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Holz und Stadt
zuschnitt
18. Dezember 2005
Wie Holz in der Stadt auch gestaltet wird, es bleibt ein intimes Material, wie die Kleidung der Leute auf der Straße. Holz ist wie ein Mensch, jemand lebendiger, dem man begegnet, den man grüßt oder mit Misstrauen beobachtet. Das hat sowohl mit der natürlichen Textur des Materials an sich, mit seiner Haptik, als auch mit der Vertrautheit zu tun, die wir für Holz empfinden, weil wir es als Möbel, als Böden, als Decken, Fenster, Türen und Dachböden aus der eigenen Wohnung kennen und ganz selbstverständlich behandeln.

Diese Intimität des Materials in der Stadt entweder bewusst einzusetzen oder aufzuheben – je nach der Situation, in der ein Holzbau realisiert werden soll –, ist eine schwierige Aufgabe, auch weil die entsprechende Tradition der (inner)städtischen Gestaltung von Holzbauten lange unterbrochen war. Durch moderne Holzbautechnik und Bauvorschriften muss heute niemand mehr Angst vor Feuer in der Stadt haben, daher ist zu erwarten, dass sich hier eine neue Holzbaukultur etablieren wird und Holz nicht auf die Peripherie oder ländliche Regionen beschränkt bleibt, wo das Material immer akzeptiert wurde, weil vor allem Solitärbauten entstanden sind.

Somit lautet im Grunde genommen die städtebauliche Hauptfrage, inwieweit ein Holzbau ins Stadtzentrum oder in die Kontinuität bereits bestehender geschlossener Fassadenflächen entlang von blockrandbebauten Straßenzügen aufgenommen werden kann oder die Wahrnehmung derselben zu verändern vermag.

Aus der Geschichte gibt es viele Beispiele gelungener‚ holzstädtischer Ensembles, wie Zaansche Schans oder Hindeloopen in den Niederlanden oder die beeindruckenden, auf Pfählen stehenden Lagerhäuser im alten Trondheimer Hafen, wobei es aber vermutlich gerade die Geschlossenheit des Ensembles ist, weshalb sie so geschätzt werden.

Ähnliches trifft auf die berühmten Amsterdamer Grachtenhäuser zu, wo das Holz der Fensterrahmen – überall ähnlich hell gestrichen, damit noch etwas Tageslicht in die Wohnungen hinein reflektiert wird – stärker als die Ziegelflächen dazwischen in die Wahrnehmung vordringt. Bei den Grachtenhäusern muss noch betont werden, dass es sich bautechnisch um eine verfeinerte Holzskelettbauweise handelt, bei der zuerst die sichtbar bleibenden Holzrahmen und Türgerüste aufgestellt und dann erst die Ziegel hinzugefügt wurden. Diese Bauweise, deren technischer Hintergrund damals vielleicht nicht allen Leuten bewusst war, weil sie nach der Baufertigstellung nicht mehr nachvollziehbar war, die jedoch wegen ihrer ästhetischen Qualitäten sehr geschätzt wurde, spielte in den Niederlanden bis vor ungefähr vierzig Jahren eine große Rolle. Seither werden die entsprechenden Bauteile industriell hergestellt und anders verarbeitet.

Das Erscheinungsbild der Stadt, ihrer Straßen und Plätze, basiert möglicherweise genau darauf, dass die Häuser sich kaum voneinander unterscheiden, dafür im Inneren aber umso unterschiedlicher sind. Die Entwicklung der Materialien – und das gilt nicht nur für Holz – führte aber in der Folge fast genau zum Gegenteil. Nachdem beinahe alle Baumaterialien, besonders jene für Fassaden, egal ob Glas, Ziegel oder Holz, aus konstruktiven oder bauphysikalischen Gründen industriell geschichtet ausgeführt wurden, entstand aus technischen Gründen eine »Glattheit« der Fassaden, die nun zu reinen Oberflächen ohne Volumen wurden. Mit der Loos’schen Bekleidungstheorie hat das wenig zu tun, weil Glas, Ziegel und Holz zwar immer noch gleich aussahen, aber die dahinterliegende Struktur für die Wirkung der Fassade an Bedeutung verloren hatte, sodass es auch weniger zu bekleiden gab. Die Fassaden wurden entleert und im Grunde genommen genauso anonym wie die steinernen Fassaden einer steinernen Stadt.

Die gestalterische Lösung dieses Problems fanden die Architekten weltweit im Minimalismus der bildenden Kunst der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre – gerade zu einem Zeitpunkt, als diese Strömung in der Kunst bereits nachzulassen begann. Die Fassaden wurden damit nicht nur glatter, sondern in ihrem Aufbau auch tektonisch abstrahierter, das Holz wurde von einem Gerüst zu einer Platte.

