Artikel

Keine Zeit zum Feiern
Keine Zeit zum Feiern, Foto: Christian Kühn
Spectrum

Mit dem Steinhaus am Ossiacher See hat er eine Messlatte seines Anspruchs gelegt, wie sie höher nicht sein könnte. Von der Zentralsparkasse in Favoriten bis zum T-Center am Rennweg: Günther Domenig zum 70. Geburtstag.

3. Juli 2004 - Christian Kühn
Ab und zu leistet sich die Architekturgeschichte einen Ausbruch. Die klaren Formen der Renaissance lösen sich im Manierismus auf; die Stilkopien der Gründerzeit in den forcierten Neuschöpfungen des Jugendstils; der Funktionalismus nach 1945 in der kurzen Blüte der Pop-Architektur in den 1960er-Jahren. Immer schwingt in diesen Antithesen der Gegensatz zwischen Massenproduktion und künstlerischer Einzelleistung mit. Auf hunderte gute Baumeister der Renaissance kommt ein Michelangelo, auf tausende solide Architekten der Gründerzeit ein Antoní Gaudí.

Architekten dieser Gewichtsklasse sind notorische Verfechter des Überflusses. Sie liefern Formen, nach denen niemand gefragt hat, und Räume, die sich davor oft niemand vorstellen konnte. Über Qualität ist damit noch nichts gesagt. Aber weil wir zu 99 Prozent in rechteckigen Räumen ohne Besonderheiten leben, ist dieser Architektur zumindest Aufmerksamkeit sicher. Und oft genug gilt nur sie als „Architektur“, während alles andere aufs reine „Bauen“ reduziert wird.

Günther Domenig hat sich stets am äußersten Ende dieses Spannungsfelds positioniert. Mit der Zentralsparkasse in Wien-Favoriten wurde er für ein breites Publikum zum Inbegriff des Künstlerarchitekten. Dieses Gebäude besitzt alle Attribute, mit denen moderne Architektur schon immer den Volkszorn erregt hat: eine Fassade aus Stahl und Glas, Sichtbeton im Inneren. Aber hier ist Fassade organisch geschwungen, wölbt sich nach außen und ist beim Eingang hochgezogen wie ein leichter Vorhang. Im Schalterraum der Bank werden die Lüftungsrohre zu Eingeweiden, und um keinen Zweifel daran zu lassen, dass man es hier mit etwas Organischem zu tun hat, wird ein Teil des Stiegenhauses von einer großen, in Beton modellierten Hand gestützt. Man darf annehmen, dass es Domenigs eigene ist: Auf nichts anderes stützt sich dieses Gebäude als auf den persönlichen Gestaltungswillen seines Architekten.

Die Zentralsparkasse war das erste größere Projekt Domenigs nach der Auflösung seiner Partnerschaft mit Eilfried Huth 1974, die zehn Jahre gedauert hatte. Skulptural waren die Projekte dieser Partnerschaft von Anfang an gewesen. Das Pfarrzentrum in Oberwart etwa ist eine Betonskulptur im Stil des „Brutalismus“, der mit einiger Verspätung in den 1960er-Jahren auch nach Österreich kam. Mit Brutalität hat diese Architektur ursprünglich nichts zu tun, sondern mit dem charakteristischen rohen Beton, dem beton brut. Dass der Begriff des „Brutalen“ als Angriff auf herrschende Gemütlichkeiten hier mitschwingt, ist aber beabsichtigt.

So wie viele andere Vertreter ihrer Generation, deren Arbeiten aus den 1960er-Jahren derzeit im Architekturzentrum Wien unter dem Überbegriff des „Austrian Phenomenon“ zu besichtigen sind, suchten Domenig und Huth nach einer radikalen Erweiterung des Architekturbegriffs. „Medium Total“ heißt eine ihrer Arbeiten, die in der Galerie nächst St. Stephan ausgestellt war. Dass ein solches Medium organisch, netzwerkartig, selbstgenerierend und in gewisser Weise formlos sein müsste, stand im Widerspruch zum architektonischen Anspruch, ihm trotz allem eine Form geben zu wollen.

