Akteur

Egon Eiermann
* 1904 Neuendorf (heute: Potsdam-Babelsberg) 1970 Baden-Baden

„Sauber denken, klar handeln“

Er war der Architekt, der das Bild Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg so stark prägte wie kaum ein anderer: Egon Eiermann. Zu seinem 40. Todestag: ein Schaffensporträt.

16. Juli 2010 - Myrta Köhler
Ein Architekt, der verlangt, dass seine eigenen Bauten abgerissen werden - das scheint wider die Natur. Egon Eiermann formuliert mit seinen Anforderungen an die moderne Architektur einen neuen Ansatz: Nichts ist für die Ewigkeit gebaut. Als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gefordert ist, sich neu zu positionieren, hat die Architektur in Eiermann bereits seit Jahren einen Wegbereiter. Den Bruch mit der Traditionshörigkeit, den Mies van der Rohe und Gropius vollzogen haben, will die folgende Generation ausbauen. Wie Eero Saarinen in den USA und Arne Jacobsen in Dänemark strebt Eiermann in Deutschland entgegen der neoklassizistischen Monumentalität des NS-Regimes nach Licht und Leichtigkeit: Die zweite Moderne hat begonnen.

Eiermanns Postulat von der Vergänglichkeit setzt voraus, dass der Architekt den Abriss eines Gebäudes von Anfang an mit einplant und nach Möglichkeit wiederverwertbare Materialien einsetzt. Wie kein anderer zu seiner Zeit klassifiziert Eiermann damit das „Haus als Maschine“ und Nutzobjekt. Obwohl Eiermann den Abriss bereits in der Planungsphase antizipiert, ist er weit davon entfernt, die Bedeutung seines Werkes zu schmälern. Ganz im Gegenteil legt er in der Bearbeitung seiner Aufträge größten Perfektionismus an den Tag.

Egon Eiermann wird am 29. September 1904 in Neuendorf bei Berlin geboren. Vorbilder für sein architektonisches Wirken sind der verehrte Lehrer Hans Poelzig und Mies van der Rohe, als dessen Adept Eiermann aufgrund seiner kubischen Baukörper fälschlicherweise oft bezeichnet wird: Eiermann setzt aber nicht nur Glas und Stahl, sondern auch Holz, Stein und Sichtmauerwerk ein.

Ähnlich wie Poelzig betont Eiermann „die vollkommene Verschmelzung des Außen und Innen“ . Das erreicht er im Wohnhausbau (Wohnhaus Hardenberg, Wohnhaus Steingroever) in der Verbindung von Haus und Garten durch Berankung oder die Fortsetzung der Außenfliesen im Inneren. „Bauen ist im Grunde eine entsetzliche Sache, weil wir Gottes schöne Natur ramponieren“ , so Eiermann. Umso wichtiger ist für ihn die Kohärenz des Gebauten als „räumlichkonstruktiver Organismus“ . Das Entwerfen idealer Behausungen ist für Eiermann nobelste Aufgabe des Architekten - sie macht bis in die 1930er-Jahre den weitaus größten Teil seiner Arbeit aus. Doch es fehlen die großen, die bedeutenden Aufträge - sie kommen mit den Nazis. Vor und während des Krieges entwirft Eiermann eine Fülle an Industriegebäuden und eine Kaserne bei Rathenow. So zahlreich sind die Aufträge, dass Eiermann der Einberufung zum Heer entgeht.

Die Zwiespältigkeit seiner Situation ist ihm wohl bewusst: Er tröstet sich damit, dass er kein Parteimitglied ist und sich dem Ästhetik-Diktat des Regimes nur in den seltensten Fällen unterwirft - unverhohlen kritisiert er die NS-Architektur wegen ihrer „falschen Monumentalität“ . Bei Albert Speer stoßen denn auch seine Vorstellungen einer modernen Architektur des Öfteren auf Ablehnung, doch die allgemeine Aufmerksamkeit ist nun gesichert. Sie wächst, als Eiermann und Sep Ruf beauftragt werden, den Deutschen Pavillon für die Weltausstellung in Brüssel (1958) zu entwerfen.

Wohnhäuser, Industriebauten, und Architektur für den Augenblick - mit all diesen Aufgaben kann er sich identifizieren, sogar als Möbeldesigner macht er sich einen Namen. Sein späteres Werk umfasst auch eine ansehnliche Anzahl - von ihm ungeliebter - reiner Verwaltungsbauten. Die Anerkennung für den Deutschen Pavillon verschafft ihm den Auftrag für die Errichtung des Kanzleigebäudes der Deutschen Botschaft in Washington (1958- 1964). Es folgen der „Lange Eugen“ , das Abgeordneten Hochhaus des Bundestages in Bonn (1965-69), die Hauptverwaltung der IBM-Deutschland GmbH in Stuttgart Vaihingen (1967-72) und das Verwaltungs- und Ausbildungszentrum der Deutschen Olivetti in Frankfurt am Main (1968-72) - letztere zwei Projekte wurden posthum nach seinem Tod am 19. Juli 1970 vollendet.

Schon beim Fabrikbau war Eiermann bestrebt, einen menschenwürdigen Arbeitsplatz zu schaffen - bei den Büroräumlichkeiten verfolgt er ein ähnliches Prinzip. Unterschiedlich große Räume stellen seiner Meinung nach eine ungerechte Bevorzugung Einzelner dar, er favorisiert das Großraumbüro. Auftragsbedingt muss er immer wieder seinen Abscheu gegen Hochhäuser überwinden - die waagrechte Strukturierung flacher Gebäude signalisiert in seinen Augen den Ausgleich sozialer Unterschiede - doch tut er sein Möglichstes, um die strengen, dominanten Silhouetten zu mildern.

Im Bauen gibt es keine Revolution, nur kontinuierliche Optimierungen - davon war Eiermann überzeugt. Deshalb ist sein Werk erstaunlich homogen, ein Bruch nicht erkennbar. Vereinfachung ist sein Ziel, „sauber denken und klar handeln“ sein Motto. „Weglassen und noch mal Weglassen bedeutet die Gewähr des größeren Eindrucks“ , schreibt er 1957. Die Überreste der alten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche würde er am liebsten beseitigen, als er mit einem Neubau (1959-63) beauftragt wird: Die Mehrheit der Berliner entscheidet anders. Nun wird der „Hohle Zahn“ flankiert von Stahlskelettkonstruktionen mit Beton-Glas-Wänden, Oktogon und Glockenturm wurden als „Puderdose und Lippenstift“ zum Signum West-Berlins. Schon zu Lebzeiten befürchtete Eiermann, dass man ihn einmal für die Leistung in Erinnerung behalten würde, auf welche er am wenigsten stolz war: die Eiermann-Kachel, die als Vorhangfassade an den kastenförmigen Horten-Warenhäusern jahrzehntelang das Erscheinungsbild deutscher Städte prägte.

Denkmalschützer kämpfen heute - trotz Schäden am Material - entschlossener für Eiermanns Bauten als er selbst: Zahlreiche Gebäude - die Olivetti-Türme, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche oder der „Lange Eugen“ - bleiben nun der Nachwelt erhalten. Seine Bauwerke kombinieren die Emanzipation von überkommenen Stilen mit dem Bemühen um einen sozialen Mehrwert. Wie kaum ein anderer prägt Eiermann in dieser Hinsicht das Gesicht des Nachkriegsdeutschlands - mehr als nur vorübergehend.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: