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Mausoleen für Yuppies
Falter

Die Austro-Variante der Ausstellung „The Un-Private House“ konfrontiert Kika-Konfektion mit Stararchitektur und belegt, dass die Postmoderne nicht tot, sondern untot ist.

29. März 2000 - Jan Tabor
Das Ver-Öffentlichte Haus: Beinahe wäre ich nach New York gereist, so begeistert waren die Zeitungsberichte über die Ausstellung, die im Herbst 1999 im Museum of Modern Art in New York eröffnete; so begeistert (vor allem Die Zeit), als handelte es sich um eine epochale Wiederholung jener legendären MOMA-Schau von 1932, mit der unter dem Titel „International Style“ ein Paradigmenwechsel in der Architektur des 20. Jahrhunderts statuiert wurde: der Internationale Stil. Gewiss, hat man mir nun im MAK versichert, gewiss, „The Un-Private House“ in Wien sei tatsächlich die gleiche Schau wie die im MOMA, bloß geringfügig verändert in Präsentation und Intention, aber mit denselben Exponaten. Mit jenen 26 musterhaften Häusern, die der MOMA-Kurator Terence Riley weltweit gesucht hat (außer in Österreich offenbar, sonst hätte er hier auch etwas Wegweisendes gefunden), um nun, an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, „die Transformation des tradierten Begriffs des Privathauses beispielhaft vor Augen zu führen“ und an ausgeführten und noch nicht verwirklichten Wohnhaus-Entwürfen bedeutender zeitgenössischer Architekten zu zeigen, wie die zeitgemäßen Menschen demnächst wohnen werden.

So etwa muss die ursprüngliche amerikanische Intention ausgesehen haben. Die österreichische wurde um einen zusätzlichen Aspekt erweitert; ob tatsächlich kulturkritisch, wie ernst behauptet wird, oder eher ironisch, wie ich vermute, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Bereits die umständlichen kleinbürgerlichen Reinlichkeitsrituale beim Betreten der Ausstellung - die Besucher müssen ihre Schuhe mit Plastikschutzhüllen überziehen, damit sie den Spannteppich nicht verdrecken - sprechen eher für die Ironie. Allerdings, auf guten Geschmack wird - wie immer im MAK - auch diesmal großer Wert gelegt: Die Schuhüberzüge sind himmelblau und passen vortrefflich zum kanarienvogelgelben Teppich.

Die ursprüngliche amerikanische Ausstellung umfasste kaum mehr als eine - im Anspruch äußerst bescheidene - Auswahl teils bereits vielfach publizierter, teils völlig uninteressanter Häuser. Typus: Einfamilienhaus und Freizeithaus für den neureichen Yuppie, der offensichtlich noch nicht verschwunden ist. Sie erinnerte an ein Hochglanzmagazin, dessen reich bebilderte Seiten vergrößert an die Wände gehängt und durch architektonische Modelle ergänzt wurden. In Wien sind diese Bilder gedruckter Bestandteil einer blumengemusterten Tapete geworden. Die metaphorische Gleichsetzung der zeitgenössischen Hochglanz-Architekturfotografie mit einer altmodischen Tapete ist supercool.

Die Architekturmodelle sind naturalistisch und sehr hübsch im Detail angefertigt: wahre Puppenhäuschen einer beständigen Postmoderne. Diese Modelle wurden in Wien auf Möbelstücke (cool!) gestellt; auf Tische, Sessel und - witzigerweise - Betten, die sich der MAK-Gestalter (angeblich MAK-Direktor Peter Noever selbst) aus dem Einrichtungshaus Kika geholt hat. Genommen wurden jene Möbelstücke, die dort am meisten gekauft werden. In so ein schönes unbezogenes Kika-Bett wurden nebeneinander das Haus BV aus Lancashire in England und das Haus Ghirado-Kohen aus Buenos Aires gelegt, und nun scheinen die beiden putzigen Modelle sehnsüchtig jenen Knalleffekt zu erwarten, den sie gemeinsam mit dem Bett hervorzurufen haben: das Aufeinanderprallen zweier Wohnkulturen, der internationalen (sehr gut) mit der österreichischen (eher nicht gut). „Die ungewöhnliche Gegenüberstellung neuer Wohnkonzepte mit Gegenständen alltäglichen österreichischen Wohnens führt zu einem krassen Spannungsverhältnis, das die unterschiedlichen Vorstellungen von Individualität aufeinander prallen lässt“, so der Pressetext.

Wenn etwas in der beinahe surrealistischen Begegnung in den Betten oder auf den Tischen auseinander klafft, dann sind es hauptsächlich die monetären, keineswegs aber die ästhetischen Unterschiede: Die österreichischen Kika-Kunden können sich vermutlich weniger leisten als die Yuppie-Kunden der internationalen Stararchitektenschaft. Und überhaupt: Was ist das für eine internationale Auswahl, in der kein einziger österreichischer Stararchitekt vorkommt, obwohl weltweit bekannt ist, dass Österreich zu den Ländern mit der höchsten Stararchitektendichte pro Einwohner gehört!

In einem Aspekt sind sich die durchschnittlichen Österreicher und dieBewohner der zukunftsweisend erdachten Luxusdomizile als Weltgeschmackselite aber offensichtlich einig: in der Sehnsucht danach, in unberührten Landschaften zu wohnen, das heißt zu bauen. Zum Beispiel ist das BV-Haus, von Homa und Sima Farjadi entworfen, 1999 fertig gestellt, als eine Abfolge von unregelmäßigen Räumen in einen Hang des Ribble Valley hineingebaut. Das Haus verfügt über bewegliche Wände. „So lässt sich die Außenwand des Elternbadezimmers zur Seite schieben, wodurch eine direkte visuelle und physische Verbindung zum Lilienteich entsteht.“

Frischer Wind, weiter Blick. Nur etwa ein Fünftel der vorgestellten Häuser gehört nicht der Kategorie Landschaftszersiedelung an. Das Wohnen in der Stadt kommt in dieser Ausstellung kaum vor. Auch der Ausstellungstitel ist irreführend. Der Auswahl nach müsste die Ausstellung eigentlich „Neue Villen als unikate Lebenskapseln für die verunsicherte Mittelschicht“ heißen; oder „Das Ur-Private Haus“. Denn zwei Tendenzen sind auffallend, die - weil die Auftraggeber der vorgestellten Häuser vermutlich der Kaste der meinungsprägenden Menschen angehören - für den Zustand der Gesellschaft möglicherweise tatsächlich charakteristisch sind. Einerseits werden die Häuser eingegraben oder eingemauert, um von der Umgebung weitgehend separiert zu sein: Häuser als Einfamiliengettos; andererseits werden sie auf topographische Erhöhungen gestellt, als wären sie Hochstände oder Beobachtungsstationen: wehrhafte Gartenlauben oder Mausoleen für junge, gesunde Menschen.

Man kann die Ästhetik dieser Häuser marxistisch oder psychoanalytisch deuten - entweder sind sie Anzeichen eines neuen Klassenkampfes oder Symptome einer neuen Nekrophiliewelle. Natürlich gibt es auch das „digitale Haus“, ein Haus, dessen Wände aus LCD-Bildschirmen bestehen. „In der Küche etwa könnte der Chefkoch aus dem Lieblingsrestaurant virtuell bei der Essenszubereitung helfen.“ Das Haus wurde 1998 von Gisue und Mojgan Hariri für das Magazin House Beautiful entworfen (vergleichbar dem einflussreichen österreichischen Journal Schöner Wohnen) und sieht auch entsprechend aus: eine Art elektronisches Kaleidoskop. Die Lehren aus der Ausstellung sind also zahlreich. Die grässlichste darunter: Die Postmoderne ist nicht tot. Sie wird digital am künstlichen Leben gehalten.

[ The Un-Private House. Bis 24. April im MAK. ]

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