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Die letzten Burgen des Abendlandes
Der Standard

Der Umgang mit den sechs Wiener Flaktürmen sorgt schon seit den 60er-Jahren für Diskussionen

5. November 2005 - Thomas Trenkler
Ab 1942 wurden in Wien, weil Hitler das Stadtzentrum als „eines der wertvollsten in Deutschland“ erachtete, in Windeseile sechs „Fliegerabwehrtürme der Deutschen Wehrmacht“ errichtet. Friedrich Tamms, bis 1940 Autobahnarchitekt, hatte diese groben Klötze zuerst für Hamburg und Berlin konstruiert: zehn, elf Stockwerke hoch und Eisenbeton pur, bis zu drei Meter dicke Außenmauern, fensterlos kahl. Bei allen führt rund zehn Meter unter dem Plateau eine Galerie mit weit ausgreifenden Erkern, verniedlichend „Schwalbennester“ genannt, rundum, die herabzustürzen und den Betrachter zu begraben drohen.

Zusammen gehören jeweils ein quaderförmiger Feuerleitturm, auf dem die „Nürnberger Riesen“, das Pendant zum Radar, installiert waren, und ein Geschützturm. Jener besonders plumpe im Arenbergpark, so groß wie der Arc de Triomphe in Paris, ist noch der Prototyp. Die anderen beiden in der Stiftskaserne und im Augarten sind 16-eckig, fast rund. Die Türme verfügten, wie Tamms 1965 schrieb, „über Eigenbrunnen, eigene Kraftwerke und waren gegen Kampfgase sowie Sprengstoffe vollkommen abgeschirmt. Sie waren in jeder Weise gegenüber der damaligen Waffentechnik autark.“ Und damit die letzten Burgen des Abendlandes: In ihnen befanden sich Schutzräume für die Bevölkerung, Krankenhäuser, Lagerhallen. Sie waren vollklimatisiert, bis ins letzte Detail durchdacht.

Auch ihre Standorte hatte Tamms nicht dem Zufall überlassen: Die trigonometrische Anordnung umschließt die Altstadt innerhalb des Rings. Zudem achtete er auf städtebauliche Gegebenheiten: Der Geschützturm in der Stiftskaserne bildet den Abschluss des streng symmetrisch angelegten Kaiserforums. Otto-Wagner-Schüler Hans Mayr beispielsweise hatte 1902 für diesen markanten Punkt auf dem Spittelberg eine Kathedrale entworfen. Und auch Tamms, der die Flaktürme euphemistisch „Schieß-Dome“ nannte, hatte Ähnliches im Sinn: Nach dem Endsieg sollte der Zweckbau in den Kreis der „Totenburgen“ eingegliedert werden, die Wilhelm Kreis, Generalbaurat für die Gestaltung deutscher Kriegerfriedhöfe, ersann. Entlang der äußersten Kante der Plattform wäre der Turm mit schwarzem Marmor ummantelt worden. „Die Steine werden reden, wenn auch die Menschen längst verstummt sind“, schrieb Tamms in der NS-Zeit. Aber auch der nackte Stahlbeton redet. Über Schrecken, Hunger und Tod.

Den Geschützturm im Arenbergpark nutzt MAK-Chef Peter Noever, der ihn gerne zum „Contemporary Art Tower“ ausbauen würde, als Depot und Ausstellungshalle, jener in der Stiftskaserne dient dem Bundesheer als Datenzentrale, die dazugehörige Leitstelle im Esterházypark beherbergt ein Aquarium. Die drei weiteren, desolat und geplündert, stehen leer.

Seit Jahrzehnten überlegt man, was zu machen sei mit den „grässlichen Ungetümen einer fürchterlichen Zeit“. Immer wieder meldeten sich Sprengmeister, die vorgaben, die Flaktürme atomisieren zu können, ohne die Umgebung mit in die Luft zu jagen, und eine Schweizer Firma bot an, den Beton mit Laserkanonen zu zerschneiden. 1976 wollte Christo den Esterházy-Turm „einpacken“, denn es reizte ihn, „die schwere und massive Struktur zum Verschwinden zu bringen“. Er meinte, für Wien wäre es sehr nett, bliebe der Turm möglichst lange verpackt. Den gegenteiligen Weg wählte Lawrence Weiner: Sein Schriftzug „Smashed to Pieces (In the Still of the Night)“ aus dem Jahr 1991 nimmt direkt Bezug. Erst nach Interventionen wurde der Kommentar in diesem Frühjahr restauriert.

Neben Künstlern (aber auch Malern und Anstreichern) waren es vor allem Architekten, die sich mit den Kolossen beschäftigten und sie, wie manch Teilnehmer des Wettbewerbes „Skyscraper für Wien“ (1986), als Sockel verwenden wollten: Hans Hollein setzte Anfang der 60er-Jahre spielerisch Büro-Würfel auf, zuletzt (ab 1997) plante Wilhelm Holzbauer für Arcotel ein Luxushotel als Bekrönung des Esterházy-Turms. Die zwingendste Idee hatten 1964 Johannes Spalt/Friedrich Kurrent für ein „Wien der Zukunft“: Sie wollten das Zentrum durch riesige Aufbauten optisch fixieren (ähnlich den radialen Wolkentürmen für Moskau).

Doch für die meisten waren die Türme zwar markante, aber hässliche Klötze. Also wurde in den Köpfen eifrig ummantelt, umbaut und seitlich von der Plattform abgehängt. Verdrängung ist schließlich des Österreichers liebstes Spiel. Entstanden wären um die Betonkerne Stadthotels, Geschäftszentren, Studentenhäuser für Musikbeflissene. Carl Auböck zum Beispiel schlug 1971 für den Flakturm Esterházypark eine Parkgarage samt Erholungszentrum und Hubschrauberlandeplatz vor. Ummantelungen werden aber seit jeher von Architekturkritikern missbilligt. Bereits 1962 wehrte sich Friedrich Achleitner vehement gegen ein 400-Gar¸connieren-Projekt, das unter dem Deckmantel der Stadtverschönerung präsentiert worden war.

Auch die unterschiedlichsten Nutzungen wurden überlegt: als Standort für den Versuchsreaktor der Atomenergiegesellschaft, für eine Champignonzucht, als Museen (Haus der Geschichte, Holocaust-Museum), als Kommunikationszentren und Discotheken. 1987 vereinigte die Architektin Dietlind Erschen all die archivierten Ideen zu einem Konzept (Kulturzentrum, Fitnesscenter mit Sauna, Hallenbad und Turnsälen, Forschungszentrum, Museum für Zeitgeschichte und ein Notspital). Viele weitere Vorschläge brachte 2003 ein Wettbewerb der Kronen Zeitung: Die Leser schlugen Spielkasinos, Planetarien, Seilbahnstationen, Sprungschanzen vor. Nichts wurde realisiert.

Seit 2002 will die Firma DCV den aufgrund einer Explosion nach dem Krieg ramponierten Geschützturm im Augarten als Datenspeicher verwenden. Eine Baugenehmigung gibt es noch nicht. Zum Glück. Denn, wie schon Johannes Spalt 1987 sagte: „Die Flaktürme sollen so erhalten bleiben, wie sie sind, selbst wenn sie keinem Zweck dienen, sie sind einfach schön und imponierend, sie sind Denkmale.“

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