Mit dem Idealprojekt für Graz Raggnitz, in dem sie eine technoide Großstruktur mit organischen Zellen kombinierten, gewannen Domenig und Huth 1969 den Grand Prix International d'Urbanisme et d'Architecture, der sie auch international bekannt machte. 1970 verhalf ihnen dieser Erfolg zum Auftrag, Pavillons in die Schwimmhalle für die Olympiade in München einzubauen, leichte Strukturen aus Stahl, die wie versprengte Zellen aus dem Ragnitz-Projekt aussehen. „Holt mal die Artisten her“, soll Günther Behnisch, der zusammen mit Frey Otto für die Planung der Olympiabauten verantwortlich war, damals gesagt haben.

Die Partnerschaft mit Huth musste an dem inneren Konflikt zwischen der Formlosigkeit eines „Medium Total“ und dem architektonischen Gestaltungswillen zerbrechen. Huth konzentrierte sich nach der Trennung auf die Frage der Partizipation, also auf das Bauen als Kollektivanstrengung der späteren Nutzer. Domenig blieb der Künstler, der seine Architektur als individuelle Äußerung zelebrierte. Nun ist Architektur aber die Kunst, die am stärksten von externen Einflüssen abhängig ist. Radikale Künstlerarchitekturen sprengen daher nur selten den Maßstab, den die Gesellschaft für Experimente zu finanzieren bereit ist. Domenig ist es allerdings gelungen, in Dimensionen und Bauaufgaben vorzudringen, die ansonsten meist den Pragmatikern vorbehalten bleiben. Die Erweiterung der Architekturfakultät in Graz, wohin er 1980 als Professor berufen wurde, war ein erster großer öffentlicher Auftrag. Anfang der 1990er-Jahre folgten unter anderem die Rechts- und Sozialwissenschaftlichen Institute der Karl-Franzens-Universität in Graz, eine 300 Meter lange Megastruktur mit eingeschobenen Hörsälen, und das Landeskrankenhaus in Bruck an der Mur.

Grundlage dafür, Projekte dieser Komplexität anvertraut zu bekommen, war die Partnerschaft Domenigs mit Hermann Eisenköck, die später um den Partner Herfried Peyker erweitert wurde und heute unter dem Namen „Architektur Consult ZT Ges.m.b.H.“ firmiert. Über 20 Jahre hat diese Partnerschaft die Spannungen zwischen Vision und Umsetzung bearbeitet und daraus gelernt. In den ersten großen Projekten sind Kompromisse oft noch leicht abzulesen, wenn zwar gewisse Bauteile expressiv durchgeformt sind, anderswo aber die Pragmatik regiert. Mit dem Steinhaus, dem work in progress einer Bauskulptur am Ossiacher See, hat Domenig überdies eine Messlatte seines Architekturanspruchs gelegt, wie sie höher nicht sein könnte.

Die ersten Projekte, bei denen dieser Anspruch auch im großen Maßstab eingelöst wurde, waren dem Kulturbereich zuzuordnen: die Landesausstellung in Kärnten 1995 und vor allem das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, 2001. Für Domenig, der eine Kindheit im Nationalsozialismus hinter sich hat, ist dieses Projekt auch eine persönliche Abrechnung. Dass es gelingen kann, auch bei einer reinen „Investorenarchitektur“ Visionen umzusetzen, haben Domenig und die Architektur Consult vor kurzem mit dem T-Center am Wiener Rennweg bewiesen. Mit 120.000 Quadratmeter Nutzfläche ist dieses Objekt eine der größten Büroimmobilien in Wien. Zugleich ist das T-Center eine liegende Skulptur, die von einem der besten halböffentlichen Räume durchzogen ist, die sich in der neueren Wiener Architektur finden lassen.

Zu seinem 70. Geburtstag wird Domenig die Ehrenkreuzverleihungen und Feiern widerwillig über sich ergehen lassen, wie es sich für einen Künstlerarchitekten seiner Generation gehört. Immerhin kann er zu Recht behaupten, zum Feiern keine Zeit zu haben: Mit einem jungen Team hat er gerade ein neues Büro gegründet, das die Neugestaltung des A1-Rings in Spielberg bearbeitet. Noch ist das Projekt unter Verschluss. Man darf auf das Resultat gespannt sein.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: