Akteur

Helmut Richter
* 1941 Graz 2014 Wien

Die Informatik-Mittelschule in Wien-Kinkplatz von Helmut Richter ist vom Abriss bedroht

Der beabsichtigte Abriss der Informatik-Mittelschule in Wien-Kinkplatz von Helmut Richter (erbaut 1992-94) ist der Anlass an ihren etwas in Vergessenheit geratenen Architekten zu erinnern.

13. März 2013 - Markus Kristan
Der Architekt Helmut Richter (geboren am 13. Juni 1941 in Graz) zählt zu den prägenden Architektenpersönlichkeiten Österreichs im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts sowie im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Er studierte an der Technischen Universität Graz Architektur, wo er 1968 zum Diplomingenieur graduierte. Von 1969 bis 1971 vervollständigte er seine Ausbildung mit einem Studium der Informationstheorie sowie der System- und Netzwerktheorie an der University of California in Los Angeles, wo er auch als Forschungsassistent tätig war. In dieser Zeit „verwandelte“ er sich – auch durch sein Interesse für Mathematik – vom „Baukünstler“ zum „Ingenieurarchitekten“. 1971 bis 1975 lehrte er als Professor für Architektur an der École Nationale Supérieure des Beaux Arts in Paris. 1977 nahm er mit der Gründung seines Ateliers in Wien seine freischaffende Tätigkeit als Architekt auf.

1986 erhielt Helmut Richter einen Lehrauftrag als Lektor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien (heute Universität für angewandte Kunst Wien). Von 1986 bis 1987 lehrte er darüber hinaus als Gastprofessor an der Gesamthochschule Kassel (heute Universität Kassel). Von 1991 bis 2007 war er o. Univ.-Prof. an der Technischen Universität Wien, Lehrkanzel an der Abteilung für Hochbau 2. In den 17 Jahren seiner Lehrtätigkeit an der Technischen Universität Wien betreute er die unglaublich große Zahl von mehr als 500 Diplomarbeiten, womit sein Wirken – unabhängig von seinem gebauten Werk und seinen zahllosen Vorträgen – von größter Nachhaltigkeit auf die österreichische und auch internationale Architektur ist.

Helmut Richters unkonventionelle Lösungen führten oftmals starkes Echo herbei. Basis für seine außergewöhnliche Architektur ist das von ihm erarbeitete theoretische Gedankengebäude, das mit einer Reihe von ihm immer wieder in seinen Vorlesungen und Übungen genannten Sätzen umrissen werden kann, die darüber hinaus auch seine kritische Grundhaltung verdeutlichen:

„Es gibt keine apodiktischen und allgemeingültigen Sätze in der Architektur.“
„Es gibt kein ästhetisches Argument, es gibt nur ein ästhetisches Postulat.“
„Gesetze sind dazu da, hinterfragt zu werden.“
„Ästhetik ist eine Frage der Gewohnheit.“
„Ein Raster darf gebrochen werden.“
„Schmutziges Glas ist durchsichtiger als Beton.“
„Querdurchlüftung ist unverzichtbar.“
„Es gibt ein Leben außerhalb der Architektur.“

Trotz dieser prinzipiellen Skepsis gegenüber allem Althergebrachten und seiner High-Tech-Gebäude gilt Helmut Richter als klassischer Architekt, weil er ein klassisches Problem der Architektur, den Menschen, in das Zentrum seiner Arbeit stellte. Für Wiener Verhältnisse sehr früh befasste er sich bereits Mitte der 1980er Jahre mit neuen Baumaterialien und damals noch unerprobten, kühnen Konstruktionen, die in einer eigentümlich sinnlich-poetischen Weise sogar über die zu jener Zeit international aufkommende High-Tech-Architektur hinausgingen. In seinen Bauten und Projekten lotete Helmut Richter die konstruktiven Möglichkeiten der modernen Baumaterialien und statischen Berechnungen bis an die Grenzen aus. Gemäß einem Satz von Le Corbusier „Jeder Mensch hat Recht auf Licht“ ist Glas das bestimmende Element im Werk Helmut Richters.

Um optimale Ergebnisse bei seinen Bauten zu erzielen, änderte er oft bis zum allerletzten Augenblick (sehr zum Missfallen der Bauherren und der Professionalisten) die Baupläne, denn sein Experimentierfeld war die Baustelle. In seinen Werken gelang es Helmut Richter aus Konstruktion und Architektur eine Einheit zu bilden, wobei er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst sparsam umging und Formalismus vermied.

