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Schöner Wohnen online
Falter

Eine Ausstellung im Architektur Zentrum Wien präsentiert „Kommende Architektur“, überlastet damit die Rechner und unterfordert den Wissensdrang des Publikums.

27. September 2000 - Jan Tabor
Endlich ist der Aufbruch da, dachte ich, während ich den einfühlsamen Pressekonferenzworten von Otto Kapfinger lauschte. Zugleich begutachtete ich jene fantasiereichen Ausstellungsvehikel, auf/in denen die global notwendige kommende Architektur angekommen ist: aus Industriespanplatten gefertigte und auf kleinen Industrierädern stehende Kisten, die mit ihren horizontalen und vertikalen Schautafeln wie Schreib- und Lesepult wirken. Je zwei von diesen Kisten bilden eine mobile Ausstellungseinheit. Insgesamt sind es zehn. Bestückt mit den Schautafeln erinnern sie an die Raumstudie der De-Stijl-Gruppe aus den Zwanzigerjahren. Oben auf den Kisten stehen wie auf Podesten kostbare Reliquien: iMac OS9. Kisten? Kultvehikel sind es. Mobile Gebilde für Transport und Präsentation von Kostbarkeiten. Innovationsaltäre.

Endlich ist wenigstens einem Computerhersteller der Durchbruch zur zeitgemäßen Formschönheit und fortschrittlichen Farbigkeit gelungen, wie wir sie aus der gegenwärtigen computergenerierten Experimentalarchitektur kennen, dachte ich erfreut. Unbegreiflich, dass ausgerechnet Computer, die zum Träger und wenig später auch zum Inbegriff der neuen Globalisierung geworden sind, diese ihre epochale Aufgabe auf so unförmige und unansehnliche Weise abgewickelt haben. Dass ein derart epochemachendes Massenprodukt vom Design, dem Sozialismus der Dinge, völlig unberührt geblieben ist, ist in der Geschichte der Produktgestaltung einmalig. Ein Massengebrauchsgegenstand, dem es, was seine Symbolkraft betrifft, spielend gelungen ist, so formschöne Wunderdinge wie Flugzeuge, Raumschiffe oder Atombomben zu überflügeln und zum unangefochtenen Symbol des 20. Jahrhunderts aufzusteigen. Die Lokomotive hingegen, die zum Vehikel der ersten Globalisierung und zugleich zum Symbol des 19. Jahrhunderts wurde, war von Anfang an das Steckenpferd der Designer gewesen. Bereits 1923 erhob sie Le Corbusier zusammen mit dem Automobil, Aeroplan und Ozeandampfer zu den wichtigsten Inspirationsquellen der kommenden Baukunst. (Der Ausstellungstitel ist übrigens eine Art Leihgabe Le Corbusiers: Ludwig Hildersheimer hat seine deutsche Übersetzung des Manifestes „Vers un architecture“ von Le Corbusier und Amedee Ozenfant 1926 unter dem Titel „Kommende Baukunst“ herausgebracht.)

Jetzt ist sie endlich da, die bereits seit langem mit Spannung erwartete Ausschau mit dem verheißungsvollen Titel „Kommende Architektur (1). emerging architecture (1)“. Langsam bewegt sich die Digitalvideokamera durch, um und über das elegant leere Einfamilienhaus. Wir, die Ausstellungsbesucher, bewegen uns langsam mit ihr, betrachten das Haus aus der Höhe. Es steht auf einem steilen Hang, inmitten echter Tiroler Häuser aus Holz und mit Satteldächern, inmitten jener majestätischen Gebirgslandschaft, die wir vorher durch Kameraausblicke durch die wandgroßen Fenster bereits kennen gelernt haben. Stille. Nur Frühlingsvöglein singen laut. Der Gesang kommt allerdings aus Gleisdorf, vom Nachbarn: lichtblau.wagner stellen ihren Bürohaus-Zubau von 1998 vor. Dann ist die erste digitale Besichtigung vorbei.

