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Viel Spaß mit Ausländern
Falter

Auf der 7. Architekturbiennale wird eine neue Ethik des Bauens gefordert. Die Welt wird durch den Computer gerettet, die Ausstellung durch die sparsamen, aber spaßigen Schweizer, die sich nicht nur über Österreich lustig machen. Und auch Österreich macht mit den internationalen Beiträgen, die Hans Hollein eingeholt hat, eine schlanke Silhouette.

16. August 2000 - Jan Tabor
Massimiliano Fuksas errichtet auf dem Wienerberg in Wien zwei Bürotürme, den Twin Tower. Das Bauwerk, bereits beinahe fertig, scheint ästhetisch in bester Ordnung zu sein. Und damit auch ethisch, könnte man behaupten, wenn man das dominante gläserne Bürohaus unter dem Gesichtspunkt eines Ethik-Postulats beurteilen müsste. Der Twin Tower ist einer der im österreichischen Pavillon vorgestellten Bauten ausländischer Architekten in Österreich. Einem architektonischen Modell werden hier einige skulpturartige Formstudien gegenübergestellt - ein architekturästhetischer Genuss sondergleichen, wirklich schön und eindrucksvoll ausgestellt.

Architekt Massimiliano Fuksas, 1944 in Rom geboren, ist einer der Superstars der 7. Architekturbiennale von Venedig. Er kommt - wie Jean Nouvel, Zaha Hadid, Greg Lynn und ein wenig auch Hans Hollein - mehrmals und in mehreren Funktionen vor. Das ist einer der wesentlichen Unterschiede zu den Kunstbiennalen, bei denen die Trennung zwischen Nominierenden (Direktoren, Kuratoren, Kommissare etc.) und Nominierten (Künstler, Architekten etc.) die Regel ist. Das entspricht dem Unterschied der Professionen: Die Berufsethik der Architekten ist - traditionell - eine andere als die der Künstler.

Massimiliano Fuksas ist eine Art Biennale-Selfstar, der vieles und viele überstrahlt. In der Corderie, der etwa 300 Meter langen Schiffstau-Manufaktur im Arsenal, wartet er mit einem 280 Meter langen Screen auf, auf dem in Form von rasch wechselnden und lauten Videocollagen Bilder aus einigen unheimlich rasant wachsenden Megastädten wie Kalkutta, Kairo, Hongkong, Tokio, Manila oder Mexico City eine Horrorvision der allgemeinen Weltzukunft vermitteln. Mit ein wenig bösem Willen könnte man es als eine klassische kolonialistisch-rassistische Sicht des Globus sehen: Unsere kulturell gesittete urbane Welt ist von der unreglementierbaren Bevölkerungsflut aus einigen stadtplanungs- und architekturmäßig ungebändigten Ländern bedroht.

Aber das ist nur eine mögliche Interpretation und unter Umständen eine Unterstellung. Die Superleinwand (Guinness-rekordverdächtig) ist vor allem ein riesiges ausstellungstechnisches Problem für etwa ein Viertel der Biennale-Teilnehmer: Damit man die in jeder Hinsicht blasse Projektion sieht, die die halbe Korridorhalle beansprucht, muss auch die andere Hälfte in beinahe mystischer Verdunkelung gehalten werden, die die dort in Kojen ausgestellten Einzelpräsentationen von etwa 45 Teilnehmern (rund die Hälfte der eingeladenen Architekten bzw. Künstler) wie rätselhafte und kostbare Reliquien präsentiert, obwohl es sich meist um ziemlich banale Leistungsschauen von mehr oder weniger eitlen und selbstdarstellungsgeilen Architekten handelt. Viele Pläne und Bilder sind zu sehen, ohne deren elendslange Begleittexte man nicht verstehen kann, worum es geht und welchen Zweck die vorgestellten Bauwerke eigentlich zu erfüllen haben. Man kann hier kaum etwas sehen und schon gar nichts lesen, außer fünf Minuten vor der Sperrstunde, wenn das Screenmonstrum ab- und die Zentralbeleuchtung eingeschaltet wird.

