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Ghiberti und die Jetti-Tant's
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Für die einen ist er eine Vergeudung von Talent und Energie, für die anderen der Garant für den kreativsten Entwurf: der Wettbewerb. Eine Abwägung aus aktuellem Anlass.

29. Januar 2005 - Christian Kühn
Ob Wettbewerbe eine Plage oder ein Segen für die Baukultur sind, ist in der Architekturszene immer wieder Gegenstand leidenschaftlicher Debatten. Wettbewerbe liefern dem Auslober den besten Entwurf aus einer breiten Palette von Ideen, sagen die Befürworter. Durch die Publikation und Diskussion der Ergebnisse würden Wettbewerbe überdies zur Entwicklung der Architektur beitragen, oft auch durch nicht prämierte Projekte, weil sie ihrer Zeit voraus waren. Die Gegner sehen im Wettbewerb dagegen eine Vergeudung von Talent und Energie, einen Potlatsch, in dem mit enormem Aufwand an Genie und Fleiß eine Vielzahl von Ideen geboren wird, von denen am Ende alle bis auf eine unrealisiert bleiben. Für den Auftraggeber sei es sicherer, einen Auftrag direkt an den Architekten oder die Architektin seiner Wahl zu vergeben, statt sich womöglich mit einem unbekannten oder gar unerfahrenen Preisträger abfinden zu müssen.

Das Thema ist derzeit in mehrfacher Hinsicht aktuell. Einerseits freut sich die heimische Szene darüber, dass ein österreichisches Büro einen der renommiertesten Wettbewerbe der letzten Jahre gewonnen hat: Coop Himmelb(l)au stehen nach einer langen, von Kämpfen hinter den Kulissen geprägten dritten Wettbewerbsphase als Architekten des neuen Gebäudes für die Europäische Zentralbank in Frankfurt fest. Dem Bewerb war ein Auswahlverfahren vorausgegangen, bei dem aus weltweit 300 Bewerbungen 70 „etablierte“ und zehn „junge“ Büros als Teilnehmer ausgewählt wurden. Aus deren Projekten wählte im Sommer 2003 eine Jury unter dem Vorsitz der an der Technischen Universität Wien lehrenden Architektin Françoise-Hélène Jourda zwölf Kandidaten für die zweite Phase aus, die bis Dezember ihre Projekte weiterzuentwickeln hatten. Im Jänner 2004 wurden aus diesen zwölf drei Preisträger gekürt, die ihre Projekte nochmals zu überarbeiten hatten. Coop Himmelb(l)au erhielten schließlich den Zuschlag mit einem Entwurf in zwei Varianten, die sich in Konstruktion und Nutzfläche und damit in den Kosten unterscheiden. Welche gebaut wird, ist immer noch fraglich.

Einen ähnlich aufwendigen Prozess der Projektfindung gibt es in keiner anderen Disziplin. Viele „kreative“ Dienstleistungen kennen Hearings, bei denen einige Büros geladen werden und persönlich präsentieren, Unternehmen bieten ihre Leistungen im Wettbewerb an, aber sie stellen sich dabei nicht einer Jury, sondern dem Markt, auf dem meist der bessere Preis den Ausschlag gibt. Dass sich in der Architektur ein Verfahren, bei dem Chancen und Aufwand in der Regel in keinem Verhältnis zueinander stehen, bis heute gehalten hat, hängt mit der besonderen Stellung der Architektur zwischen Kunst und Dienstleistung zusammen. Die Historikerin Hélène Lipstadt sieht im neuzeitlichen Wettbewerb eine Autonomiebestrebung, bei der sich das Handwerk des Bauens für einen Moment die Freiheit anderer Künste herausnimmt. Als Meilenstein dieser Entwicklung nennt Lipstadt den Wettbewerb für die Bronzetüren des Babtisteriums in Florenz im Jahr 1401, bei dem alles zu finden ist, was den Mythos des Architekturwettbewerbs ausmacht: junge Künstler ohne große Referenzprojekte, die ihre Chance nutzen (der Sieger, Lorenzo Ghiberti, ist gerade 20 Jahre alt), und mit dem revolutionären Entwurf Filippo Brunelleschis ein zweiter Platz, der zwar nicht realisiert wird, aber die Kunstentwicklung nachhaltiger prägt als der Sieger.

