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Wo bunte Fahnen wehen
Falter

Neugestaltungsfuror am Donaukanal: Wo die Behübschung des Raiffeisen-Hauses nicht wirklich großen Schaden anrichten kann, ist die dekonstruktivistische Überarbeitung des Collegium Hungaricum eine echte Katastrophe.

21. April 1999 - Jan Tabor
Wann immer ich am umgestalteten Raiffeisen-Bürohaus Ecke Obere Donaustraße / Hollandstraße vorbeigehe, komme ich nicht umhin, mir die moralische Frage zu stellen, ob die mißratene Neugestaltung eines alten Architekturmiststückes als architektonische Mißhandlung bezeichnet werden kann. Die jetzt abgeschlossene Umgestaltung des Collegium Hungaricum nebenan hingegen ruft keine Zweifel hervor. Hier ist ein achtbares Bauwerk zweier internationalistischer österreichischer Architekten von zwei patriotischen ungarischen Baukünstlern grauenvoll verunstaltet worden. „Die zurückgenommene Architektur aus noch ablesbaren konstruktiven Elementen, mit einer leichten Betonung der Sockelzone, hat noch das schlichte Pathos eines realistischen Funktionalismus.“ So beschrieb Friedrich Achleitner in seinem 1990 erschienenen Architekturführer für Wien das ungarische Kulturhaus. Schlichtes Pathos, realistischer Funktionalismus - davon ist nichts mehr übriggeblieben. Kukuruz-Gehry ist eine der unzähligen spontanen Assoziationen, die ich angesichts dieser einzigartigen Manifestation eines nationalen Dekonstruktivismus nicht abwehren konnte. Oder Csardas-Dekonstruktivismus.

Der Reihe nach. Zuerst eine erfreuliche Nachricht. „Die Türme am Donaukanal erhalten Nachwuchs“, kündigte am 26.11.1997 der Standard an. Mit Türmen war jenes Gebäudepaar gemeint, das mit seinen gleichen Fassaden aus grob gerasterten Stahlbetonträgern weithin sichtbar die Donaukanalzone in einem der wichtigsten Abschnitte dominiert. Möglicherweise war die in den Zeitungen angekündigte Architekturvermehrung dann eine Frühgeburt. Im Juni 1998, also bereits sieben Monate später, war der Nachwuchs da: ein mächtiger Torrahmen über dem Vorbau, dem eine Glaswand vorgesetzt wurde und ein schmuckes Türmchen in Form eines Glaszylinders, der aussieht, als wäre hier die Anbringung eines Panoramalifts vorgesehen, dem Bauherrn aber das Geld dafür ausgegangen.

Vollbracht wurde diese seltsame Veränderung, die zugleich eine Verbesserung und eine Verschlechterung ist, an dem 17 Stockwerke hohen Raiffeisen-Bürogebäude am Beginn der Hollandstraße, einem wahren Miststück der Wiener Architektur aus den siebziger Jahren, der legendären Baudekade der rücksichtslosen Wiener Großarchitekten. Nach dem 1969 erbauten, frontal zum Schwedenplatz hin orientierten IBM-Hochhaus stellte der Architekt Georg Lippert das zweite Gebäude dieses schrecklichen Hochhaus-Ensembles am Donaukanal, das Raiffeisenhaus, mit der Schmalseite zum Kai. Das Gebäude ist derart unglücklich - oder geschickt, je nachdem, wie man es betrachtet - in der städtebaulich heiklen Situation positioniert, daß das Ungetüm besonders gut sichtbar ist und damit das ohnehin schwer lädierte Donaukanal-Panorama besonders stark stört.

