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Der Architekt als Mörder
Falter

Mit der Schriftstellerin Elfriede Czurda und der Fotografin Margherita Spiluttini sprach der „Falter“ über den Zusammenhang von Wort und Bild, über das Auto fahrende Auge in den Alpen, Goethe in Italien und verbrecherische Architekten in Berlin.

19. Januar 2000 - Klaus Nüchtern, Jan Tabor
Falter: Frau Czurda, der Titel der von Ihnen konzipierten Veranstaltung lautet „Sprache als Architektur. Architektur als Sprache“. Was verbindet die beiden, was trennt sie?

Elfriede Czurda: Die Grundüberlegung war eigentlich, dass sich sowohl die Architektur als auch die Sprache mit Begriffen wie dem des Raumes auseinander setzen müssen. Wie baut man literarisch einen Raum? Meine Überlegung war dann eine, die sich stark über Begriffsreihen zu entfalten versucht: So steckt etwa das Heim in der Heimat genauso drinnen wie im Unheimlichen. Oder denken Sie an das Haus als Gehäuse. Die Ausstellung von Margherita Spiluttini knüpft da meiner Meinung nach an: Man setzt sich ins Auto, also in ein Gehäuse, das sich durch die Gegend bewegt und eben diese Panoramen von Welt bietet, die man dann im Vorbeifahren wahrnimmt.

Frau Spiluttini, Ihre Fotoausstellung inspiziert Orte und Bauten, die normalerweise gar nicht als Architektur wahrgenommen werden. Dennoch gibt es diese auffällige Zeichenhaftigkeit einer Architektur, die sich eigentlich an rein funktionalistische Kriterien halten könnte, aber das ganz offensichtlich nicht tut.

Margherita Spiluttini: Man fährt mit dem Auto relativ schnell durch eine bestimmte Gegend, durch Tunnels und über Brücken, und die fallen einem nicht besonders auf, weil sie den Zweck haben, dass man die Berge überwindet und von Punkt A auf eine relativ angenehme Art nach Punkt B kommt. Wenn man dann aber aus dem Auto aussteigt, kann man sich mehr mit diesen Einbauten und mit diesen Veränderungen der Natur beschäftigen. Und dann stellt sich heraus, dass es eigentlich gar nicht so schnell zu erkennen ist, worum es geht. Es kann eine Autobahn-Entlüftungsanlage aussehen wie eine Kirche oder wie eine Kapelle. Es handelt sich oft um etwas sehr Pathetisches, das sich zum Pathos der Natur dazugesellt.

Oder auch dagegenhält.

Spiluttini: Genau.

Kann man sagen, dass etwa Lawinenbauten eine Art Sprache darstellen, die in die Landschaft gesetzt wird und die man dann tatsächlich irgendwie lesen kann? Sie als Fotografin müssten die dann lesen können. Sie müssen diese Zeichenhaftigkeit ja auf ein Bild bannen.

Spiluttini: Mir geht es bei dieser Arbeit eher um die Sprache der Fotografie. Eine gewisse Zeichenhaftigkeit drängt sich natürlich auf, aber auf der anderen Seite ist die auch vielfältig interpretierbar. Indem eine normale Tunneleinfahrt großartiger gestaltet wird, als sie eigentlich müsste, legt sich da ein anderes Zeichen darüber.

Frau Czurda, Sie haben vom „literarischen Raum“ gesprochen. Ein substanzieller Unterschied zwischen Architektur und Literatur besteht doch darin, dass Architektur tatsächlich im Raum passiert, wohingegen sich Literatur in der Zeit ereignet.

Czurda: Das ist für das Medium konstitutiv, aber jedes Wort erzeugt auch ein Bild, und damit wird im Kopf des Lesers ein Raum erzeugt. Als Schriftsteller entwirft man nicht nur Personen, die beschrieben werden, sondern auch den Raum, in dem sich diese Personen bewegen.

Für den Leser sind detaillierte Raumbeschreibungen oft das Anstrengendste überhaupt, und jeder überblättert die Landschaftsbeschreibungen bei Karl May. Außerdem ersetzt man diese Beschreibungen im Kopf doch meistens durch Landschaften und Orte, die man kennt, auch wenn die überhaupt nicht passen.

Czurda: Frantisek Lesak, der am 3. Februar auch darüber sprechen wird, hat versucht, den Raum, den Robbe-Grillet in seinem Roman „La jalousie“ beschreibt, zu rekonstruieren. Das Verblüffende daran ist, dass das nicht wirklich möglich ist, und das steht in einem ganz merkwürdigen Kontrast zu der Fähigkeit dieses Textes, Räumliches hervorzubringen.

Ich sehe zwischen Literatur und Architektur eigentlich keine Beziehung; wenn schon, dann ist Literatur eine Deskription der Architektur.

