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Was war, war was?
Spectrum

2004: das Jahr, in dem das Bild die Architektur erschlug? Der Auftakt zum Abschied von der Star-Architekten-Architektur? Erste Hoffnung auf eine bessere Wettbewerbskultur? Architekten ziehen Bilanz. Eine Umfrage von Wojciech Czaja

24. Dezember 2004 - Wojciech Czaja
Hermann Czech
AUS DEM GEISTE DES TRASH
Jetzt haben wir sie endlich: die Qualität. Bilder schwirren umher, auf denen man alles sieht; nur nicht, was gemacht wird. Das Bild, nicht der Gedanke, trägt die mediale Vermittlung der Architektur. Österreich bei der Architektur-Biennale 2004: Eine Redaktionskonferenz von „News“ hätte dieselbe Auswahl getroffen. Das Architekturzentrum Wien zeigte etwas von den Anfängen: The Austrian Phenomenon (Wien und Graz 1958-1973). Nicht das Buch - wie Victor Hugo voraussagte -, das Bild erschlug die Architektur. Aber wer eine Entwicklung aufhalten will, befindet sich immer auf der falschen Seite. Die Ausstellung „Reserve der Form“ im Wiener Künstlerhaus zeigte alles, was link ist, und fand die Richtung. In den Ebenen der Wahrnehmung, im Wechsel der Bedeutungen bewegt sich der architektonische Gedanke. Der Ausblick? Was vor uns liegt: die Instandsetzung der Architektur aus dem Geiste des Trash.

Walter Stelzhammer
HOFFNUNG: WETTBEWERBSKULTUR! Tausendfach europareife Gesichter, viele davon mit einem Durchschnittsalter unter 25 Jahren, in einer der Fußgängerzonen der Metropole Istanbul. Eine unglaublich pulsierende Stadt voller junger Menschen. Und im fernen Europa? Dank Schüssel und Gusenbauer ist es in der Türkei derzeit angebracht, seine österreichische Herkunft zu verschweigen.

Ach ja, beinahe hätte ich jetzt die Architektur vergessen. Wo sich durch räumliche Distanz der Nebel der Jahresereignisse lichtet, gewinnt man im Rückblick etwas Überblick. Kein schlechtes Jahr war das vergangene. Einige Niederlagen wie in den Jahren davor, aber auch kleinere und größere Erfolge, die Zuversicht aufkommen lassen. Und dann gab es da ja noch diese dubiose Auslobung des Wiener Bodenbereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds für ein Terrassenhaus auf den Tarbuk-Gründen. 30 der 35 Auserwählten haben endlich einmal erkannt, worum es geht. Und siehe da, Solidarität aus der Not heraus kann bisweilen doch Linderung bewirken, die Ausschreibungsgrundlagen wurden abgeändert - ein Hoffnungsschimmer für bessere Wettbewerbskultur im kommenden Jahr!

Margarethe Cufer
DONNERSTALKS BEI DER BAUPOLIZEI
2004 war geprägt von heller Freude über den Sieg von Henke[*]Schreieck beim Wettbewerb für eine Veranstaltungshalle in meiner Heimatstadt Kitzbühel, mit der Hoffnung, dass die Stadtpolitik klug genug sein wird, das Ergebnis auch umzusetzen - 2004 war ein wenig Bedauern darüber, dass das Hilton trotz Genehmigung ohne „Holleindachlandschaft“ verwirklicht wurde, aber große Begeisterung für Joe Zawinul, der mir mit dem „Birdland“ wieder eine Heimat gab - 2004 war amüsant durch meine „Donnerstalks“ ([*] Alfred Dorfer) bei der Baupolizei, wo eine neue Generation von Baupolizisten die Bauordnung auslegt wie Zeugen Jehovas die Bibel, was glücklicherweise ausgeglichen wurde durch überraschend bezaubernde Bauherren - . . . und übrigens: Ich mag den neuen Schwarzenbergplatz!

Friedrich Kurrent
DER BAUER SCHLÄGT DEN KÖNIG
Am 1. Mai dieses Jahres konnten wir in Sommerein das Schatzhaus für die Werke von Maria Biljan-Bilger eröffnen. Ich versuchte mit diesem Bau, den Allerwelts-Glaskästen das Konzept „Rohbau“ entgegenzustellen. Ein Lichtblick und vielleicht eine Wende scheint mir der Erweiterungsbau des Museum of Modern Art in New York zu sein - weg von der weltweit gepushten Star-Architekten-Architektur.

Die drohenden Türme von Wien Mitte sind gefallen. In Köln und München grassiert dieselbe Turm-Manie. Und auch New York macht aus Ground Zero keinen Park. Dies beweist, dass es keine Stadtplanung mehr gibt. Die Investoren bestimmen die Stadtplanung. Zum Ende des Jahres noch eine letzte Meldung: Das alte Salzburger Festspielhaus von Clemens Holzmeister ist bereits vollständig abgerissen - der Bauer schlägt den König.

Siegfried Loos, IG Architektur
BEDROHTE ART: BERUF ARCHITEKT
Die ig architektur hat sich 2004 mit den gesetzlichen Grundlagen für die Berufsausübung auseinander gesetzt und vier Kritikpunkte eingebracht. Denn die dem Ministerium zur Begutachtung vorliegende Novellierung des Ziviltechnikergesetzes schafft weitere Verschlechterungen! Kommt das Gesetz in dieser Form zum Tragen, wird 2004 als das Katastrophenjahr in die österreichische Architekturgeschichte eingehen. Die junge Generation und alle nachfolgenden werden es sich nicht mehr leisten können, den Beruf in Österreich überhaupt noch legal auszuüben. Die unsere Aktionen begleitende breite Öffentlichkeit hat uns darin bestärkt: Noch viel weiter reichende Reformen sind unausweichlich. Erst wenn die Basis für eine zeitgemäße gesetzliche Grundlage für die Berufsausübung geschaffen ist, wird man über die Architektur selbst reden können.

Rüdiger Lainer
UNIFORMITÄT AUF HOHEM NIVEAU
Der mediale Stellenwert der Architektur wächst kontinuierlich. Das Besondere, das Einzigartige besetzt die Oberflächen publizistischer Aktion, gleichzeitig wird es immer langweiliger, Architekturzeitschriften zu betrachten. Dazu liefert die Architektur einige Phänomene: Die Gleichförmigkeit des Außergewöhnlichen von verknüpften Schleifen oder Faltungen, die bei Claude Parent noch Entdeckungen waren, bestimmen heute die Bilder. Währenddessen geht die subtile Mutation des Alltäglichen verloren, nur wenige beeinflusst das unspektakuläre Vorangehen eines Hermann Czech. Angesagt ist eine Uniformität auf hohem Niveau, präzise flach gesetzte Details, eine Ästhetisierung ohne Widersprüche. Und dennoch: Die mediale Präsenz stärkt das Bewusstsein für Architektur als das Leben bestimmende gesellschaftliche Kraft. Das motiviert.

Delugan[*]Meissl
ALLE ELF TAGE EIN NEUES PROJEKT
2004 - war schön. Weil wir 33 Versuche unternehmen konnten, großartige Architektur zu realisieren. Also alle elf Tage ein neues Projekt, eine neue Studie, ein neuer Wettbewerb. Es gab zwei Fertigstellungen, drei Baustellen und immer noch spannende Optionen. All dies geschah mit Offenheit, Gelassenheit und Leidenschaft. Wir hatten die Freiheit, in alle Richtungen zu denken: Möbel, Apartments, Einfamilienhäuser, Wohnbauten, Museen, Schulen, Industriehallen, Hochhäuser, Städtebau und wieder zurück. Das hieß, offen zu sein für Verschiedenes und sich auf das Einzelne zu konzentrieren. Es gab Architektur auf dem Dach, auf dem Berg, im Hang, auf der Wiese, im Wald, in der Stadt und auf dem Land, in Österreich, Europa und in China. Es war schön, weil wir entwerfen, bauen, lernen, lehren, diskutieren konnten. Wir haben mit guten Leuten zusammengearbeitet, eine gemeinsame Sprache gesprochen und viele Ideen zum Leben erweckt.

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