Fritz Weber und Ernst Plojhar, jene zwei österreichischen Architekten, die 1963 im Auftrag der Volksrepublik Ungarn das Collegium Hungaricum errichteten, gingen damals - unüblich für die ganze Wiener Stadtplanung - einfühlsam vor. Sie setzten den neungeschossigen Eckturm mit angeschlossenem niedrigem Seitentrakt tief in die Hollandstraße - als Torbau der Leopoldstadt und nicht als Brückenkopf der Salztorbrücke. Die Wirkung dieser städtebaulich und architektonisch sorgfältig erarbeiteten realsozialistischen Lösung wurde durch den staatskapitalistischen Städtebau eines der leistungsfähigsten Wiener Großarchitekten zerstört. Würde man diese städtebauliche Konstellation zu deuten versuchen, dann könnte man sagen, hier sei bereits um 1970 eine städtebauliche Metapher des kommenden Sieges des Kapitalismus über den Sozialismus entstanden.

Aber auch der Kapitalismus hat seine häßliche Seiten. Diese Erkenntnis dürfte die modernen Raiffeisen-Banker dazu veranlaßt haben, die Behübschung ihres Verwaltungsgebäudes zu beschließen. Lobenswerterweise wurde ein Wettbewerb für Architekturstudenten ausgeschrieben. Das siegreiche Projekt einer Studentin wurde mit Hilfe eines namhaften Wiener Architekten (die Namen sind der Redaktion bekannt) verwirklicht. Der studentische Entwurf war, galant ausgedrückt, noch unausgereift. Warum es dem Architekten Martin Kohlbauer nicht gelungen ist, mehr daraus zu machen, bleibt schleierhaft. Die Verbesserung betrifft die Innenräume der Eingangs- und Bankhalle, die Verschlechterung das äußere Erscheinungsbild. Der Rahmen ist unsinnig und hypertroph, der 23 Meter hohe Glasturm hingegen läppisch: zu dünn, zu kurz.

Mittlerweile herrscht auch in Ungarn der Kapitalismus. Das bedrängte Collegium Hungaricum, durch die Neugestaltung des Raiffeisenhauses zusätzlich aus dem Weichbild der Leopoldstadt abgedrängt, sollte wohl im Wiener Stadtbild nicht weiter wie ein armer Verwandter aus dem Osten erscheinen. Wir müssen für die Ungarn Verständnis aufbringen. Uns geht es in New York mit unserem Kulturinstitut ja genauso.

Das neue Collegium drückt alles aus, was sich eine jede tüchtige Regierung nur wünschen kann: Veränderung, Dynamik, Geltung, Modernität, Reichtum, Weltoffenheit und Patriotismus. Als wäre der einst würfelförmige ruhige Baukörper von ungeheuren Umgestaltungskräften erfaßt, die es hinaufziehen und revolutionär umzudrehen trachten, bekommt das Haus eine eindrucksvolle dekonstruktivistische Drehform, die an das Tanzende Haus erinnert, das Frank O. Gehry vor drei Jahren in Prag am Kai der Moldau errichtet hat und das nun zum beliebtesten Symbol der kapitalistischen Erneuerung von Tschechien geworden ist. Die Seiten werden in die Länge gezogen und mit ihnen auch ein Teil der sonst viereckigen Fenster, die jetzt schräge bis viertelrunde Formen und fensterbrettförmige, rot gestrichene Vorsprünge aufweisen.

Die Putzfassade ist mit geraden und gekrümmten roten Gesimsen beklebt, die in dem Bereich über dem Eingang in die wehende rotweißgrüne ungarische Fahne übergehen. Das ganze Haus ist kreuz und quer mit dünnen Stahlträgern bestückt, die wie Rippen von Flugzeugen oder Reste von leichten Gerüsten aussehen und miteinander durch ein Geflecht von Stahlseilen verbunden sind. Der Neugestaltungsfuror der ungarischen Baukünstler macht nicht an der Fassade halt, er breitet sich auch im Inneren aus, wo er stellenweise - etwa im neu errichteten Cafe Budapest - von surrealistischen und folkloristischen Anwandlungen erfaßt wird. Die Architekten sind von ihrer Leistung so überzeugt, daß sie eine kleine bronzene Tafel mit ihren Namen im Eingang einbringen haben lassen. In Augenhöhe. Sie heißen Laszlo Rajk und Janos Balasz.

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