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Learning from Hrensko
Falter

Die Werbung drängt auf die Gehsteige und okkupiert schonungslos den öffentlichen Raum. Die Leidtragenden sind nicht zuletzt die Geschäftsleute. Einer von ihnen wehrt sich nun.

17. Juli 2002 - Jan Tabor
Die Wiederherstellung der kapitalistischen Ordnung in Böhmen nach dem Umsturz von 1989 fand in dem kleinen Grenzdorf Hrensko folgendermaßen statt: Der Bürgermeister kaufte der Gemeinde die Bürgersteige ab. Der Erlös war zwar gering, aber die Gemeinde hoffte, sich durch die Privatisierung langfristig einen Haufen Geld für Instandhaltung, Reparaturen, Schneeräumung et cetera zu ersparen. Die Gehsteige in Hrensko, einem kleinen nordböhmischen Ort an der Elbe unweit von Dresden, sind kilometerlang.

Der Bürgermeister ließ seine Bürgersteige parzellieren (zwei mal zwei Meter, mit gelbem Lack markiert) und vermietet sie nun für viel Geld an vietnamesische Kleinhändler, die einst als Gastarbeiter in die sozialistische Tschechoslowakei geholt worden waren. Auf ihren gepachteten Vierecken haben sie provisorische Buden aus Sperrholz und Plastikfolien errichtet, in denen sie den Deutschen, den einstigen DDR-Bürgern, jene Dinge verkaufen, die, in den so genannten Tigerstaaten Ostasiens hergestellt, nach Tschechien in Massen importiert werden. Obwohl spottbillig, vermögen sie doch in das karge Leben der Plattenwohnbauten aus der DDR-Zeit ein wenig vom Flair der weiten Welt und dem Vorgefühl des urkapitalistischen Überflusses zu bringen. Der Budenmarkt der Vietnamesen auf den Gehsteigen von Hrensko ist schmal und mehrere Kilometer lang. Von den deutschen Kunden wird er Ho-Chi-Minh-Pfad genannt. Die kommunalen Kosten für die Beseitigung des ansteigenden Mülls sind ebenfalls gewachsen. Jemand muss die Zeche immer bezahlen.

Learning from Hrensko. Das Flair der weiten Welt und das Fluidum der globalkapitalistischen Opulenz breiten sich längst auch auf den Straßen Wiens aus. Auch der Wiener Bürgermeister ist im Begriff, die Bürgersteige Wiens zu veräußern. Er duldet, dass jene Flächen, die mehr oder weniger unbenutzt und für jeden Menschen frei zugänglich gewesen sind und die man dafür mit einiger Berechtigung als öffentlichen Raum bezeichnet hat, ungehemmt okkupiert, privatisiert und kommerzialisiert werden. Jemand muss draufzahlen. Zum Beispiel Florian Wagner, ein Schmuckmacher (die Bezeichnung „Juwelier“ lehnt er ab). Er ist der Michael Kohlhaas vom Kohlmarkt. Er kämpft auch für uns.

Seit vier Jahren führt Wagner einen Privatkrieg um das Recht auf freien Blick auf sein Lokal, in dem er seine eigenen künstlerischen Schmuckkreationen feilbietet. Von jenen Passanten, die in seinem Schaufenster etwas Erwerbenswertes erblicken und en passant zu Kunden werden, ist der Schmuckdesigner existenziell abhängig. Er ist abhängig vom freien Blick auf und in sein Lokal, das sich rund fünf Meter vom Kohlmarkt in der Wallnerstraße befindet. Vom Graben Richtung Michaelerplatz gehend, sieht man besonders gut, dass man von dem Lokal Flo fast nichts sieht. Es befindet sich an einer Stelle, wo alle möglichen modernen städtischen Wiener City-Accessoires abgestellt werden. Man sieht zwei Telefonzellen von hinten, eine Citylight-Standvitrine und einen Elektroschaltkasten, vor dem ein schwarzer Plastikkübel der kommunalen Mülltrennung gestellt wurde, die eine geschlossene Barrikade bilden. Es sieht aus, als wäre hinter der Werbemauer etwas Anrüchiges versteckt. Mitnichten: Im demnächst erscheinenden „Dehio“, dem fast amtlichen Verzeichnis von Bau- und Kunstdenkmälern, Band Wien Innere Stadt, ist das Gründerzeithaus an der Ecke Kohlmarkt und Wallnerstraße eingeführt und das Geschäft Flo als bemerkenswert erwähnt: „Portal des Juweliers Flo von Alfred Weber, Christian Reischauer und Florian Wagner, 1998, mit blau leuchtendem Glas und vergoldeten Flächen“.

Als Wagner sich hier vor vier Jahren eingemietet hat, standen bereits zwei Telefonhütten vor dem Geschäft und noch Fahrradständer dazu. Es waren noch nicht die neuen Alutelefonzellen, sondern die alten hölzernen im Mixdesign von Almhütte und Jugendstil des Josef Hoffmann. Als Wagner ihre Beseitigung forderte, wurde er vertröstet. Die Rustikalzellen würden ohnedies durch die luftigen und elegant-urbanen von Luigi Blau ersetzt. Das geschah tatsächlich. Allerdings ist deren Rückseite als Plakatwand konzipiert, sodass sie - anders als die Tele-Almhütten, die immerhin durchsichtig waren - den Blick aufs Geschäftslokal nun gänzlich verhindern.

Für Wagner war es ein klassischer Pyrrhussieg. Dass seine Beschwerde berechtigt war, bezeugt das Angebot der Telekom, die Reklame für das eigene Geschäft kostenlos an der Werbefläche der Telefonhütte anbringen zu dürfen. Mittlerweile wurde dieses Angebot wieder außer Kraft gesetzt: Auch Wagner muss für die Werbefläche zahlen. Für die Erringung eines Teilsieges, die Verlegung der Radständer, musste Wagner 7000 Schilling (zirka 510 Euro) bezahlen.

Die Privatisierer des öffentlichen Raums haben ebenfalls einen Teilsieg zu verzeichnen: Zu den beiden Telekom-Telefonzellen wurde von der Gewista eine von jenen beleuchteten Werbetafeln aus Nirostastahl hinzugestellt, die in den letzten zwei, drei Jahren die Gehsteige der Wiener Innenstadt eroberten und entscheidend zur fortschreitenden Überfüllung des öffentlichen Raums mit allerlei Kommerzklumpert beitragen.

Der Profit des einen (der Werbewirtschaft) ist der Verlust des anderen (in diesem Fall des Schmuckmachers). Die Werbung in Wien hat sich allmählich von ihren angestammten Standorten, von Dächern und Fassaden der Häuser, losgelöst. Sie breitet sich auch in der Ebene aggressiv aus, in dem so genannten öffentlichen Raum, der einst uns Fußgängern gehörte. Die Zeche für diese Entwicklung bezahlen die Geschäftsleute: Ihre Schaufenster werden zunehmend verstellt. Der Konflikt Schaufenster kontra Werbung auf dem Gehsteig wird in Wien zuungunsten der ortsgebundenen Geschäftslokale gelöst - mit katastrophalen Folgen für Geschäftsleute und für das Stadtbild. So betrachtet kämpft Florian Wagner auch für uns, die gewöhnlichen Passanten, die wahren Eigentümer der öffentlichen Räume.

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