Akteur

Egon Eiermann
* 1904 Neuendorf (heute: Potsdam-Babelsberg) 1970 Baden-Baden

Kontinuität der Moderne

Zur Aktualität von Egon Eiermanns Schaffen

25. September 2004 - Karin Leydecker
Als einer der Grossen der deutschen Nachkriegsarchitektur gehörte Egon Eiermann nicht zu den stromlinienförmigen Ja-Sagern. Vielmehr machte sich der Verfechter einer funktionalen Ästhetik einen Namen als streitbarer Prophet der «konstruktiven Klarheit» und als charismatischer Lehrer. Wenn nun die Städtische Galerie Karlsruhe den 100. Geburtstag von Eiermann mit einer grossen Gesamtschau zu Leben und Werk des Architekten feiert (NZZ 21. 9. 04), so scheint die Ausstellung eine zaghafte Revision des Bildes eines technokratisch geprägten Baukünstlers einzuleiten. Ein wichtiges Indiz dafür ist die Neufixierung auf den etwas ungeschickt gewählten Begriff des «rustikalen Funktionalismus». Diese Rustikalität zielt primär auf Eiermanns Wohnungsbau, der trotz gestalterischer Reduktion einen gemässigten, fast skandinavisch anmutenden Weg geht: Pult- und Satteldächer über strengen Kuben, geschlämmte Fassaden, Sichtmauerwerk und grün berankte Wände. Auffallend ist die subtile Durchdringung von Natur und Architektur, die Eiermann durch die meisterhafte Wegführung und die Schichtung des Raumes erzielt.

Gerade im Wohnbau war sich Eiermann sehr wohl der «sinnlich-sittlichen Wirkung» von Farbe und der haptischen Qualitäten von Holz, Leder und geflochtenem Rohr bewusst. Er hatte keine Angst vor Rot, Blau und Gelb, experimentierte mit Selbstbaumöbeln und schuf mit seinen heute wieder brandaktuellen «Eierkörben» Luxusobjekte zum Entspannen. Obwohl Eiermann nie von der Ganzheitlichkeit seiner Schöpfungen sprach, gehörte die Möblierung für ihn zum baukünstlerischen Gesamtkonzept eines Hauses. Anders als viele seiner Kollegen entwarf er praktische Möbel für das ganz normale Leben. Vieles war multifunktional und leicht demontierbar. Solche Eigenschaften weiss der Wohnnomade von heute zu schätzen. Sicherlich war Eiermann kein deutscher Eames, denn trotz allen Ähnlichkeiten bilden seine Möbel ein eigenes technisches und ästhetisches Universum. Eiermann schuf Allgemeingültiges, während Ray und Charles Eames revolutionäre Modelle kreierten.

Als Architekt lässt sich Eiermann nicht länger auf das von den Industriebauten geprägte Bild kühler Sachlichkeit in Stahl und Glas reduzieren. Heute betrachtet die Rezeptionsästhetik vor allem die Materialexperimente mit neuem Blick. Bedeutsam sind nicht nur jene Versuche, bei denen Eiermann durch Reduktion des Materials bis an die Grenze des konstruktiv Machbaren vordringt; wichtiger sind seine bis heute wissenschaftlich noch kaum bearbeiteten Experimentierfelder im Bereich des Optischen und Haptischen. Dazu gehören die «Lichtsteine» seiner Kirchenwände oder die Materialität von Hülle und Schichtung. In diesem Kontext erscheinen auch die massiven Vorhangfassaden aus Keramik-Formsteinen von Eiermanns Kaufhäusern in neuem Licht. Für den Architekturkritiker Wolfgang Pehnt war diese Allover-Verkleidung der einzige Grund, «Eiermann nicht zu lieben», und viele, welche einst die Mode der hermetischen Hüllen erlebt haben, werden ihm zustimmen. Aber jüngere Architekten, die sich unbelastet der Formenwelt der siebziger Jahre nähern und darüber hinaus von Herzog & de Meurons meditativen Exkursen zur Haut geprägt sind, entdecken hier ein reiches Wahrnehmungspotenzial.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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