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Kunst der Verläßlichkeit
Falter

Die Ausstellung „Amt Macht Stadt“ stellt ein unbekanntes Kapitel der Wiener Architekturgeschichte vor: den beamteten Baukünstler Erich Leischner und das mächtigste Architekturbüro Wiens, das Wiener Stadtbauamt.

14. Juli 1999 - Jan Tabor
Als die amerikanischen Luftangriffe auf Wien gegen Ende des Zweiten Weltkriegs immer häufiger wurden, waren die Anrainer der Lerchenfelder Straße und der Thalia- und Gallitzinstraße gegenüber den anderen Bewohnern Wiens bevorzugt: Über diese Strecke pflegte der am Ballhausplatz amtierende Gauleiter zu seinem Bunker zu eilen, der sich in der Nähe der Jubiläumswarte befand. Lange bevor die Sirenen öffentlich zu heulen begannen, raste die Kolonne der schwarzen Limousinen mit Baldur von Schirach und seiner Begleitung hinauf zu ihren im Buchenwald auf dem Gallitzinberg versteckten, geräumigen, bequem und elegant eingerichteten Schutz- und Befehlsräumen. So erfuhren die Streckenanrainer en passant früher als andere Normalwiener, wann ein Luftangriff bevorstand. Die Gallitzinstraße wurde damals im Volksmund Heldenstraße genannt, der SchirachBunker Heldenkeller.

Schwer zu sagen, ob man Erich Leischner beneiden soll oder nicht - ein einziges Beamtenleben und so viele Regime und Ideologien, so viele geschichtliche Ereignisse und Architekturauffassungen! Zwei Weltkriege, Zerfall der Monarchie, Erste Republik, Rotes Wien, austrofaschistischer Putsch, Anschluß, Befreiung, Besatzungszeit, Zweite Republik. Ringstraßenstil, Jugendstil, Art deco, Expressionismus, Internationale Moderne, austrofaschistische Sachlichkeit, NS-Neoklassizismus, Pathos des Wiederaufbaues und Sachlichkeit der Aufbauzeit.

Die Prüfungen all der bewegten Zeiten und Ästhetiken, die Erich Leischner (1887-1970) als Bürger und Baukünstler zu durchleben hatte, bestand er derart souverän, daß man über ihn nichts Schlechtes sagen kann. Nicht einmal, daß er wie viele seiner Kollegen im Wiener Stadtbauamt, die Wagner-Schüler Karl Ehn und Gottlieb Michal (ab 1938: Michael) zum Beispiel, ein Nazi war. Leischner „beteiligt sich nicht im politischen Leben, (...) fährt meistens mit Auto, in Gesellschaft bis spät Nachts“, wurde in seinem Gaupersonalakt vermerkt; und daß seine Bereitschaft, für die mannigfaltigen Hilfswerke des NS-Regimes zu spenden, groß gewesen sei.

Ein unverläßlicher Volksgenosse dürfte Leischner nicht gewesen sein. Er wurde mit der architektonischen Gestaltung des strengst geheimen „Führerbunkers“ betraut. Die kleine Entwurfsskizze, die in der Ausstellung „Amt Macht Stadt - Erich Leischner und das Wiener Stadtbauamt“ zu sehen ist, zeigt das Besprechungszimmer des Gauleiters: ein elegantes Interieur, das vermuten läßt, daß Leischner von der Einrichtung der Postsparkasse von Otto Wagner inspiriert wurde. Keine altdeutsche Bauernstube also, das war die Sache Leischners nicht. Aber auch nicht die des Baldur von Schirach - der deutsche Kleinadelige, Parteidichter und Lebemann schätzte die Gediegenheit der Wiener Wohnkultur sehr. Aus diesem Grund wohl beauftragte er keinen der vielen gräßlichen Wiener Nazi-Baukünstler, sondern einen der erprobten und allzeit verläßlichen Beamten der Hauptabteilung G/Bauwesen, Abteilung G15/Stadtregulierung (wie das in der NS-Zeit aufgelöste und zugleich erheblich aufgestockte Stadtbauamt hieß) - auf diese beamteten Baukünstler war immer Verlaß.

