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Verkauft die Kunsthalle!
Falter

Ihre Übersiedlung vom MQ unter den Karlsplatz könnte das Wiener Dilemma der Präsentation moderner Kunst lösen.

31. Juli 2002 - Jan Tabor
Dem Wiener Konzept des Museums des 19. Jahrhunderts liegt die schöne und nicht ganz falsche Annahme zugrunde, dass es bereits genug Kunst auf der Welt gäbe. Aus diesem Grund baut man Museen, das Museum moderner Kunst etwa, grundsätzlich ohne Räume für Wechselausstellungen. Allerdings will die Kunstgeschichte kein Ende nehmen. In einst ungeahnten Dimensionen wird Kunst geschaffen, angeschafft und umhergeschoben. Dadurch sind die Museumsleute von heute, selbst jene, die mental noch im 19. Jahrhundert stecken (was in Wien die meisten sind), in eine geradezu moderne Verlegenheit geraten: Wenn sie Ausstellungen machen wollen, müssen sie wagemutig improvisieren, was das Zeug (Räume, Kunstwerke, Besucher) hält.

Zum Beispiel Wilfried Seipel, Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums: Wenn er mit Ausstellungen wie „Weißes Gold der Eskimos“ (Generalsponsor Iglu GmbH) oder mit Retrospektiven für Ernst Fuchs und Kumpf um „seine Publikumsrekorde ohne eigene Sonderausstellungshalle ringt“ (Presse vom 19. Juli), muss er auf das ungeeignet renovierte Palais Harrach zurückgreifen oder sich beim Künstlerhaus einmieten. Dennoch seufzte Seipel, den man für die graue Eminenz der schwarzen Kulturpolitik halten darf, staatsmännisch besorgt auf, als er gefragt wurde, was er von dem roten Plan halte, das Künstlerhaus unterirdisch aufzustocken: "Wie und womit alle diese Flächen einmal bespielt und damit auch finanziert werden können ... Also: „Gigantomanie“.

Obwohl seine Angabe, die geplante Künstlerhaus-Erweiterung rechne mit 4000 Quadratmetern Ausstellungsfläche, unrichtig ist, liegt Seipel mit seiner Einschätzung der allgemeinen Lage nicht ganz falsch. Allerdings sind alle (bis auf eine) in den letzten Jahren hinzugebauten oder adaptierten Ausstellungsflächen in Wien für den zeitgemäßen Ausstellungsbetrieb bestenfalls beschränkt geeignet. Man muss also weniger von Gigantomanie als von einem gigantischen kulturpolitischen und architektonischen Dauerpfusch sprechen. Denn was soll gigantomanisch daran sein, dass das 2001 fertig gestellte Museum moderner Kunst über weniger Ausstellungs- und Depotflächen verfügt als in seiner Zeit davor?

In seinem Presse-Aufsatz vom 19. Juli, mit dem Hans Haider wieder einmal eine Kampagne gegen die rote Kulturpolitik startet und als Vorwand dafür das Projekt „Kunstplatz Karlsplatz“ verwendet, wird behauptet, dass es in Wien 80.000Quadratmeter an neuen Ausstellungsflächen geben soll. Ob die Zahl stimmt oder so falsch ist wie die 4000Quadratmeter fürs Künstlerhaus, tut eigentlich nichts zur Sache. Wichtig ist das, was in der Presse nicht steht: dass es in Wien keine Räume gibt, die groß und flexibel genug wären, um für Präsentationen zeitgenössischer Kunst geeignet zu sein.

Und noch eines ist zu der Vermehrung von Kunsträumen in Wien anzumerken: Sie sind allesamt architektonisch uninteressant. Sieht man von Heinz Tesars Essl-Museum in Klosterneuburg ab, gibt es eine einzige Ausnahme: die Generali Foundation von Christian Jabornegg und András Pálffy. Die Qualität dieser Galerie ist derart hoch, dass ihre Architekten 1997 mit der Gestaltung der documenta 10 in Kassel beauftragt wurden. 1998 gewannen sie den Wettbewerb für die Neugestaltung des Künstlerhaus-Umfelds. Es galt die Möglichkeiten zu nützen, die der Bau der neuen unterirdischen U-Bahn-Wendeanlage in unmittelbarer Nähe des Künstlerhauses mit sich bringt.

Jabornegg und Pálffy warteten mit einer ebenso genialen wie verblüffend einfachen Lösung auf: Seitlich vom Künstlerhaus sollen neue Räume entstehen, die sowohl mit den Gängen, Passagen und Rampen der U-Bahn als auch mit den unter- und oberirdischen Räumen des Künstlerhauses verbunden sind. Verteilt auf zwei Ebenen, werden hier in drei großen Sälen etwa 2000 Quadratmeter an neuen Ausstellungsflächen entstehen. Diese zusätzlichen Räumlichkeiten sind etwa zu einem Drittel bereits im Zuge der U-Bahn-Erweiterung entstanden; der Rest könnte außerordentlich billig errichtet werden, weil manche Baumaßnahmen, wie etwa Stützmauern, ebenfalls bereits durchgeführt werden mussten.

Ganz abgesehen davon, dass mit einem derart ausgestatteten Künstlerhaus in Wien endlich ein voll taugliches und ungemein flexibles Ausstellungshaus zur Verfügung stehen würde und im Zuge dieses Umbaus auch einige der stadtplanerischen Sünden am Karlsplatz korrigiert werden könnten, spricht schon allein die außerordentliche Qualität der Architektur für die Verwirklichung des Projektes von Jabornegg und Pálffy. Zudem bietet es eine einmalige Chance, das Doppeldesaster der städtischen Kunsthalle und des staatlichen Museums moderner Kunst im MQ elegant zu beenden. Die Stadt Wien müsste sich nur dazu entschließen, die funktionsuntüchtige Kunsthalle an den Bund zu verkaufen, der sie Direktor Edelbert Köb zur Verfügung stellen sollte, damit das von ihm geleitete Museum moderner Kunst überhaupt einen Sinn bekäme.

Mit dem auf diese Weise lukrierten Geld könnte die Stadt dann die unterirdischen Räume beim Künstlerhaus finanzieren und diese Gerald Matt als „Kunsthalle“ zur Verfügung stellen. Zusammen mit dem Historischen Museum der Stadt Wien, das ebenfalls keine Räume für Wechselpräsentationen hat, könnten im Künstlerhaus wieder Ausstellungen stattfinden, um die uns die halbe Welt beneiden würde, und nicht solche, die die ganze Welt bereits kennt (und wie sie bislang in der Kunsthalle, im MAK et cetera) zu sehen waren.

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