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Shigeru Ban
Shigeru Ban Architects - Tokyo (J)

Architektonisches Gipfeltreffen

Der Japaner Shigeru Ban widmet sich Alvar Aalto in London

Nachhaltigkeit und Ökologie gewinnen in der Architektur zusehends an Bedeutung. Damit rückt auch die organische Architektur von Alvar Aalto wieder verstärkt ins Rampenlicht. In der Londoner Barbican Art Gallery zeigt der Japaner Shigeru Ban seine Sicht des Werks von Aalto.

20. April 2007 - Hubertus Adam
Dem Grossvater von Camilla Parker, Philip Morton Shand, kommt das Verdienst zu, das britische Publikum mit dem Œuvre von Alvar Aalto vertraut gemacht zu haben. Shand, der als Kritiker, Wegbegleiter und Inspirator der modernen Architektur in England von erheblicher Bedeutung war, veröffentlichte nicht nur Meisterwerke des finnischen Meisterarchitekten wie das Sanatorium Paimio in der Zeitschrift «Architectural Review»; auf seine Initiative hin fand im Londoner Warenhaus Fortnum & Mason 1933 auch die erste Ausstellung mit Möbeln Aaltos statt. Vom nachhaltigen Erfolg zeugte nicht zuletzt die Tatsache, dass die von Aalto zur Vermarktung seiner Sperrholzmöbel 1935 gegründete Firma Artek im Vereinigten Königreich ihren wichtigsten Auslandmarkt fand - achtzig Prozent des Exports gingen im Jahr 1936 dorthin. Aaltos Möbel fanden sogar ihren Platz in Erich Mendelsohns De la Warr- Pavilion in Bexhill-on-Sea. Mit seiner organischen Architekturauffassung bot Aalto eine Orientierung in Zeiten, da die Orthodoxie des in England ohnehin verspätet eingetroffenen internationalen Stils an Bindungskraft verlor. Eine Reihe britischer Architekten wurden vom Finnen beeinflusst - von Colin St. John Wilson bis hin zum jungen James Stirling.

Aalto als Inspirationsquelle

Gleichwohl ist eine umfassende Präsentation von Aaltos Arbeiten erst jetzt in London zu sehen. Auch wenn mit Juhani Pallasmaa ein finnischer Aalto-Kenner beteiligt wurde, handelt es sich bei der Schau in der Barbican Art Gallery nicht um eine gewöhnliche Retrospektive. Dass der japanische Architekt Shigeru Ban für Auswahl und Konzept verantwortlich ist, soll zusätzliche Attraktivität schaffen. «Alvar Aalto through the eyes of Shigeru Ban» lautet der Titel. Spätestens seit dem Auftrag für die Dépendance des Centre Pompidou in Metz, die im kommenden Frühjahr eröffnet werden soll, gilt Ban als Star der internationalen Architekturszene - wobei ihm in seinem Heimatland bei weitem nicht die gleiche Bedeutung beigemessen wird wie im Westen.

Ban kam mit Aalto erstmals in Berührung, nachdem er 1984 an der Cooper Union in New York sein Studium abgeschlossen und als Assistent des Fotografen und Gründers der Zeitschrift «GA» («Global Architecture»), Yukio Futagawa, in Finnland gearbeitet hatte. Zwei Jahre später richtete Ban eine Aalto-Ausstellung in der Axis Gallery in Tokio ein. Hier verwendete er erstmals «Paper Tubes», feste Röhren aus Karton: als Raumteiler, als Tragelemente und als Deckenverkleidung. Aalto, so erklärt der japanische Architekt, habe ihn inspiriert, sich von seinem Lehrer John Hejduk sowie von den Heroen Mies van der Rohe und Le Corbusier zu emanzipieren und seinen eigenen Weg zu gehen. Mit den Paper Tubes fand er das adäquate Baumaterial, mit dem sich eine organische Architektur in neuer Materialisierung realisieren liess.

