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Times Square in Vienna
Falter

BAUKASTEN Anmerkungen zur Architektur. Diesmal: vier mal mehr, mal weniger gelungene Neubauten im und ums MuseumsQuartier

10. November 2004 - Jan Tabor
Das neue Bürohaus in der Breite Gasse dürfte das schmalste Gebäude in Wien sein, vielleicht gar auf der ganzen Welt. Das passt gut hierher, weil es sich nur wenige Schritte von jenem Eckhäuschen befindet, von dem die Sehenswürdigkeitstafel behauptet, dies sei das kleinste Haus in Wien.

Der neue Rekordbau, der den Eingang ins MuseumsQuartier von der Breiten Gasse aus schafft, ist 69 Schritte lang, sieben Schritte breit und - auf der MQ-Seite - etwa 23,5 Schritte hoch. Carl Pruscha, der Architekt, hatte, als ich ihn anrief, keine Maße parat, also musste ich das Gebäude abschreiten. Beim Telefonat, hatte ich das Gefühl, er will sich zu seinem Bau nicht richtig bekennen. Es wäre verständlich, wenn er auf Distanz gehen will.

Das schmale neue Haus selbst ist nicht verhaut, ganz im Gegenteil. In seiner architektonisch trostlosen Umgebung fällt es positiv auf mit seinen schmalen horizontalen Fenstern, die in der Fassade elegant, unregelmäßig und logisch verteilt sind wie früher die Löcher auf den Computerlochkarten. In der Umgebung ist das Haus, trotz der dunklen Farben der Edelroststahlplatten seiner beiden Fassaden, eine leuchtende Erscheinung.

Auf einer der Fassadenplatten ist jener Rost gewordene Abdruck eines Bauarbeiterschuhes zu sehen, der mich auf die Idee brachte, das elegant proportionierte - 6:3:1 - Haus mangels Maßangaben selbst abzuschreiten. Am schönsten erscheint das schlanke Gebäude in jenem städtebaulichen Ausschnitt, der durch die Blicklücke entsteht, die sich ergibt, wenn man unten im MQ vor der schrecklichen Stiege zwischen dem MUMOK und der Kunsthalle steht.

Obwohl es nicht danach aussieht, ist das kleine Bürohaus möglicherweise das bedeutendste Bauwerk in Wien nach der Fertigstellung des MuseumsQuartiers. Denn der Neubau schließt die legendäre Baulücke nach einem Kleinhaus, das demoliert wurde, um das MuseumsQuartier und damit die ganze Innenstadt sowie die Breite Gasse und damit den ganzen, dicht bevölkerten Bezirk Neubau miteinander zu verbinden und der Anlage die Wirkung einer innenstädtischen Barriere zu nehmen.

Um die Baulücke größer zu machen, wurde noch ein schmales Haus nebenan demoliert. Allerdings nicht, um Platz für einen großzügigen Eingang ins MQ zu schaffen, sondern um das neue Bürohaus zu erweitern, das nun den verschämten Charme eines herkömmlichen Spekulationsbaus spätestens dann auszustrahlen beginnt, wenn man das MuseumsQuartier betritt.

Den Eingang hat der Architekt total verhaut. Oder wer auch immer. Es ist kein Tor. Es ist bloß ein Ausschnitt aus dem Bürohaus, ein lustloses Bebauungsloch, das mit einer hässlichen Stiege und einem plumpen Aufzugschacht aus schlampig bearbeitetem Sichtbeton gestopft wurde. Der Eingang Breite Gasse ist außerdem der einzige Zugang zum neuen Glacis Beisl. Mit ihm ist das MuseumsQuartier endgültig eine Gastronomiefestung mit Kunst- und Kulturanhang geworden. Das ist gut so. Denn mit der Außenkunst, man schaue sich das Kunstobjekt „1:1“ neben dem MUMOK an, ist das MuseumsQuartier nicht zu retten. Nur mit Konsum.

Auch das neue Glacis Beisl ist verhaut. Weil die einst einzigartige Situation hier nach dem devastationsartigen Umbau der Hintertrakte durch Manfred Wehdorn derart grundverhaut ist, dass überhaupt keine Architektur mehr helfen kann, weder schlechte (wie jetzt) noch gute (vielleicht später). Der einstige, von wunderschönen geschlossenen Mauern geschützte Garten sieht jetzt wie ein enger, scheußlicher Tiergraben einer Burg aus.

Da sich der gläserne Zubau des Glacis Beisls unterhalb des Dachstegs befindet, schaut man von dort aus hinunter wie in ein Terrarium, in dem nicht fremde Affen, sondern Wiener Feinschmecker tafeln. Um diesen Eindruck ein wenig zu entschärfen, wurde der Glasappendix in eine Kiste aus rotweinrot gefärbten, nach einem floralen Jugendstilmuster durchlöcherten Holzfaserplatten gesteckt, als wäre er mit einem Naturtarnnetz überzogen.

Der Hof mit dem Kindermuseum Zoom und dem soeben eröffneten Theaterhaus für junges Publikum Dschungel Wien ist der erste, der im Sinne eines urbanen vitalen Zentrums wirklich tadellos funktioniert. Das Theater verfügt über zwei einander gegenüberliegende Spielsäle, die miteinander durch einen weiten Raum verbunden sind, der zugleich Theaterfoyer und Theatercafé ist. Indem sie die Geräumigkeit belassen haben, ja, sie durch die Gestaltung zelebrieren, ist es den Architekten Christian Lichtenwagner und Willi Froetscher vortrefflich gelungen, beide Funktionen unter einer schönen Decke - dem barocken Ziegelgewölbe - unterzubringen.

Der Raum wurden offen gelassen und spärlich, aber ausreichend mit leichtem Möbel bestückt: 1950er-Retro aus dünnen Stahlstäben und mit niedlichen orangenen Gänsefüßchen beschuht. Das ist das einzig Kindliche hier. Sonst Erwachsenendesign. Die Glaswände nach außen sind groß und geben den Blick frei auf den einzigen erfolgreich belebten Hof im ganzen MuseumsQuartier.

Unter anderem erfolgreich belebt durch einen neuartigen Kiosk, der dem quadratischen Außenraum tagsüber eine spannende biomorphe Note verleiht und nachts in eine chamäleonartig wechselnde synthetische Farbigkeit versinkt, die dem visuell faden MQ ein wenig von der behaglichen Lichtatmosphäre des Times Square verleiht. Nur dreihundert farbige Neonröhren sind für so viel glamouröse New-York-Illusion nötig.

Entworfen wurde die futuristische Würstelbude aus milchigem Plexiglas von Kristof Jarder. Der ER.FRISCHER, wie er sein Erstlingswerk nennt, hat die Form eines Boxerhandschuhes, der zum Giftpilz und zurück mutiert. Trotzdem ist die gekurvte Budenleuchte nicht nur formal ordentlich ausgefallen, sondern auch funktionell perfekt. Die Läden werden mit Hilfe von Teleskopen aufgehoben und dienen als Vordächer. Damit die Kundschaft, tagsüber hauptsächlich Kinder, bis hinauf zur Theke reichen kann, liegt rundherum eine zylindrische Rampe wie ein umgedrehter Teller.

Der einzige Mangel ist stadtgestalterischer Natur: Der Kiosk wurde unvorteilhaft in einem Eck des Hofes abgestellt, statt ihn in die Mitte auf der Diagonale zwischen beiden Kinderzentren zu stellen. Dort aber soll demnächst eine Eiche gesetzt werden. Ob eine echte, fragile, oder eine strapazierbare aus Kunststoff, ist nicht klar.

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