So sind die Architekten: Kommen sie an die Macht, so sind sie nicht zu halten und wollen alle in den Schatten stellen. Mit 138 Meter ist der Twin Tower der höchste der neuen Wiener Hochhäuser. Im Hauptpavillon in den Giardini ist Fuksas auch gebührend vertreten: Mit einer ebenfalls monumentalen und in mythischer Dämmerung versenkten Multivideoschau, einer gleichsam neoutopischen Antwort auf den in seiner Megalongscreenprojektion festgehaltenen Megapolis-Befund: „Citta Internazionale Terzo Millennio“.

Wenn sich eine gemeinsame ethische Aussage aus den jüngsten Biennale-Beiträgen herausfiltern lässt, dann ebendiese: Die urbane Welt kann gerettet werden, die Rettung kommt aus dem Computer. Der Retter kommt mit dem Computer. Der Retter ist ... Richtig geraten: der Architekt. Der global denkende Architekt freilich. Und wenn es einen in Venedig erkennbaren ästhetisch-formalen Trend für die Gegenwartsarchitektur gibt, dann ist es die Wiederentdeckung von Formen und formalen Experimenten aus den Sechzigerjahren. Es ist der Trend einer Computerisierung der Sechziger und Siebziger, die Fortsetzung der Postmoderne der Achtzigerjahre mit anderen Mitteln. Keine Revolution, keine Rebellion, kein Protest weit und breit. Der Gegenwartsarchitekt ist - wie fast immer - ungemein fortschrittlich und apolitisch. Merkwürdig, dass ausgerechnet Fuksas keinen der zahlreichen Biennale-Preise erhalten hat.

Der Direktor der 7. Architekturbiennale ist Architekt Massimiliano Fuksas. In der Hauptangelegenheit mühte er sich vergeblich ab. Seiner Biennale-Losung folgten nur wenige. Eine schöne, weil nicht auflösbare Losung, hat er ausgegeben, beinahe ein 68er-Aufruf: „Citta: Less Aesthetics, More Ethics“. Ob von Oberkommissar Fuksas selbst oder von den jeweiligen Nationalkommissaren eingeladen - die meisten Architekten haben hauptsächlich mit einem ästhetischen Problem zu kämpfen gehabt: Wie sollten sie ihre Bauten oder Projekte, Ideen und Ansichten (die gewiss allesamt ethisch makellos sind) darstellen und damit sich selbst als bedeutende Architekten vorstellen. Auch diesbezüglich nichts Neues: Der eine Selbstdarsteller ist zurückhaltend bis spröde, der andere üppig und unübersehbar einfallsreich. Manche stellen Stücke aus ihrem Vorrat so lustlos aus, als hätten sie es bloß hier abgestellt - so etwa Coop Himmelb(l)au , die ihr sechs Jahre altes Havana-Modell „Like Sugar: White on White“ nach Venedig karrten. Es ist kein Computer dabei. Havana ist verloren, das wissen wir längst.

Unter den Architekturnationen sind die Schweizer die größten Spaßmacher. Außerdem sind sie auch die größten Sparmeister. Während die meisten der 38 teilnehmenden Architekturnationen der Biennale in Venedig erhebliche Mittel ausgegeben haben, um der Welt ihre besten Architekten und Bauwerke, gegebenenfalls ihre größten Baumoralisten bzw. moralischsten Bauabsichten vorzustellen, machen sich die Schweizer über Ausländer lustig - und das fast umsonst! Auch auf unsere Kosten. Um über uns Österreicher, ihre nettesten Nachbarn, spotten zu können, adaptieren sie sogar unsere besten Burgenländerwitze. Wie etwa diesen, den man nun in Venedig lesen kann: „Warum hören die Österreicher so laut Musik? Steht ja drauf: VOL UME.“

Außerdem werden die Schweizer überall bevorzugt. Ihr Pavillon steht auf dem Rundweg durch die Giardini als erster gleich neben dem Eingang (der österreichische hingegen ist der entlegenste) und ist - so weit man durch das Gittertor in den versperrten Pavillon hineinsehen kann - leer. Dennoch gehen drinnen Besucher umher, recht viele sogar, viel mehr als im österreichischen. Sie unterhalten sich köstlich. Sie lachen laut. Nie hätte ich gedacht, dass Japaner so hemmungslos laut lachen können.

Das italienische Aufsichtsmädchen vorm Tor schickt die neu hinzukommenden Besucher des Schweizer Pavillons unfreundlich aus den Giardini heraus: Der neue Eingang befinde sich rechts vor dem Biennale-Haupteingang. Alle italienischen Aufsichtsmädchen, meist Studentinnen, für die die Biennale stets ein guter Ferienjob ist, sind diesmal auffallend unfreundlich. Ich schreibe es dem aggressiven Ethik-Überangebot der überfüllten und übergestalteten Biennale zu. Das Abgewiesenwerden macht neugierig und erhöht die Sehnsucht. Später gelange ich zu der Auffassung, dass auch das unfreundliche Mädchen vorm geschlossenen Tor eine politische Metapher ist. Etwa so: In Länder wie die Schweiz werden wir, die Fremden, künftig höchstens hineinklettern, über irgendwelche Hintereingänge gelangen können. Die Boote sind voll in Europa.

Der Schweizer Pavillon ist tatsächlich leer. Nur die Wände sind beschrieben. In verschiedenen Handschriften und Sprachen, hauptsächlich auf Deutsch, Englisch, Französisch, aber auch auf Tschechisch, Polnisch und Japanisch. Das ist alles. Sehr billig, verglichen mit den erheblichen Selbstdarstellungaufwänden der anderen. Der Österreicher etwa. Man kann über die Polen, Juden, Griechen, Jugoslawen, Zigeuner, Tschechen und Österreicher lachen. „Nennen Sie einen kurzen Satz, der aus drei Lügen besteht! Ehrlicher Pole mit eigenem Auto sucht Arbeit. - Warum ist das Kind einer Russin und eines Polen die optimale Mischung? Es ist zu faul zum klauen! - Wer seine Neutralität aufgibt, ist entweder ein Trottel oder ein Österreicher. - Wie nennt man einen Italiener auf der Rolltreppe? Scheiße am laufenden Band.“ Jemand hat hinzugefügt: „Svizzeri! Siete patetici!“ Offensichtlich eine Dame mit feinem venezianischem Humor. „No Austrians, sorry“, antwortet mir einer der lachenden Japaner, als ich ihn frage, ob der in japanischen Schriftzeichen geschriebene Witz von Österreich handle, „only about Koreans“. Ein brutaler antisemitischer KZ-Witz wurde (musste) übermalt (werden). Allerdings so, dass man ihn dennoch lesen kann.

„For fuck's sake! Where is the architecture?“, ärgert sich jemand, wahrscheinlich ein Amerikaner, über seine körperliche Anstrengung, die umsonst war: Man betritt den Schweizer Pavillon mühevoll über das Dach, über ein einfaches, gefährlich wackelnden Baugerüst. „This is the architecture, you American gum chewing shit-head, isn't!?“ Möglicherweise ist die provisorische Hintertreppe eine politische Metapher. "Auf die Frage ,Haben wir zu viele Ausländer in der Schweiz?„ antworten 20 Prozent mit Nein, 30 Prozent mit Ja und 50 Prozent mit ,können du Frage stellen nochmal?“." Man würde meinen, das eigentliche Problem der Schweizer Architekten sei der Ausländerhass. Die Schweizer sind Ausnahme: Sie sind eindeutig.

Ganz anders die Österreicher. Sie erscheinen in Venedig als die größten Xenophilen und Philosemiten unter den modern bauenden Völkern. Und als die größten Pathetiker. Vor ihrem Pavillon, dem einzigen unter allen nationalen, hängt neben der rot-weiß-roten Österreich-Fahne auch der himmelblaue Europa-Sternenbanner. So schön nebeneinander wie am Ballhausplatz in Wien, farblich übereinstimmend, pathetisch, feierlich und auch ein wenig politisch. Ein klares Bekenntnis auch in Venedig. Das müssten die drei Weisen sehen! Drinnen: eine der besten Präsentationen der ganzen riesigen Biennale - lauter erstklassige Architektur, entworfen von den größten Stars der diesjährigen Biennale, ungemein elegant und sorgfältig ausgestellt. Hans Hollein, der österreichische Biennale-Kommissär, hätte den Preis für den besten Nationalpavillon der 11. Biennale verdient. Zusammen mit den Schweizern.