Mit seiner Wohnbebauung mit verglastem Laubengang in der Brunner Straße in Wien 23 und seinem Schulbau mit verglastem Dreifachturnsaal in Wien 14 schuf er die meistpublizierten Wiener Bauten der letzten Jahre.

Seine kreative Tätigkeit begann Helmut Richter Ende der 1960er Jahre mit Wettbewerbsbeiträgen und Prototypen für Möbel („Liegen – Sitzen“, „Mobiles Büro“, „Fernsehsessel“, „Zeitschriftenstand“).

Ein erstes, frühes Hauptwerk entstand in Zusammenarbeit mit Heidulf Gerngroß 1977 bis 1980 mit dem Haus Königseder in Oberösterreich, das auch international viel Beachtung fand und heute als bahnbrechendes Werk österreichischer Architektur gilt.
Mit dem Haus Plattner in Niederösterreich konnte das Atelier Richter-Gerngroß ein weiteres zeitlos-modernes Einfamilienhaus realisieren.
Wettbewerbsteilnahmen für die Friedrichstadt in Berlin und die Opéra de la Bastille in Paris Anfang der 1980er Jahre machten das Wiener Atelier über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt.
Mit dem Wohnbau auf den Gräf & Stift-Gründen in Wien 19 konnten Helmut Richter und sein Partner Heidulf Gerngroß für die Gemeinde Wien einen großen kommunalen Wohnbau verwirklichen, wobei jedoch praktisch kein Detail in seinem Sinn realisiert wurde, weshalb er sich auch von diesem Bau distanzierte.

Die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit erweckte Helmut Richter 1985 mit der Gestaltung des chinesischen Restaurants „Kiang 1“ in der Wiener Innenstadt.

Ohne hier ein vollständige Aufzählung aller nachfolgenden Bauten und Projekte Helmut Richters geben zu können, müssen aber noch drei weitere, als Hauptwerke zu bezeichnende Arbeiten genannt werden: die Wohnanlage in der Brunner Straße in Wien 23 (1986-90), die Informatik-Mittelschule der Stadt Wien in Wien 14 (1992-94) und das Restaurant Kiang 2 (nach anderer Zählung oft auch als „Kiang 3“ bezeichnet) in Wien 3 (1996-97). Diese Bauten sind heute als Manifeste technologisch orientierten Bauens anerkannt.

Abgesehen von den zahlreichen Realisierungen (z. B. Wohnbau Gundäcker, Wohnbauten in Graz) und Wettbewerbsprojekten (Projekt Donau, Quartier Pulvermühle, Museo del Prado) muss hier noch die Tätigkeit Helmut Richters als Ausstellungsarchitekt in Wien (z. B. „Bildlicht“ im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien), Venedig („Vertreibung der Vernunft“ im Arsenal) und Paris genannt werden.

Helmut Richters Architekturen gelten heute im überwiegend technologiefeindlichen österreichischen Umfeld als Sonderleistungen internationalen Zuschnitts, die aus den zumeist in Österreich gewohnten Normen ausbrechen. Sein Werk nähert sich den Arbeiten französischer oder englischer Architekten, wo diese mit den Ingenieuren und der Bauindustrie durch ein kooperatives Verhältnis verbunden sind.

Der Glasschulbau am Kinkplatz ist eine bis in jeden Millimeter durchdachte poetische Konstruktion. Deren Eleganz ergibt sich durch das „bis an die Grenze gehens“ des statisch gerade noch Möglichen. Die Stahlkonstruktion von 18 Metern Spannweite ist bis zum Limit reduziert und minimiert, größere Dimensionen wurden durch Unterspannungen vermieden, sodass ein filigranes und luftiges Gebilde entstand, das zusammen mit dem lichten Blau der Gläser die Anmut einer poetischen Konstruktion erreicht. Die Klassentrakte wurden als Betonskelett mit Fertigteilen ausgebildet, für die Fassaden wurden industrielle Stahlelemente und Aluschiebefenster verwendet.

Der Bezirk hat seine Verpflichtung zur Wartung und Instandhaltung der Schule nicht wahrgenommen und will nun ihren Abriss und einen Neubau.

Lässt die Stadt Wien tatsächlich zu, dass so mit dem architektonischen Erbe umgegangen wird. Sind Abriss und Neubau tatsächlich um so viel kostengünstiger als eine fachgerechte Instandhaltung? Kann sich die Stadt tatsächlich den Erhalt einiger exemplarischer Baujuwele nicht leisten?

Um die Wertschätzung von Baukultur ist es in diesem Land offenbar schlecht bestellt!
[ Markus Kristan ist 
Kurator der Albertina – Architektursammlung in Wien ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: newroom

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: