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Profil

Studium an der TU-Wien (Dipl.Ing.) und an der ETH-Zürich (Dr.sc.techn.); unterrichtet am Institut für Gebäudelehre der TU-Wien; seit 1995 im Vorstand der österreichischen Gesellschaft für Architektur; seit 2000 Vorstand der Architekturstiftung Österreich. Publikationen unter anderem „Das Wahre, das Schöne und das Richtige - Adolf Loos und das Haus Müller in Prag“, Vieweg 1989 (Neuauflage 2001); „Stilverzicht - CAAD und Typologie als Werkzeuge einer autonomen Architektur“, Vieweg 1998; „Anton Schweighofer - A Quiet Radical“, Springer 2001; „Ringstraße ist überall - Texte über Architketur und Stadt 1992 - 2007“; seit 1992 Architekturkritiker für „Die Presse“ und „Architektur & Bauforum“. Studiendekan der Studienrichtungen Architektur und Building Science an der TU Wien von 2008 bis 2023; Vorsitzender des Beirats für Baukultur im Österreichischen Bundeskanzleramt seit 2015; Kommissär für den österreichischen Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig 2014.

Artikel

5. September 2025 Spectrum

Die neue Sport Arena in Wien-Leopoldstadt: Hier beweist die Stadt Mut

Die neue Sport Arena Wien bietet Platz für Leichtathletik, Ballsport, Kunstturnen, Kraft- und Cardio-Training. Als Neubau und ohne begrünte Fassade widerspricht sie aktuellen Trends in der Architektur – belegt aber den Mut der Stadt, die Interessen der Nutzer zu berücksichtigen.

Irgendwann war hier das Ende der Welt, eine Aulandschaft mit mäandernden Wasserläufen, in die sich die Donau aufspaltete. Erst durch die große Donauregulierung der 1870er-Jahre entstand daraus ein Fluss mit parallelen, wie mit dem Lineal gezogenen Ufern. Hunderte Hektar Bauland für die Donaumetropole Wien – Otto Wagners unbegrenzte Großstadt – wurden so geschaffen. Nach dem Ersten Weltkrieg verwandelte sich die Metropole in den „Wasserkopf“ eines scheinbar viel zu kleinen Landes mit einem Überangebot an Raum. Die Stadtregierung konnte großzügig mit den Flächen umgehen: Als 1929 nach einem Standort für ein Sportzentrum mit dem größten Stadion und dem größten Freibad des Landes gesucht wurde, fiel die Wahl auf ein Areal im Prater östlich der bestehenden Trabrennbahn. Hier fand 1931 ­die 2. Internationale Arbeiter-Olympiade mit 80.000 Teilnehmern aus 23 Ländern statt.

Die Anbindung an den Fluss war damals kein Thema. Das rechte Ufer der Donau blieb – wie der Name Handelskai andeutet – städtische Infrastruktur, die sich bis in die 1970er-Jahre nur langsam entwickelte. Erst mit dem Radstadion, das 1978 am Handelskai errichtet wurde, wagte das Sportzentrum den Sprung ans Wasser. Dieses Stadion war ein Rundbau aus Fertigteilen mit einem Durchmesser von 110 Metern, der Platz für bis zu 5500 Besucher bot. Besondere Attraktion war die Radrennbahn mit Steilkurve, aber auch Leichtathletik-Wettkämpfe fanden hier statt. Die Akzeptanz der Halle war in der engeren Radfahrszene durchaus vorhanden, ansonsten aber über die Jahre schwindend, nicht zuletzt wegen unattraktiver räumlicher Bedingungen, die sich auch nach einer ersten Sanierung 1999 nicht wesentlich verbesserten. 20 Jahre später stellte sich die Frage: Soll man neuerlich in den Bestand investieren oder einen Neubau wagen?

Städtebauliche Chance

Inzwischen hatten sich die äußeren Rahmenbedingungen deutlich verändert. Die neue U-Bahnlinie U2 erhielt die Station „Stadion“. Eine Shoppingmall mit 27.000 Quadratmeter Verkaufsflächen und einer Parkgarage für 880 Plätzen eröffnete 2007. Und schließlich wurde das unmittelbar im Osten angrenzende Grundstück zum Standort für einen Fernbus-Terminal erkoren, der unangenehm nahe an das Radstadion heranrücken musste. Die 2020 erfolgte Entscheidung, das Radstadion nicht zu sanie­ren, sondern als multifunktionale Sportarena mit neuem Programm neu zu errichten, war ei­ne städtebauliche Chance: Wo bisher ein Rund­bau mit 110 Meter Durchmesser wie eine unnahbare Festung gewirkt hatte, konnte man plötzlich in stadträumlichen Dimensionen denken.

Den Architekturwettbewerb für die Arena konnte das Büro von Christoph Karl und Andreas Bremhorst (KuB) 2021 für sich entschei­den. Ihr Projekt ist auf den ersten Blick unspektakulär, eine ruhige, horizontal gelagerte Box, die in alle vier Richtungen unterschiedlich reagiert: Nach Nordwesten öffnet sie sich mit einer fast monumentalen Loggia zu einem bestehenden Park mit alten Bäumen, der – wie alle Außenanlagen des Projekts – von Carla Lo gestaltet wurde. Nach Nordosten, also zum Handelskai, liegt ein großzügiger Ladehof, über den die Ver- und Entsorgung der Sportarena läuft.

Im Südosten bildet die Schmalseite der Box das Gegenüber zum Fernbusbahnhof, der hier so knapp an die Arena heranrückt, dass deren Freiflächen de facto Teil des Bahnhofsvorplatzes werden. Hier wurde versucht, einen nahtlosen Übergang zwischen den Freiräumen der beiden Projekte zu schaffen, unter Einbeziehung eines Beirats, der für das Busbahnhofprojekt zur Qualitätssicherung eingerichtet ist. Die vierte, 120 Meter lange südwestliche Front der Sportarena öffnet sich zu einem großen Vorplatz, der nach einem Wettkampf Raum für bis zu 3000 Besucher bieten muss. Auch dieser Vorplatz ist zoniert, wobei die erste Zone ein vor Regen geschützteer Außenraum ist, der durch eine Auskragung des ersten Obergeschoßes über die volle Länge der Sportarena entsteht.

Der Clou des Projekts ist die raffinierte Stapelung mehrerer Sporthallen übereinander: eine Ballsporthalle mit ausfahrbaren Tribünen für 3000 Personen, die das erste Untergeschoß und das Erdgeschoß verbindet; auf demselben Niveau eine Kunstturnhalle mit Besuchergalerie. Darüber liegen ein Bereich für Kraft- und Cardio-Training und eine Abfolge von flexibel nutzbaren Räumen, die bei Wettkämpfen als VIP-Zone fungieren. Die oberste, größte Halle bietet schließlich Platz für die Leichtathletik. Garderoben und Nebenräume sind nach Bedarf im Haus verteilt, ebenso die zahlreichen Möglichkeiten für das Aufwärmen, auch auf den Dachterrassen.

Sanierung hätte Weiterwursteln bedeutet

Die Erschließung der Halle kommt mit nur zwei innen liegenden Treppenhäusern aus und erlaubt es, auch bei Wettkämpfen in der Ballsporthalle den Trainingsbetrieb in den anderen Bereichen aufrechtzuerhalten. Trotz der Tiefe des Baukörpers gibt es auf der Eingangsebene so gut wie überall einen Blick ins Grüne, der durch die Verglasung der Erdgeschoßfassade möglich wird. Je heller, so die Architekten, desto besser. Bei Bedarf – vor allem bei Wettkämpfen, bei denen es auf gleichmäßige Belichtung ankommt – können die Räume aber verdunkelt werden. Dass hier mit großen Spannweiten und enormen statischen Kräften ge­arbeitet wird, zeigt sich nicht nur in der spektakulären Konstruktion der Leichtathletikhalle. Das Tragsystem ist insgesamt bis ins Detail von einer Klarheit und Präzision, die ihresgleichen suchen. Mit Gesamtkosten von 133 Millionen Euro spielt die Sportarena in einer Liga mit, zu der etwa das Wien Museum gehört. Würden diese beiden städtischen Bauten im architektonischen Zehnkampf gegeneinander antreten, würde die Sportarena zumindest in den Kategorien Logik der Konstruktion, Effizienz der Erschließung und Schönheit der Innenräume um Längen gewinnen.

Dabei widerspricht die Arena in mehrerer Hinsicht aktuellen Trends in der Architektur. Sie ersetzt einen gar nicht so alten Bestand durch einen Neubau ähnlicher Funktion, sie hat keine begrünte Fassade, und sie ist nicht in Holz konstruiert. Die Stadt Wien hat Mut bewiesen, die Interessen der Nutzer ins Zentrum zu rücken und mit diesem Neubau ein Zeichen des Respekts vor den Athleten zu setzen. Eine Sanierung hätte Weiterwursteln bedeutet, eine begrünte Fassade ist in einem Park mit alten Bäumen deplatziert, und eine Hallenkonstruktion aus Holz bei diesen Spannweiten unwirtschaftlich. Vielleicht kann man auch das von dieser Arena lernen: sich vom Zeitgeist nicht ­indoktrinieren zu lassen.

14. August 2025 Spectrum

Passt die neue Architektur zu den legendären Knödeln? Das neue Resselpark-Café auf dem Wiener Karlsplatz

Zehn Jahre hat es vom ersten Konzept 2014 bis zum Baubeginn 2024 gedauert, jetzt ist das Resselpark-Café am Karlsplatz wieder in Betrieb. Passt die neue Architektur zu den legendären Knödeln?

Die Erwartungen waren groß, als vergangenen Sommer der Abbruch des Café-Restaurant Resselpark auf dem Wiener Karlsplatz begann. Der kleine Holzpavillon mit dem großen Gastgarten war eine Institution, die von Studierenden und Mitarbeitern der TU Wien frequentiert wurde und von mehreren touristischen Trampelpfaden profitierte, die die Karlskirche mit dem Naschmarkt und über eine Passage mit den wichtigsten U-Bahnlinien und der Oper verbinden. Der kleine Pavillon erhielt 1958 eine Betriebsanlagen-Widmung als Meierei, ein Lokaltyp, der als „Milchtrinkhalle“ im späten 19. Jahrhundert bis in die 1920er-Jahre seine beste Zeit hatte. In mehreren Wiener Parks entstanden solche Meiereien, deren prominenteste, heute noch erhaltene im Stadtpark liegt. Der Entwurf des 1903 eröffneten Hauses stammt von Friedrich Ohmann, auf den auch die Gestaltung des Wienflussportals ein Stück flussaufwärts zurückgeht.

Heute beherbergt das Haus zwei miteinander verbundene Restaurants, die Meierei im Stadtpark und das Steirereck; Letzteres darf man als bestes Restaurant Österreichs bezeichnen. Dessen Erneuerung und Erweiterung im Jahr 2014 erfolgte nach Plänen des Büros PPAG, die dem Niveau der Küche das Wasser reichen konnten. Mit markanten Schiebefenstern und großformatigen, polierten Aluminiumplatten, die den Park reflektieren, gehört das Steirereck nicht nur kulinarisch, sondern auch architektonisch zu den Highlights der österreichischen Gastronomie.

Von Meiere zu Meierei

Als nach Baubeginn bekannt wurde, dass auch das neue Resselpark-Café nach Plänen von PPAG entstehen würde, durfte man gespannt sein. Wie viel lässt sich von Meierei zu Meierei übertragen, von der Spitzengastronomie auf ein gutbürgerliches Lokal mit vielen Stammgästen und einer soliden Küche ohne Experimente? Dass es dringend zumindest eine Generalsanierung brauchte, war evident. Die letzte größere Investition war 2006 die Erweiterung um einen Wintergarten gewesen, ein durchaus sympathischer Raum, in dem man zwar wie im Grünen sitzen konnte, der aber zugleich entsprechende Betriebskosten mit sich brachte. Der alte Gastraum war dagegen eher dunkel, mit abgeschirmten Nischen, wobei auch dieses Angebot seine Nachfrage fand. Für einen Abbruch und einen völligen Neubau sprachen schließlich die mangelnde Barrierefreiheit und der Gesamtzustand der Holzkonstruktion.

Das Konzept, das PPAG entwickelten, geht auf das Jahr 2014 zurück und sollte einerseits baukünstlerisch signifikant, andererseits nach allen pragmatischen Aspekten genehmigungsfähig sein. Wegen seiner besonderen Lage musste das Projekt trotz seiner geringen Größe dem Wiener Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung vorgelegt werden, der es positiv bewertete, aber auf die Wichtigkeit der detailbewussten Umsetzung hinwies. Nach einem Genehmigungsmarathon unter intensiver Einbeziehung der Stadt, nach Pandemie, Lockdown und Baukostenexplosion lag das Projekt auf Eis, bis schließlich im Frühjahr 2024 der Beschluss zur Umsetzung fiel, der dann ab dem Sommer unter großem Zeitdruck erfolgte.

Was heute auf dem Karlsplatz zu sehen ist, lässt sich als Versuch interpretieren, einen neuen Typus von Gasthaus zu entwerfen. Das Grundelement, das von dem Entwurf seinen Ausgang nimmt, ist die gesellige Tischrunde, die sich an einem Ort gruppiert, der von einem Tisch, einer L-förmigen Bank und ein paar Stühlen gebildet wird. Diese Orte werden addiert, im Raum gedreht und bilden so die gezackte Grundstruktur der Außenwände. Die kleinen haubenartigen Pultdächer, die auf der Grundstruktur aufbauen, geben diesen Orten mehr Raumhöhe und hatten ursprünglich einen zusätzlichen funktionellen Hintergrund. Es sollte auch hier – wie im Steirereck – vertikale Schiebefenster geben, nicht in der Hightech-Variante wie dort, sondern in einer einfacheren, in der die Fenster im offenen Zustand in den dreieckigen Zwickelräumen geparkt worden wären. Aufgrund höherer Kosten und des Zeitdrucks blieb es am Ende bei normalen Schiebefenstern mit einem Mittelkämpfer. Für die Lüftung ist diese Lösung ausreichend, aber von der Idee, den Raum komplett zu öffnen und das Café gleichsam in ein „Vogelhaus“ zu verwandeln, wie die Architekten erklären, ist durch diese Veränderung nicht viel übrig.

Das Konzept der betonten Tischgruppe funktioniert auch im Außenraum, wo die Betonung durch kleine Vordächer entlang der äuße­ren Kontur übernommen wird, die sich schützend über die dort Sitzenden aufspannen. Der Schutz ist zwar eher symbolisch, sobald der Wind den Regen gegen die Fassade treibt, aber die Vordächer sind auch aus formalen Gründen wichtig. Sie zeigen, wie dünn die äußerste Schicht aus großformatigen Eternitplatten ist, und lassen in der Nacht Licht durch die Fugen. Hinter der dünnen Haut verbirgt sich ein geometrisch komplexes Innenleben, das aus einer tragenden Schicht in Holztafelbauweise, einer dicken Isolationsschicht und der grauen äußeren Schutzschicht aus Eternit besteht.

Neuerdings Platten- statt Kiesboden

Gesessen wird im Gastgarten auf den alten Stühlen, aber auf einem neuen Plattenboden statt des früheren Kieses, den die Architekten erhalten wollten. Man kann die Entscheidung der Bauherrschaft gegen den Kies verstehen: Wer sich seit Jahren über die Steinchen ärgert, die ins Haus getragen werden, wird die Gelegenheit, sie loszuwerden, nicht auslassen. Aber an heißen Tagen sitzt es sich kühler über einem Kiesboden, und man hätte sich von der neuen Konkurrenz im Wien Museum, dessen Restaurantterrasse eine kleine Hitzeinsel für sich darstellt, durch eine Naturnähe, die der Situation im Park besser entspricht, absetzen können. Fairerweise muss man erwähnen, dass bestehende Asphaltflächen um das Café herum entsiegelt werden und selbst ein Plattenbelag nicht zwangsläufig eine Versiegelung bedeutet, wenn das Wasser durch Fugen versickern kann.

Eine große Qualität des Projekts, die erst nach Fertigstellung aller Außenanlagen des Projekts erfahrbar sein wird, ist die Tatsache, dass es in Zukunft kein Hinten und kein Vorne mehr geben wird, sondern eine Allansichtigkeit, wie es sich für einen Pavillon gehört. Der bestehende Tilgner-Brunnen, 1902 zum Gedenken an den 1896 verstorbenen Ringstraßen-Bildhauer Viktor Oskar Tilgner errichtet, wird aufgewertet und um „konsumationsfreie“ Bereiche, unter anderem an die Fassade angedockte Bänke, ergänzt. Dass das Vertrauen der Bauherrschaft, der Familie Trattner, in PPAG und vielleicht in die Architektur als baukünstlerische Praxis überhaupt enden wollend war, zeigt sich an einigen Punkten, bei denen sie die Architekten nicht einbezog und ihrem Rat nicht folgte. Gravierend fällt das etwa bei der Auswahl der Sessel im Innenraum auf. Der große, übersichtliche Raum mit Wänden aus hochwertiger Weißtanne bräuchte – wenn man wirklich einen neuen Typus von Gasthaus schaffen wollte – kräftige Holzstühle und keine mit hellgrauem Stoff bespannten Allerweltsstühle. Wenn sich das neue Resselpark-Café gut entwickelt: Hier wäre für eine Verbesserung Luft nach oben.

9. Juli 2025 Spectrum

Ljubljana: 25 Jahre Entstehungszeit bis zum Schwimmsport in der Halle

Ein Vierteljahrhundert vom Wettbewerb bis zur Eröffnung: das Ilijira-Sportzentrum in Ljubljana. Hat sich das Warten gelohnt?

Theoretisch sollte kein Bauprojekt län­ger dauern als fünf Jahre: ein Jahr, um die Aufgabe zu verstehen, zwei Jahre für die Planung und zwei für die Ausführung. Wohnhäuser gehen schnel­ler, Flughäfen und alpendurchquerende Tunnels brauchen ein wenig länger. Wirklich rasch gebaut wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die meisten der knapp 50 Theater und Opernhäuser, die von den Architekten Fellner und Helmer in dieser Zeit geplant wurden, entstanden in der Rekordzeit von zwei Jahren.

So lange, inklusive Wettbewerb, brauchte auch Otto Wagner für seine Länderbank, den Vorläuferbau der Postsparkasse, die 1882 bis 1883 errichtet wurde, inklusive so innovativer Elemente wie eines Glasbodens, durch den Licht ins Tiefgeschoß fällt. Dass wir jemals wieder so rasante Planungs- und Bauzeiten erleben werden, ist eher unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Die Bürokratisierung und Verrechtlichung der Planungs- und Bauprozesse nehmen seit Jahren zu. Dass kürzlich in China ein erstes Teilstück einer Autobahn mit 157 km Länge autonom, also nur von KI-gesteuerten Maschinen, realisiert wurde, deutet allerdings eine neue Welt an, in der sich fatalerweise rasches Wachstum mit höchster Effizienz paart.

Heftige Kritik am Standort

Wenn Bauprojekte wirklich lange, nämlich über mehrere Jahrzehnte, dauern, ist in der Regel Politik im Spiel. Das gilt für den Stuttgarter Bahnhof, für dessen Planung 1998 ein Wettbewerb stattfand. Nach heftigen Protesten von Gegnern des Projekts konnte der Bau erst 2010 begonnen werden. Für heuer ist ein Testbetrieb auf einigen Gleisen geplant; 2026 könnte der Bahnhof in Betrieb gehen. Dramatisch entwickelt haben sich die Kosten, von unter drei Mrd. Euro zu Projektbeginn auf geschätzte elf bis zwölf Mrd.

Das Ilijira Sportzentrum in Ljubljana bewegt sich mit Baukosten von knapp 50 Mio. Euro in einer anderen finanziellen Dimension; zeitlich kann es aber durchaus mithalten. Erste Überlegungen, auf dem Areal eines bestehenden Freibads eine Schwimmhalle im olympischen Wettkampfformat von 50 mal 25 Metern zu errichten, reichen bis in die Mitte der 1990er-Jahre zurück, als sich Slowenien gerade als unabhängiger Staat etabliert hat. Im Jahr 2000 wurde ein international offener Wettbewerb für ein Schwimmsportzentrum ausgeschrieben, das optimale Bedingungen für den Spitzensport bieten, aber auch für das allgemeine Publikum offen sein sollte.

Bereits im Vorfeld des Wettbewerbs gab es heftige Kritik am Standort. Das bestehende Freibad sei zwar desolat, sollte aber als Freizeitanlage für alle saniert werden. Die Anforderungen der Spitzensportler könnten in einer Anlage am Stadtrand erfüllt werden. Der Kritik folgte ein Aufruf unter den slowenischen Architekten, den Wettbewerb zu boykottieren. Die niedrige, eingeschoßige Bestandsbebauung sei dem Ort am Rande des Tivoli-Parks, der fünf Quadratkilometer „grünen Lunge“ der Stadt, nur ein paar Gehminuten vom historischen Zentrum entfernt, genau angemessen. Sie dürfe nicht durch eine großmaßstäbliche Halle ersetzt werden.
Public-Private-Partnership-Modell

Als Sieger ging das österreichische Büro von Peter Lorenz, Lorenz Ateliers, hervor, das eine andere Lesart des Orts lieferte. Die Entscheidung der Politik, genau an diesem Standort nahe am Zentrum dem Spitzensport Raum zu geben, sei eine Geste für Wettbewerb und Exzellenz, die man ernst nehmen und in Architektur übersetzen sollte. Außerdem biete sich hier die Möglichkeit, ein großzügiges Entree zum Tivoli-Park zu schaffen und eine alte Achse zu reaktivieren, die Lattermann-Allee, die diagonal über den Bauplatz führt und ihn in zwei Teile gliedert. Lorenz reagiert auf diese Bedingungen mit einem Land-Art-Projekt, einer begrünten und teilweise begehbaren Struktur, die mit Einschnitten und Absenkungen ein Dach über dem Sportbecken schafft, zur Stadtseite hin ansteigt und dort auf eine Glasfront trifft, hinter der das Leben im Sportzentrum sichtbar ist.

Unterstützt wurde das Projekt von der Bürgermeisterin, die bereits Teil der Jury im Wettbewerb gewesen war. In der Weiterentwicklung wagte man sich sogar an die Idee eines enormen Schiebedachs als Reaktion auf Kritiker, die dem alten Freibad nachtrauerten. Nach einem politischen Wechsel im Jahr 2002 versuchte die neue, bis 2006 regierende Bürgermeisterin, das Projekt als Public-Private-Partnership-Modell, also mit einem privaten Investor, umzusetzen. Neben anderen Geschäften wäre im Sportkomplex auch ein Eurospar eingezogen.

Als die PPP-Rechnung nicht aufging und der Investor sich zurückzog, beschloss die Stadt 2007 unter dem bereits dritten Bürgermeister, das Projekt selbst zu realisieren. Nun gab es allerdings ein neues Thema: der Denkmalschutz für das 1929 von Stanko Bloudek entworfene Bestandsbad, der 2011 ausgesprochen wurde. Lorenz reagierte darauf mit einem Projekt, bei dem das geschützte Eingangsgebäude erhalten bleibt und mit Schwimm- und Turnhalle unter ein großes Dach gestellt wird. Es dauerte weitere sieben Jahre, bis sich das Projekt wieder bewegte. Ende 2018 erhielten Lorenz Ateliers den Planungsauftrag. 2022 war Baubeginn, im März 2025 wurde das Bad offiziell eröffnet.
Symbol olympischer Exzellenz

Hat sich es sich gelohnt, so lange an einem Entwurf festzuhalten, der so umstritten war und in der rührigen Architekturszene Ljubl­janas immer noch ist? Dass ein Entwurf mit Verspätung umgesetzt wurde, ist per se weder gut noch schlecht. Gute Architektur sollte 100 Jahre und mehr halten. Manches hätte bei einer rascheren Umsetzung wahrscheinlich mehr Schwung bewahrt. Im Vergleich zum ursprünglichen Land-Art-Projekt wirkt das neue Dach weniger dynamisch und trotz seiner Größe etwas geduckt. Bei langer Projektdauer kann es passieren, dass sich der Fokus der Architektur verschoben hat, etwa vom Neubau zur Erhaltung und Umnutzung.