Langsam geht es wieder weiter. Das Bild beginnt zu zucken. Der Rechner ist zu schwach für die ungeheuren Datenmengen des langen, langsamen, langweiligen (wie kann derart spannende Architektur so fad präsentiert werden?) und kitschigen (was aber für den Rechner selbst möglicherweise ohne Bedeutung ist) Digitalvideos. Das Bild verschwindet abrupt: Fehlernummer - 9881.

Der Rechner ist abgestürzt. Es ist ein hübsches Gerät - bläulich schimmerndes transparentes Gehäuse, ein wie im Windkanal geformtes Ovoid. Eine Megabyte-Bijouterie unter den Computern. Ein Eisvogel unter grauen Gänsen. Ganz ähnlich jener luzid schimmernden, transparenten, organisch gekrümmten und gekurvten Membranarchitektur, die neuerdings in vielen Varianten und großen Mengen aus den Computern der Architekturbüros kommt und im Begriff ist, jene schlichte, klare, karge, minimalistische, stereometrische, präzise, logische, fuktionalistische ... Beton-Glas-Metall-oder-Holz-Architektur zu ersetzen, die in einer Auswahl von zehn erlesenen verwirklichten Bauwerken im Architektur Zentrum Wien vorgestellt wird.

Es ist eine Wander- und Fortsetzungsausstellung. Es könnte allerdings passieren, dass die emerging architecture abhanden kommt, noch bevor die Kisten mit der frohen Architekturbotschaft anderswo angekommen sind. Computer beschleunigen die ganze Welt, auch die der global notwendigen Architektur aus Österreich, die hier durch zehn österreichische Büros vertreten wird: Bulant & Wailzer, Peter Ebner, Geiswinkler & Geiswinkler, Kaufmann 96 GmbH, Rainer Köberl, lichtblau.wagner, Marte.Marte, Pichler & Traupmann, Riepl Riepl, Splitterwerk. Aus dem Pressetext: „Die in dieser Ausstellung vertretenen Büros wurden nach dem Gesichtspunkt einer global notwendigen kommenden Architektur selektiert. (...) Nicht die Bedienung des Mainstream mit motivischer Äußerlichkeit und kurzschlüssigem Funktionalismus, sondern Nachhaltigkeit, kontextuelles Planen und kompositorische Neuorientierungen stehen im Vordergrund.“

Die Selektion der Verteter ist tadellos (Spitzenarchitekten allesamt, viele kommende Stararchitekten unter ihnen) und beliebig (es stehen viele gute, ja sogar bessere Architekten zur Auswahl). Die verwirklichten und projektierten Bauwerke, die nun vorgestellt werden, sind hervorragend und auch dann interessant, wenn man sie kennt. Einige wurden bereits ausgezeichnet - die Glaserei Ebner in Güssing von Pichler & Traupmann etwa oder auch das Altenwohnheim Feldkirch von Rainer Köberl. Viele wurden bereits in Hochglanz-Architekturmagazinen publiziert, die allerdings meist erheblich informativer sind als diese langweilige Ausstellung nach dem Motto „Schöner Wohnen online“.

Die Schautafeln sehen wie Probedruckfahnen für ein Architekturmagazin aus, das sich nur einen mittelmäßigen Artdirector leisten kann. Die Ausstellung ist eine oberflächliche messeartige Präsentation eines Produktes, wobei unklar bleibt, ob hier das relativ neue Mac-Design oder aber die relativ neue Architektur (im Prinzip ist es seit gut zehn Jahren die vorherrschende Architekturdoktrin mit bereits global verehrten Klassikern) vorgestellt wird. Sämtliche Grundinformationen über Maße, Ausmaße, Grundrisse, Schnitte, Lagepläne, Konstruktions- und Funktionsangaben, Baudetails und Bauherren fehlen. Wenn Zeichnungen vorhanden sind, dann als behübschende Layoutbeigaben. Erklärungstexte sind nur im Katalog zu finden. Der sieht wie der verkleinerte Best-of-Reprint eines farbigen Hochglanz-Architekturmagazins im preiswerten Schwarz-Weiß-Druck aus. Der Preis der Broschüre ist bereits schwarz-blau sozialtreffsicher: 546 Schillinge.

[ Bis 30. Oktober im Architektur Zentrum Wien ]

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