Da der Minimalismus in der Kunst in dem Moment entstanden war, als die industrielle Gesellschaft von der Informationsgesellschaft abgelöst wurde, die gesellschaftliche Ausrichtung aber zum Teil die gleiche geblieben war, wurde diese Ausrichtung sozusagen in einem Rückblick durch serielle gestalterische Ordnungen aus Materialien der industriellen Vergangenheit wie Cortenstahl, Blech, Farbglas oder Pressspanplatten in den Arbeiten von Donald Judd, Richard Serra und anderen ästhetisch dargestellt.*

Die Architektur übernahm diese Ästhetik dann jedoch ohne deren speziellen Bedeutungshintergrund, welcher ohnehin begonnen hatte sich zu erschöpfen. Statt als aufrüttelndes Mahnmal wurde sie im Bau als schöne Oberfläche genützt, was auch damit zu tun hat, dass das Bauwesen zu spät industrialisiert wurde, um über diesen Fortschritt hinaus noch die Schrecken des industriellen Zeitalters ausdrücken zu können oder zu wollen.

Nach den großen Erneuerungen der Gusseisenanwendung in der Mitte und des Stahlbetonbaus am Ende des 19.Jahrhunderts hatte sich das Bauwesen kaum verändert, auch weil seit den 1920er Jahren seine Industrialisierung hauptsächlich in einer Standardisierung an der Baustelle, anstatt in der Vorfertigung der Materialien gesucht worden war.

Diese Gründe mögen dafür verantwortlich gewesen sein, dass die abstrahierte Ästhetik der entleerten Fassaden in den 1980er Jahren ziemlich rasch als allzu langweilig betrachtet wurde und Architekten wie etwa Herzog&de Meuron Glas als Träger für wesenlose Beschriftungen und ornamentale Muster einsetzten, um mehr Lebendigkeit zu suggerieren. Holz hingegen braucht – egal wie abstrahiert seine vorgefertigte Erscheinung auch sein mag – kein zusätzliches Ornament, weil es auch im höchsten Abstraktionsgrad seine natürlich erscheinende Lebendigkeit, sein Wesen oder die Erinnerung daran bewahrt.

Aus welchem Material auch aufgebaut, erscheint die neuere, technisch entleerte Architektur als Solitär in der historischen Stadt. Wenn es um vereinzelt stehende Objekte geht, wie ein Museum im Park oder eine Markthalle auf einem Platz, stellt sich das ästhetische Problem der Eingliederung nicht. In die Kontinuität einer herkömmlichen Fassadenreihe gestellt, bildet sie aber immer eine Lücke. Dann gibt es die freche Möglichkeit, wie beim Sporthaus ok von Wolfgang Pöschl in Innsbruck, eine Baulücke deshalb auch konsequenterweise als eine gebaute Lücke auszufüllen. Sie bleibt Lücke. Das Gebäude schämt sich kaum dafür, muss aber sozusagen sein Bewusstsein des nun einmal nicht zu vermeidenden, zu großen Kontrasts des vereinzelten Objekts in seiner Umgebung dadurch überspringen, dass es im minimalistisch objektmäßig gestalteten, auskragenden Holzbalkon wiederholt und betont wird. Es ist eine gewisse Einsamkeit des Holzvolumens in der Stadt, die dargestellt wird, indem Holz als herkömmliches, versöhnliches Material eingesetzt wird, welches das Gebäude in verkleinertem Maßstab charakterisiert. Sehr schön!

Da es in der Geschichte der Holzarchitektur eigentlich keine Verbindung gibt zwischen der Semper’schen leichten Tektonik aus Pfeiler- und Gebälkgerüst und der entleerten minimalistischen Plattenstruktur der heutigen Bauweise, müssen alle ArchitektInnen, die Holzbauten in der Stadt entwerfen und daher eine gewisse Fassadengliederung gestalten sollten, zu eigenständigen, oft idiosynkratischen Lösungen kommen, was diese Versuche ungemein spannend macht. Das Haus Sigmund in Wien von Hubert Rieß ist dafür ein gutes Beispiel. Der Zusammenhang zwischen einer regelmäßigen Pfeilertektonik und ebenen Oberflächen aus dem gleichen Material bewirkt, dass das Gebäude wie aus einem Guss erscheint. Der Bau ist monomateriell. Zugleich wird seine Objekthaftigkeit aber durch die Symmetrie, welche die Mitte betont und sozusagen das Auseinanderfallen in zwei gleiche Teile bewirkt, aufgehoben, wodurch die Selbständigkeit des Gebäudes betont wird.

Diese fast Josef-Hoffmann-artige akzeptierte Schwäche erzeugt eine weitere, großmaßstäblichere Gliederung, welche den Bau im letzten Augenblick in die Umgebung zu verankern weiß. Auch sehr schön – und für die zu erwartende Weiterentwicklung von Holz in der Stadt sehr vielversprechend.
* Peter Halley, »The Crisis in Geometry«, Collected Essays 1981–87 (Zürich: Bruno Bischofsberger Gallery, 1988), S.74–105

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Für den Beitrag verantwortlich: zuschnitt

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