schon die Kritiker, wie sie sagen: Jetzt bringt er überhaupt nichts mehr zusammen, wo bleibt das Ikonische?

Standard: Als junger Architekt haben Sie eine Österreich- Verbindung gepflegt und im Büro des emigrierten Victor Gruen gearbeitet, der als Erfinder der Shoppingmall in die Geschichte eingegangen ist.

Gehry: Ich war fünf Jahre bei ihm. Ein sehr netter Mann, ein Träumer. Als er 1960 versuchte, wieder in Österreich Fuß zu fassen, hat er mich gefragt, ob ich mitkommen und eines seiner Büros führen will. Aber damals war ich bereits am Abflug und bereit, allein zu arbeiten.


Zur Person:
Frank Gehry, 1929 in Toronto geboren, zählt zu den bekanntesten Architekten weltweit. Er studierte an der USC in Los Angeles Architektur und eröffnete in dieser Stadt auch 1962 sein heute weltweit tätiges Architekturbüro. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen das Guggenheim-Museum in Bilbao, die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles, das „Fred and Ginger“-Bürogebäude in Prag sowie sein eigenes Wohnhaus in Santa Monica.
Gehrys eigenwillige, verschraubt-geschwungene, betont plastische Architekturformen, die oft durch Verkleidungen mit metallischen Oberflächen betont werden, gelten als unverwechselbar. Bereits 1989 erhielt er den Pritzker-Preis für Architektur zugesprochen. (uwo)

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