Czurda: Aber umgekehrt gehts ja in Wirklichkeit auch nicht: Architektur kann ja Literatur nicht interpretieren.

Das ist die Frage. Die Postmoderne kennt den Begriff der „literarischen Architektur“, die eben literarische Vorstellungen verwendet. Man kann auch in der Architektur etwas „zitieren“, geht damit also ganz ähnlich um wie mit einem Text und macht daraus halt ein Gebäude.

Czurda: Es gibt auch Literatur, in der Idealgebäude beschrieben wird, in der - so interpretiere ich es jetzt für meinen Zusammenhang - dem Bauen eine literarische Fiktion vorausgeht. Man benutzt sozusagen das andere Medium, um sich einfach einmal Gedanken zu machen, gegen die sich das eigene Medium sonst immer verweigert oder sperrt.

Man nimmt einen Umweg, um wieder beim eigenen Medium zu landen - das ist legitim und hilfreich. Ansonsten würde ich vermuten, dass hier auch ziemlich fragwürdige Sehnsüchte oder Utopien im Spiel sind: Man will etwas erreichen, was einem im Grunde nicht zu Gebote steht. Die Genauigkeit, die in der Architektur aufgrund der Schwerkraft, also der Naturgesetze einfach nötig ist, kann man sich für die Literatur zwar erträumen, aber man wird sie nie erreichen. Ein Buch ist eben nicht auf die Art und Weise überprüfbar, in der ein Haus überprüfbar ist.

Czurda: In manchen Fällen vielleicht doch. Ich denke etwa an die Sonettform, die wir ja aus der Schule kennen und bei der wir uns immer zu Tode gelangweilt haben, weil es ein bisschen geeiert hat - es ist ja keine originär deutsche Literaturform. Dem Franz Josef Czernin gelingt es allerdings, diese Sonettform auf eine Weise zu verwenden, dass man - insbesondere, wenn er sie vorträgt - den Eindruck gewinnt, dass sie der deutschen Sprache entsprungen ist. Es ist so streng gebaut, dass es einem vortäuschen kann, dass es der eigenen Sprachprosodie entspringt. Das ist in gewisser Weise schon nachprüfbar - wenn auch nicht im naturwissenschaftlichen Sinne.

Eine andere Frage: Sie leben seit 1980 in Berlin, wo zur Zeit irrsinnig gebaut wird. Und wenn Städte so schnell wachsen, erzeugen sie auch einen literarischen Druck. Ist davon etwas in Berlin zu beobachten?

Czurda: Die Stadt ist wirklich jeden Tag ein bisschen anders, und es gelingt einem eigentlich überhaupt nicht, eine Art von Vogelperspektive zu gewinnen. Es gibt allerdings die Krimis, in denen der Architekt natürlich auch der Mörder ist. So wie nach dem Mauerfall als Erstes die Mafia nach Berlin gekommen ist, so kommt jetzt beim Bauen als erstes die Kriminalliteratur in Schwung. Martin Muser, den ich auch eingeladen habe, hat in seinem sehr witzigen Krimi „Granitfresse“ zum einen das Bild dieses schicken, zeitgeistigen Architekten gezeichnet, der überall herumkrebst, und gleichzeitig das Lokalkolorit unheimlich gut getroffen - die ganzen Mauscheleien und die Unmengen von Geld, die gerade in Berlin bewegt werden.

Wie wirkt sich das großstädtische Leben in Berlin aus - wenn Sie heute mit der Situation vor 20 Jahren vergleichen?

Czurda: Als ich hingekommen bin, war das eine Stadt voller Nischen - eine Stadt, in der die Reichen genauso wie die Armen halbwegs vernünftig leben konnten. Im Vergleich zu Wien, wo man dieser Historizität nie entweichen kann, ihr auch immer in gewisser Weise standhalten muss, war Berlin für mich wohltuend offen. Überall waren Löcher, in die man gleichsam was hineindenken konnte. Dort, wo gebaut wird und etwas entsteht, ist Berlin auch heute wahnsinnig interessant. Dort aber, wo es fertig ist, sieht es teilweise unheimlich langweilig aus. Es ist im Augenblick im Grunde wie ein Spinnennetz, das sich so um die Stadtmitte spinnt. Es ist, als würde alles auf eine gewisse Weise stillstehen und warten. Ich frage mich manchmal, ob man nicht fortgehen muss, wenn diese Strukturen ausgefüllt sind - weil das dann so festgefügt ist, dass eben nichts mehr übrigbleibt.

Wenn man vom „Spinnennetz“ spricht, dann ist das eine Metapher mit ganz bestimmten Konnotationen. Wie ist das eigentlich mit der Fotografie? Gibt es so etwas wie eine fotografische Metapher oder die Möglichkeit, das Abgebildete gleichsam zu literarisieren?

