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Tirol, gewellt, gefaltet
Spectrum

Die Kämpfe zwischen „Lederhosenstil“ und „modernem Ausdruck“ interessieren kaum mehr. Tirol ist in der postindustriellen Gesellschaft angekommen, auch in der Architektur. Zum neuen Gewerbepark in Aldrans bei Innsbruck.

19. März 2005 - Christian Kühn
„Autochthone Architektur“: Mit diesem Begriff sollte Anfang der 1990er-Jahre eine „Neue Tiroler Architektur“ international bekannt gemacht werden. Abgesehen von der urtirolerischen Lautkombination „chth“, die diesem Schlagwort einen besonderen regionalen Charme verleiht, war unter autochthoner - im wörtlichen Sinn bodenständiger oder alteingesessener - Architektur eine Architektur mit tiefen Wurzeln gemeint, die vom Alpinen Haus der anonymen Tradition über Heroen wie Lois Welzenbacher und Franz Baumann bis zu Josef Lackner reicht. Etwas boshaft ließe sich diese Charakterisierung als „alteingesessen modern“ übersetzen, entsprechend zurückhaltend war auch die internationale Resonanz.

In den letzten Jahren hat sich das Bild jedoch deutlich gewandelt. Die neue Tiroler Architektur ist experimenteller und vielschichtiger geworden, zugleich findet sie auch in der breiten Öffentlichkeit ein verstärktes Interesse. Internationale Stars wie Zaha Hadid und Dominique Perrault haben zu diesem Image beigetragen. Zugleich hat sich durch die kontinuierliche Leistung der lokalen Szene ein Qualitätsniveau eingestellt, das mit jenem Vorarlbergs durchaus konkurrieren kann. Die M-Preis-Märkte werden zu Recht als Modell einer anspruchsvollen, sozial verträglichen und trotzdem ökonomisch erfolgreichen Architektur im Bereich des Handels gepriesen. Und mit dem Umbau des Innsbrucker Adambräu - eines denkmalgeschützten Industriebaus von Lois Welzenbacher - hat das Land kürzlich ein Bekenntnis zur zeitgenössischen Architektur abgelegt: In prominenter Lage sind hier das Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck und das ehemalige Architekturforum Tirol unter seinem neuen Namen „aut - architektur und tirol“ - untergebracht. Letzteres hat sich seit seiner Gründung 1993 zu einem „Hot Spot“ der österreichischen Architekturszene entwickelt, der auch international ausstrahlt.

All das ist kein Zufall, sondern die Konsequenz einer kulturellen Modernisierung und internationalen Öffnung, die zwar wesentlich auf den Tourismus zurückzuführen ist, sich aber längst nicht mehr darauf beschränkt. Tirol ist in der postindustriellen Gesellschaft angekommen, auch in der Architektur. Die alten Grabenkämpfe zwischen „Lederhosenstil“ und „modernem Ausdruck“ interessieren kaum mehr. Relevant sind Fragen nach neuen Wohn- und Arbeitsformen, nach der Beziehung zur Landschaft und vor allem nach der Siedlungs- und Raumordnungspolitik. Denn ähnlich wie das Rheintal in Vorarlberg ist auch das Inntal in Tirol von einer scheinbar unkontrollierbaren Entwicklung geprägt, in der sich Siedlungen und kommerzielle Nutzungen ohne überregionale Abstimmung in die Landschaft fressen. Die ambitionierte Gestaltung von Einzelobjekten kann an den ästhetischen, ökologischen und sozialen Problemen, die sich daraus ergeben, nicht viel ändern. Beklagt wird das schon seit Jahren. Alternativen scheitern meist an den - ökonomisch auf den ersten Blick verständlichen - Egoismen einzelner Gemeinden, die durch großzügige Widmungen und geringe Auflagen Betriebsansiedlungen anzuziehen versuchen.

Eine neue Raumordnungsnovelle, die das Land unlängst beschlossen hat, soll die Schaffung von Planungsverbänden anregen, in denen die Gemeinden überörtliche Raumplanung nicht in Konkurrenz, sondern kooperativ betreiben, ohne ihre Autonomie aufzugeben. Zu den ersten Gemeinden, die sich in dieser Form zusammenschließen wollen, gehören die sieben Gemeinden der Region 17 südlich von Innsbruck. Ein Grund dafür ist ein Projekt eines Gewerbeparks, der von den drei Gemeinden Aldrans, Sistrans und Lans gemeinsam errichtet wird.

Dieses Projekt unterscheidet sich deutlich von allem, was üblicherweise mit dem Begriff Gewerbepark verbunden wird. Anstelle einer Agglomeration von Einzelobjekten soll hier eine große Figur entstehen, die im Dialog mit der Landschaft den Ort prägt, ohne ihn zu zerstören. Die Anlage sieht drei rund 200 Meter lange, ins Gelände gefaltete Großstrukturen vor, die durch ein unterirdisches Garagenbauwerk verbunden sind. Hier können sowohl Produktion als auch Büronutzungen untergebracht werden. In der obersten Zeile ist eine Wohnanlage vorgesehen. Zwischen diesen Strukturen sind fünf Ateliergebäude mit loftartiger Nutzung für Kleingewerbe und Büros eingestellt. In der letzten Ausbaustufe umfasst das Projekt 40.000 Quadratmeter Nutzfläche.

Für Walter Peer, bei der Porr Infrastruktur GmbH als Developer für das Projekt verantwortlich, ist die Signifikanz der Anlage entscheidend für das Erreichen der Zielgruppe von innovativen Produktionsbetrieben und Dienstleistern. Diese Zielgruppe ist am Image und an einer hohen Qualität der Arbeitsplätze interessiert. Der exzellente Ruf, den sich Tirol als Fremdenverkehrsland aufgebaut hat, kann zu einem Standortfaktor auch bei internationalen Betriebsansiedlungen werden, wenn entsprechend auf die Landschaft reagiert wird.

Das Projekt bezieht nicht zuletzt aus diesem Grund den Blick von oben mit ein: Die Struktur ist groß genug, um auch vom Flugzeug aus deutlich wahrgenommen zu werden. Ein Beleuchtungskonzept soll diese Wirkung verstärken. Für den städtebaulichen Entwurf der Anlage zeichnet der Innsbrucker Architekt Johannes Wiesflecker verantwortlich. Er spielt dabei ein prominentes architektonisches Thema der letzten Jahre - Architektur als Landschaft - gegen die kartesianische Geometrie aus: auf der einen Seite die gefalteten Dächer, auf der anderen die klaren Kuben der Ateliergebäude.

Was im Modell locker hingeworfen erscheint, ist das Resultat einer intensiven Beschäftigung mit dem Potenzial des Geländes und den möglichen Bedürfnissen der zukünftigen Nutzer, die ja vorab nicht bekannt sind. Flexibilität ist daher eine zentrale Forderung, die sich durch die offenen Geometrien gut herstellen lässt, ohne bei jeder Änderung eine Beeinträchtigung des Konzepts befürchten zu müssen. Aus demselben Grund wird die Planung der einzelnen Bauteile von einem vorgegebenen „Architektenpool“ übernommen werden, aus dem die Unternehmen auswählen können. Das mag nach Einschränkung aussehen, ist aber letztlich eine Voraussetzung für Qualität. An Interessenten, die sich auf dieses Konzept einlassen, mangelt es jedenfalls nicht. Im Sommer soll der erste Bauabschnitt begonnen werden.

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