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Die Schönheit der Patina
Neue Zürcher Zeitung
3. September 2004 - Jürgen Tietz
Der „neue Glanz an alten Bauten“ gehört ebenso zum strittigen architektonischen Sauberkeitsfetischismus wie die polierten Granit- oder Edelstahloberflächen von Neubauten. Dabei weiss doch „jeder mit gesundem Menschenverstand Begabte“, dass gerade auf solchen Oberflächen der Schmutz noch schmutziger wirkt - so Jeremy Till in seinem inspirierenden Essay über „Architektur und Spuren der Zeit“. Zu finden ist er in Hans Weidingers Buch „Patina“. Es zeigt an ausgewählten Beispielen, wie zeitgenössische Architektur mit Materialien arbeitet, die „in Würde“ altern können, und diese Alterungsspuren darüber hinaus zum Bestandteil ihrer ästhetischen Wirkung macht. Die Lärchenholzschindeln an einem Wohnkomplex von Baumschlager & Eberle in Vorarlberg, Stampflehm bei der Berliner Versöhnungskapelle von Reitermann & Sassenroth oder ein Reetdach auf einem unkonventionellen Schwimmbad von Ushida Findlay im südenglischen Pulborough stehen für die Lebendigkeit und Vielfalt von Materialoberflächen. Anstelle normierter Glätte fordert Weidinger Geschichtsspuren an Wänden und Fassaden. Ein Rehabilitierung von Alois Riegels Kategorie des „Alterswerts“ bietet Weidinger dennoch nicht: Denn sein Plädoyer für Patina ist keineswegs Kennzeichen des Unmodernen - selbst wenn sich Form und Farbe unter dem Druck der Zeit auflösen. Vielmehr versteht er es als eine regional eingepasste Strategie der Nachhaltigkeit in Verbindung mit zeitgenössischer Architektur.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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