Vielleicht hätte sich eine alte Industriehalle gefunden, in die ein 50-Meter-Becken passt. Aber die läge wahrscheinlich an der Peripherie, und dann gäbe es hier im Ilijira keine neue Rampe als Zugang in den Tivoli-Park, die entlang der ehemaligen Lattermann-Allee durch das Schwimmbad hindurchführt und unter der Bahnlinie durchtaucht. Sie ist ein Raumkunstwerk, eine helle Schlucht aus Stahl und Glas, die den Baukörper aufschneidet und einen Blick auf die Schwimmer im Inneren freigibt. Und es gäbe auch keine überdachte Plaza im Norden, mit dem alten Eingangsgebäude als Reminiszenz an frühere Zeiten. Das neue Ilijira mag umstritten bleiben – als Symbol olympischer Exzellenz, als Stadtbaustein und als Stadt in der Stadt mit vielfältiger Nutzung hat es Anerkennung verdient.

9. Juni 2025 Spectrum

Baut Kindern Paläste! Die Geburtsklinik in Wien-Gersthof wird ein Gymnasium

Fast wäre die 100 Jahre alte Geburtsklinik in Wien-Gersthof in Luxuswohnungen umgebaut worden. Jetzt ist sie das jüngste Gymnasium der Stadt, das hoffentlich weitere 100 Jahre bestehen wird.

Bauen im Bestand ist heute – zumindest in hoch entwickelten Industriestaaten – das zentrale Thema des Architekturdiskurses. Es wird weiterhin Neubau geben, aber eines ist klar: Den kleinsten ökologischen Fußabdruck hinterlässt, wer ein bestehendes Gebäude nutzt, statt ein neues zu bauen. Dass es dabei oft zu Konflikten zwischen dem vorhandenen Gebäude und der neuen Nutzung kommt, kann man als Problem sehen – oder als Chance, konventionelle Muster zu hinterfragen und aus der Spannung zwischen neuer Nutzung und vorhandenem Gerüst innovative Lösungen zu schaffen.

Dass dies sogar unter den strengen Bedingungen des Denkmalschutzes gelingen kann, beweist das Anfang des Jahres eröffnete Gymnasiumsgebäude in Gersthof mit der Adresse Wielemansgasse 28. Sein endgültiger Name ist noch nicht fixiert, da es derzeit als Ausweichquartier für andere, gerade in Sanierung befindliche Schulen dient. Das Bestandsgebäude hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Nach Plänen der Architekten Alfred Mautner und Johann Rothmüller 1924 bis 1926 als Entbindungsklinik für Handelsangestellte errichtet, war es zeitweise Militärspital und schließlich seit den 1970er-Jahren ein Spezialkrankenhaus für Orthopädie, das 2019 ins neue Krankenhaus Nord in Floridsdorf übersiedelte.

Klassen und offene Lernzonen wechseln sich ab

Erste Überlegungen für eine Nachnutzung gingen in Richtung luxuriöser Wohnungen. Statt einer solchen Privatisierung öffentlichen Eigentums entschied sich die Stadt Wien für einen Verkauf an die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) mit der Auflage, einen Bildungsbau zu errichten. In einem europaweit offenen Verhandlungsverfahren setzte sich das Büro Franz & Sue mit dem Konzept durch, den Innengangtyp zwar beizubehalten, aber durch verglaste Nischen und Durchbrüche hell und freundlich zu gestalten.

Die Klassenräume fallen mit einer Tiefe von fünf Metern schmäler und deutlich länger aus als üblich. Diese Abweichung von der Norm ermöglicht es aber, den Klassenraum zu zonieren und im hinteren Bereich durch Stehpulte ein besonderes Lernarrangement anzubieten. Klassen und offene Lernzonen wechseln sich ab und bieten vielfältige Nutzungsoptionen. Die zahlreichen Balkone und Terrassen, auf denen sich früher die Wöchnerinnen erholten, wurden an die aktuellen Sicherheitsnormen angepasst und stehen zumindest theoretisch den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung. Wie so oft erschweren Bedenken bezüglich der Aufsichtspflicht die tatsächliche Nutzung.

Rosarotes Märchenschloss

Das äußere Erscheinungsbild des Hauses erinnert nicht an ein Krankenhaus, sondern an ein rosarotes Märchenschloss in einem Park mit 100-jährigen Bäumen, die auf den Fotos aus der Entstehungszeit noch als Stecklinge zu sehen sind. Formal verbindet das Gebäude mit seinen dezenten Ornamenten, dem Skulpturenschmuck und den von stämmigen Säulen getragenen Pergolen späten Jugendstil, Art déco und Expressionismus. Charakteristisch für die Zeit ist die strenge Symmetrie, die in diesem Fall noch durch die Ausbildung eines den Eingang rahmenden Ehrenhofs betont wird. Formale Verwandtschaften gibt es zu mehreren Wiener Bauten der Zeit, vom Amalienbad über den Reumannhof bis zum Krematorium in Simmering, womit der Bogen von der Geburt bis zum Tod in einer architektonischen Sprache gespannt wäre. Dass die beiden Architekten Mautner und Rothmüller als erstes gemeinsames Projekt 1920 die Filmarchitektur für den Monumentalfilm „Sodom und Gomorrha“ mitgestaltet haben, könnte die leichte Kulissenhaftigkeit ihrer Architektur erklären.

Das Büro Franz & Sue hat viel Erfahrung mit der Sanierung komplexer denkmalgeschützter Bestandsbauten, wie etwa das Justizzentrum in Salzburg und die Volksschule und Mittelschule in Leoben zeigen. Der Erfolg solch komplexer Sanierungsprojekte hängt von der guten Beziehung zwischen Architektur, Denkmalamt, der Bauherrschaft und nicht zuletzt den ausführenden Firmen ab. In diesem Fall funktionierte diese Beziehung auch deshalb so gut, weil das Projekt im Laufe der Planungs- und Bauzeit ab 2020 für die BIG zu einem Leitprojekt wurde, mit dem sie Maßstäbe setzen wollte: grundsätzlich für das Bauen im Bestand, für Lowtech-Lösungen in der Haustechnik und für eine gewisse Elastizität in der Funktion im Interesse der Umsetzung neuer Modelle für das Lernen und Lehren. Gute Architektur ist kein eng anliegender Handschuh, der genau auf eine Nutzung zugeschnitten ist, sondern ein lockerer Fäustling, der mehrere, auch noch nicht absehbare Nutzungen erlaubt.

Die Turnsäle befinden sich im Park

Dazu gehört auch das Hinterfragen von scheinbar Selbstverständlichem. So war etwa zu Planungsbeginn noch unklar, wo die beiden Turnsäle für die Schule platziert werden sollten. Alle Versuche, sie direkt mit dem Altbau zu verbinden, führten zu keiner befriedigenden Lösung. So landeten die Turnsäle schließlich frei stehend im Park, vom Hauptgebäude in drei Minuten Fußweg erreichbar. Die beiden Säle haben sehr unterschiedlichen ­Charakter. Ein Saal ist eine Normturnhalle mit rund 30 mal 15 Metern, der andere ein Bewegungsraum mit einer Spiegelfront, deren Elemente sich schützend um 180 Grad drehen lassen, wenn statt Ballett Völkerball auf dem Spielplan steht. Eine Längswand des Bewegungsraums ist als Kletterwand ausgebildet und erhält zusätzliches Licht von oben, während die andere über die volle Breite verglast ist und einen Blick in die Stadt bietet. Im Außenraum wirken die beiden Säle mit ihrer Hülle aus schwarz lasierten Holzlamellen wie abstrakte Skulpturen.

Die Turnsäle sind nicht die einzigen vom Haupthaus abgesetzten Gebäude der Anlage. Auch die ehemalige Direktionsvilla erhielt eine neue Nutzung als Laborgebäude für die Naturwissenschaften ohne direkte Verbindung zum Hauptgebäude. Wirklich störend ist das nur bei sehr schlechtem Wetter. Die kurze Unterbrechung des schülerischen Innenraumdaseins durch einen kurzen Spaziergang im Park ist dagegen unbezahlbar. Mehr Natur ins Haus holen wollte man im Hauptgebäude auch durch die Schaffung eines Gartengeschoßes, also durch Abgrabung des angrenzenden Geländes auf das Niveau des Kellergeschoßes, das damit zumindest teilweise zu einem vollwertigen Raum wird, unter anderem für die Nachmittagsbetreuung, die nun einen direkten, niveaugleichen Zugang zum Park hat.

Mit diesem Umbau hat die BIG Maßstäbe für intelligentes Bauen im Bestand gesetzt. Es bleibt zu hoffen, dass sich hier eine Schulgemeinschaft etabliert, die das Potenzial dieses einzigartigen Schulgebäudes zu nutzen weiß. Vielleicht kann sie sich von Julius Tandler, dem Stadtrat für das Wohlfahrtswesen im Roten Wien, inspirieren lassen. Von ihm stammt, im Jahr 1927 anlässlich der Eröffnung des zum Kinderheim umgebauten Schlosses auf dem Wilhelminenberg formuliert, das berühmte Zitat: „Wer Kindern Paläste baut, reißt Kerkermauern nieder.“ Oder in unsere Zeit übersetzt: „Für exzellenten Bildungsbau verschuldet man sich nicht; man investiert in die Zukunft.“

7. April 2025 Spectrum

Trumps Liebe zum Klassizismus: Ohne Säulen geht es in den USA nicht mehr

In den USA sollen Bundes­gebäude in Zukunft nur noch im klassizistischen Stil errichtet werden. Eine Vorgabe mit Nebeneffekten.

Diesmal waren Donald Trump und seine Truppe besser vorbereitet. Schon am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit unterzeichnete der Präsident Dutzende Erlässe, unter anderem zum Austritt aus dem Pariser Klima­abkommen, zur Einwanderungspolitik und zur Begnadigung aller wegen ihrer Beteiligung am Sturm auf das Kapitol Beteiligten. Neben diesen Erlässen, die geradezu eine Zeitenwende signalisierten, fiel ein Erlass dadurch auf, dass er sich auf eine ästhetische Frage bezog: „Erlass zur Förderung schöner Architektur für Bundesbauten“.

Konkret wird darin die Verwaltung der Bundesimmobilien aufgefordert, innerhalb von 60 Tagen Vorschläge für eine Politik zu liefern, öffentliche Bauten des Bundes visuell als solche erkennbar zu machen und dabei das regionale, traditionelle und klassische Architekturerbe zu respektieren, um „öffentliche Räume aufzuwerten und zu verschönern und die USA und ihr System der Selbstverwaltung zu nobilitieren“. Zugleich sei zu überlegen, die bestehenden, erstmals 1962 definierten Leitlinien für den Bundeshochbau zu reformieren und Strategien für mehr Partizipation bei der Auswahl von Entwürfen zu entwickeln.

Respekt vor dem Bestand problematisch?

Das klingt fürs Erste nicht weiter dramatisch. Was soll an Respekt vor dem historischen Erbe, an der Verbesserung des öffentlichen Raums und mehr Partizipation problematisch sein? Hat die Architektur nicht gerade in jüngster Zeit Respekt vor dem Bestand gelernt, nicht zuletzt aus ökologischen Gründen? Um die Sprengkraft dieses Erlasses zu verstehen, muss man fünf Jahre in die Vergangenheit zurückgehen. Der aktuelle Erlass ist nämlich nicht der erste, den Donald Trump zu diesem Thema unterschrieben hat. Bereits im Dezember 2020 veröffentlichte das Weiße Haus einen Erlass, der sich wie die Langfassung des aktuellen liest und die Ziele offen ausspricht: Öffentliche Bauten des Bundes sollen sich an klassizistischen Vorbildern orientieren, nicht nur im Neubau, sondern auch bei Sanierungen, bei denen zumindest untersucht werden soll, ob sich eine klassizistische Anmutung herstellen lässt.

Initiator des Erlasses war die Civic Arts Society, eine private Organisation, deren Mission Statement die Förderung klassizistischer Tendenzen in der Architektur ist. Ihr Vorsitzender, Justin Shabow, war im Jänner 2021 von Donald Trump zum Vorsitzenden eines seit 1910 bestehenden Gestaltungsbeirats für das Zentrum Washingtons bestellt, allerdings schon nach vier Monaten von Joe Biden abgesetzt worden, der auch den Erlass Trumps kassierte. Zu den Aktivitäten der Civic Arts Society gehörte eine Online-Befragung von 2000 Personen, die anhand von Fotos von Gerichtsgebäuden deklarieren konnten, ob sie eher klassizistische oder moderne Gebäudeformen präferieren würden. Das Ergebnis war eindeutig: 70 Prozent stimmten für den Klassizismus, 30 Prozent für das, was die Autoren der Studie als Brutalismus oder Dekonstruktivismus bezeichneten. Die Verteilung war bei Republikanern nicht anders als bei demokratischen Teilnehmern an der Umfrage.

So fragwürdig die Methodik dieser Studie sein mag – überraschend war das Ergebnis nicht. Die drei zentralen Institutionen der amerikanischen Demokratie sind im klassizistischen Stil errichtet: das Weiße Haus als Exekutive, das Kapitol als Legislative und der Oberste Gerichtshof als Judikatur. Das Weiße Haus und das Kapitol datieren aus einer Zeit, als der Klassizismus tatsächlich die modernste Formensprache war, nämlich aus den 1790er-Jahren, und sie behielten diesen Stil auch bei ihren zahlreichen Umbauten und Erweiterungen bei. Der Oberste Gerichtshof ist ein Nachzügler, von Cass Gilbert 1932 entworfen und 1935 eröffnet, Ausdruck des amerikanischen Selbstverständnisses, der legitime Erbe der griechischen Demokratie, des römischen Rechts und der humanistischen Kultur der Renaissance zu sein. In diesem geistigen Umfeld galt der Klassizismus als die Sprache der Vernunft, die jeder versteht, eine Rolle, die er nach dem Zweiten Weltkrieg an den Funktionalismus abtreten musste.

Verzicht auf Überraschungen

Auf die einfachste Formel gebracht, lebt der Klassizismus von der Idee, dass alle Dinge einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben. Dieses Prinzip sorgt für Symmetrie und eine Stabilität, die freilich ihren Preis hat: die Beschränkung auf wenige Muster und den Verzicht auf jede Überraschung. Die Architektur des 20. Jahrhunderts hat Schatztruhen an formalen Inspirationen geöffnet, aus der Natur, aus der Technik, aus der bildenden Kunst, die dem Klassizismus unzugänglich bleiben müssen, und sie hat dafür bereitwillig den „Verlust der Mitte“ in Kauf genommen, den ihr der konservative Kunsthistoriker Hans Sedlmayr in seinem berühmten gleichnamigen Buch aus dem Jahr 1948 vorwarf.

Damals war die Frage, ob eher der Verlust oder die kritiklose Verehrung der Mitte zur ­Katastrophe des Zweiten Weltkriegs beigetragen hätte, noch virulent und die Erinnerung an den Wettbewerb für den Völkerbundpalast in Genf noch in Erinnerung, bei dem Le Corbusiers dynamischer Entwurf sich nicht gegen den klassizistischen einer Gruppe um Henri-Paul Nénot durchsetzen konnte. Als der Völkerbund 1933 in den düsteren Palast einzog, hatten die totalitären Kräfte schon halb Europa ver­einnahmt.

Globales Freiheitsversprechen

Was bedeutet es, wenn der Erlass Donald Trumps tatsächlich umgesetzt wird? Es geht nicht nur um ein paar Gerichtsgebäude, die in den nächsten Jahren in den USA errichtet werden, sondern um ein populistisches Manöver, mit dem einer diversen und inklusiven Gesellschaft die Luft abgeschnürt werden soll. In den USA ist der Klassizismus die Sprache der weißen Eliten und der symbolische Garant für „White Supremacy“. Was 1790 ein globales Freiheitsversprechen und Ausdruck eines Systems von „Checks and Balances“ war, ist in Donald Trumps Welt nur noch Ausdruck des Rechts des Stärkeren.

Auf der Homepage der Civic Art Society wird der Winston Churchill zugeschriebene Gedanke zitiert, dass wir zuerst unsere Bauten formen und dann von ihnen geformt werden. Den Klassizismus zur Staatsarchitektur zu erklären passt gut zu totalitären Systemen, für die Stabilität das erste Staatsziel ist. Diese Architektur verspricht Machterhalt über viele Jahrzehnte.

Die Entwicklung in den USA sollte uns im Übrigen eine gewisse Dankbarkeit gegenüber den Institutionen nahelegen, die in Österreich die Kultur des öffentlichen Bauens verantworten. Die Bundesimmobiliengesellschaft BIG, die für jedes ­größere Projekt einen Architekturwettbewerb ­veranstaltet, ist ein Erfolgsmodell, das in Österreich seit Jahrzehnten geholfen hat, eine innovative und diverse Architekturszene aufzu­bauen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Angesichts der drohenden Budgetkrise wird es Überzeugungsarbeit brauchen, damit nicht kurzfristig am falschen Platz gespart wird. Was wir heute bauen, sollte in 100 Jahren und darüber hinaus zum wertgeschätzten architektonischen Erbe gehören.

2. März 2025 Spectrum

Neu bauen? Lieber noch einmal darüber schlafen

Können wir uns eine Welt vor­stellen, in der nur noch renoviert, aber nichts Neues mehr gebaut wird? Eine Europäische Bürgerinitiative fordert genau das.

Der Begriff Ökologie leitet sich von Oikos ab, dem griechischen Wort für Haus. In seiner ursprünglichen, von Ernst Haeckel eingeführten Bedeutung stand er für eine bestimmte Art, die Natur zu sehen, als wohlgeordnete Hauswirtschaft mit klaren Regeln für die Nutzung von Ressourcen, die Entsorgung von Abfällen und die Aufrechterhaltung von Energiekreisläufen. Ökologie gab dem viel älteren Begriff des Kosmos ein neues, wissenschaftliches Fundament.

Heute stehen wir vor der Ruine dieses Hauses und wundern uns, wie es so weit kommen konnte. Es gibt noch ein paar luxuriöse Ecken, aber die meisten Räume sind kaum mehr zu brauchen. Der Müll wird unter den Teppich gekehrt; in manchen Trakten sind die Fenster im Krieg zerbrochen. Und tief im Keller lagert ein atomares Arsenal, mit dem man das Haus im Handumdrehen auslöschen könnte.

Enormer Leerstand

Die Haltung der Moderne, das Haus abzureißen und durch ein neues, besser geplantes zu ersetzen, ist keine Option mehr. Uns fehlen die Ressourcen für einen Neustart, nicht nur die materiellen, sondern auch die geistigen und sozialen. Ein Neustart würde klare Orientierung und globales, gegenseitiges Vertrauen voraussetzen, und zumindest die geteilte Illusion einer objektiven Realität. Stattdessen erleben wir die Erosion des Gemeinwohlgedankens und die schulterzuckend hingenommene Auflösung der Wirklichkeit in ein Gewirr alternativer Fakten.

Wenn wir dieses metaphorische Haus kurz verlassen und uns den konkreten Häusern zuwenden, wie sie in fortgeschrittenen Industriegesellschaften unsere Lebenswelt prägen, zeigen sich – wenig überraschend – Parallelen. Gebaut wird zu oft nicht für Menschen, sondern für den Profit. Und auch wenn die Produkte der Bauindustrie ästhetisch und technisch ambitioniert wirken, stammen sie aus einem Wirtschaftsbereich, der in der EU für 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs, 36 Prozent der CO2-Emissionen und 35 Prozent des Abfalls verantwortlich ist.

Angesichts der enormen Leerstandsraten bedeutet jeder Neubau, die Bodenversiegelung unnötig zu verstärken und die Biodiversität einzuschränken. Die im Rahmen des European Green Deal beschlossene Dekarbonisierung des Baubestands bis 2050 wird bei der aktuellen Erneuerungsrate von einem Prozent Illusion bleiben.

Berücksichtigung von grauer Energie

Viele Architektinnen und Architekten haben in den jüngsten Jahren erkannt, dass ihre Produkte derzeit eher Teil des Problems als Teil der Lösung sind. Die Strategien, das zu ändern, können auf vielen Ebenen ansetzen, von der Verwendung „gesunder“ Materialien bis zu emissionsfreien Heizungs- und Kühlsystemen. Zumindest in Europa konzentrieren sich die Vorschläge derzeit auf eine einfache Empfehlung: möglichst nichts mehr abzureißen und stattdessen die vorhandene Bausubstanz zu sanieren und, wenn nötig, umzunutzen. Warum wäre gerade dieser Zugang so effektiv? In erster Linie, weil er zusätzlich zur Heiz- und Betriebsenergie die sogenannte graue Energie berücksichtigt, die in jedem Bauwerk steckt. Beton, Stahl und Glas müssen hergestellt und antransportiert werden, wobei große Energiemengen und damit CO2-Emissionen anfallen. Wenn nicht neu gebaut, sondern nur saniert wird, muss keine zusätzliche graue Energie eingesetzt werden.

Neben diesen ökologischen Aspekten bietet ein Abrissmoratorium, also die Forderung, bis auf Weiteres auf Abriss zu verzichten, auch ökonomische und soziale Vorteile. Einerseits ist Sanieren personalintensiv und erleichtert in der Regel kleinen Unternehmen, zu Aufträgen zu kommen. Andererseits können die Bewohner während einer entsprechend konzipierten Sanierung in ihren Wohnungen bleiben, womit die sozialen Strukturen im Viertel erhalten bleiben.

Die Idee eines Abrissmoratoriums entstand um 2020 im universitären Umfeld, ursprünglich in der radikaleren, von Charlotte Malterre-Barthes an der ETH Zürich propagierten Version eines „Moratorium on New Construction“. Der Gedanke einer neuen Umbaukultur lag offenbar in der Luft und fand rasch Unterstützung, auch außerhalb der Universitäten. In Österreich publizierte die Bundeskammer der Ziviltechniker:innen Anfang 2024 ein „Positionspapier Klima, Boden und Gesellschaft“, das Österreich als „fertig bebaut“ bezeichnet und vor jedem Bauvorhaben eine verbindliche Prüfung einfordert, ob die Aufgabe nicht auch im Bestand zu lösen wäre. Im Herbst verabschiedete der Österreichische Baukulturbeirat eine „Empfehlung für Regularien zum Bauen im Bestand“, die fiskalische und rechtliche Erleichterungen vorschlägt.

Kultur der Sanierung

Auf EU-Ebene läuft gerade unter dem Titel „House Europe! Yes to Renovation“ eineEuropäische Bürgerinitiative von Arno Brandlhuber und Olaf Grawert, die bis Februar 2026 eine Million Stim­men sammeln möchte, um ihre Anliegen ins Europäische Parlament zu bringen. Bisher ist das nur bei Themen wie einem Glypho­satver­bot gelungen, bei denen es ein Ja oder ein Nein als Antwort gibt. „House Europe!“ vertritt ein komplexeres Anliegen, das zu einer neuen Kul­tur der Sanierung führt, die zur Innovation im Bestand spezielle Rahmenbedingungen erhält. Ein Erfolg der Initiative würde auch die Position des ersten EU-Kommissars für Energie und Wohnungswesen, Dan Jørgensen, innerhalb der Kommission stärken.

Wie schwierig es in der Praxis sein kann, ein radikales Neubauverbot durchzuhalten, zeigt ein aktuelles Projekt in Wien: der Jugendcampus der Arbeiterkammer in der Plößlgasse, der YOCA heißen wird. Er entsteht an der Stelle eines Schulbaus aus den 1950er-Jahren, eines für seine Zeit tadellosen Gebäudes, das jedoch strukturell gar nicht zum geforderten Raumprogramm des YOCA mit Restaurant, Ausstellungs-, Vortrags- und Bewegungsräumen, Makerspaces und einem Kindergarten passen wollte.

Beteiligungsprozesse

Im Wettbewerb, den das Stuttgarter Büro Haas Cook Zemmrich Studio 2050 für sich entschied, war es den Teilnehmern freigestellt, die Substanz zu erhalten. Die Preisträger entschieden sich für den Abbruch: Eine teilweise Erhaltung wäre zwar möglich gewesen, hätte aber nur den Eindruck eines aufwendig konservierten Zitats gemacht. Der Abbruch erlaubt die Errichtung eines großen, flexibel nutzbaren Regals in Holzkonstruktion, das sich über ein Atrium Licht in die Tiefe des Baukörpers holt. Eine zentral gelegene offene Treppe macht Lust, das Haus im Aufstieg zu entdecken. Die sehr diversen Zielgruppen, die ihre Ideen in einem Beteiligungsprozess einbringen durften, werden hier ihre Nischen finden.

Und auch das alte Haus wird nicht komplett verschwinden, sondern in Teilen eine neue Funktion bekommen, wenn etwa alte Deckenelemente als Trennwände weiterleben. Das große Gerüst verträgt solche Implantate gut. Wenngleich das CO2-Dilemma ungelöst bleibt: Hinter der großzügig verglasten Fassade des YOCA leuchtet eine Vorstellung von Moderne hervor, der man einen Neubau gerne gönnt.

3. Februar 2025 Spectrum

Denkmalschutz Wien: Das Arche-Noah-Syndrom

Ein Bauwerk unter Denkmalschutz zu stellen braucht nicht mehr als einen einfachen Verwaltungsakt. Die Denkmalpflege kann dann Millionen kosten. Reflexionen über den Wert des Hässlichen.

Als Ende 2024 bekannt wurde, dass das Bundesamtsgebäude in der Radetzkystraße, ein Werk des Architekten Peter Czernin aus dem Jahr 1986, unter Denkmalschutz gestellt wurde, war die Überraschung unter Fachleuten groß. Dass es sich bei diesem Gebäude um eine Kuriosität ersten Ranges handelt, wird niemand bestreiten, der je in sein Inneres vorgedrungen ist. In der zentralen Verteilerhalle werden die Besucher von einer Skulptur von Anton Hanak begrüßt, einem schweren Bronzeguss, der auf einer Halbschale aus zarten Stahlrohren aufruht. Die Figur ist ein unfreiwilliger Torso, dem durch einen Kriegsschaden Kopf und Genitalien fehlen. Zum Trost leuchtet auf der Decke über der Figur ein elektrischer Sternenhimmel. Was die Planer auf die Idee brachte, genau diese Figur ins Zentrum ihres Werks zu setzen, bleibt ein Rätsel.

Dass die Hanak-Abgüsse überhaupt zum Einsatz kamen, ist eher ein Krimi: Anfangs war die Galerie Würthle beauftragt, das mit einem Prozent der Bausumme angesetzte „Kunst am Bau“-Programm mit zeitgenössischen Künstlern zu kuratieren. Am Ende blieb es bei acht weiteren, im Freien an der Radetzkystraße aufgestellten Hanak-Abgüssen und einer „Flammende Fahnen“ genannten Edelstahlskulptur von Gero Schwanberg, der bei vielen Projekten von Hans Hollein als Bildhauer mitgewirkt hatte. Die Skulptur schwebte ein paar Jahre bedrohlich über der Dachkante des Amtsgebäudes, bis sich in einem strengen Winter gefährliche Eiszapfen bildeten. Heute parkt sie zu ebener Erde auf einem Grünstreifen davor.

Assoziationen mit Wiener Militärbauten

Kurios ist auch die Fassadengestaltung. Die Ecktürme, in denen sich Fluchttreppen und Schächte befinden, sind mit blattförmigen Edelstahlkapitellen abgeschlossen und mit Sichtziegeln verkleidet, die Assoziationen mit Wiener Militärbauten wie der Rossauer Kaserne oder dem Arsenal herstellen sollen. Dazwischen wiederholt sich hundertfach ein Fassadenelement mit einem bunten Aufdruck, der aussieht, als wäre er in einem Volkshochschulkurs zum Thema „Malen mit Klimt“ entstanden. Man merkt, wie sehr die Architekten eine Prise Hundertwasser in ihr Projekt holen wollen, aber nicht aus ihrer Rasterlogik und funktionalistischen Endlosschleife herausfinden. Noch drastischer ist dieses Unvermögen im Inneren zu spüren, in dessen Korridoren man spätestens nach der dritten Wendung um 45 Grad jede Orientierung verloren hat, während sich an Wänden, Decken und Böden Stein- und Holzintarsien ausbreiten wie eine Hautkrankheit.

Wie, fragt man sich, kann so ein Machwerk zum Baudenkmal werden? Hat hier jemand Kuriosität mit Kunst verwechselt? Eines ist klar: Ein Baudenkmal muss nicht schön sein. Zum geschützten Bestand gehören nicht nur Barockschlösser, sondern auch brutalistische Bauten aus den 1960er-Jahren, die schon zur Bauzeit das ästhetische Empfinden ihrer Zeitgenossen herausforderten und das bis heute tun.

Denkmalschutz ist eine Wissenschaft, die mit eigener Terminologie und Methodik operiert, um den Denkmalwert eines Objekts zu bestimmen. Der große Theoretiker des Denkmalschutzes, Alois Riegl, unterschied zwischen Erinnerungs- und Gegenwartswerten. Zu Ersteren zählen der Alters- und der historische Wert, also die am Objekt erlebbaren Spuren der Geschichte einerseits und andererseits die Qualität, für eine historische Epoche Zeugnis abzulegen. Zu den Gegenwartswerten zählte Riegl den Gebrauchs- und den Kunstwert, also den ästhetischen Wert eines Objekts jenseits von Alter und Geschich­te. Riegl spricht hier von einem „relativen“ Kunstwert, der sich über die Zeit mit der kulturellen Entwicklung verändern kann.

Das Resultat: ein Freilichtmuseum

Einen Kunstwert würde ich dem Bundesamtsgebäude rigoros absprechen, und zwar mit einer einfachen Frage. Gibt es irgendetwas an dem Gebäude, das nachahmenswert ist und für das sich kein deutlich besseres Vorbild finden lässt? Wenn schon intensive Bezugnahme auf den Kontext, dann bitte die virtuose postmoderne Variante wie bei Hans Holleins Haas Haus und nicht die halb gare wie hier. Ob dem Gebäude ein historischer Wert zukommt, ist schwieriger zu beantworten. Es ist sicher repräsentativ für eine Epoche der Wiener Architektur, in der eine kleine Gruppe von Groß­architekten öffentliche Aufträge ergattern konnte, bei denen sie im großen Maßstab an der Verbindung von Postmoderne und Spätfunktionalimus gescheitert ist. Aber bedeutet ihr Verlust tatsächlich – wie im Denkmalschutzgesetz gefordert – eine „Beeinträchtigung des österreichischen Kulturgutbestands in seiner Gesamtheit“? Wohl kaum.

Dass solche Objekte trotzdem unter Denkmalschutz kommen, hat mit einer Tendenz zu tun, die ich das „Arche-Noah-Syndrom“ nennen möchte. Es steht für den Ansatz, unabhängig vom Kunstwert eine ausgewogene, alle Epochen möglichst gleichmäßige abdeckende Samm­lung von Objekten aufzubauen. Das Resultat ist ein Freilichtmuseum, in dem auch Objekte, die von einer Umgestaltung massiv profitieren könnten, unverändert bleiben müssen.

Kunst- und Gegenwartswert gleich null

Besondere Vorsicht ist bei großen Bauwerken geboten. Wer Dinosaurier in die Arche Noah lässt, muss mit Schlagseite rechnen, vor allem wenn sie aus der Nutzung gefallen sind. Während das Bundesamtsgebäude als Bürohaus noch voll funktionsfähig ist, stellt sich die Lage bei einem anderen Objekt, für das derzeit ein Unterschutzstellungsverfahren läuft, anders dar: das Forschungs- und Verwaltungszentrum der AUVA im 20. Bezirk von Kurt Hlaweniczka aus dem Jahr 1977. Das Gebäude, das seit seiner Errichtung mit technischen Problemen zu kämpfen hatte, steht seit fünf Jahren leer.

Die Kosten für eine Sanierung wären exorbitant hoch, was noch nicht per se gegen eine Unterschutzstellung spricht. Auf den ersten Bick ist das Gebäude ein guter Kandidat für ein Baudenkmal, bringt es doch ein wichtiges Kriterium mit: Monumentalität. Kratzt man an der Oberfläche, dreht sich jedoch das Bild. Die Hängekonstruktion? Eine leere Geste, aus der räumlich nichts gemacht wird. Ein seltenes Beispiel für Strukturalismus und Metabolismus? Eine oberflächliche Ähnlichkeit. In Wirklichkeit ist hier alles symmetrisch und starr. Wird dieses Gebäude unter Denkmalschutz gestellt, ist mit einer Ruine im Freilichtmuseum zu rechnen, da nicht nur sein Kunst-, sondern auch sein Gebrauchswert gleich null ist. Die Einsicht, dass der österreichische Kulturgutbestand in seiner Gesamtheit den Verlust des AUVA-Gebäudes verschmerzen kann, muss nicht unbedingt den Totalabriss bedeuten. Innovation im Bestand braucht keinen Denkmalschutz.

11. Dezember 2024 Spectrum

Muss in Wien alles bleiben, wie es ist?

Bauen in historischer Umgebung bedeutet nicht immer Harmonie, sondern manchmal Zerstören
mit Verstand. Über eine verpasste Gelegenheit auf dem Wiener Minoritenplatz.

Zum vollständigen Artikel im „Spectrum“ Archiv ↗

31. Oktober 2024 Spectrum

Einfach aus dem Baumarkt

Ein Architekten­­haus, das für jeden Häuslbauer leistbar ist, gibt es das? Konrad Frey hat eines gebaut und lebt dort mit seiner Frau seit zehn Jahren als Testbewohner. Ein Hausbesuch.

Jede neu gewidmete Parzelle dehnt den Siedlungsraum weiter aus, reduziert die Biodiversität und verursacht Kosten für Zubringerstraßen und Kanalisation. Ein Pkw für jeden erwachsenen Bewohner gehört zur Grundausstattung. Dazu kommen die Baumaterialien, die im Geschoßwohnbau wesentlich effizienter eingesetzt sind als im Einfamilienhaus. Die CO2-Bilanz eines Einfamilienhauses ist naturgemäß schlecht.

So berechtigt diese Kritik ist, die Liebe der Österreicher zum Einfamilienhaus ist ungebrochen: 44 Prozent der Bevölkerung lebt in Einfamilienhäusern; bei Umfragen geben rund 80 Prozent der Befragten diese Wohnform als ihr Ideal an. Immer noch fließt ein beachtlicher Teil der Wohnbauförderung in diesen Sektor: Von 17.000 Förderzusagen entfielen 2023 österreichweit 3800 auf Einfamilienhäuser, mit länderweise sehr unterschiedlichen Anteilen: Im Burgenland wurden ausschließlich Einfamilienhäuser gefördert, wenn auch insgesamt nur 160; in Nieder- und Oberösterreich entfiel ein knappes Drittel der Zusagen auf diesen Bereich, 1150 bzw. 1300, womit Oberösterreich mit Abstand den Spitzenplatz unter den Bundesländern einnimmt.

Stupide Häuser mit Flachdach

Eine Qualitätssicherung für die hier eingesetzten öffentlichen Gelder gibt es nicht, zumindest nicht in ästhetischer Hinsicht, und das sieht man Österreich auch an. Da wird weiterhin über die Dorfränder hinaus gewidmet und parzelliert, als wäre die Erde eine endlos verfügbare Scheibe, und auf diesen Parzellen entsteht meist nichts Gutes. In den aktuellen Ausläufern der Bebauung machen sich an vielen Orten Häuser mit Flachdach breit, die so stupide sind, dass man die planenden Baumeister zurück zu ihren Urgroßvätern in die Lehre schicken möchte, damit sie lernen, ein Haus einfach und klar zu organisieren und richtig in die Landschaft zu setzen. Und selbst das wären ja immer noch richtige Häuser am falschen Ort. Die Aktivierung von Leerständen im Ortskern mit neuen Konzepten des Zusammenlebens wird keinem Dorf gelingen, das Wildwuchs an seinen Rändern zulässt.

Bei einem Beliebtheitswert von 80 Prozent wird sich das Problem Einfamilienhaus sicher nicht durch die Einrichtung einer architektonischen Schönheits- und Sittenpolizei lösen lassen. Das beste Mittel ist, darauf zu hoffen, dass die Klimakrise und ihre ökologischen Konsequenzen, etwa in Form überfluteter Keller, zur Suche nach Alternativen führen.

Haus liefert originelle Antworten

Bis es so weit ist, ergibt es durchaus Sinn, Einfamilienhäuser zu diskutieren, die außergewöhnlich und zumindest in Teilaspekten vorbildlich sind. „Außergewöhnlich“ kann vieles bedeuten: den längsten Infinity-Pool, ein Marmorbad mit Karawanken-Blick oder ein Energiekonzept, das völlige Autonomie garantiert. Mich interessieren andere Aspekte, nämlich Typologie und Kosten: Wie zweckmäßig ist das Haus im Grundriss organisiert? Sind die eingesetzten Mittel angemessen und sparsam gewählt? Das Haus in Hart bei Graz, das der Architekt Konrad Frey für sich und seine Frau entworfen hat, liefert auf beide Fragen höchst originelle Antworten. Frey, der heuer seinen 90. Geburtstag feierte, nennt es Low Budget Loft House. Die ersten Ideen für das Haus datieren ins Jahr 2012, bezogen wurde es 2015, also vor knapp zehn Jahren, die es Zeit hatte, sich im Gebrauch zu bewähren. Der Anlass für das Projekt war die Wohnsituation der Freys in einem historischen Altbau auf demselben Grundstück, in dem Konrad Frey schon seine Kindheit verbracht hatte. Als barrierefreier, komfortabler Alterssitz war dieses Haus nicht geeignet. Frey verkaufte den Altbau, teilte das Grundstück und errichtete auf seiner Hälfte das Loft House.

Wie der Name andeutet, besteht das Haus aus einer großen Hülle mit Satteldach, die in der Gesamtfigur auch eine einfache Lagerhalle sein könnte. Das Innere ist durch zwei abgeschlossene Rückzugsräume gegliedert, die jeweils an drei Seiten vom Großraum umspült werden, einem Kreativbereich mit funktionellen Zonen, etwa fürs Kochen und Essen. Ein Wintergarten und ein Bad sind seitlich unter das große Dach geschoben. Wer will, kann in der Grundrissfigur das Echo einer palladianischen Villa entdecken; Konrad Frey betont lieber den hohen Alltagswert, von der perfekten Schmutzschleuse am Eingang bis zum umfangreichen Stauraum, der den kostensparenden Verzicht auf einen Keller möglich macht. Das Obergeschoß besteht im Wesentlichen aus einer Art Brücke unter dem Giebel, die den Kreativraum luftig nach oben erweitert. Hier hat Bärbl Frey ihr Atelier für Textilkunst und Konrad Frey sein Büro.

Keine Scheu vor Welleternit

„Low Budget“ ist das Haus insofern, als es weitgehend vorgefertigt und einfach konstruiert ist. Frey zeigt keine Scheu vor Welleternit und Wellkunststoff als Dachdeckung und vor einer Kombination von Stahlstützen und Holzfertigteilen für das Tragwerk, die auch außen ablesbar ist. Viele Elemente kommen vom Baumarkt, unter anderem die Treppe ins Obergeschoß und ein Kunststofffenster an der Hauptfassade mit wirklich grausigen Profilen, die man als Provokation verstehen muss, über das Wesen des „Billigen“ nachzudenken. Licht fällt auch durch dieses Fenster nämlich sehr schön.

Ob Konrad Frey sich mit diesem Haus genauso in die österreichische Architekturgeschichte einschreiben wird wie mit dem Haus Fischer am Grundlsee, das er 1972 bis 1978 mit seinem Büropartner Florian Beigel entwickelte, wird sich zeigen. Das Haus wurde oft als typisches Beispiel für die „Grazer Schule“ missverstanden, ein zweifelhaftes Etikett, das auf Frey und Beigel trotz mancher formalen Ähnlichkeit nicht passt. Sie suchen nach einer Logik der Form, die sich – soweit möglich – aus technischen und sozialen Parametern ergibt. Für Baukunst bleibt dabei noch Platz genug. Das Haus Fischer steht seit Kurzem unter Denkmalschutz, sehr zum Leidwesen seines Architekten, der diesen Experimentalbau lieber offen für Veränderungen gehalten hätte.

Dem Low Budget Loft Haus möchte man eine andere Zukunft wünschen, nämlich zahlreiche Nachahmer, die von einem räumlich komplexen Haus träumen, sich aber nur ein Fertighaus leisten können. Der Plan des Hauses liegt als Open Source Lizenz vor. Wenn die Kombination aus Forschergeist und sprühendem Optimismus, die Konrad Frey sich aus den 1960er-Jahren in die Gegenwart gerettet hat, in dieser Lizenz enthalten ist, ist sie jeden Preis wert.

4. Oktober 2024 Spectrum

In den Siebzigern lebten wir auch nicht schlecht

Rurale Baukultur zwischen Tradition und Innovation: Das Symposium „Interventa“ in Hallstatt verfehlt sein Thema – zum Glück.

Wenngleich das Jahr noch nicht zu Ende ist, lässt sich eines schon mit Sicherheit sagen: Das Salzkammergut zur Europäischen Kulturhauptstadt 2024 zu erklären war ein voller Erfolg. International hat schon die Idee, ein ländliches, von grandioser Landschaft geprägtes Gebiet als Kulturraum zu präsentieren, Aufmerksamkeit erregt.

Dass es dem von Elisabeth Schweeger geleiteten Festival gelang, kompromisslos hinter die Idylle zu blicken, gab dem Unternehmen Glaubwürdigkeit: die Überreste der NS-Diktatur, die in der angeblichen Alpenfestung unter dem menschenverachtenden Einsatz von Zwangsarbeitern Rüstungsgüter produzierte; aber auch die Salzgewinnung, die sich bei genauerer Betrachtung als dramatischer Raubbau an den Wäldern der Region darstellt, die in immer weiterem Umkreis abgeholzt wurden, um die gigantischen Sudpfannen zu befeuern. Unsere Rücksichtslosigkeit im Umgang mit natürlichen Ressourcen hat tiefe Wurzeln.

Halleins kulturelle Ressourcen

Auch der öffentliche Raum ist eine solche Ressource, die durch überbordenden Touris­mus an die Grenze der Erschöpfung gerät: Hallstatt mit seinen 750 Einwohnern und 1,4 Mio. Touristen pro Jahr ist dafür ein international bekanntes Beispiel, das die Gratwanderung zwischen Freilichtmuseum und zeitgenössischer Lebenswelt zu meistern versucht. Die Stadt kann dabei auf eigene kulturelle Ressourcen zurückgreifen, die 2024 eine Präsenz bekommen haben, die zu vorsichtigem Optimismus berechtigt.

Die Tatsache, dass es in Hallstatt eine international renommierte HTL für Holzverarbeitung gibt, die Spezialisierungen von der Tischlerei über den Boots- bis zum Musikinstrumentenbau anbietet und auf letzterem Gebiet auch in der Forschung erfolgreich ist, trägt dazu bei. Die gelungenen, von Riccione Architekten geplanten Erweiterungsbauten der HTL, die sich gerade in Fertigstellung befinden, sind ein deutliches ­Zeichen des Vertrauens in die Region.

Schwimmende Plattform mit Sauna

Die Veranstaltungen des Kulturhauptstadtjahres ergeben eine dichte, von vier Programmlinien – GlobaLokal, Kultur im Fluss, Macht und Tradition, Sharing Salzkammergut – durchzogene Landschaft, in der es nicht leicht ist, den Überblick zu wahren. Programmleiterin für die Themen Architektur, Baukultur und Handwerk war Eva Mair, die auf Kooperationen mit Studierenden setzte, etwa mit der Kunstuniversität in Linz, den Universitäten Innsbruck und Kassel sowie der TU Wien, die vor Ort kleine Projekte umsetzten. Das auf dem Traunsee schwimmende Inselgefüge der Kunstuni Linz, vom Publikum v. a. in seiner Funktion als Sauna wahrgenommen, wird in Erinnerung bleiben.

Den diskursiven Höhepunkt der Architekturveranstaltungen im Kulturhauptstadtjahr bildete ein viertägiges Symposium unter dem Titel „Interventa“, das von Marie Therese Harnoncourt-Fuchs und Sabine Kienzer kuratiert wurde. Die Namensähnlichkeit mit der Kasseler Documenta ist kein Zufall. Harnoncourt-Fuchs ist an der dortigen Universität Professorin für Entwerfen und Gebäudelehre. Das Programm machte mit der oft beschworenen transdisziplinären Durchmischung ernst. Zu den Themen Neue Lebenswelten, Identität, Kreisläufe, Raumproduktion und Mobilität trafen Architekten und Planer auf Ökonomen und Philosophen, Künstler und Musiker auf Agronomen und Komplexitätsforscher.

Neben den zahlreichen österreichischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem Architekturbereich wa­ren als internationale Gäste unter anderem Anna Heringer, Yasmeen Lari und Xu Tiantian geladen, die neben kurzen Werkvorträgen auch abwechselnd in Podiumsdiskussionen im Einsatz waren. Die 83-jährige Yasmeen Lari ist in Österreich seit einer Ausstellung im AzW 2023 als heimlicher Star der Weltarchitektur bekannt. Im Westen ausgebildet und jahrzehntelang als erste Architektin Pakistans in der Logik eines repräsentativen Modernismus tätig, veränderte sie nach dem großen Erdbeben 2005 ihre Praxis radikal in Richtung eines ökologisch orientierten Selbstbaus, der Nutzer nicht zu Almosenempfängern macht, sondern sie dazu ermächtigt, in eigener Sache tätig zu werden.

Architektur und Raumplanung sind entscheidend für das Schicksal der Welt: Das zeige sich, so Lari, schon daran, dass elf der 17 Sustainable Development Goals der UNO eng mit diesen Praxisfeldern verknüpft sind. Wo, fragt Lari, sind die Architekt:innen, die sich wirklich darum kümmern? Anna Heringer und Xu Tiantian sind mehr als eine Generation jünger als Lari und biografisch ohne die Kehrtwende unterwegs, aus der Lari ihre besondere Energie bezieht. Heringer hat sich mit herausragenden Lehmbauten einen Namen gemacht, einem Material, an dessen Einsatz in unterschiedlichen Kontexten sie bis heute arbeitet.

Tofu-Fabrik als konkrete Utopie

Bei der Interventa forderte sie mit dem Slogan „Form Follows Love“ zu mehr Empathie auf, eine sehr breite Generalisierung ihrer bekannten Forderung, nur architektonische Lösungen zu akzeptieren, die mit dem Wohlergehen aller acht Mrd. Menschen, die derzeit unseren Planeten bevölkern, vereinbar sind. Xu Tiantians bekanntestes Projekt ist eine Tofu-Fabrik in einer ländlichen Region Chinas, ein leichter Holzbau mit eleganten Details, der die Lebenswelt der Dorfbewohner, die ihre Produkte davor individuell und nun genossenschaftlich herstellten, radikal verändert hat. Das Projekt ist eine konkrete Utopie, die sich weiterentwickelt, zuletzt mit einem eigenen Pavillon für Schulklassen.

Die Projekte von Lari, Heringer und Xu ha­ben eins gemeinsam: Sie definieren sich nicht durch ihre Position auf der Achse zwischen Tradition und Innovation, sondern verlangen eine radikal neue, innovationsorientierte Architektur. Der Untertitel der Interventa, ein „Symposium über Rurale Baukultur zwischen Tradition und Innovation“ zu sein, wird so obsolet. Das Rurale ist nicht weniger innovativ als das Städtische und darf sogar den Anspruch haben, Letzteres so lange zu befruchten, bis daraus etwas Neues entstanden ist.

Wie dringend es wäre, dieses unbekannte Neue als Gesellschaftsform zu erfinden, machte der erste Vortrag des Symposiums klar. Die deutsche Bestsellerautorin Ulrike Herrmann erläuterte ihre These, dass Klimaschutz nur durch Schrumpfen der weltweiten wirtschaftlichen Aktivität möglich sei, da sich mit heutigen Technologien nicht ausreichend Ökostrom herstellen lasse. Da der Kapitalismus ein System sei, das nur im Wachstumsmodus funktioniere, bedeute die Klimakrise sein Ende. Ein System, das ihn ersetzt, müsste in der Lage sein, unser materielles Wohlstandsniveau auf das Niveau der späten 1970er-Jahre abzusenken, ohne zu einer Spaltung der Gesellschaft zu führen.

Wie ein neues System aussehen müsse, dem das glückt, konnte Herrmann nur andeuten. Dass es einen hohen Anteil an Planwirtschaft enthalten würde, ist aber klar. Baukultur wird auch in diesem System, wie im Kapitalismus, eine zentrale Rolle spielen, als Verbraucher von Ressourcen, aber zugleich als Medium gesellschaftlicher Veränderung. Wie auch immer sich die Koalitionsverhandlungen gestalten: Klima, Umwelt und Baukultur sollten am Tisch sitzen und eine Stimme haben.

6. September 2024 Spectrum

Kein Platz? Kein Problem! Gelungene Verdichtung in Innsbruck

Verdichten statt erweitern, so lautet der ökologische Imperativ: weniger Flächenverbrauch, kurze Wege, bessere Nutzung der Infrastruktur. Aber entsteht dadurch auch bessere Architektur? Zwei Wohnbauten in Innsbruck zeigen, wie das gelingen kann.

Österreich wächst. Mehr Menschen, das bedeutet einen höheren Bedarf an Wohnraum, aber auch an sozialer und kultureller Infrastruktur wie Kindergärten, Schulen, Bibliotheken. Das Bevölkerungswachstum verteilt sich aber nicht gleichmäßig über Österreich, sondern konzentriert sich auf Wien und die Landeshauptstädte.

Die Strategie, mit der die Städte auf diese Entwicklung reagieren, ist im Prinzip überall gleich, nämlich durch Nachverdichtung: entweder durch Wachstum in der Gebäudehöhe oder durch das Auffüllen untergenutzter Flächen, v. a. dort, wo der Städtebau der 1950er- bis 1970er-Jahre für großflächiges, aber wenig attraktives „Abstandsgrün“ gesorgt hat. Gegen diese Strategie ist nichts einzuwenden. Sie versucht, die Ressource Boden möglichst sparsam zu nutzen, auf kurze Wege zu achten und die bestehende Infrastruktur effizienter zu nutzen, als es bei einer Stadterweiterung auf der grünen Wiese möglich wäre.

Es kommt freilich darauf an, wie man dieses Prinzip umsetzt. Die Konsequenzen in der Stadtmorphologie sind nämlich trotz dieses ähnlichen Ansatzes recht unterschiedlich. In Graz werden in Vierteln mit Stadtvillen dezent Flächen in der zweiten Reihe zur Bebauung freigegeben. Linz hat sich zur Stadt der mittelhohen Hochhäuser entwickelt, die recht gleichmäßig und unspektakulär über die Stadt verteilt sind. Auch in Wien gibt es dafür Beispiele, wobei die Stadtplanung mehr auf Ensemblewirkung setzt.

Im Wiener Wohnbau scheint sich aber ein neuer Gebäudetypus durchzusetzen, frei stehend und sehr tief, oft mit Innengangerschließung und in der Gebäudehöhe knapp unter den rund 35 m angesiedelt, ab der aus Brandschutzgründen teure zusätzliche Sicherheitssysteme wie druckbelüftete Stiegenhäuser vorgeschrieben sind. Wie eine Herde von grasenden Hauselefanten füllen solche Wohnbauten dann ehemalige gründerzeitliche Blockstrukturen aus.

Besichtigen lässt sich das Ergebnis etwa an der Kreuzung Eichenstraße und Gaudenzdorfer Gürtel. Die aus dem Raster verschwenkte Positionierung der Bauten verhindert zumindest das Gefühl, hier völlig eingesperrt zu sein. Zu dicht wirkt diese Lösung trotzdem. Ist Wien wirklich so intensiv bebaut, dass man aus jedem Grundstück alle Reserven herausquetschen muss? Wahrscheinlich nicht. Eine weniger dichte, über die Stadtgrenze hinaus gedachte und am Prinzip der Gartenstadt orientierte Stadtmorphologie, sollte wenigstens diskutiert werden.

Für die Situation in Innsbruck gilt das nicht. Hier sind der Stadterweiterung durch die Berge und das Inntal enge Grenzen gesetzt. Wie Verdichtung gelingen kann, einerseits durch Wachstum in die Höhe, andererseits durch Bebauung von „Abstandsgrün“, zeigen zwei Projekte des Büros von Karin Triendl und Peter Larcher, die gemeinsam als Work Space Architekten firmieren.

Das erste, 2023 fertiggestellte Projekt liegt an der Kreuzung von Pradler und Amraser Straße, wobei die Pradler Straße Teil eines großräumigen Blockrastersystems ist, das die Amraser Straße diagonal kreuzt. Das Grundstück ist entsprechend verzwickt mit unterschiedlichen Anschlussmöglichkeiten: an der Pradler Straße die Weiterführung der geschlossenen Verbauung, an der Amraser Straße das Setzen einer Zäsur, die den Blockrand öffnet und das Projekt in zwei Teile gliedert: einen niedrigeren, der an einen Wohnbau aus den 1990er-Jahren andockt, und einen höheren mit zehn Geschoßen, der über Eck betrachtet als Turm erscheint. Als Gebäudetyp ist er zu den Elefantenhäusern zu zählen, die oben kritisiert wurden: die typische Höhe von rund 35 m, ein sehr tiefer Baukörper, in dem pro Geschoß bis zu acht Wohnungen erschlossen werden. Der niedrige Bauteil, der sich in der Höhe an der Nachbarschaft orientiert, ist mit seinem tiefen Baukörper und bis zu sechs Wohnungen pro Geschoß zumindest ein Babyelefant.

Fassadengestaltung ist konsequent komponiert

Der Unterschied zum Wiener Beispiel betrifft vor allem die Reaktion auf den Bestand und die Feinarbeit an der Fassade. Die Architekten nennen ihr Projekt in Bezug auf die beiden Bauteile „Pradler Duett“, aber eigentlich spielt hier ein kleines Orchester: Bestandsbauten aus vielen Epochen werden integriert, und der öffentliche Durchgang zwischen Pradler und Amraser Straße legt einige Rückseiten frei, die Teil der Komposition werden. Auch die Gestaltung der Fassaden ist konsequent komponiert, mit feinen horizontalen Linien, die keine andere Funktion haben, als die Fassadenflächen in Proportion zu bringen. Technisch sind sie die Fortführung der Aluminiumprofile der Fensterverblechung.

Bei genauem Hinsehen entdeckt man, dass die gute Proportion der Fenster dem Umstand zu verdanken ist, dass die Brüstungen nur 65 cm hoch sind. Eine kaum sichtbare Verglasung an der Außenseite gleicht die fehlende Höhe im Sinne einer Absturzsicherung aus. Neben der guten Proportion der Öffnung bringt das mehr Licht und mehr Blick nach außen. In den Stiegenhäusern ist ebenfalls für natürliches Licht gesorgt, das wegen der Tiefe der Baukörper über Lichtbrunnen von oben einfällt. Hochwertig im Detail ist zudem die Verkleidung der Erdgeschoßzone mit gelaserten Aluminium-Verbundplatten, die sich aber genauso wenig in den Vordergrund spielt wie die Differenzierung der Putzoberflächen zwischen den Geschoßen. Wer in einem formal diversen Bestand baut, sollte besser leise auftreten.

Zugegeben, das Projekt ist frei finanziert und kein sozialer Wohnbau. Allerdings musste der Bauträger, Panorama plus Immobilien, von den 117 Wohnungen 30 als Stadtwohnungen – wie in Innsbruck die Gemeindewohnungen heißen – zur Verfügung stellen.

Dass hohe Qualität in der Verdichtung auch im sozialen Wohnbau möglich ist, haben Work Space Architekten schon 2018 für das gemeinschaftliche Projekt der Innsbrucker Immobilien GmbH und der Tiroler Wohnbau mit den Passivhäusern in der Bienerstraße gezeigt. Hier ging es um die Bebauung von „Abstandsgrün“ zwischen drei Wohnscheiben aus den 1960er-Jahren unmittelbar neben der S-Bahnstation Innsbruck Messe. Die Architekten erfanden für diese Aufgabe einen neuen, sechseckigen Typus von Turmhaus, mit bis zu sechs Wohnungen pro Geschoß, insgesamt 136 Wohnungen in drei Größen, S, M, und X-Large, einer Vierzimmerwohnung.

Keine Nachahmer?

Anheimelnd sind die Türme nicht, Verzierung gibt es erst im Erdgeschoß, v. a. durch eine Steinverkleidung der Sockelwand und gut gestaltetes Stadtmobiliar. In der Dreierkombination leisten die Türme genau das, was das „Abstandsgrün“ nicht leistet, nämlich den öffentlichen Raum zu proportionieren und Kommunikation anzuregen. Die im Wettbewerb angeregte und später von der Stadt Innsbruck realisierte Öffnung der Bahnviadukte unter der S-Bahnstation hat aus dem ehemaligen Nicht-Ort einen urbanen Raum geschaffen. Die Freiraumplanung stammt von PlanSinn, die hier mit einem farbig gestalteten Vorplatz zur Bahnstation eine erkennbare Abfolge zwischen öffentlichen, halb öffentlichen und privaten Bereichen geschaffen haben.

Es ist erstaunlich, dass dieses Projekt, das ja als Passivhaus energetisch höchsten Standards entspricht, keine Nachahmer gefunden hat. Selbst Wien, der Stadt mit dem vermeintlich besten sozialen Wohnbau der Welt, könnte ein Blick über den westlichen Tellerrand nicht schaden.

2. August 2024 Spectrum

Der neue Kiesler-Preisträger Junya Ishigami: ein Visionär mit Wirklichkeitssinn

Zum 13. Mal wurde heuer der Friedrich-Kiesler-Preis für Architektur und Kunst verliehen – an den Japaner Junya Ishigami.

Bühnenbildner, Möbeldesigner, Ausstellungsgestalter, Bildhauer, Architekt: Friedrich Kiesler, eine der schillerndsten Figuren der Architektur- und Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, entzieht sich jeder Zuordnung. Im Jahr 1890 in Czernowitz geboren, verließ er Österreich 1926 in Richtung New York, wo er sich rasch als Künstler und Architekt etablierte. Ende der 1930er-Jahre war er Professor an der Columbia University, an der er einen wissenschaftsaffinen, biotechnischen Architekturansatz verfolgte, den er unter dem Namen „Correalismus“ zu verbreiten suchte.

Die Nähe zum Surrealismus, zu dessen Exponenten Kiesler beste Kontakte pflegte, war kein Zufall. In den späten 1940er-Jahren begann Kieslers Arbeit am „Endless House“, einer Raum­idee, charakterisiert durch organische Formen, die er in Modellen und Skizzen immer weiter ausarbeitete. Sie repräsentieren eine „magische“ Architektur, als deren Schöpfer und Schamane sich Kiesler in stilistisch imposanten Fotoserien inszenierte. Gebaut wurde das „Endless House“ nie. Das einzig erhaltene Bauprojekt Kieslers ist der „Shrine of the Book“, ein vergleichsweise konventioneller Rundbau, den er mit Armand Bartos in den 1950er-Jahren in Jerusalem re­alisiert hat.

1998 wurde Frank Gehry ausgezeichnet

Kieslers umfangreicher Nachlass gelangte 1998 auf Initiative des Kunsthistorikers Dieter Bogner nach Wien. Der Kaufpreis von damals drei Millionen Dollar wurde über eine Stiftung aufgebracht, an der sich die Republik, die Stadt Wien, die Nationalbank und private Sponsoren beteiligten. Die Witwe Kieslers verzichtete auf ein Drittel des Kaufpreises; im Gegenzug sagten die Stadt Wien und die Republik zu, alle zwei Jahre den Österreichischen Friedrich-Kiesler-Preis für Architektur und Kunst auszuloben und mit 750.000 Schilling zu dotieren.

Dieser Preis wurde bisher 13-mal verliehen und ist eine Art umgekehrte Ahnengalerie Kieslers geworden, deren Exponenten manchmal mehr und manchmal weniger mit dem Namensgeber des Preises zu tun haben. Der erste Preisträger, Frank Gehry, war keine Überraschung. Mit dem großen Namen sollte das ­Niveau des Preises hoch angesetzt werden. Bei den weiteren Preisträgern gibt es einige, die eindeutig der Kunst zuzuordnen sind, wie etwa Bruce Nauman und Judith Barry, die meisten sind aber echte Grenzgänger, die in manchen Fällen auch in der Wahl der Grenzen über ­Architektur und Kunst hinausgehen. Nicht alle haben die Chuzpe, ihr Atelier Office for Political Innovation zu nennen, wie der Preisträger des Jahres 2016, Andrés Jaque; aber zu den meisten würde die Bezeichnung gut passen: Cedric Price, Yona Friedman, Ólafur Elíasson, Theas­ter Gates.

Bekanntheit seit der Biennale 2008

Mit Junya Ishigami, nach Toyo Ito der zweite Japaner unter den bisherigen Preisträgern, hat die Jury eine besonders glückliche Wahl getroffen. Ishigami wurde international durch seine Gestaltung des japanischen Pavillons bei der Architekturbiennale in Venedig 2008 bekannt, bei der er dessen Umfeld in eine Gartenlandschaft mit exotischen Pflan­zen verwandelte. Durchdrungen wurde diese Landschaft von einem Gerüst aus extrem zarten, weiß lackierten Stahlprofilen, die im Lauf der Ausstellung von den sorgfältig ausgewählten Pflanzen erobert werden sollten. Wer wollte, konnte hier den Kontrast zwischen japanischer Gartenkunst mit ihrer Ästhetik des kontinuierlichen Wandels und „westlicher“ Rationalität dargestellt finden.

Bei genauerer Betrachtung geht ­Ishigami aber über diesen Kontrast hinaus. Die Position der vertikalen Profile folgte keinem simplen Raster, sondern einer eigenen, von der Pflanzenwelt inspirierten Logik. Für sein erstes größeres, ebenfalls 2008 realisiertes Projekt, ein eingeschoßiges Werkstättengebäude für das Kanagawa Institute of Technology (KIT), skalierte Ishigami diese Idee nach oben und konzipierte die Werkstätte als Säulenwald aus extrem dünnen Stahlprofilen, deren Lage und Ausrichtung minutiös geplant sind. Im scheinbaren Chaos entstehen dabei flexibel nutzbare Zonen, die sich die Studierenden als Arbeitsplatz aneignen.

Werte bezeichnen die Weite

Für Ishigami ist diese Indifferenz gegenüber einer funktionellen und typo­logischen Vorherbestimmtheit der Ausgangspunkt für eine neue Beziehung zwischen der Architektur und der Welt, in der es keine allgemein anerkannten Werte mehr gebe: „Werte bezeichnen eine fast unendlich erscheinende Weite, in der die Welt als Ganze versucht, das Gleichgewicht zu halten, während sie sich ständig entscheidet, was sie annehmen oder ablehnen soll, und dabei blindlings im Dunkeln tappt, sich in die eine oder andere Richtung bewegt, ohne ihr Ziel zu erkennen.“

Entsprechend vielfältig und überraschend sind die Projekte, die Ishigami bisher umgesetzt hat. Dazu zählen die „Caféteria“ für das KIT, eine horizontal über eine Fläche von 80 mal 120 Meter gespannte Membran aus einem knapp einen Zentimeter starken Stahlblech mit zahlreichen quadratischen Öffnungen, durch die Licht und Regen fallen. Je nach Temperatur schwankt die Höhe dieses Meditationsraums um bis zu 80 Zentimeter. Den Goldenen Löwen für die beste Einzelarbeit gewann Ishigami bei der Biennale 2010 mit der Installation „Architecture as Air“, die ein architektonisches Volumen von vier mal acht mal 20 Metern aus nur einen Millimeter starken Karbonfasern nachzeichnete, die von Fäden mit einer Stärke von 0,02 Millimetern stabilisiert waren.

Eine spektakuläre Gartengestaltung realisierte Ishigami für ein Hotel in Tochigi, indem er den Wald, der dem Hotelprojekt weichen musste, Baum für Baum in einen Wassergarten transplantieren ließ, dessen Kontur sich je nach Wasserstand kontinuierlich verändert. Die Ausstellung, die in den Räumen der Kiesler-Privatstiftung in der Mariahilfer Straße bis Oktober zu sehen ist, zeigt zwei aktuelle Projekte Ishigamis in Zeichnungen und Modellen: ein Museum, das über einen Kilometer Länge zur Hälfte in einem künstlichen See versenkt ist, und ein unterirdisches Restaurant, dessen durch mehrfaches Aushöhlen und Ausgießen eines Erdkörpers entstandene Geometrie stark an Kieslers „Endless House“ erinnert.

Die Idee, Kieslers Nachlass nach Wien zu holen und auf dieser Basis die internationale Rezeption Kieslers zu fördern, ist aufgegangen. Kiesler ist international präsent, durch Leihgaben der Stiftung für zahlreiche Ausstellungen und durch den Preis, der einer kleinen, aber wichtigen Randgruppe der Architekturszene die Aufmerksamkeit schenkt, die sie verdient: den im Realen geerdeten Visionären. „Form folgt nicht der Funktion, Form folgt der Vision“, hat Kiesler einmal gesagt und ergänzt: „Vision folgt der Wirklichkeit.“

6. Juli 2024 Spectrum

Am Beispiel Benko: Wenn das Betongold zu Staub zerfällt

Im Unterschied zu einem ­Pyramidenspiel hinterlässt fahrlässige Projektentwicklung immerhin Spuren. Die Signa-Pleite aus Sicht der Architekturkritik.

Was für eine Lücke! Als die Bagger das Möbelhaus Leiner an der Mariahilfer Straße abgetragen hatten und der Schutt entsorgt war, eröffnete sich im Herbst 2021 für ein paar Wochen ein leerer Raum, in den das Leopoldmuseum, das MuMoK und die Kunsthalle aus dem angrenzenden Museumsquartier locker hineingepasst hätten – eine gigantische Tabula rasa, der einiges geopfert wurde, unbedeutende Zubauten aus den 1980er-Jahren, aber auch historisch wertvoller Bestand: Das 1895 an dieser Stelle errichtete „Haus zur großen Fabrik“, ein auf Bekleidung spezialisiertes Warenhaus, war einer der ersten Bauten in Wien, bei dem Eisenbeton zum Einsatz kam, um große Auslagenscheiben auf Straßenniveau und im ersten Obergeschoß zu ermöglichen.

Der Sog des Neuen, der diesen Bestand hinwegfegte, trägt einen Namen: Signa. Der Konzern des Immobilienentwicklers René Benko versprach, die besten Stararchitekten einzuladen, um auf diesem Areal ein Hotel und ein Kaufhaus neuen Typs zu entwerfen, das „Traditionsbewusstsein mit modernem Lebensgefühl vereinen“ sollte. Ein öffentlicher, teilweise konsumfrei zugänglicher Dachgarten und ein spezielles Warenangebot, nicht nur für Touristen, sondern auch für den Alltagsbedarf, sollten die lokale Bevölkerung positiv für das Projekt stimmen.

Den 2019 durchgeführten Wettbewerb mit vier Teilnehmern, Snøhetta, BIG, Hadi Teherani und OMA (Rem Koolhaas) gewann OMA mit einem gerade noch am Kitsch vorbeischrammenden Projekt mit gekurvten Arkaden und einer Fassade aus dekorativen Glaselementen. Im Inneren überzeugte das Projekt allerdings durch Kompaktheit, Flächeneffizienz und eine klare Wegführung. Die Kritik urteilte mehrheitlich positiv, auch wenn leise Zweifel aufkamen, ob das Projekt sein Investment jemals hereinspielen könne. Das Luxussegment des Handels war von Signa ja schon im Goldenen Quartier abgeschöpft worden, einer mehrere Straßen umfassenden Quartiersentwicklung im ersten Bezirk.

Erfolg mit Kaufhaus Tyrol

Solche Bedenken versuchte Signa mit dem Verweis auf seine anderen erfolgreichen Luxuskaufhäuser, etwa das bereits 2022 von OMA umgebaute Berliner KaDeWe, zu zerstreuen, die nach ähnlichem Konzept bestens funktionieren würden. Den Namen Lamarr für das Kaufhaus in Wien lieh man sich von Hedi Lamarr, der Filmschauspielerin und Erfinderin, die als Hauptdarstellerin im Film „Ekstase“ berühmt wurde. Als Verbindung von Sinnlichkeit und ­Erfindergeist sollte sie Teil des „Narrativs“ werden, mit dem Signa das Projekt bewarb.

Heute erinnern an dieses Narrativ nur noch einige Plakate am Bauzaun des im Rohbau fertiggestellten Komplexes. Wann weiter gebaut wird, ist nach der Implosion der Signa ungewiss. Der tiefe Fall des Unternehmens wird Geldgeber und Gerichte noch lange beschäftigen. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass die Signa auch Teil der Architekturgeschichte Österreichs war, mit einer für die ersten Jahre durchaus positiven Bilanz. Das erste öffentlichkeitswirksame Projekt René Benkos war das Kaufhaus Tyrol in Innsbruck, das er 2004 erwarb und 2010 nach einer verwickelten Planungsgeschichte eröffnen konnte. Ein Wettbewerb im Jahr 2006 hatte eine futuristische Fassadenlösung von BEHF auf den ersten Platz gesetzt, gegen die es Einsprüche aus mehreren Richtungen gab. Ein formal an den Bestand angelehnter Alternativentwurf eines Wiener Denkmalpflegers erregte umgekehrt den berechtigten Widerstand der lokalen Architekturszene. Benko bewies mit der Beauftragung von David Chipperfield, gemeinsam mit Dieter Mathoi die Fassaden und die innere Halle neu zu gestalten, strategisches Geschick. Das Projekt wurde zum Erfolg beim Publikum und bei den Fachleuten, die den hohen Qualitätsanspruch bis ins Detail hervorhoben.

Auch das zweite innovative Projekt, eine als Public Private Partnership entwickelte Kombination einer Shopping Mall mit einem Gymnasium, befindet sich in Innsbruck. Geplant von Helmut Reitter in Zusammenarbeit mit dem Büro Eck & Reiter, wurde es 2011 eröffnet. Auf einem Areal von rund 100 Meter im Quadrat liegen Tiefgarage, Shopping Mall und Schule übereinandergestapelt, aber mit jeweils deutlich separiertem eigenem Eingang. Als PPP-Projekt war die Schule nicht den damals noch sehr strengen Flächenvorgaben des Unterrichtsministeriums unterworfen und ist mit ihrer in Cluster gegliederten Organisation und großzügigen Freiflächen immer noch vorbildlich. Die rechtlichen Komplikationen bei der Kombination unterschiedlicher Nutzer, insbesondere bei einer Mischung von öffentlichen und privaten Interessen, sind bekanntlich eine Herausforderung. Vor allem deshalb sind solche Lösungen selten, obwohl aus stadtökologischer Sicht vieles für sie spricht.

Fremdkörper Park Hyatt Hotel

Mit dem Wachstum der Signa verlagerte sich der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit vorerst nach Wien. Hier relevante Projekte zu finden, ist schwierig. Das Goldene Quartier wurde bereits erwähnt. Die Sterilität der Sanierung wird erst bemerkbar, wenn nachts die Touristenströme versiegen und die Auslagen der Luxus-Shops ihre repetitive Wirkung entfalten. Der eigentliche Kern des Projekts, das Park Hyatt Hotel, ist mit seinen steifen Innenräumen ein Fremdkörper in der Stadt geblieben.

Mehr Beachtung verdienen die vom Büro des italienischen Altmeisters Renzo Piano 2008 entworfenen und 2019 fertiggestellten Park­apartments Belvedere. An einer extremen Lage neben den Bahngleisen sind die zwei Hotel- und vier Wohntürme auf schlanken Stützen über dem Bahnbetrieb aufgeständert. Mit ihren guten Grundrissen und der hochwertigen Keramikfassade gehören sie zu den besten Wohnhochhäusern Wiens.

Am anderen Ende dieses Spektrums trifft man allerdings auch auf ein Projekt, an dem Signa beteiligt war. Das von DMAA auf der Basis eines städtebaulichen Vorprojekts entworfene Hochhauskonglomerat vor der U-Bahn-Station Kagran mit dem Projektnamen Vienna TwentyTwo ist vor allem eines: profitabel. Mit dem 2018 partizipativ für das Zentrum Kagran erarbeiteten Leitbild hat dieses Projekt mit seinem 150 Meter hohen Hauptturm nicht mehr das Geringste zu tun.

Wird die Signa-Pleite die Architektur verändern? Es sieht so aus, als hätte sich die Welt sowieso längst weitergedreht und der Architektur andere Schwerpunkte vorgegeben: Ressourcenschonung, Emissionsvermeidung und die günstige Bereitstellung sozialer Infrastruktur von der Schule bis zum Wohnraum. Haben wir nicht endlich genug von Stararchitekten und gierigen Projektentwicklern, die keine moralischen Skrupel kennen und Architektur wie ein Finanzprodukt behandeln? So einfach ist die Welt nicht. Auch wenn das in Wien mit seinem hohen Anteil an geförderten Wohnungen nicht immer gern gehört wird: Eine gut funktionierende Stadt lebt vom kompetenten Zusammenwirken zwischen öffentlichem und privatem Engagement. Projektentwicklung den Bankern zu überlassen, wäre fatal.

31. Mai 2024 Spectrum

Müssen wir unsere Häuser aus Luft bauen?

Ressourcen schonen, Emissionen senken: Um die Klimaziele zu erreichen, dürfen wir keine zusätzlichen Böden beanspruchen und nur neu bauen, wenn unbedingt nötig. Wie sparsam kann man sein?

Geht’s noch?“ Der Frage stellen sich die Architekturtage 2024, die am 7. und 8. Juni in ganz Österreich stattfinden. Die Antwort scheint klar. So kann es nicht weitergehen, weder mit dem Verbrauch von Ressourcen noch mit dem von diesem Verbrauch verursachten Ausstoß an Schadstoffen, der die Erderwärmung auf mehr als 1,5 Grad über das vorindustrielle Niveau zu heben droht. Dieser Wert ist keine willkürliche Zahl. Mit ihrem Überschreiten wäre die globale Ernährungssicherheit, die heute theoretisch gegeben ist, gefährdet, mit dramatischen Folgen für das lokale gesellschaftliche Gefüge und die globalen Migrationsbewegungen. Der Untertitel der Architekturtage, „Planen und Bauen für eine Gesellschaft im Umbruch“, weist darauf hin, dass zur Bewältigung dieser Probleme technischer Fortschritt allein nicht ausreicht. Es geht um eine Transformation unserer Vorstellungen von einem guten Leben in einer gerechten Gesellschaft.

Aber hören wir das nicht schon seit 50 Jahren, ohne dass diese Transformation tatsächlich passiert? Der erste Bericht des Club of Rome, einer Gruppe von Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen über die „Grenzen des Wachstums“, datiert ins Jahr 1972. Seine zentrale Schlussfolgerung gilt bis heute: „Unsere gegenwärtige Situation ist so verwickelt und so sehr Ergebnis vielfältiger menschlicher Bestrebungen, dass keine Kombination rein technischer, wirtschaftlicher oder gesetzlicher Maßnahmen eine wesentliche Besserung bewirken kann. Ganz neue Vorgehensweisen sind erforderlich, um die Menschheit auf Ziele auszurichten, die anstelle weiteren Wachstums in Gleichgewichtszustände führen.“

Zwei Bäume pro Jahr pflanzen

Was kann das konkret bedeuten? Global betrachtet werden solche Gleichgewichtszustände erst möglich, sobald sich das weltweite Bevölkerungswachstum ausreichend verlangsamt hat. Die Industriestaaten des globalen Nordens werden umso deutlicher Alternativen zur Ideologie des permanenten Wachstums vorleben müssen. Für das Bauwesen, das für 60 Prozent des globalen Ressourcenverbrauchs verantwortlich gemacht wird, kann das eigentlich nur eines bedeuten: Wir bauen unsere Häuser in Zukunft aus Luft. In die Realität übersetzt heißt das: keine zusätzliche Inanspruchnahme von Böden als Bauland; vorrangige Nutzung des Bestands; Neubauten nur, wenn unbedingt nötig und dann mit einem so geringen ökologischen Fußabdruck wie technisch und sozial vertretbar. Und wenn jeder Erdenbürger zudem pro Jahr zwei Bäume pflanzt, könnten die Klimaziele noch erreichbar sein.

Dieser Paradigmenwechsel ist derzeit in allen Bereichen des Bauwesens bemerkbar. Eine noch bis 7. Juni im Ringturm laufende Ausstellung zeigt unter dem Titel „Das neue Bauen – sparsame Räume für die Zukunft“ knapp 50 Beispiele für ressourcenschonendes und energieeffizientes Bauen. Mit dem Begriff des „Neuen Bauens“ wird an die Reformbewegungen angespielt, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts das Bauen revolutionierten. Institutionen wie das Bauhaus spielten dabei eine zentrale Rolle und setzten Standards für eine streng rationale Formensprache.

Intuition allein reicht nicht mehr

Im Gegensatz dazu zeigt die Ausstellung im Ringturm eine Wunderkammer architektonischer Ausdrucksformen. Das ist nicht überraschend, handelt es sich doch um unterschiedliche Bauaufgaben, also Bürohäuser, Bildungsbauten, Produktionsgebäude und Wohnbauten, und unterschiedliche Materialien, Ziegel, Stahlbeton, Holz und Lehm. Gemeinsam ist allen Projekten das Bemühen, mit möglichst geringem Energieverbrauch im Betrieb auszukommen beziehungsweise über Fotovoltaik zu einem Plus-Energie-Gebäude zu werden, das mehr Energie produziert, als es verbraucht. Die Berücksichtigung der sogenannten grauen, für die Herstellung eines Gebäudes nötigen Energie relativiert das „Plus“ allerdings: Bis diese durch den nachhaltig produzierten Überschuss kompensiert ist, kann es Jahre dauern.

Dieser Umstand wird in der Ausstellung zwar angesprochen, er fehlt aber als Position in der ansonsten umfangreichen technischen Beschreibung der Projekte. Das liegt nicht an den Autoren – diese Daten sind derzeit kaum vorhanden. Eine in manchen Ländern wie Frankreich bereits verpflichtende EDP (environmental product declaration) ist erst für einen kleinen Teil der Produkte verfügbar. In der Ausstellung zeigt das Wiener Beratungsunternehmen Ofroom, wie man diese Daten visuell aufbereiten und dabei Produkte in Relation zueinander setzen kann. Das Bauwesen, das bisher keine besondere Eile mit der Digitalisierung hatte, kommt von dieser Seite genauso unter Druck wie die Architekturschaffenden. Intuition allein reicht heute nicht mehr. Es geht darum, die Präzision von Raumfahrtingenieuren mit der Empathie und der Geduld von Gärtnern zu kombinieren.

Balkone statt französischer Fenster

Mit dem Untertitel „Sparsame Räume für die Zukunft“ meint die Ausstellung aber nicht nur sparsamen Umgang mit Ressourcen, sondern auch das kostengünstige Wohnen. Präsentiert wird dazu unter anderem ein Projekt von Driendl Architects in Haiming (Tirol), ein Wohnbau mit 23 Wohneinheiten, der 2020 fertiggestellt wurde und zu einer Warmmiete von fünf Euro pro Quadratmeter angeboten werden konnte. Als Konstruktion kam eine wenig ökologische Stahlbetonmassivbauweise mit Vollwärmeschutz zum Einsatz, mit der aber immerhin Passivhaus-Standard erreicht wurde.

Die Architekten haben den Typus weiterentwickelt und für unterschiedliche Materialien durchkalkuliert. Derzeit stehen sie vor Baubeginn von drei viergeschoßigen Einheiten in der Innsbrucker Andechsstraße, wo sie den Freiraum zwischen Hochhäusern aus den 1960er-Jahren nachverdichten. Grünflächen gehen dabei keine verloren, da die Häuser bestehende asphaltierte Parkplätze überbauen. Das wirkt sich günstig auf die Grundkosten aus. Gespart wird, wo es nicht wehtut: Statt Balkonen gibt es französische Fenster, alle Sanitäreinheiten sind identisch und können daher kostengünstig in Serie vorgefertigt werden. Die Grundrisse kommen ohne Gänge aus und lassen Varianten vom Loft bis zur Dreizimmerwohnung zu.

Keine großen Gesten

Der Bautyp geht auf das Jahr 2015 zurück, als in ganz Österreich Unterkünfte für Geflüchtete geschaffen wurden und Architekten Alternativen zu Containerlösungen vorschlugen. Bekannte Beispiele sind die Projekte in Holzbauweise, die Andreas Postner und Konrad Duelli mit Hermann Kaufmann unter dem Namen „Transfer Wohnraum“ für Rankweil, Götzis und Dornbirn entwarfen, wo rund ein Drittel der Bewohner Fluchthintergrund hat.

Architektur kann sich bei solchen Aufgaben keine großen Gesten erlauben. Sie lebt von gut proportionierten Räumen, hochwertigen Materialien und präzise gelösten Details. Gefährlich wird es, wenn diese Kriterien zum gesellschaftlichen Grundkonsens über gute Architektur werden und alles Experimentelle und Festliche aus der Architektur verschwindet. Dann ist weniger tatsächlich weniger, wie man es etwa am Wettbewerbsergebnis für den neuen Zugang zum Schloss Belvedere sehen kann. Eines der wichtigsten Museen des Landes hätte Besseres verdient.

8. Mai 2024 Spectrum

Hotel The Hoxton Vienna: Gut, dass dieses Haus unter Denkmalschutz steht

Das „Gewerbehaus“ der Wiener Wirtschaftskammer war repräsentativ für eine Phase der Nachkriegsarchitektur, nun beherbergt es das Hotel The Hoxton. Das Ergebnis der Sanierung beweist: Es war richtig, dieses Haus unter Schutz zu stellen.

Man muss zweimal hinsehen, um in diesem Haus ein Baudenkmal zu erkennen. Zwischen 1952 und 1954 erbaut, steht es mit breiter Brust da, eine symmetrische Fassade mit zentralem Eingang, zehn Stockwerke hoch. Für die Wiener Wirtschaftskammer errichtet und unter dem Namen „Gewerbehaus“ bekannt, war das Haus repräsentativ für eine Phase der Nachkriegsarchitektur, die Elemente der Moderne mit Referenzen an die klassische Architektur verknüpfte.

Im konkreten Fall ist eine solche Referenz vor allem das mit grünem Naturstein gerahmte Eingangsportal, das leicht vorspringt und eine Tempelfront mit sechs Säulen andeutet, aber auch der über die volle Höhe steinverkleidete Mittelteil der Fassade lässt sich als monumentale Säulenfront interpretieren. Die an diese Front im Winkel von 45 Grad anschließenden verputzten Bauteile könnten dagegen vom Bauhaus stammen. Auch im Inneren gibt sich das Haus moderat modern. Die zweigeschoßige Eingangshalle ist klassisch in der Anlage, aber modern in den Details und Oberflächen, und im Auge des großzügigen Treppenhauses schraubt sich ein Lichtband dynamisch nach oben.

Der Entwurf des Hauses stammt von Carl Appel, einem der produktivsten Wiener Architekten der Nachkriegszeit. Allein und in diversen Partnerschaften zeichnete er unter anderem für das alte Haas-Haus am Stephansplatz und für das Steyr-Daimler-Puch-Haus am Ring verantwortlich. Ersteres musste Hans Holleins Neubau weichen, Letzteres fiel 1987 einer Brandstiftung zum Opfer, die das Grundstück frei für die Errichtung der Ringstraßengalerien machte.

Ohne geeignete Nutzung entsteht eine Ruine

Von den großen Projekten unter Appels Beteiligung sind in Wien noch der Opernringhof und das stark veränderte Kaufhaus Neumann, heute Steffl, erhalten. Für die Unterschutzstellung des Gewerbehauses, die erst 2020 erfolgte, mag auch dieser Umstand eine Rolle gespielt haben. Appel war zwar das Feindbild der jungen Architektenszene der 1960er-Jahre, aber mit einer Werkliste von rund 100 realisierten Projekten doch eine relevante Figur.

Bei einem Objekt dieser Größe ist der umfassende Denkmalschutz, wie er hier ausgesprochen wurde, eine wirtschaftliche Herausforderung. Ohne eine geeignete Nutzung, die sich rentiert, entsteht kein Denkmal, sondern eine Ruine. Eine Nutzung als Hotel bot sich schon aufgrund der Lage in der Nähe des Stadtparks an. Der neue Eigentümer des Hauses, die JP Immobiliengruppe, ist in dem Bereich mit 18 entwickelten Hotelprojekten ausgewiesen. Dazu zählt das 25 Hours Hotel an der Lerchenfelder Straße, ebenfalls ein Bau der Nachkriegsmoderne, der zwar nicht unter Denkmalschutz steht, aber trotzdem respektvoll saniert und um drei Geschoße aufgestockt wurde. Die Verkleidung der Bestandsgeschoße mit Waschbetonplatten blieb erhalten, wurde aber schwarz imprägniert. Als wahrscheinlich einziges schwarzes Haus innerhalb des Gürtels macht es eine erstaunlich gute Figur.

Den Entwurf reichte das interdisziplinäre Büro BWM Architektur & Design ein, das nicht nur zahlreiche Hotelprojekte geplant hat, in Wien neben dem 25 Hours Hotel unter anderem das Topazz, das Indigo und Innenräume für das Hotel Sacher. In Bad Gastein haben BWM mit dem Hotelensemble am Straubingerplatz einen denkmalgeschützten Bestand ertüchtigt und den Hotel-Hochhäusern aus dem 19. Jahrhundert ein weiteres spektakuläres hinzugefügt. BWM haben auch eine starke theoretische Seite, wie ihre Ausstellungsgestaltungen, etwa für das Literaturmuseum und das Haus der Geschichte in der Hofburg beweisen. Speziell zum Thema historische Bausubstanz ist eine Bewertungsmethodik für die Nachkriegsmoderne von 1945 bis 1979 im Auftrag der Stadt Wien zu erwähnen, an der Erich Bernard, einer der Gründer von BWM, beteiligt war.

Der Auftrag für die denkmalgerechte Sanierung des Gewerbehauses für eine Hotelnutzung forderte BWM auf mehreren Ebenen: Erstens ging es um die Sanierung in Bezug auf Brandschutz und Wärmedämmung. Zweitens um die Vermittlung zwischen den Interessen der zukünftigen Pächter, der zum französischen Accor-Konzern zählenden Marke The Hoxton, und den Vorgaben des Denkmalamts. Die Innenausstattung wurde von einer Abteilung von Accor übernommen, Ennismore Lifestyle, die zentral für Konzeption und Design des Erscheinungsbildes von 14 Hotelmarken mit jeweils mehreren Häusern verantwortlich ist. Das Motto von The Hoxton lautet: „A good neighbour with an open house“. Dass es im ehemaligen Gewerbehaus im obersten Geschoß keine Luxussuiten gibt, sondern eine öffentliche Dachterrasse mit Bar und offenem Pool, verdankt sich dieser Idee.

Die für die Dachterrasse geopferten Nutzflächen kompensierten BWM durch eine Aufstockung an der Rückseite des Hauses, wo eine eingeschoßige verglaste Box mit sechs Hotelzimmern über dem bestehenden Veranstaltungssaal schwebt – ein einigermaßen surrealistischer Eingriff in die Substanz, dem das Denkmalamt zustimmte. Flexibel zeigte sich das Denkmalamt auch an anderen Punkten, etwa im Umgang mit der Eingangshalle und ihren Windfängen. BWM polierten die subtil geschwungenen Oberflächen der 1950er-Jahre auf und reduzierten die bestehenden Windfänge auf ein Gerüst, in dem kleine Sitzbuchten entstehen. Das etwas plüschige Mobiliar folgt den Komfortvorstellungen der Betreiber. Die Atmosphäre der Halle hat sich damit im Vergleich zu Wirtschaftskammer-Zeiten radikal verändert, aus Nutzersicht eindeutig zum Besseren.

Eine radikalere Auffassung von Denkmalschutz, die nicht nur die Bausubstanz, sondern auch die Atmosphäre erhalten möchte, hätte mit dem Ergebnis wohl Schwierigkeiten. Die aktuelle Praxis der österreichischen Denkmalpflege lässt mehr Innovation im Bestand zu, um die technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen und eigene, zeitgenössische Akzente zu setzen.

Überraschungen auf technischer Ebene hatte das Projekt einige zu bieten. Die Primärkonstruktion aus Stahlbeton mit Ziegelausfachung musste verstärkt, zusätzliche Treppen und Lifte eingebaut werden. Für den Brandfall musste eine Sprinkleranlage installiert werden, um zu verhindern, dass sich ein Brand über die französischen Fenster rasch von einem Stockwerk zum nächsten ausbreiten kann. Die wirtschaftlich gravierendste Überraschung bot die Natursteinfassade, deren Cipollino-Marmor sich als nicht sanierbar herausstellte und komplett erneuert werden musste.

Weniger kostspielig, aber ziemlich vertrackt war die Frage der Geländer der Haupttreppe, deren Stäbe 13 statt der heute zulässigen zwölf Zentimeter Abstand voneinander haben. Sie einfach mit einem Hüllrohr zu verstärken hätte die Proportionen der Treppe ruiniert. BWM schlugen ein Stahlnetz vor, das als Absturzsicherung wie ein Schlauch über die volle Höhe des Treppenauges gespannt ist. Das Lichtband – aus LEDs statt der ursprünglichen Neonröhren – schraubt sich jetzt in einem Käfig nach oben.

Das Gesamtergebnis beweist, dass die Unterschutzstellung dieses auf den ersten Blick wenig attraktiven Hauses gerechtfertigt war. In der Kooperation zwischen Eigentümer, Hotelbetreiber und Architekt war das Denkmalamt oft das Zünglein an der Waage, das baukulturelle Qualitäten einmahnen konnte, die sonst unter den Tisch gefallen wären. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Projekt Vorbildwirkung entfaltet, auch über den Denkmalschutz hinaus.

6. April 2024 Spectrum

Im Chaos um die Ecke denken: Personale über Hermann Czech in Wien

Eine längst fällige Ausstellung zeigt eindrucksvoll das Gesamtwerk von Hermann Czech,
des derzeit einflussreichsten österreichischen Architekten und Architekturtheoretikers.

Die „Personale“ als Ausstellungsformat ist im Architekturbereich weitgehend passé. Aktuell zeigt das Museum für angewandte Kunst eine Ausstellung über „Protestarchitektur“, von der Barrikade des 19. Jahrhunderts bis zu den Protestcamps der Occupy-Wallstreet-Bewegung, während das Architekturzentrum Wien sich des Themas „Tourismus“ annimmt. Hier geht es nicht um Autorenschaft und Werke, sondern um die größeren Zusammenhänge.

Wenn heute Personalen gezeigt werden, dann oft mit einer zusätzlichen Agenda, etwa den eurozentrischen Blick zu brechen oder eine Ausgewogenheit aus Genderperspektive herzustellen. Angesichts der männlich dominierten kuratorischen Praxis der vergangenen 50 Jahre heißt das für männliche, weiße und westliche Architekten, sich ziemlich lange ziemlich weit hinten anstellen zu müssen.

Älter als der Papst

Dass man mit dieser Tendenz, würde sie ausnahmslos durchgezogen, auch einiges versäumt, beweist als Ausnahme, die die Regel bestätigt, die derzeit in der Galerie FJK3 – Raum für zeitgenössische Kunst laufende Personale über Hermann Czech, auf den neben den oben genannten Kriterien von männlich, weiß und westlich noch ein weiteres Klischee zutrifft, nämlich das Alter.

Czech ist älter als der Papst, wenn auch nur um ein paar Wochen und ohne jeden Hang zur Dogmatik. Dass Czech bei der jüngsten Architekturbiennale im Team mit dem Architekturkollektiv AKT einen der besten österreichischen Beiträge in der Geschichte der Biennale entwickelt hat, war ein Zeichen von erfreulicher Agilität.

Die Ausstellung in den Räumen der Galerie FJK3 – der Name steht für Franz-Josef-Kai 3 – wurde von einem Kuratorinnenteam aus Claudia Cavallar, Gabriele Kaiser, Eva Kuß und Fiona Liewehr in Zusammenarbeit mit Hermann Czech entwickelt. Von Eva Kuß stammt auch das aktuellste, 456 Seiten starke Buch über Czech und sein Werk, das 2018 bzw. 2023 in der englischen, erweiterten Version bei Park Books erschienen ist und gewissermaßen den monumentalen Katalog zur Ausstellung darstellt. Ergänzt wird dieses Material um einen Stadtplan mit der Verortung aller Projekte, die Czech für Wien entworfen hat.

»Denken zum Entwurf«

Die 430 m² großen Räume der FJK3-Galerie eignen sich perfekt für eine Ausstellung über Czechs Arbeit. Sie bestehen aus den Erdgeschoß- und Kellerräumen eines Zinshauses aus der Zeit um 1900, die eine an die unterschiedlichen Baufluchtlinien angepasste, abwechslungsreiche Sequenz von Situationen mit Seiten- und Oberlicht ergeben. Das passt gut zum Titel der Ausstellung „Ungefähre Hauptrichtung“, den Czech schon als Titel für eine 2021 erschienene Sammlung seiner Texte gewählt hat. Als schreibender Architekt sieht Czech sich in der Tradition von Otto Wagner, Adolf Loos und Josef Frank, die alle über eine praxisorientierte Architekturtheorie verfügten, die Czech als „Denken zum Entwurf“ bezeichnet.

Im Originalton 1996: „Gegenstand der Architektur ist nicht das architektonische Objekt. Das Thema der Architektur ist zunächst der genutzte Raum, die definierte und strukturierte Leere im und am Objekt, und diese Leere ist weiters vermittelt durch eine persönliche, soziale und historische Sicht – durch eine Individualität. Das Thema der Architektur ist also immateriell. Gegenstand der Architektur ist der architektonische Gedanke. Obwohl das architektonische Objekt also etwas Transzendierendes, nicht aus und für sich selbst Bestehendes ist, gerinnt es doch zu etwas Fassbarem, wird gezeichnet und hergestellt, fotografiert und beurteilt, wogegen das, woraus es erst verständlich wird, wofür es dienen soll, unsichtbar bleibt. Aber indem alle unsichtbaren Bestimmungsgründe hier zum Ausdruck kommen, teilen alle Bau-Teile mit, wie und warum sie entstanden sind. Die konstruktiven, ökonomischen, gesellschaftlichen Bedingungen sind in jeder architektonischen Form enthalten. Architektur gewinnt deshalb einen realen Charakter des „Objekts“. Das ist ihr Reichtum, der allem Bemühen um plastische, skulpturale Form weit überlegen ist.“

Vermittlung »architektonischer Gedanken«

Folgerichtig verfügt Czech nicht über ein „Formenvokabular“, aus dem er eine Architektursprache artikulieren würde, sondern über einen Werkzeugkasten, mit dem er an Aufgaben herangeht. Ein konkretes Beispiel ist die Hängelinie, die Czech in einem seiner ersten Projekte, dem Kleinen Café, zum Einsatz bringt, um Spiegelnischen, die ihrerseits auf die Loos-Bar Bezug nehmen, einen weicheren oberen Abschluss zu geben.

Durchhängen dürfen später so unterschiedliche Dinge wie der Boden des Restaurants Salzamt, der Laufsteg der Stadtparkbrücke und die Decke des Plenarsaals im Parlament, die leider nur Entwurf geblieben ist, eine luftgefüllte Blase aus transluzenter Kunststofffolie, die bedrohlich über den Köpfen der Parlamentarier gehangen wäre.

Die inhaltlich dichte, aber luftig präsentierte Ausstellung folgt weder einer chronologischen noch einer strikten thematischen Ordnung. An einer Stelle zusammengefasst sind die unmittelbar politisch aufgeladenen Projekte wie der städtebauliche Entwurf für die Überbauung der SS-Kaserne Oranienburg oder die Ausstellungsgestaltung „1938“ im Rathaus. Auch die zahlreichen Restaurants und Cafés bilden eine Gruppe, aber ansonsten geht es tatsächlich um die Vermittlung jener „architektonischen Gedanken“, von denen Czech in seiner Theorie spricht.
Dieser Akzidentismus hat Zukunft

Die hölzerne, nur 50 Zentimeter breite Treppe, die für die Ausstellung in einen Luftraum der Galerie eingepasst wurde, ist ebenso gebaute Theorie: Diese Treppe bietet einen dramatischen Aufstieg, bei dem man mehrmals die Richtung wechseln muss und leicht verwirrt oben ankommt. In der Beengtheit wird einem bewusst, dass der Nutzwert im leeren Raum steckt, und dass die unbestreitbare skulpturale Qualität der Treppe als Objekt nur ein Nebeneffekt ist.

Josef Frank hat in diesem Zusammenhang von „Akzidentismus“ gesprochen, der Kunst, die Umwelt so zu gestalten, als sei sie durch Zufall entstanden. Entlastet von ideologischen Perfektionsansprüchen steht diese Architektur da, leicht, komfortabel und anschlussfähig an das Chaos unserer postmodernen Welt. Hermann Czechs Werk beweist, dass dieser Akzidentismus Zukunft hat.

1. März 2024 Spectrum

Kippt das Klima schneller als die Stimmung unter den Architekten?

Es hat lange gedauert, bis die drohende Klimakatastrophe als zentrale Herausforderung für das Bauen erkannt wurde.

Die Fakten sind hinlänglich bekannt: Wenn es nicht gelingt, die Erderwärmung auf ein Ausmaß von plus 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu beschränken, wird es ungemütlich auf unserem Planeten. Konkret bedeutet das unter anderem, dass beim Überschreiten dieses Durchschnittswerts keine Ernährungssicherheit für die wachsende Weltbevölkerung mehr gegeben wäre. Im Jahr 2015 haben sich 195 Staaten in Paris auf das 1,5-Grad-Ziel verpflichtet.

2018 erstellte das Intergovernmental Panel for Climate Change, kurz IPCC, einen Bericht, nach dem dieses Ziel sinnvoll und noch erreichbar wäre, allerdings mit großen Anstrengungen bereits in den Jahren vor 2030. Die EU hat sich daher eine Reduktion der CO2-Emissionen um 55 Prozent bis zu diesem Datum als Ziel gesetzt.

Das Bauwesen trägt zu diesen Emissionen mehr bei als jeder andere Sektor der Wirtschaft. Das mag überraschen, war man doch seit den 1970er-Jahren gewöhnt, das Problem vor allem im Energieverbrauch für das Heizen und Kühlen unserer Häuser zu sehen. Die Sorge galt der Frage, ob die Öl- und Gasreserven dafür ausreichen.

Verantwortlich für 60 Prozent des Ressourcenverbrauchs

Dass wir es nicht mit einem Energie-, sondern mit einem Emissionsproblem zu tun haben, wurde erst Anfang der 1990er-Jahre klar, als die Beweise für den menschengemachten Klimawandel nicht mehr zu leugnen waren.

Die Menschheit hat, zumindest auf längere Sicht betrachtet, kein Energieproblem. Allein die Sonne liefert 10.000 Mal mehr Energie, als wir verbrauchen, dazu kommen Wind- und Wasserkraft. Das ändert allerdings nichts daran, dass das Bauwesen zusätzlich zu Heizung und Kühlung noch massiv zu den globalen klimaschädlichen Emissionen beiträgt.

Das liegt einerseits an den fossilen Energien, die für die Herstellung von Baumaterialien nötig sind. Allein die Zementindustrie trägt fünf bis sieben Prozent zu den globalen Emissionen bei. Da diese Materialien oft über weite Strecken transportiert werden, entstehen zusätzliche Emissionen, die dem Bauwesen zuzurechnen sind. Andererseits kommen noch die Abbruchmaterialien dazu, die viel zu günstig deponiert werden können.

Alles in allem ist das Bauwesen in den Industrienationen für 60 Prozent des Ressourcenverbrauchs, 50 Prozent des Mülls, über 35 Prozent des Energieverbrauchs und letztlich über 50 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.

Moratorium für den Neubau

Die Planenden in den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen mussten sich erst daran gewöhnen, als Teil des Problems betrachtet zu werden und nicht mehr ausschließlich als Erfinder neuer Welten. Dass es ein paar Jahre gedauert hat, bis das Emissionsthema im Bauwesen von den Rändern ins Zentrum gerückt ist, lag wohl darin begründet, dass im Kern jeder Antwort der Begriff „weniger“ stehen muss: weniger Boden verbrauchen, weniger neu bauen, stattdessen Leerstände nutzen und umbauen. Nur langsam sickerte die Erkenntnis durch, dass es auch ohne Neubau so etwas wie Fortschritt in der Architektur geben könnte.

Heute ist die Stimmung gekippt: Die Architekturszene ist auf das Thema fokussiert wie nie zuvor. Radikale Forderungen jüngerer Kolleginnen und Kollegen nach einem Moratorium für den Neubau oder zumindest für den Abriss werden als kreative Provokation diskutiert. Die Pioniere der Kreislaufwirtschaft im Bauen, die sich seit vielen Jahren diesem scheinbar wenig attraktiven Thema widmen, bekommen die Anerkennung, die sie verdienen.

An den Universitäten beginnt eine Umstellung der Curricula in Richtung einer ganzheitlichen Betrachtung, bei der es um dynamische Systeme und nicht um statische Objekte geht. Zukünftige Architektinnen und Architekten müssen lernen, die Präzision von Weltraumingenieuren mit der Geduld von Gartenarchitekten zu verbinden.

Großer Leerstand

Auch die Kammer der Ziviltechniker:innen hat reagiert und vor wenigen Tagen ein Positionspapier mit dem Titel „Klima, Boden & Gesellschaft – Positionen zum verantwortungsvollen Planen und Gestalten“ veröffentlicht, bei dessen Präsentation sie die von den Sozialpartnern ins Spiel gebrachte Idee eines „Eigenheimbonus“ massiv kritisierte. „Aktuell auf Neubauten und somit auf Versiegelung zu setzen, um die Bauwirtschaft anzukurbeln“, gleiche der „Forderung nach einer neuen Pandemie, um mehr Patienten behandeln zu können“. Das Positionspapier stellt in vier Kapiteln den Beitrag vor, den gute Planung und Gestaltung zu einem effektiven und sozial gerechten Klimaschutz leisten können.

Beim Architekturfestival TurnOn, das vorige Woche in Wien stattfand, war das Thema ebenso bereits im Festvortrag von Andreas Hofer präsent, dem Intendanten der IBA27, der Internationalen Bauausstellung der StadtRegion Stuttgart, die 2027 eröffnet wird. Er fühle sich manchmal als „Suchtberater“ in einer Welt, die süchtig geworden sei nach immer mehr Ressourcen, vom Bauland über die Wohnfläche pro Person bis zum Energieverbrauch. Die IBA Stuttgart möchte zeigen, welche neuen Symbiosen, etwa zwischen Wohnen und Produktion, in einem hoch industrialisierten Umfeld möglich sind.

Auch in der Podiumsdiskussion von TurnOn zum Thema „Bodenverbrauch“ ging es sehr bald um das Thema Leerstand. Laut einer Analyse der Statistik Austria, die im Herbst publiziert wurde, stehen rund 653.000 von 4,9 Millionen Wohnungen leer.

Exzentrisches ist auch erlaubt

Noch dramatischer ist die Lage im gewerblichen Bereich. Während die leer stehenden Wohnflächen auf 12,5 km² geschätzt werden, sind es bei Industrie- und Gewerbeflächen fast zehnmal so viele. Wie sich solche Leerstände anders nutzen lassen, zeigte bei TurnOn das Büro Smartvoll, das an der Salzburger Peripherie für den Projektentwickler Marco Sillaber an der Revitalisierung zweier Industriebrachen arbeitet. Beide Standorte – das Sony CD-Werk und ein Zentrallager des Universal Versand – gehörten einmal zu prominenten Unternehmen. Das Potenzial dieses Bestands liegt in seiner enormen Dimension, die mit Lichthöfen nutzbar gemacht wird. Der im Lager des Universal Versand verbaute Beton entspricht mit rd. 63.000 Tonnen 0,5 Prozent des jährlich in Österreich anfallenden Bauschutts, die nun nicht deponiert, sondern weitergenutzt werden.

Bei so viel smartem Pragmatismus war man froh, bei TurnOn auch Exzentrischem zu begegnen, wie etwa Peter Haimerls Wabenhaus für die bayrische Wohnbaugenossenschaft Wogeno. Was auf den ersten Blick nach ornamentaler Fassadenakrobatik aussieht, hat ein raffiniertes Erschließungskonzept, das ungewöhnliche Raumkombinationen erlaubt. Sähen alle Häuser so aus, könnten wir das 1,5-Grad-Ziel wohl nie erreichen. Ab und zu vom Leben in der Schräge zu träumen sollte man sich von diesem Ziel aber nicht verbieten lassen.

5. Februar 2024 Spectrum

Wiener Nordbahnhofareal: Was für eine Stadt wird das?

Gemäß dem Slogan „Freie Mitte und vielseitiger Rand“ wird auf dem Wiener Nordbahnhofgelände der zentrale Grünraum als Stadtwildnis frei gehalten und die Randzone verdichtet. Die Umsetzung stellt sich komplexer dar als gedacht.

Plötzlich ist sie da, die Zukunft. Vor 15 Jahren war die Bruno-Marek-Allee nicht mehr als zwei Striche auf einem Plan für die Bebauung des ehemaligen Nordbahnhofgeländes. Der Plan von 1992 ging auf ein städtebauliches Leitbild zurück, das Heinz Tesar und Boris Podrecca entworfen hatten. Es sah eine Blockrandbebauung vor, die an den bereits bestehenden großvolumigen Bürobauten in der Lasallestraße Maß nimmt und im Zentrum einen 200 mal 200 Meter großen Park ausspart, den heutigen Rudolf-Bednar-Park.

Auf dem Areal rundherum entstand eine Struktur, die mit dem Begriff „Blockrandbebauung“ nicht ganz korrekt bezeichnet ist. Die Straßen folgen zwar einem orthogonalen Raster, aber für die Bebauung haben sich bis auf wenige Ausnahmen jene Bautypen durchgesetzt, die Wiens Bauträger am liebsten haben: Zeilen und kompakte frei stehende Punkthäuser mit Abstandsgrün und der Aussicht auf maximale Rendite.

Mehr Grün bedeutet Kosten sparen

Es war nicht überraschend, dass die Stadt Wien für das restliche Nordbahnhofareal einen neuerlichen Wettbewerb ausschreiben ließ, bei dem eine Fortsetzung der Blockrandstruktur nicht zwingend vorgeschrieben war. Das Konzept des Siegerprojekts von Bernd Vlay und Lina Streeruwitz lässt sich in einen einfachen Slogan gießen: „Freie Mitte und vielseitiger Rand“. Es sieht vor, die Mittelzone des Areals als „Stadtwildnis“ frei zu halten und dafür die Randzone stark zu verdichten.

In der Gegenüberstellung mit dem Blockraster ist die Idee unmittelbar überzeugend: Es entsteht ein sehr großer zusammenhängender Grünraum, der mit weniger Erschließung auskommt, was Kosten für teure Straßen einspart. Und weil die Häuser in die Höhe wachsen, reduziert sich – bei gleichbleibendem Volumen – das Ausmaß der schwer vermietbaren Erdgeschoßzonen, die gleichzeitig durch die Verdichtung von einer höheren Frequenz profitieren.

Hauptschlagader des Areals

In der Umsetzung stellt sich die Idee komplexer dar. Die hohe Dichte am Rand bedingt Gebäudehöhen, die wegen zusätzlicher bautechnischer Auflagen teurer kommen. Grundeigentümer können damit ein Argument finden, noch ein paar einträgliche Geschoße auf ihr Projekt aufstocken zu lassen, wodurch sich die Dichte weiter erhöht.

Schwierig zu lösen ist auch die Frage, wer für die Pflege des in dieser Dimension nicht geplanten zentralen Freiraums zuständig ist. Im konkreten Fall verfolgten die Architekten gemeinsam mit den französischen Landschaftsplanern Agence Ter den Ansatz, die freie Mitte zur pflegeleichten Stadtwildnis zu erklären, die weiterhin den romantischen Charme des aufgelassenen Bahnhofsareals verströmen soll.

Die Bruno-Marek-Allee, die das Gebiet parallel zur Schnellbahn vom Praterstern bis zur Freien Mitte auf einer Länge von 800 Metern durchzieht, ist die Hauptschlagader des Areals. Stadtauswärts läuft sie auf den Millenniumstower zu, stadteinwärts mündet sie in den Austria Campus, einen gigantischen Bürokomplex, der am Beginn der Allee vier Blockrandfelder beansprucht. Warum diese große Achse dann genau auf die Quadratlochfassade eines Bürohauses zuläuft, die bestenfalls Hinterhofqualität hat, bleibt ein städtebauliches Rätsel.

Schichtung mehrgeschoßiger Baukörper

Das Areal, das jetzt unter dem Namen Freie Mitte Nordbahnhof zusammengefasst wird, gliedert sich in acht Baufelder unterschiedlicher Dichte, worunter die auf einem Baufeld erzielbare Summe der Geschoßflächen dividiert durch die Grundfläche des Baufelds verstanden wird. Sie reicht in diesem Fall von einem Dichtewert von 2,5 nordöstlich der Stadtwildnis bis zu einem Wert von 5,0, der vor allem an der Nordbahnstraße erzielt wird, die jenseits der Stadtbahn parallel zur Marek-Allee verläuft. Möglich wird diese sehr hohe Dichte nicht zuletzt durch Hochhäuser mit Höhen zwischen 60 und 98 Metern, von denen die höchsten direkt an der Stadtwildnis gelegen sind.

Bereits fertiggestellt und bezogen ist ein Hochhaus am anderen Ende der Marek-Allee, das nach einem Entwurf von Querkraft Architekten vom Bauträger Strabag Real Estate errichtet wurde. Mit 60 Meter Höhe gehört das Taborama in eine Kategorie, die vor Jahren in einem Hochhauskonzept für Innsbruck als „Stadtelefant“ bezeichnet wurde. Es ist kein Turm, sondern eine Schichtung von vier mehrgeschoßigen Baukörpern, die locker übereinandergesetzt sind, sodass zwischen ihnen jeweils ein Fugengeschoß verbleibt. In diesen Geschoßen ist die Fassade so weit zurückversetzt, dass durchgehende Balkone entstehen, was es erleichtert, hier nicht nur Wohnungen, sondern auch Büroflächen unterzubringen.

Bibliothek und Boulder-Raum

In den übrigen Geschoßen sind die Balkone zwar individualisiert, aber Teil einer gemeinsamen begrünten Schichte vor der eigentlichen Fassade. Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass der Vorhang aus Rankgerüsten im ersten und im dritten der gestapelten Blöcke dichter ausfällt als in den beiden anderen. Ursache dafür ist der Brandschutz, der einer durchgehenden Begrünung nicht zustimmte. So gibt es jetzt nur in den „intensiv“ begrünten Etagen Pflanztröge mit automatischer Bewässerung.

Überraschend für ein frei finanziertes Projekt ist das Angebot an gemeinsam genutzten Flächen. Es inkludiert eine kurzzeitig anmietbare Gästewohnung sowie ein Schwimmbecken auf der obersten Etage und in jedem zweiten Geschoß einen doppelt hohen Gemeinschaftsraum mit speziellen Angeboten, die von der Bibliothek bis zum Boulder-Raum reichen. Eine solche Ausstattung findet man in Wien üblicherweise bei Baugruppenprojekten, und es ist erfreulich, dass diese zumindest in Einzelfällen ansteckend auf den Mainstream wirken.

Nahe am Kitsch?

Wer nach innovativen Baugruppenprojekte sucht, findet am Ende der Bruno-Marek-Allee, an der Stadtwildnis gelegen, das Projekt HausWirtschaft des Büros Einszueins („Spectrum“, 25. November 2023): eine Baugruppe, die speziell auf die Interessen von Einpersonen- bzw. Kleinunternehmen zugeschnitten ist. Mit einer Kombination von 50 Prozent Wohn- und 50 Prozent Gewerbefläche mit gemeinsam nutzbarer Infrastruktur ist der Baugruppe ein durchschlagender Erfolg in einem Marktsegment gelungen, das von Bauträgern wegen des im Vergleich zum reinen Wohnbau höheren Vermietungsrisikos eher gemieden wird. Es bleibt zu hoffen, dass sich in den Erdgeschoßzonen im gesamten Areal ähnlich innovative Nutzungsmodelle entwickeln werden.

Ein Besuch im neuen Stadtteil lohnt sich jedenfalls, auch wenn viele Objekte noch in Bau und manche Straßen für Passanten noch nicht zugänglich sind. Die Bebauungsdichte an der Nordbahnstraße wird Anlass zur Diskussion geben, und auch die Stadtwildnis wirft noch Fragen auf: Kann es hier, angesichts des rundum massenhaft vergossenen Betons, wirklich eine Wildnis geben? Und ist eine künstliche Wildnis nicht ein Paradoxon, das gefährlich nahe am Kitsch liegt?

5. Januar 2024 Spectrum

Mehr (schönen) Platz für Fußgänger

Was nützen optimierte Ampelphasen, Barrierefreiheit und breitere Gehsteige, wenn der öffentliche Raum per se unattraktiv ist? Straßenzüge sind verödet, es fehlt an schattenspendenden Bäumen und unversiegelten Flächen, auf denen Fußgänger rasten können.

Wien wächst rasant. Von 2012 bis 2021 betrug das Bevölkerungswachstum im Schnitt 21.500 Personen pro Jahr. Der öffentliche Raum wird dabei zu einer umkämpften Ressource. Er ist Teil des Verkehrssystems, aber zugleich ein Raum zum Flanieren, ein öffentliches Wohnzimmer im Freien und mit seinen Gärten, Parks und städtischen Landschaftsräumen ein Ort, der uns das Paradies in Erinnerung rufen kann. In Wien wurden nach Erhebung der Wiener Linien im Jahr 2022 26 Prozent aller Wege mit dem Pkw, 35 Prozent zu Fuß und 30 Prozent mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zurückgelegt. Die restlichen ­Prozent entfallen auf den Fahrradverkehr. Bemerkenswert ist, dass der Anteil des Fußgängerverkehrs seit 2019 um neun Prozentpunkte gewachsen ist.

Das sind im internationalen Vergleich gute Werte, auch wenn Städte wie Amsterdam beweisen, dass ein Anteil des Fahrrads von 50 Prozent möglich ist. Dieser Wert geht dort jedoch nicht auf Kosten des Pkw, dessen Anteil etwa gleich hoch ist wie in Wien, sondern auf Kosten des öffentlichen Verkehrs. In Wien sollte das Bevölkerungswachstum durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs in neue Stadterweiterungsgebiete und durch eine Erhöhung des Rad- und Fußgängeranteils auf Kosten des Pkw bewältigbar sein. Der aktuelle Stadtentwicklungsplan sieht vor, dass 2025 nur noch 20 Prozent aller Wege mit dem Auto zurückgelegt werden.

Auch ein Beitrag zum Klimaschutz

Noch ist Wien aber eine Stadt, deren öffentlicher Raum vom Pkw dominiert wird. Um das zu ändern, betreibt die Stadt Wien seit 2011 eine Mobilitätsagentur zur Förderung des Radverkehrs, in die seit 2013 auch der „Fußverkehr“ inkludiert ist. Dieser Begriff klingt seltsam, als wären da isolierte Füße unterwegs, die man vom Körper abmontieren könnte. Das Zu-Fuß-Gehen unterscheidet sich aber von den anderen Fortbewegungsformen gerade dadurch, dass alle Sinne am Gehen beteiligt sind. Pkw-Fahrer sind in ihrer Konserve eingeschlossen und körperlich kaum an der Bewegung beteiligt; Fahrradfahrer müssen vor allem in der Stadt den Großteil ihrer Aufmerksamkeit aus blankem Überlebenswillen ihrer unmittelbaren Umgebung widmen. Nur Fußgänger haben zumindest die Chance, den öffentlich Raum aufmerksam zu erfassen und zu genießen. Daher sollte die Perspektive der Fußgänger jene sein, mit der sich Stadtplanung und Stadtgestaltung am intensivsten befassen. In der Konkurrenz um Raum und Geld musste sich der Fußgängerverkehr aber bis vor wenigen Jahren ganz hinten anstellen.

Im Jahr 2014 legte die Mobilitätsagentur ein „Strategiepapier Fußverkehr“ vor, das ganzheitlich an das Thema heranging, nämlich sowohl von der Verkehrsplanung wie von der Stadtgestaltung her. Was nützen optimierte Ampelphasen, Barrierefreiheit und breitere Gehsteige, wenn der öffentliche Raum per se unattraktiv ist? Daher forderte das Papier nicht nur eine technische Infrastrukturentwicklung, sondern auch eine „ästhetische Gestaltung“, die Platz für „Individualität und Originalität“ lassen und den öffentlichen Raum als „Wohnzimmer der Stadt“ etablieren sollte. Schließlich betrachtete das Papier das Thema auch als einen Bereich, in dem Wien international Aufmerksamkeit erzielen könnte. Seit 2021 fördert der Bund im Weg der Klima:aktiv-Mobilitätsförderung auch Maßnahmen zur Verbesserung des Fußgängerverkehrs.

Das ist logisch: Jeder Weg, der sich aufs Gehen verlagert, ist ein Beitrag zum Klimaschutz. Voraussetzung für eine Förderung ist das Vorhandensein eines „Masterplans Gehen“ für die jeweilige Gemeinde beziehungsweise in Wien für den Bezirk. Diese Förderung hat eine überraschende Eigendynamik entwickelt. Im Jahr 2023 wurden 21 Millionen Euro investiert, wobei die Stadt Wien zusätzlich zu den Bundesmitteln eine Finanzierung aus dem Programm „Lebenswerte Klimamusterstadt“ beigesteuert hat. Für zehn Bezirke liegen inzwischen Pläne vor, die im Auftrag des Bezirks erstellt wurden. Einen systematischen Zusammenhang mit anderen Strategiepapieren der Stadt, wie den Fachkonzepten des Stadtentwicklungsplans für Grün- und Freiraumplanung oder dem Klimafahrplan, ist nicht unmittelbar zu erkennen, aber durch die Einbindung der Magistratsabteilung für Stadtentwicklung und Stadtplanung in den Prozess gegeben.

Traurig ist es um die Fußgängerwelt bestellt

Für zehn Wiener Bezirke liegen derzeit Masterpläne vor, sechs weitere werden heuer folgen. Sie enthalten jeweils eine Defizitanalyse, die zeigt, wie traurig es vielfach um die Fußgängerwelt bestellt ist: Müllcontainer blockieren Gehsteige, Straßenzüge sind verödet, es fehlt an schattenspendenden Bäumen und unversiegelten Flächen, auf denen Fußgänger rasten können. Es gibt Nutzungskonflikte zwischen Mobilitätsformen, aber auch zwischen Generationen und Kulturen. Bei den Maßnahmen geht es entsprechend um eine fairere Verteilung des öffentlichen Raums zu Lasten des Pkw, also breitere Gehsteige und Vorplätze, etwa vor Schulen. Im Sinne einer Stadt der kurzen Wege, die im Idealfall alle alltäglichen Dienstleistungen im Umkreis von 15 Gehminuten anbietet, untersuchen die Masterpläne auch mögliche Durchgänge und Passagen zur Vermeidung von Umwegen. Ästhetische Fragen, etwa bezüglich Stadtmöblierung und Beleuchtung, kommen in den Masterplänen – anders als im „Strategiepapier Fußverkehr“ – nur am Rande vor. Das liegt möglicherweise daran, dass es für diese Themen eigene Papiere gibt, wie etwa die „Sitzfibel“ der Magistratsabteilung für Architektur und Stadtgestaltung.

Streitfall Michaelerplatz

Schade ist, dass für den ersten Bezirk kein „Masterplan Gehen“ existiert. Dort würde man Auskunft über einen aktuellen Streitfall der Stadtplanung erhalten, nämlich den ­Michaelerplatz. Aus Fußgängerperspektive kann man die Forderung nach Bäumen auf diesem Platz gut nachvollziehen. Wie ihr nach dem aktuellen Entwurf entsprochen werden soll, ist leider für eine Weltstadt beschämend. Ein Wasserspiel vor dem Loos-Haus, drei Bäumchen vor der Michaelerkirche, drei weitere neben dem Hollein-Graben, der seit Kurzem unter Denkmalschutz steht, und Pflanztröge mit eingebauter Terror-Abwehr. Dieses Klein-klein ist lächerlich und ruiniert den Dialog zwischen dem Loos-Haus und dem Portal der Michaelerkirche, von der Loos erklärte, dass zwischen ihr und seinem Haus „stilistisch kein großer Unterschied ist“.

Hermann Czech hat kürzlich in einem Vortrag über Fischer von Erlach einen Hinweis für eine Alternative gegeben: Im Bath Circus in England stehen in der Mitte einer kreisrunden, klassizistischen Bebauung aus dem 18. Jahrhundert sechs mächtige Platanen. Noch ist es nicht zu spät auch am Michaelerplatz nach einer kraftvollen Lösung ohne Wasserspiele und sonstigen Firlefanz zu suchen, die der Würde und Bedeutung dieses Platzes gerecht wird und gleichzeitig auf neue Bedingungen und Bedürfnisse der Stadtbewohner eingeht.

1. Dezember 2023 Spectrum

Wien Museum: Dieser Beton schwebt nicht

Das neue Wien Museum wirft viele Fragen auf: warum an diesem Ort eine Box aus rohem Beton? Warum ein neues Foyer, das niemand braucht? Warum eine Kutsche, die einen Wal jagt? Die Antworten bleiben kryptisch. Über unscharfes Denken als baukünstlerisches Erfolgsrezept.

Nach knapp fünf Jahren Exil öffnet das Wien Museum am Karlsplatz, frisch renoviert und erweitert, seine Räume fürs Publikum. Dem Architekturwettbewerb im Jahr 2015 waren intensive Diskussionen über den Standort und die Frage des Denkmalschutzes für das von Oswald Haerdtl entworfene Bestandsgebäude aus den 1950er-Jahren vorausgegangen. Vor allem in Kombination waren diese Fragen brisant. Dass der Karlsplatz ein optimaler Standort für ein Stadtmuseum ist, steht außer Frage. Ein Neubau hätte die Möglichkeit geboten, städtebaulich an die Aufgabe heranzugehen und gleichzeitig den Typus des Universalmuseums neu zu denken. Ob das auch unter der Vorgabe, Haerdtls mittelmäßigen Bestandsbau als Denkmal zu erhalten, gelingen könnte, war allerdings von Beginn an fraglich.

In der Einleitung zur Wettbewerbsausschreibung, gemeinsam verfasst vom „alten“ Direktor Wolfgang Kos und vom „neuen“ Direktor Matti Bunzl, fehlte es dennoch nicht an großen Erwartungen: „Keine Schatzkammer“, sondern eine „architektonische Vision“; ein „Labor der Zivilgesellschaft“; ein „Museum, das in der internationalen Museumswelt Vorbildwirkung hat“; eine „Wiener Sehenswürdigkeit der Top-Kategorie“. In der ersten Wettbewerbsstufe wurden 274 Projekte eingereicht, die sich im Spagat zwischen architektonischer Vision und Denkmalschutz versuchten. Die meisten Entwürfe lösten das Bestandsmuseum aus der Umklammerung mit dem später angebauten Nachbarn, der Winterthur-Versicherung, heraus und machten ihn dadurch wieder als Solitär auf Augenhöhe mit Künstlerhaus und Musikverein erlebbar.
Erweiterung des Bestands durch Zubauten und Aufstockung

Entscheidend war die Frage, wo die eingereichten Projekte die zusätzlich geforderten Volumina für die beinahe verdoppelten Ausstellungsflächen platzierten: in einem eigenständigen Baukörper vor dem Bestand mit unterirdischer Verbindung, wie es die Zweit- und Drittgereihten im Wettbewerb versuchten; als Verbindung von Alt und Neu zu einer neuen Gesamtfigur; oder als Erweiterung des Bestands durch Zubauten und Aufstockung. Bezüglich der letzteren Variante wird in der Ausschreibung angemerkt, dass „vonseiten des Bundesdenkmalamts eine Aufstockung oder ein weiterer Anbau an das Bestandsgebäude als nicht möglich erachtet wird“. Trotzdem konnte sich im Wettbewerb ein Projekt durchsetzen, das beides tat.

Das Projekt von Roland Winkler, Klaudia Ruck und Ferdinand Certov stockt den Bestand um zwei Geschoße auf und erweitert ihn um ein zusätzliches Foyer vor dem bestehenden Eingang. Im Modell sah das Projekt bestechend aus: ein kompakter Quader, durch ein verglastes Fugengeschoß getrennt über dem Bestand schwebend. Die innere Visualisierung des Quaders zeigte einen stützenfreien Raum mit einer Lichtdecke, ideal für Wechselausstellungen. Teile der Jury sahen in der scheinbaren Einfachheit eine Irreführung, vor allem angesichts des Versprechens, dass Alt- und Neubau sich nicht berühren, sondern die neuen Geschoße wie ein Pilz aus Stahlbeton aus dem bestehenden Hof wachsen würden. Die Jury blieb bis zum Schluss gespalten: Sechs der 15 Juroren stimmten gegen das Projekt.
Als hätte man dem Eingangsportal alle Zähne gezogen

Das Ergebnis, wie es heute am Karlsplatz zu sehen ist, hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Die schwebende Box ist eine starke Geste, die sicher Freunde finden wird. Fragt man die Architekten, warum sie an diesem Ort ausgerechnet mit rohem Sichtbeton arbeiten, ist die Antwort überraschend: Auch der Haerdtl-Bau sei ein schalraues Betonskelett, mit dem man in Dialog treten wollte. Aber ist das wirklich eine Begründung für eine brutalistische Box neben Karlskirche und Musikverein? Außerdem handelt es sich konstruktiv nicht um eine Konstruktion aus Stahlbeton, sondern um ein extrem aufwendiges Stahlfachwerk, das innen und außen mit Betonplatten verkleidet ist. Das mag bei oberflächlicher Betrachtung keinen Unterschied machen, fällt aber an der Unterkante der Box auf, wo das Stahltragwerk unangenehm, weil nicht zum Rhythmus der Haerdtl-Fassade passend, zum Vorschein kommt.

Ähnlich irritierend ist die Argumentation für das neue Foyer. Man muss hier angesichts der Entfernung der Eingangstüren von einer Zerstörung sprechen, als hätte man dem Eingangsportal alle Zähne gezogen und ihm einen Maulkorb verpasst. Auf die Frage, wozu es dieses Foyer braucht, geben die Architekten eine entwaffnende Antwort: Sie seien stolz darauf, einen Raum geschaffen zu haben, der seine Nutzung noch finden darf. Sollte ein zeitgemäßes Museum nicht vor allem aus Räumen mit solchem Aneignungspotenzial bestehen?
Zu viele unscharf gedachte Lösungen

Entsprechend durchdesignt ist das Innere des restlichen Museums. Sichtbeton in so überirdischer Qualität wie in der zentralen Halle findet man wohl in ganz Österreich nicht. Räumlich ist die Halle großes Theater mit schwebenden Exponaten, unter anderem einem Wal aus dem Wurstelprater, der vom Museum auf den Namen „Poldi“ getauft wurde. Hier darf er sich mit einer barocken Kutsche, Figuren aus dem Donner-Brunnen und Alfred Hrdlickas Holzpferd ein surrealistisches Wettrennen liefern. Neu eingefügte Treppen erlauben einen kontinuierlichen Rundgang durch die dicht präsentierte, chronologisch aufgebaute Dauerausstellung und in das Fugengeschoß mit großzügigem Kinderbereich, einem Saal für 300 Personen und einer Terrasse mit Blick auf die Karlskirche. Der Raum für Wechselausstellungen im obersten Geschoß ist zwar groß, aber schwer teilbar: Die Stahlkonstruktion macht sich hier mit zwei diagonal im Raum stehenden Elementen störend bemerkbar.

Internationale Vorbildwirkung wird das neue Wien Museum nicht entfalten. Trotz spürbarer Liebe zum Detail gibt es zu viele unscharf gedachte Lösungen, an die laufenden Diskurse um Ressourcenschonung und Angemessenheit der Mittel kann das Haus mit seiner unnötig komplizierten Konstruktion auch nicht anschließen. Keinesfalls sollte es denkmalpflegerisch zum Vorbild werden. Es wäre klüger gewesen, den Denkmalschutz für den Haerdtl-Bau aufzuheben und es den Planern zu überlassen, Teile des Bestands als Exponate zu erhalten. Statt Zerstörung mit Verstand zu betreiben, haben wir uns wieder an die Vergangenheit gebunden. Das Publikum wird sich daran nicht stoßen.

4. November 2023 Spectrum

Wohnen in Atzgersdorf: Scheu vor den Nachbarn sollte man hier nicht haben

Urbaner Nutzungsmix mit mediterranem Flair? Oder doch eine Betonwüste? Ein Wohnbau in Wien Atzgersdorf verbindet hohe Dichte mit abwechslungs­reicher Gestaltung. Reicht das?

Wohnen am Bach, mitten in Wien: Wahrscheinlich war das die Botschaft, die der Immobilienkonzern Buwog seinen Kunden mit dem Projektnamen „Rivus“, dem lateinischen Wort für „Bach“, vermitteln wollte. Inspiriert wurde der Name vom Liesingbach im 23. Wiener Gemeindebezirk, der zwar nicht unmittelbar, aber doch recht nah an dem Areal vorbeifließt, auf dem die Buwog über 800 Wohnungen und ergänzende Gewerbe- und Handelsflächen entwickelt hat.

Das Areal liegt in Atzgersdorf, an der stark befahrenen Breitenfurterstraße, die hier eine leichte Kurve macht. Die Nutzungen in der Umgebung reichen von Lagerhallen und ­Gewerbebetrieben über den großvolumigen Wohnbau bis zu Einfamilienhäusern, wobei die Zukunft tendenziell dem Wohnbau gehört. In einer ersten Bauphase entstanden acht würfelförmige Wohnhäuser mit rund 30 Meter Seitenlänge, ein Bautyp, der gern als „Stadtvilla“ bezeichnet wird. Im Schachbrett-Raster aufgestellt, erlauben sie eine hohe Bebauungsdichte, die allerdings damit erkauft wird, dass der öffentliche Raum zwischen den „Villen“ an den Ecken ausrinnt und oft zum Abstandsgrün verkommt.

Rasante Zunahme der Bodenversiegelung

Typologisch interessanter sind zwei von Lorenzateliers entworfene Baublöcke direkt an der Breitenfurterstraße, ein Wohnhaus mit Innenhof und Dachschwimmbad sowie ein Hybridgebäude mit mehreren übereinander gestapelten Nutzungen: ein Interspar-Markt mit Tiefgarage, darüber auf zwei Geschoßen eine Volksschule und Sportflächen auf dem Dach. Die Kombination von Schule und Supermarkt funktioniert gut, weil beide in der Regel ähnliche Einzugsbereiche haben und sich kaum stören. Angesichts der rasanten Zunahme der Bodenversiegelung sollte eine solche Stapelung zumindest im Stadtgebiet eine Selbstverständlichkeit sein. Auf der anderen Straßenseite zeigt ein Billa-Markt, wie es nicht sein sollte: eine große Asphaltfläche als Parkplatz mit einer in die Tiefe des Grundstücks versetzten Box. Mit etwas Fantasie kann man sich die Breitenfurterstraße als Boulevard vorstellen, allerdings erst, wenn diese unverantwortliche Art der Bodennutzung verschwunden ist.

Die letzte Bauetappe von Rivus wurde im Herbst 2022 fertiggestellt. Sie setzt die Bebauung an der Breitenfurterstraße auf einer Länge von rund 180 m und einer Breite von 60 m fort und bietet Platz für 290 Wohnungen und 2400 m² Geschäftsflächen. Letztere orientieren sich einerseits zur Breitenfurterstraße und andererseits zu einem öffentlichen Platz, an dem auch der Zugang zum Interspar-Markt liegt. Ursprünglich war das gesamte Areal als Einkaufszentrum gewidmet, auf dem ein innovativer Baumarkt mit Schwerpunkt „Urban Gardening“ geplant war. Als der Marktbetreiber aus dem Projekt ausstieg, entschloss sich die Buwog, auch hier frei finanzierte Mietwohnungen zu errichten. Die neue Bebauung unterscheidet sich radikal von den benachbarten Stadtvillen. Statt frei stehende Baukörper auf die grüne Wiese zu stellen, haben PPAG architects sieben Häuser zu einer feingliedrigen Struktur verschmolzen, in der die untersten Geschoße einen künstlichen Hügel bilden, in dem Garage, Kellerräume, Lager, Technik und Müllräume verschwinden. Darüber entwickeln sich auf unterschiedlichen Ebenen Platzfolgen, die als halb öffentliche Räume auch Besucher von außen einladen. Auf der Ebene des zweiten Obergeschoßes sind all diese Plätze miteinander verbunden.

PPAG haben auf die Gestaltung der Freiräume gleich viel Wert gelegt wie auf die Gestaltung der Gebäude. Das bedeutet, Freiraumplanung in der dritten Dimension zu betreiben und nicht als zweidimensionale Oberflächenkosmetik. Das erfordert Planungsstrategien, mit denen Stockwerk für Stockwerk eine Balance zwischen der inneren Qualität der Wohnungen und der Qualität der Lufträume, die sie erzeugen, gefunden werden muss. PPAG haben für diese doppelte Gestaltung eine Grammatik entwickelt, deren Ergebnis in zahlreichen Arbeitsmodellen kontrolliert wurde, bis eine räumlich befriedigende Lösung gefunden war. Besonders berücksichtigt haben PPAG das Thema der sommerlichen Überwärmung, indem auch schattige Freiräume geplant wurden.

Fensterläden, die den Wiener an Urlaub erinnern dürften

Die so entstandene Atmosphäre hat Ähnlichkeiten mit mediterranen, kleinteiligen Stadträumen, und PPAG bedienen diese Assoziation mit Fensterläden, die den Wiener an Urlaub erinnern dürften. Grün sind diese Höfe – so wie ihre mediterranen Vorbilder – nur bedingt: Der Garagensockel lässt nur wenige große Bäume zu. Pflanztröge, Hoch­beete und extensiv begrünte Dächer beleben die Außenräume, in die auch zahlreiche großzügig bemessene Balkone ragen. Scheu vor den Nachbarn sollte man hier nicht haben. Laut Homepage der Buwog sind 80 Prozent der Wohnungen vermietet, zu Nettomieten von knapp zwölf Euro, was inklusive Betriebskosten und Steuern für eine Wohnung von 52 m² brutto 830 Euro ergibt.

Die Begeisterung für das mediterrane Flair der Höfe wird nicht allgemein geteilt. Als „Der Standard“ im vergangenen Frühjahr ausführlich und sehr positiv über das Projekt berichtete, hagelte es Postings, die von einer „grauenhafte Betonwüste“ und vom „Verbrechen“ sprachen, „angesichts des aktuellen Wissenstands noch so zu bauen“. Man möge sich „endlich wieder die alten Bauten ansehen, angefangen vom Karl-Marx-Hof, mit Wiesen und Bäumen!“

Was wäre die Alternative in einer wachsenden Stadt? Doch Wohnen im Hochhaus? Alt Erlaa, dessen Terrassenhochhäuser ganz in der Nähe liegen, lässt grüßen. Oder sollte man vielleicht den Rahmen der Kritik ins Städtebauliche erweitern? „Ein neuer Stadtteilpark ist für die Freiraumversorgung der bestehenden und neuen Stadtteile in Atzgersdorf unablässig“, liest man in einem Strategieplan für den 23. Bezirk aus dem Jahr 2015. In diesem Fall hat die Stadt ihre Versprechen gehalten: Im Mai dieses Jahres wurde der Stadtteilpark Atzgersdorf mit 2,7 Hektar eröffnet, vom Rivus-Projekt aus gut in 700 m Distanz erreichbar. Ein weiterer Park mit drei Hektar wird unmittelbar gegenüber vom Rivus-Projekt entstehen. Das Konzept, hohe großstädtische Dichte abwechslungsreich zu gestalten und mit wohnungsnahen Parkanlagen zu verbinden, hat jedenfalls Zukunft und kann vielleicht auch Kritiker überzeugen.

6. Oktober 2023 Spectrum

„Bildet Banden“? Oder: „Macht euch keine Sorgen“? Neue Ausstellungen

Die Ausstellungssaison ist eröffnet, und es gibt viel Neues zu lernen: über Architektur als Pflegeberuf, Schwarm­intelligenz und den ewigen Kampf gegen die Schwerkraft. Eine Rundschau.

Hans Hollein, Österreichs bisher einziger Pritzker-Preisträger, hat zeitlebens hart an der Marke Hollein gearbeitet. Berüchtigt ist sein Beitrag für die „Absolut Vodka“-Kampagne 1999, für die er in einem Foto des Haas-Hauses am Stephansplatz die zylindrischen Fassadenkörper durch eine Vodka-Flasche ersetzte. Auf die Frage, ob das sein erster Ausflug in die Welt der Werbung sei, antwortete Hollein, als Architekt sei man sein Leben lang auf einem Werbefeldzug für sich selbst. Dass diese Haltung auch auf das Werk abfärbt, ist fast unvermeidlich. Spätestens Mitte der 1990er-Jahre hatte Hollein seinen Zenit überschritten, nach einer provokanten theoretischen Phase, auf die kleine Geschäftslokale folgten, die international Aufmerksamkeit erregten, sowie die großen Projekte der 1980er-Jahre: die Museen in Mönchengladbach und Frankfurt und das Haas-Haus in Wien. Danach war die Marke Hollein etabliert, erwies sich aber als Korsett, das kaum Entwicklung zuließ. Holleins provokanter Schlachtruf aus den 1960er-Jahren, „Alles ist Architektur“, der Möglichkeitsräume öffnen sollte, roch nun nach geschicktem Marketing. Rem Koolhaas verkehrte ihn schon Mitte der 1980er-Jahre ins Gegenteil: „Wo nichts ist, ist alles möglich. Wo Architektur ist, ist nichts (anderes) möglich.“

Das Architekturzentrum Wien hat mit dem Nachlass des 2014 verstorbenen Architekten ein komplexes Erbe zu verwalten, das einen respektvollen, aber kritischen Umgang erfordert. Die derzeit im AzW laufende, von Lorenzo de Chiffre, Benni Eder und Theresa Krenn konzipierte Ausstellung „Hollein Calling – Architektonische Dialoge“ löst diesen Anspruch bravourös ein. Sie präsentiert Zeichnungen und Modelle aus dem Nachlass zu 15 ausgewählten Projekten und stellt sie aktuellen internationalen Positionen von 15 Büros vor, von denen die meisten in den Nullerjahren gegründet wurden. Gemeinsam ist den Büros dieser Generation ein Bekenntnis zur Relevanz der architektonischen Form, deren Entwicklung in Zeichnung und Modell in der Ausstellung nachvollziehbar wird.

Zwischen Alltagspraxis und Weltrettung

Die ausführlichen Interviews mit den 15 Büros, die im Katalog publiziert sind, machen deutlich, dass Hollein mit seinem expliziten Fokus auf die architektonische Form durchaus wahrgenommen wurde; sein postmodernes formales Repertoire und die Tatsache, dass er soziale Fragen weitgehend aussparte, werden von den Interviewpartnern aber überwiegend kritisch gesehen.

Schwarmintelligenz scheint die Strategie der Stunde zu sein. Parallel zum Dialog mit Hollein zeigt das AzW eine weitere Ausstellung mit dem Titel „Zwischen Kostenschätzung, Muttermilch und Bauwende“, in der die jüngste Generation von Architekturschaffenden in Österreich über die aktuelle Lage reflektiert. Der Schwarm besteht in diesem Fall aus rund 60 Personen, die gerade dabei sind, eine Architekturpraxis zu eröffnen, was nicht unbedingt mit einer Tätigkeit als Ziviltechniker gleichzusetzen ist. Der Titel deutet an, dass nicht nur das Spannungsfeld zwischen Alltagspraxis und Weltrettung Thema ist, sondern auch die Lebenssituation der Akteure, Stichwort Life-Work-Balance. Kuratiert von einem Kernteam von sechs Personen, haben in ganz Österreich Workshops stattgefunden, deren Ergebnisse jetzt präsentiert werden, als „umfassendes, kollektiv kuratiertes Mapping, das Positionen versammelt und Fragen stellt, um Diskussionsräume zu öffnen“, wie es im Pressetext heißt. Form spielt hier bestenfalls eine Nebenrolle, dafür entstehen griffige Slogans, die der Ausstellung Struktur geben. Manche davon könnten Karriere machen, etwa „Mitreißen statt Abreißen“, „Bildet Banden“ und die Empfehlung zum „Taktischen Optimismus“, der wohl bedeutet, in die allgemeine Untergangsstimmung ein „Macht euch keine Sorgen!“ hineinzurufen und dann aus den verfügbaren Strohalmen ein rettendes Floß zu bauen.

Den Begriff „Sorge“ trägt auch eine Ausstellung im Titel, die derzeit in Wien im Gebäude der alten Wirtschaftsuniversität nahe des Hundertwasser’schen Verbrennungsturms zu sehen ist. „Sorge um den Bestand – Zehn Strategien für die Architektur“ ist eine Wanderausstellung, die vom Bund Deutscher Architektinnen und Architekten mit einer Förderung durch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen erarbeitet wurde. Auch hier gibt es eine Verbindung: Das Wort „Sorge“ haben AzW-Leiterin Angelika Fitz und Elke Krasny 2019 mit der Ausstellung „Critical Care. Architektur für einen Planeten in der Krise“ im Kontext des Bauens popularisiert. Krasny hat für den aktuellen Katalog einen Beitrag verfasst, in dem sie die Architekt:innen ermahnt, sich nicht länger als staatstragende Akteur:innen zu gerieren, sondern als systemerhaltende – sozusagen als Pflegeberuf.

Kampf gegen die Gemütlichkeit

Dazu kann man in der von Olaf Bahner, Matthias Böttger und Laura Holzberg kuratierten Ausstellung zehn Ansätze des Umgangs mit dem Bestand kennenlernen, die sich allerdings überwiegend essayistisch und nicht strategisch präsentieren, geschweige denn griffige Slogans produzieren, die eine Debatte auslösen können. Vielversprechend ist das von der Plattform für Baukulturpolitik kuratierte Begleitprogramm, von dem bis zum Ausstellungsende am 26. Oktober noch fünf Termine geplant sind.

Aus diesen schwarmintelligenten Unternehmungen sticht eine Ausstellung heraus, die derzeit in Linz auf dem Nestlé-Areal in der ehemaligen Franck & Kathreiner Kaffeefabrik zu sehen ist. Michael Hofstätter und Wolfgang Pauzenberger, die unter dem Namen Pauhof firmieren, haben hier Arbeiten aus den vergangenen drei Jahrzehnten zu einem Schaulager arrangiert, das 30 Jahre Kampf gegen die Gemütlichkeit dokumentiert, der sie mit monumentalen Projekten begegneten – etwa für den Berliner Reichstag oder für die Expo 95 und das Museumsquartier in Wien. Hätte man ihre Vorschläge aufgegriffen, würde man Wien heute ansehen, dass es Zentrum einer Metropolregion von knapp drei Millionen Einwohnern ist.

In den 1990er-Jahren international renommiert und im Vortragszirkus und in Ausstellungen präsent, haben Pauhof ihre Karriere als einen Kampf gegen die Schwerkraft angelegt, der nicht zu gewinnen war. Ihr gebautes Werk beschränkt sich auf einige wenige Einfamilienhäuser, exemplarische Architekturen, dazu kommen Ausstellungs­installationen und Wettbewerbsbeiträge. Das meiste davon findet man in Linz frisch restauriert und auf 500 Quadratmetern arrangiert, sodass neue Sinnzusammenhänge entstehen. Das aufgelassene Fabriksgebäude, in dem die Ausstellung zu sehen ist, wird bald drei banalen Hochhäusern weichen, dem Trinity Park. Bei Pauhof könnte man lernen, Architektur im städtebaulichen Maßstab zu denken, statt die Stadtentwicklung dem Finanzmarkt zu überlassen.

5. September 2023 Spectrum

Heumarkt: Drei Aussichten auf das Welterbe

Das Ringen um das Heumarkt-Projekt geht in die nächste Runde. Die nächsten Monate werden zeigen, ob es der Stadt gelingt, einen Neustart zu wagen.

Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass auf dem Heumarkt-Areal im Jahr 2023 noch immer Stillstand herrschen wird? Schon 2012 war die Idee einer Hochhausbebauung an diesem Ort erstmals der Fachöffentlichkeit vorgestellt worden. Diese zeigte sich entsetzt über die vorgeschlagene Dichte; der Investor, Michael Tojner, gab sich konziliant und versprach, die Kosten eines kooperativen Expertenverfahrens unter der Leitung des TU-Professors Rudi Scheuvens zu übernehmen. Dessen Ergebnis waren rund 50 Bebauungsstudien, aus denen ein Beirat zwei Alternativen destillierte. Die erste sah die Sanierung und Aufstockung des Hotel Intercontinental aus den 1960er-Jahren vor. Den Hauptteil an teuer verkaufbaren Nutzflächen sollte ein schlanker, vor das Hotel platzierter Turm von 73 m Höhe liefern, annähernd das Maß des Ringturms am anderen Ende des 1. Bezirks. Die andere Alternative sah den Abriss des Hotels und eine Kombination einer Art Blockrandbebauung mit einem Turm vor.

Diese Vorgaben sollten als Grundlage für einen Architekturwettbewerb dienen. Was folgte, war ein Aufschrei in der nationalen und internationalen Fachwelt, auch vieler Teilnehmer am kooperativen Verfahren, die keinen Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit und der Empfehlung des Beirats finden konnten. Kritisiert wurde vor allem eine Fehlkonstruktion des Verfahrens: nicht, welche Bebauung der Ort vertrage, sei zur Debatte gestanden, sondern wie sich die Rendite-Vorstellungen des Investors an diesem Ort umsetzen ließen. Die Kritiker forderten einen Neustart der Planung und eine Anpassung der Rendite-Erwartungen an das Potenzial des Orts. Angesichts der Tatsache, dass der Investor das Areal 2008 um kolportierte 4,2 Millionen Euro gekauft hatte, sei der Spielraum dafür mehr als ausreichend.

Eine scheinbar schwebende Platte für das Veranstaltungsgeschoß

Der Investor gab sich unbeeindruckt. In Abstimmung mit der Stadt lobte er einen Wettbewerb aus, den der brasilianische Architekt Isay Weinfeld 2014 für sich entscheiden konnte. Er bevorzugte die erste Variante, also Erhaltung des Hotels und Errichtung eines Turms mit 73 m, der genau auf der Blickachse vom Belvedere zu liegen kam. Die zwingend geforderte Eisfläche von rund 5000 m² erreicht das Projekt durch eine Verdrehung um 90 Grad, wodurch ein Teil auf öffentlichem Grund zu liegen kommt und überdies eine Verlegung der Lothringerstraße nötig wird. Kompositorisch ergänzte Weinfeld Turm und Scheibe um eine verbindende, scheinbar schwebende Platte für das Veranstaltungsgeschoß. Das Projekt bestätigte die Befürchtungen der Kritiker: Das Volumen sprengte den Rahmen der historischen Stadt, sowohl in seiner Nachbarschaft als auch vom Belvedere aus betrachtet, wo der Turm mit seiner Rasterfassade dem Stephansdom Konkurrenz machen würde.

In einem Interview im „Kurier“ sprach Weinfeld von einem Übergangsphänomen, das sich mit der Errichtung weiterer Hochhäuser auflösen werde, wie sie die Stadt im „Masterplan Glacis“ vorgesehen hätte. Beim Masterplan handelte es sich zwar nur um eine unverbindliche Studie, die die Stadt bei Erich Raith (TU Wien) in Auftrag gegeben hatte; sie wurde vom Investor aber als Bestätigung des Projekts dargestellt. Dem Widerstand dagegen ließ sich so freilich nicht begegnen. Vor allem ein Aspekt stellte sich zunehmend als kritisch dar: die Vereinbarkeit des Projekts mit dem Welterbe-Status der Wiener Innenstadt. Schon bei den ersten öffentlichen Vorstellungen 2012 hatte der damalige Präsident von Icomos Österreich, des International Council of Monuments and Sites, Wilfried Lipp, klar zum Ausdruck gebracht, dass Icomos keinem Projekt zustimmen werde, das über die 38 m Höhe der Traufkante des Hotels Intercontinental hinausgeht. Der Investor zeigte sich davon unbeeindruckt. Es werde sich ein Kompromiss finden.
Ringkampf um den Heumarkt

Mit dem Jahr 2014 begann ein Ringkampf um das Projekt, der dem Heumarkt, im vorigen Jahrhundert jeden Sommer ein Mekka des Freistilringens, alle Ehre machte. Er kulminierte 2017 in einem neuen Projekt mit einem von 73 m auf 67 m reduziertem Turm, dessen Gesamtvolumen aber praktisch gleich blieb. Dieser Kunstgriff geht auf einen weiteren TU-Professor zurück, den inzwischen verstorbenen Berater der Planungsstadträtin Maria Vassilakou, Christoph Luchsinger. Er schlug vor, das Hotel Intercontinental abzureißen und durch einen näher an den Stadtpark gerückten, höheren und tieferen „Ersatzneubau“ zu ersetzen.

Bevor die Widmung für das Projekt im Gemeinderat beschlossen wurde, zeigten die Wiener Grünen ihr Talent im politischen Freistilringen: Die grüne Basis setzte eine Urabstimmung durch, die gegen das Projekt ausfiel; Vassilakou stellte den Mandataren auf Druck des roten Koalitionspartners ihr Votum frei. Der Rest ist Geschichte: Die Widmung für das Projekt erhielt eine Mehrheit, die Grünen verloren ihre Glaubwürdigkeit und nicht zuletzt auch deshalb die nächsten Nationalratswahlen.

Das Projekt hatte damit aber nur scheinbar freie Fahrt. Einen Monat nach der Abstimmung im Landtag setzte die Unesco die Innere Stadt auf die Liste der gefährdeten Welterbestätten. Trotzdem bescheinigte die Wiener Landesregierung 2018, dass das Projekt zu klein sei, um eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchführen zu müssen. Gegen diesen Bescheid erhob „Alliance for Nature“, unterstützt von der „Initiative Denkmalschutz“, eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Weiters stellte der EuGH Ende 2022 fest, dass Österreich in seinem UVP-Gesetz unzulässige Schwellenwerte eingeführt habe, die allein keine Begründung gegen die Durchführung einer UVP darstellen dürfen.

Und das neue Projekt?

Damit hängt das Verfahren in Österreich in der Warteschleife. Der Investor hat laut Auskunft der Stadt zwei Feststellungsersuchen eingereicht, eine für den Projektstand 2018 und einen für ein neues Projekt aus dem Herbst 2021. Selbst wenn sie gegen die UVP ausgehen, ist mit Beschwerden zu rechnen, womit das BVwG am Zug ist. Wenn es auf UVP-Pflicht erkennt, muss diese erst einmal durchgeführt werden, und dann geht es in die nächste Runde von Beschwerden, bis zu deren Behandlung alle baurechtlichen Bewilligungen blockiert sind.

Und das neue Projekt? Es sieht statt einem Turm eine quer zum Intercontinental stehende 56,5 m hohe Scheibe vor. An der Dichte am Standort und am ruinierten Blick vom Belvedere ändert die Zweischeibenlösung nichts: zwei abgestellte Reisekoffer statt einem frech aufzeigenden Finger. Wenn das keine erhebliche Beeinträchtigung des „Universal Outstanding Value“ ist, was dann?

Die hektischen Aktivitäten des Wiener Landtagspräsidenten Ernst Woller von der SPÖ, im Vorfeld der nächste Woche in Riad beginnenden Sitzung der Unesco-Kommission das Projekt doch noch von der roten Liste zu bekommen, sind so gut wie chancenlos, und einfach zurückgeben lässt sich die Auszeichnung auch nicht. Erst wenn aus der Gefährdung eine Zerstörung geworden ist, gäbe es kein Welterbe mehr und damit auch keine UVP. Die nächsten Monate werden zeigen, ob es der Stadt gelingt, die Initiative an sich zu reißen und einen Neustart zu wagen.

8. August 2023 Spectrum

Was drei Hochhäuser in Wien-Erdberg zur Stadtentwicklung beitragen

Leicht ist es nicht zu erklären, warum sie gerade hier stehen, aber Gründe gibt es schon. „The Marks“: drei neue Hoch­häuser in Wien-Erdberg. Zehn Jahre dauerte es vom Wettbewerb bis zur Realisierung.

Braucht Wien Hochhäuser? Nur dann, so steht es im Wiener Hochauskonzept aus dem Jahr 2014, wenn sie „außerordentliche Mehrwerte für die Allgemeinheit beisteuern“. Das ist ein hoher Anspruch. Aber von welchen Mehrwerten wird hier gesprochen? Was ist außerordentlich? Und wer genau ist die Allgemeinheit?

In anderen Städten, etwa in Zürich oder München, erfolgt das Beisteuern auf dem Weg des Besteuerns: Wer von der Öffentlichkeit für sein Grundstück eine neue Widmung erhält und damit einen hohen Gewinn macht, muss einen Teil davon abgeben. In Österreich gilt diese Lösung aus verfassungsrechtlichen Bedenken für nicht umsetzbar. Stattdessen nutzt man hierzulande oft sogenannte Städtebauliche Verträge, die zwischen der öffentlichen Hand und dem Eigentümer abgeschlossen werden. Solche Ver­träge regeln, zu welchen Leistungen sich ein Eigentümer verpflichtet, wenn er die gewünschte Widmung erhält. Das können qualitätssichernde Verfahren sein, etwa ein Architekturwettbewerb, die Mitfinanzierung eines Kindergartens, die Schaffung schattiger Freiräume oder die Verpflichtung, einen Teil der Wohnungen „leistbar“ anzubieten.

Kürzlich wurde in Wien ein Hochhausprojekt fertiggestellt, das auf einem solchen Vertrag aufbaut. Für einen Wohnbau ist die Lage – gefühltes Simmering, aber gerade noch in Erdberg – nicht gerade prickelnd: Es liegt am Rande eines Gewerbegebiets; die Südost-Tangente, Wiens meistbefahrene Straße, führt ein Stück weit im Westen vorbei; von ihr zweigt an der Anschlussstelle St. Marx eine namenlose, überdimensionierte sechsspurige Zubringerstraße ab, deren Verlängerung das Areal an einer Seite begrenzt. Zumindest hat die Straße hier einen Namen, Döblerhofstraße, und sie hat auch Nachbarstraßen, teilweise mit altem Baumbestand. Die U-Bahnstation Gasometer mit ihrem Zugang zur Shoppingmall und zum Kinocenter liegt nur fünf Minuten Fußweg entfernt.

Architekturwettbewerb im Frühjahr 2014

Warum sind gerade auf diesem Gewerbegrundstück, auf dem sich eine als Parkplatz genutzte Asphaltfläche befand, drei Hochhäuser entstanden? Der Hintergrund ist ein Interessengemenge zwischen dem privaten Eigentümer, Ariel Muzicant, und zwei Politikern, deren Parteien gerade in der Stadtregierung eine Koalition bildeten, Michael Ludwig, Wohnbaustadtrat von der SPÖ, und Christoph Chorherr, Sprecher für Stadtplanung der Grünen und rechte Hand von Maria Vassilakou, der Stadträtin für Stadtentwicklung und Verkehr.

An der Interessenlage ist nichts Anrüchiges: Muzicant sah in der Errichtung von Hochhäusern die maximale Wertsteigerung für sein Grundstück, und er konnte die Signale aus dem Rathaus richtig deuten: Die seit 2010 regierende rot-grüne Stadtregierung hatte ein Faible für Wohnhochhäuser entwickelt, als eine Antwort auf die demografisch bedingte steigende Nachfrage nach Wohnraum, aber auch als Symbol einer neuen Zeit. Dass beide Parteien das Heumarkt-Projekt, mit dem sich die Karikatur dieser neuen Zeit ins Stadtbild zu pressen versuchte, mit Nachdruck unterstützten, war Teil dieses Signals und umso überraschender, als es bei der SPÖ und den Grünen traditionell eine dem Wohnhochhaus gegenüber eher kritische Stimmung gegeben hatte. Als Grundlage für die Widmung führte Muzicant in Abstimmung mit der Stadt im Frühjahr 2014 einen Architekturwettbewerb mit 19 Teilnehmern durch, der die Position und Gestalt der Türme klären sollte. Der erste Preis ging an das Studio Vlay Streeruwitz, das einen öffentlichen Platz im Format von 70 mal 35 Metern ins Zentrum rückte.

Ein Platz braucht naturgemäß platzbildende Wände, die Studio Vlay Streeruwitz teilweise aus den Sockelzonen der Hochhäuser bilden, zum überwiegenden Teil aber aus einem mehrgeschoßigen Stahlregal, das als Garage für 2400 Fahrräder dient. Das schwarz gestrichene Regal ist mit einer Membran aus gelochtem Blech verkleidet, das einen Blick nach außen erlaubt, aber in umgekehrter Blickrichtung dicht genug ist, um raumbildende Baukörper zu erzeugen. Neben dem großen „Festplatz“ entstanden so drei weitere, von den Landschaftsarchitekten Isolde Jarek und Oliver Barosch sorgfältig gestaltete, öffentlich zugängliche Grünräume. In Summe ergibt das eine klar ausgeformte Mitte mit anpassungsfähigen Rändern als Übergang zu einer unwirtlichen Umgebung.

Hat Wien dieses Triple gebraucht?

Vermarktet wurde das Gesamtprojekt unter dem Namen „The Marks“; der Turm von Studio Vlay Streeruwitz heißt „The One“, die zweit- und drittplatzierten Türme aus dem Wettbewerb heißen Q- und Helio-Tower, entworfen von Rüdiger Lainer und Partner sowie BEHF. Dass das Projekt fast zehn Jahre vom Wettbewerb bis zur Realisierung gebraucht hat, lag an den zähen Verhandlungen über den „Städtebaulichen Vertrag“. Aus 1030 Wohnungen wurden 1282, von denen die Hälfte in die Kategorie „leistbar“ zu fallen hatte. Schließlich erwarb ein Konsortium der Bauträger Buwog, Neues Leben, ÖSW und WBV-GPA das entsprechend gewidmete Areal und errichtete das Projekt unter Verwendung günstiger Kredite aus der Wohnbauinitiative 2015.

In der Schönheitskonkurrenz der drei Hochhäuser schneidet „The One“ eindeutig am besten ab. Es hat die durchdachtesten Grundrisse und die formal überzeugendste Fassade. Die umlaufenden Balkone variieren in der Breite, wodurch sich in der Fassade Vor- und Rücksprünge ergeben, denen ab der Höhe von 50 Zentimetern eine verglaste Brüstung folgt, die an den Ecken des Turms zu einem raumhoch verglasten Windschutz wird. Was auf den ersten Blick chaotisch wirkt, erweist sich bei genauerer Betrachtung als fein proportionierte begehbare Skulptur.

Hat Wien dieses Triple gebraucht? Ob hier wirklich „außergewöhnliche Mehrwerte für die Allgemeinheit“ entstanden sind, wird man erst in ein paar Jahren beurteilen können. Hochhäuser in Wien passieren, unter mehr oder weniger stiller Beteiligung der Stadtverwaltung und -politik. Das kann Achtungserfolge ergeben, wie hier mit „The Marks“, oder einen Totalschaden wie am Heumarkt. Vielleicht ist die abflauende Baukonjunktur ein guter Anlass für eine Inventur der Strategien und Instrumente, mit denen Wien in der Hochhausfrage operiert.

15. Juli 2023 Spectrum

Sanieren unter allen Umständen? Dann gäbe es diese Schule nicht!

Das Wienerwaldgymnasium in Tullnerbach bietet die perfekte Musilsche Kombination von Seele und Genauigkeit. Doch heute würde es so wohl nicht mehr errichtet: Aus ökologischer Sicht hätte man den alten Stahlbetonbau an seiner Stelle erweitern und thermisch sanieren müssen.

Wenn von Innovation im Bauwesen gesprochen wird, ist in der Regel technische Innovation gemeint: Materialien mit immer höherer Leistungsfähigkeit und in immer größeren Formaten; neue Heizungs- und Kühlungssysteme mit Erdwärmesonden und Wärmepumpen, die möglichst CO2-neutral arbeiten; oder neue Lösungen für begrünte Fassaden, die das Mikroklima verbessern. Hinter solchen Innovationen stehen langjährige Forschung sowie industrielle Entwicklung. Der Beitrag der Baukunst – so wird oft behauptet – sei dagegen die blitzartige geniale Eingebung im konkreten Entwurf, die zwar jahrzehntelange Übung brauche, aber im Kern irrational bleibe.

Es gibt dieses intuitive Moment tatsächlich, doch in der Baukunst genauso einen systematischen Erkenntniszuwachs, der mit technischer Innovation durchaus vergleichbar ist. Die dazugehörige Methode wird oft als Typologie bezeichnet, als Auseinandersetzung mit typischen Lösungen für bestimmte Bauaufgaben wie Wohnbauten, Schulen, Theater etc., aber ebenfalls für formale Grundmuster wie Linear- und Zentraltypen. Wichtig ist, dass auf der Basis von Typologien Projekte entstehen können, die einander gar nicht ähnlich sehen: Typen sind abstrakte Muster, die sich an eine konkrete Situation anpassen und mit anderen Mustern kombinieren lassen. Typologische Innovation bedeutet, eine Grundidee systematisch von einem Projekt zum nächsten weiterzuentwickeln.

Gute Architektinnen und Architekten produzieren daher nicht nur Entwürfe für konkrete Projekte, sondern sie schaffen ihre eigenen Typologien. Ein Büro, das in dieser Hinsicht hervorsticht, betreiben die Architekten Hemma Fasch und Jakob Fuchs gemeinsam mit Fred Hofbauer in Wien. Von ihnen stammen die Entwürfe für einige der spannendsten Bildungseinrichtungen der vergangenen Jahrzehnte in Österreich, darunter neben mehreren Universitätsprojekten auch insgesamt 14 Schulen.
Offene Atmosphäre

Schon das erste Projekt, eine 1995 fertiggestellte Sanierung und Aufstockung einer HBLA in Krieglach, fiel durch seine leichte Stahlkonstruktion und raffinierte Lichtführung aus dem Rahmen des Üblichen. Internationale Aufmerksamkeit erregten fasch&fuchs mit der im Jahr 2006 fertiggestellten Sonderschule in Schwechat. Das vielfach prämierte Projekt zeichnet sich durch einen tiefen, aber von oben bestens belichteten Baukörper aus, in den auch der große Turnsaal integriert ist, ein aus allen Richtungen einsehbarer, nach außen verglaster Raum. Im vorgelagerten Wintergarten werden nicht nur Pflanzen gezüchtet; im selben Querschnitt ist auch das Therapiebecken der Schule untergebracht. Eine solche einladende und offene Atmosphäre hatte man im österreichischen Schulbau seit Josef Lackners Gymnasium der Ursulinen in Innsbruck nicht mehr gesehen. Und sie war 2006 auch nur bei einer Sonderschule möglich, da die üblichen Schulbaunormen nicht zur Anwendung kommen mussten.

Mit diesem Projekt hatten fasch&fuchs einen entwicklungsfähigen Typus definiert, auf dessen Basis seit 2011 ein Dutzend Schulen errichtet wurde, also im Schnitt eine pro Jahr, alle im Rahmen von Wettbewerben akquiriert. Die Typologie hat sich entwickelt: Neue Elemente kamen dazu wie die Lesetreppe als Herz der Schule oder die Öffnung der Klassenräume zu „Clustern“, die offenes Lernen unterstützen, sowie großzügige Terrassen vor den Klassenräumen, die als Freiklassen dienen.

Auch in der jüngsten Schule von fasch&fuchs, dem Wienerwaldgymnasium in Tullnerbach, knapp an der Wiener Stadtgrenze gelegen, spielen Terrassen eine große Rolle. Die Schule liegt auf einem steilen Südhang mit üppiger Vegetation und schmiegt sich abgetreppt ins Gelände. Der Sportplatz davor ist als im Hang schwebende Plattform ausgebildet, darunter ein offenes Parkdeck. Der Sonnenschutz liegt nicht direkt an der Fassade, sondern auf einem Gerüst 185 Zentimeter davor, wodurch die Vertikaljalousien nicht voll heruntergefahren werden müssen, um die Sonneneinstrahlung zu verhindern, und den Blick ins Freie immer zu gewährleisten.
Stützenfreie Räume

Typologisch verbindet das Projekt einen Terrassentyp mit einem hangseitigen Kammtyp, bei dem jeweils vier Klassenräume einen offenen Hof begrenzen. Durch verschiebbare Wände eignet sich der Grundriss sowohl für ein konventionelles Stammklassensystem, wie es derzeit betrieben wird, als auch für ein Departmentsystem.

Im Inneren wirkt die Schule wie eine gut gegliederte Landschaft mit teilweise sehr hohen, von allen Seiten belichteten Bewegungsräumen mit Längs- und Querblick ins umgebende Grün, das freundlich zurückschaut. Das Farbkonzept der Künstler Gustav Deutsch und Hanna Schimek bereichert diesen Blick durch farbige Gläser, die mit dezenten grünen und braunen Farbtönen wie eine zweite Natur wirken. Konstruktiv sind diese über weite Strecken stützenfreien Räume eine Meisterleistung, für die die Ingenieure von Werkraum verantwortlich zeichnen.

Mit dieser in jeder Hinsicht erfreulichen Schule ist fasch&fuchs die perfekte Musilsche Kombination von Seele und Genauigkeit gelungen. Und trotzdem würde sie heute möglicherweise nicht mehr gebaut. An ihrer Stelle stand nämlich ein Seminarzentrum aus den späten 1970er-Jahren, ein Stahlbetonskelettbau, in dem die Schule seit ihrer Gründung 2008 bereits untergebracht war. Es war zu klein und hätte erweitert und thermisch saniert werden müssen. Es abzureißen und als Bauschutt auf die Deponie zu führen würde heute jedenfalls kritisch hinterfragt werden.

Hier radikal zu denken wird uns nicht erspart bleiben: Neubau-Moratorium bis 2030? Ja, aber nur, wenn wir dafür die geeigneten Typologien entwickeln. Es wäre fatal, die Bebauung der Erde den vorgeblichen Sachzwängen des Bauens im Bestand zu überlassen.

Publikationen

2025

Neue Lernwelten
Impulsgebende Schulen und Kindergärten in Österreich

In den letzten 15 Jahren sind in Österreich zahlreiche Bildungsbauten entstanden, die Impulse für neue Lernwelten jenseits der traditionellen Gangschule geben. Hinter dieser Entwicklung stehen gemeinsame Bemühungen von Akteur*innen aus Pädagogik, Architektur und öffentlicher Verwaltung, Bildungsräume
Hrsg: Christian Kühn, ÖISS — Österreichisches Institut für Schul- und Sportstättenbau
Verlag: JOVIS

2018

Operation Goldesel
Texte über Architektur und Stadt 2008–2018

Christian Kühns Texte sprechen auch Leser an, die mit Architektur nicht beruflich befasst sind. Sie schätzen daran, dass er Architektur nicht als zweckmäßigen Hintergrund oder als Bühne sieht, sondern als Idee, als Traum oder als verschlungenen Weg einer Projektgeschichte: vom ersten Entwurf über den
Autor: Christian Kühn
Verlag: Birkhäuser Verlag

2008

Ringstraße ist überall
Texte über Architektur und Stadt 1992-2007

Warum vergolden die Österreicher ihre Baudenkmäler selbst dann, wenn sie zu Staub zerfallen? Wieso bauen die Deutschen ihren Automobilen Tempel? Und was passiert, wenn Ernst Neufert in Graz auf Buster Keaton trifft? Seit 1992 bereichern die Texte Christian Kühns im Feuilleton der Tageszeitung „Die Presse“,
Autor: Christian Kühn
Verlag: SpringerWienNewYork

2007

Türme & Kristalle
Wettbewerb ehemalige Sternbrauerei Salzburg

Die Diskussion über die Möglichkeiten, an einer Stadt kreativ weiterzubauen, wird, wenn überhaupt, nur punktuell geführt. Als die Stadt noch von Planungsbehörden verordnet wurde, gab es dafür auch keinen Bedarf. Das ändert sich im Zeitalter, in dem private Investoren ganze Stadtteile entwickeln. Auf
Hrsg: Christian Kühn
Verlag: Verlag Anton Pustet