Spiluttini: Ich bin mittlerweile der Meinung, dass die Fotografie sowieso eine Metapher ist. Ich halte es für einen Irrtum, dass man mit der Fotografie irgendwas beweisen oder eine Geschichte erzählen könnte. Die Fotografie ist eigentlich ein Ornament, das die Wirklichkeit zeichnet. Mehr ist es nicht. Eigentlich ist die Fotografie eine sehr eintönige Sprache. Was mich aber sehr interessiert. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ - das finde ich überhaupt nicht. Ich beneide die Literaten, dass sie so viele Möglichkeiten haben. Wie sollen wir zum Beispiel einfach Musik fotografieren? Oder Gerüche?

Eigentlich kann man nicht einmal Architektur fotografieren. Es gibt die sehr richtige Äußerung von Goethe, dass man Architekturen nur im Gehen erleben kann.

Czurda: In der Literatur hat man auch nicht das Ganze, sondern man hat diesen Satz und den nächsten Satz und den nächsten Satz.

Spiluttini: Ja, und Bewegen im Raum ist durch nichts ersetzbar. Ist durch absolut nichts ersetzbar. Hundertprozentig.

Sie sind mit dem Auto gefahren und haben in den Alpen fotografiert, Winckelmann ist mit der Kutsche nach Venedig und hat die Vorhänge zugezogen, weil er den Anblick dieser schrecklichen Alpen nicht ertragen konnte und er solche Sehnsucht nach der klassischen Architektur hatte.

Czurda: Und Goethe reist nach Italien, und sein Vater hat ihm schon beigebracht, wie die ganze Klassik ausschaut, und wie die Gebäude ausschauen, denen er begegnen wird. Goethes Erwartung, nach Rom zu kommen, ist ganz ungeheuer. Und was notiert er dann in seinem Tagebuch? Bloß: „Ich bin da.“ Es klingt fast enttäuscht, denn das ganze Rom war eine einzige Projektion, und wo er's jetzt sieht, sagt er nur: Ja, genauso schauts aus - wie ich es mir schon immer gedacht habe.

Suburbs Subtexts Subjects: Die Trockenlegung des Mittelmeers

Dass die Veranstaltungsreihe „Suburbs Subtexts Subjects. Architektur der Sprache. Sprache der Architektur“ von einer Schriftstellerin, nämlich Elfriede Czurda (siehe oben stehendes Gespräch) konzipiert wurde, merkt man schon am Logo, das mit zahlreichen Begriffen, Wortspielen und Assoziationsketten aufwartet. Die durch eine Filmreihe im Votivkino (jeweils mittwochs, 22 Uhr) ergänzte Kombination aus Ausstellungen, Lesungen und Vorträgen soll die Analogien und Wechselbeziehungen zwischen Worten und Bauten erörtern. Margherita Spiluttinis Schau „Berge. Transitorische Durchschneidung“ ist derzeit in der Alten Schmiede zu sehen und setzt sich mit der Wahrnehmung alpiner „Zweckarchitektur“ auseinander (siehe Interview); die Wiener Planungswerkstatt zeigt die Ausstellung „The New American Ghetto“ des amerikanischen Architektursoziologen Camilo Jose Vergara, der den langsamen Verfall ehemals prosperierender Stadtzentren seit 20 Jahren fotografisch dokumentiert. Von einer gleichsam architektonischen Exaktheit in der Literatur bis zu sozusagen literarisch fundierten Architektur-Utopien (die zum Beispiel die Trockenlegung des Mittelmeers vorsahen) reicht das breite Spektrum. Zu hören sein werden Lesungen bzw. Vorträge von Friedrich Achleitner, Gerda Ambros, Bogdan Bogdanovic, Inger Christensen, Franz Josef Czernin, Martina Düttmann, Gundi Feyrer, Marie Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs, Sigrid Hauser, Frantisek Lesak, Martin Muser, Oskar Pastior, The Poor Boys Enterprise, Wolfgang Prix, Claudia Schmid, Sabine Scholl, Jochen K. Schütze, Walter Seitter, Tim Staffel, Liesl Ujvary, Margit Ulama und Wolfgang Voigt.

[ „Suburbs Subtexts Subjects“ läuft bis 10. Februar und findet in der Alten Schmiede (1., Schönlaterngasse 9) und in der Wiener Planungswerkstatt (1., Friedrich-Schmidt-Platz 9) statt. Das genaue Programm entnehmen Sie bitte dem Tagesprogramm. Das Programm und weitere Informationen finden sich auch auf der Homepage: www.fotovision.com/sub-urbs-texts-jects ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Falter

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