Unter dem Motto „Österreich - Aktionsfeld für internationale Architektinnen und Architekten. Ausländer lehren, entwerfen und bauen in Österreich“ werden geplante Projekte bzw. bereits verwirklichte Bauten präsentiert: Ben van Berkel (Haus für Musik, Graz), Peter Cook / Colin Fourier (Kunsthaus Graz), Norman Foster (Eurogate Vienna - Bebauungsplan), Massimiliano Fuksas (Vienna Twin Tower und Euro-Spar, Salzburg), Zaha Hadid (Überbauung der Stadtbahnbögen in Wien und Skischanze Bergisel in Innsbruck), Greg Lynn (OMV-Pavillon, Schwechat), Thom Mayne (Hypo-Alpe-Adria-Zentrum, Klagenfurt) und Jean Nouvel (Interunfall-Landesdirektion, Bregenz).

Der österreichische Pavillon: ästhetisch tadellos, ethisch neutral, politisch uneindeutig. Abgesehen davon, dass die Aussage, Österreich sei für ausländische Architekten eine Art Bau-Eldorado, nicht stimmt. Man könnte unzählige internationale Wettbewerbe nennen, die von Ausländern gewonnen wurden - die Bauaufträge haben dann aber österreichische Architekten bekommen. Bis zum EU-Beitritt Österreichs war das die Regel. Jetzt kann man die ausländischen Architekten nicht mehr so leicht ausbooten. Man könnte an viele Wettbewerbe erinnern, bei denen hervorragende ausländische Architekten mit hervorragenden Entwürfen leer ausgegangen sind. Die Situation ist allerdings in den letzten zwei, drei Jahren spürbar besser geworden, insofern hat Hans Hollein mit seiner Biennale-These durchaus Recht. Verglichen mit anderen Ländern ist der Anteil bauender ausländischer Architekten in Österreich freilich weiterhin gering.

Hans Hollein wollte, dass der österreichische Beitrag auf der Biennale eine klare Aussage zur aktuellen politischen Situation enthält. Das sagte er deutlich, über seine Absicht besteht kein Zweifel. Kurz vor der Eröffnung dürfte ihm aufgefallen sein, dass das Motto und der Inhalt „Austria - Area of Action for International Architects. Foreigners teach, plan and built in and for Austria“ (die englische Version klingt noch viel pathetischer als die deutsche) wie eine von der Regierung bestellte Unterstützung für ihren propagandistischen Feldzug gegen die EU-Sanktionen erscheinen musste.

So lud Hollein noch rasch einige Architekten ein, unter dem Motto „Area of Tolerance. For Peace, Freedom of Art - Against Racism and Xenophobia“ einen Entwurf für den Ballhausplatz beizusteuern, der zum Symbol des permanenten Widerstandes gegen die Koalition geworden ist. Jean Nouvel schlägt einen Turm vor, Greg Lynn eine Riesenknospe (Lynns computergenerierte Baustrukturen sehen alle wie blumige Blasen aus) und Thom Mayne eine dreidimensionale, in den Boden eingelassene Weltkarte. Hermann Czech entwarf in Anspielung auf den historischen Namen „Ballhaus“ einen haushohen Ballspielplatzkäfig. Adolf Krischanitz stellt (eine politisch höchst ambivalente Idee) die zwei von ihm in Wien errichteten jüdischen Schulen vor. Außerdem stellt er auch einen Computer aus, in dem - falls das frustrierte Dienst habende Aufsichtsmädchen sich dazu bereit findet, das Gerät einzuschalten - die Webseiten mit den Informationen über die regelmäßigen regierungskritischen Demonstrationen abgerufen werden können, die am Ballhausplatz beginnen. Sobald die Webseiten erscheinen, hört die politische Zweideutigkeit auf. Hans Hollein hat eine gute Lösung gefunden. An die Ballhausplatz-Ideen von Ben van Berkel und Zaha Hadid kann ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern.

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Für den Beitrag verantwortlich: Falter

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