Die jetzige Londoner Ausstellung greift gestalterisch auf die Tokioter Präsentation von 1984 zurück. Ondulierende Wände aus grossen Kartonröhren bilden inmitten der zweigeschossigen Halle einen abgetrennten Raum, in welchem einige Projekte von Ban anhand von Modellen und Fotos vorgestellt werden, darunter die aus Paper Tubes, aber auch anderen Materialien konstruierten Einfamilienhäuser, das als Parasit in die Tragwerkstruktur des Centre Pompidou integrierte Temporäre Atelier (2004) oder die aus Kartonröhren konstruierten Notunterkünfte, die Ban in verschiedenen Katastrophengebieten der Welt realisiert hat, zuletzt in den vom Tsunami heimgesuchten Regionen Sri Lankas.

Um diesen Nukleus herum zeigt Ban eine reiche Auswahl von Arbeiten Aaltos. Die Galerieebene bietet einen chronologische Tour d'Horizon durch das architektonische Werk. Er setzt ein mit dem Arbeiterklub von Jyväskylä (1924/25), der für Ban als Werk des Übergangs vom Neoklassizismus zu einer nordischen Spielart der Moderne den Beginn eines eigenständigen Weges des Architekten Aalto verkörpert. Das Sanatorium von Paimio und die Bibliothek von Viipuri stehen für die funktionalistische Phase Aaltos, die Villa Mairea, eines der Meisterwerke des 20. Jahrhunderts, markiert den Übergang zum organisch geprägten Schaffen der Reifezeit. Ziegelstein bestimmte die Werke der «roten Periode», so das Studentenwohnheim des MIT Campus in Cambridge, Massachusetts (1946-49), oder das Rathaus von Säynätsalo (1948-52), nordisches Weiss die späteren Bauten im Stadtzentrum von Seinäjoki oder die Finlandia-Halle in Helsinki. Auf der unteren Ausstellungsebene werden übergreifende Aspekte des Werks thematisiert - etwa die Standardisierung, der sich Aalto in den Jahren des Zweiten Weltkriegs mit zwei Systemen präfabrizierter Holzhäuser widmete, aber auch die Materialisierung. Muster von Hölzern, glasierten Keramiken und Backsteinverbünden tragen ebenso zu sinnlicher Anschaulichkeit bei wie eine Reihe von Beleuchtungskörpern, denen der Architekt stets besondere Aufmerksamkeit widmete, sowie eine Kollektion von Möbeln und weiteren Einrichtungsgegenständen.

Selbststilisierung

Eine grosse Zahl von Leihgaben der Institutionen, die sich in Finnland dem Schaffen Aaltos widmen, macht die Ausstellung zu einem Erlebnis. Präsentiert werden Zeichnungen, Pläne, Fotos und Originalmodelle. Einen Blick auf die Materialität der Bauten vermitteln Detailaufnahmen, die von der amerikanischen Künstlerin Judith Butler speziell für die Ausstellung angefertigt wurden. Die neuen Modelle schliesslich entstanden an Bans Lehrstuhl an der Keio-Universität. Sie offenbaren ein eher formalistisches Herangehen an Aaltos Architekturen; die soziale Dimension der Architektur, die Ban in seinen über die Ausstellung verstreuten Sentenzen stets behauptet, wird weder hier noch anderswo wirklich greifbar. Überhaupt wirkt die ständige Konfrontation von Zitaten Aaltos mit Aussagen Bans etwas allzu penetrant.

Mitunter bleiben die Vergleiche schlicht oberflächlich, vor allem aber zeugen sie - was das glaubhafte Interesse an Aalto allerdings nicht relativiert - von der aufdringlichen Selbststilisierung des Japaners. Erfolgreich ist seine Strategie ohne Zweifel, wie der von ihm anlässlich der soeben eröffneten Möbelmesse im Park vor dem Triennale-Palast in Mailand errichtete Pavillon für die seit 2004 von Tom Dixon neu positionierte Firma Artek beweist.

[ Bis 13. Mai. Katalog: Alvar Aalto through the eyes of Shigeru Ban. Hrsg. Juhani Pallasmaa und Tomoko Sato. Black Dog Publishing, London 2007. 272 S., £ 29.95. ]

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