Leischner, ein begnadeter Zeichner, fertigte für den Bunker außerdem ein Panoramabild Wiens an, das identisch war mit dem in der Flugzeug-Beobachtungsstelle auf der Jubiläumswarte. So konnten die im Heldenkeller verkrochenen Nazibonzen verfolgen, wohin die Bomben gefallen waren. Während ihrer Pendelfahrten durch die Gallitzinstraße fuhren Schirach und die Seinen an den hübschen Jugendstilgebäuden der städtischen Wasserversorgung von 1911 vorbei - es war das erste verwirklichte Bauwerk von Erich Leischner, einem Architekturstudenten an der Technischen Hochschule, der seine Karriere am Wiener Stadtbauamt als Volontär begonnen hatte. Diese Karriere beendete er als Leiter der Architekturabteilung mit seiner Pensionierung 1949.

Leischner hatte Glück. Er war weder NS-Sympathisant noch NSDAP-Mitglied. Daher konnte er gleich nach der Befreiung mit einer überaus wichtigen Aufgabe betraut werden: dem Wiederaufbau Wiens. Am 22. Juni 1945 hatte „der provisorische Bürgermeister der Stadt Wien“ den „Herrn Dipl.- Ing. Erich Leischner zum provisorischen Leiter der Magistratsabteilung Architektur“ bestellt. Die Ernennungsurkunde, ein maschinengeschriebenes provisorisches Blatt, wurde mit K. signiert, K. für Theodor Körner. Leischner leitete den Wiederaufbau und arbeitete selbst als entwerfender Architekt mit. Unter anderem baute er sein zerstörtes Geburtshaus wieder auf: die Feuerwehrzentrale auf dem Hohen Markt, in der sein Vater eine Dienstwohnung hatte. Neben den Wiederaufbauplänen werden in der Leischner-Retrospektive auch Grafiken gezeigt, die er von seinem Geburtshaus in den dreißiger Jahren angefertigt hat.

Das ist das Lehrreiche an der von Barbara Feller, Erich Bernard und Karl Peyer-Heimstätt klug zusammengestellten und vortrefflich gestalteten Schau: Wie in Schleifen verbinden sich einige Details und Dokumente aus der Lebensgeschichte eines vergessenen Architekten mit den kaum bekannten Aspekten der Wiener Architekturgeschichte zu einem außerordentlich dichten und spannenden Kapitel der Kulturgeschichte Wiens. Mit dem Kongreßbad (1928), der Wiener Höhenstraße (1934-1938), den neuen Aspern-, Rotunden- und Salztorbrücken (1949-1961) sowie dem Laaerbergbad (1959) errichtete Leischner einige exemplarische Wiener Bauten. Die Ausstellung stellt einen wesentlichen Fortschritt der in eine Sackgasse geratenen Architekturforschung dar, die sich bereits lange mit Selbstwiederholungen über die Leistungen einiger weniger Koryphäen und des Roten Wien begnügt.

Das Wiener Stadtbauamt wurde 1835 gegründet, um wichtige Planungsaufgaben der Kommune im Bereich der Infrastruktur zu übernehmen bzw. der Stadtverwaltung zu ermöglichen, das Baugeschehen in Wien effizient zu beeinflussen. Von den 63.000 kommunalen Wohnungen, die zwischen 1919 und 1934 errichtet wurden, planten die Architekten des Wiener Stadtbauamtes rund ein Drittel selbst. Sie prägten die Typologie dieser Bauten nicht nur unmittelbar, sondern auch durch die Auswahl der freien Architekten und den Einfluß auf ihre Entwurfsarbeit.

In dieser Tatsache ist wahrscheinlich auch die Lösung des Rätsels zu suchen, wie weit diese Architektur parteipolitisch determiniert wurde: Das Wiener Bauamt war jene Stelle, wo die von Politikern formulierten Vorstellungen in die typologische und ästhetische Wirklichkeit der Wiener kommunalen Architektur umgesetzt wurden. Diese Aufträge ergehen fast ausschließlich über jene verschlungenen verbalen Amtswege, von denen keine historischen Dokumente zurückbleiben.

Bis 2. August im Architekturzentrum Wien.

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