Die Aufregung um einen anderen derzeit in Wien laufenden Wettbewerb, die Funktionssanierung des Ronacher-Theaters, ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Das Ronacher ist in der Architekturszene Symbol für eine knappe Niederlage der Kreativität gegen den berüchtigten Beharrungstrieb der Wiener Seele: 1987 hatten Coop Himmelb(l)au einen Wettbewerb mit einem Projekt gewonnen, das in der Architekturgeschichte heute etwa den Status von Gehrys Museum in Bilbao hätte. Helmut Zilk hatte sich für das Projekt stark gemacht, den Denkmalschutz vorerst in Schach gehalten und am Ende doch - in eigener Diktion - vor der „Jetti-Tant'“ kapituliert, der die Wiener Innenstadt am Ende auch noch zu gefallen hätte. Das Haus wurde schließlich von Luigi Blau ohne große Veränderungen saniert. Ursprünglich als Kabarettbühne konzipiert, war es als Ort für experimentelles Musiktheater - wie Coop Himmelb(l)au ihren Entwurf verstanden hatten - ebenso wenig brauchbar wie als klassisches Musicaltheater: Der Zuschauerraum hat keine ausreichende Neigung, es gibt weder Hinterbühne noch Bühnenmaschinerie.

Womit nach knapp 15 Jahren eine weitere Generalsanierung des Ronacher um rund 30 Millionen Euro ansteht. Unter anderem soll das Parkett des Zuschauerraums abgesenkt und eine völlig neue Bühne errichtet werden, was massive und technisch höchst komplizierte Eingriffe in die Bausubstanz mit sich bringt. Im Wettbewerb wird ein Generalplaner gesucht, der Architektur, Tragwerksplanung, Bühnentechnik und technische Gebäudeausstattung übernimmt. Derartige Leistungen werden in der Regel von Arbeitsgemeinschaften angeboten, die sich für ein Projekt zusammenschließen.

Dass die ig-Architektur, eine Interessenvertretung großteils jüngerer Architekturbüros, sich nun mit heftigem Protest gegen das Verfahren zu Wort gemeldet hat, liegt an den Kriterien: Einen Mindestumsatz des Architekturpartners von zwei Millionen Euro pro Jahr und zumindest ein Referenzprojekt aus dem Theater- und Veranstaltungsbau mit über 15 Millionen Euro Bausumme kann in Österreich nur eine Handvoll Architekten wie etwa Wilhelm Holzbauer nachweisen. Nach dem Protest wurde die Umsatzsumme auf eine Million Euro reduziert, die Einschränkung in Bezug auf die Referenzprojekte blieb aufrecht.

Im Prinzip hat die ig Recht: Die Tendenz, nicht offene Wettbewerbe mit immer engeren Kriterien auszuloben, um nur noch etablierte Büros zum Zug kommen zu lassen, ist fatal. Ob es klug war, gerade den Spezialfall des Ronacher-Projekts als Zielscheibe zu nehmen, sei dahingestellt: Die Architekturleistung steht hier - anders als beim Wettbewerb 1987 - sicher nicht im Mittelpunkt, und junge Büros haben die Chance, sich in Partnerschaften zu bewerben. Auf jeden Fall abzulehnen ist die Beschränkung von Referenzprojekten auf eine einzige Bauaufgabe. Architektonische Kompetenz ist nie auf eine bestimmte Funktion beschränkt. Dass gerade junge Architekten und solche, die sich zum ersten Mal mit einer bestimmten Aufgabe befassen, oft die interessantesten und auch funktionell innovativsten - weil vorurteilsfreien - Beiträge liefern, ist kein Mythos, sondern vielfach belegt.

Der Wettbewerb mit möglichst offenem Zugang ist für öffentliche wie private Auftraggeber nach wie vor das beste Instrument, um in der Architektur Qualität und Innovation zu erhalten. Eine Zugangsbeschränkung mag aus praktischen Gründen manchmal nötig sein: Aber selbst unter den für öffentliche Aufträge geltenden rigiden Bestimmungen des EU-Vergaberechts ist eine Auswahl nach qualitativen und nicht quantitativen Kriterien möglich. Auch dann können - wie das Beispiel EZB beweist - die Großen zum Zug kommen. Aber die anderen haben zumindest eine Chance.

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