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Das Haus des Jahres
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Keine Highlights, dafür business as usual in der Stadtentwicklung. Wien, Schwarzenbergplatz 5: wie private Interessen auf öffentlichem Grund die Stadt gestalten. Ohne städtebauliche Studie, ohne Projektwett-bewerb, mit sattem Gewinn.

30. Dezember 2005 - Christian Kühn
Überstanden. Das „Architektur jahr 2005“, auf Initiative von Planungsstadtrat Rudi Schicker ausgerufen, um Wien zur „Architekturmetropole“ zu entwickeln, ist vorbei. An Worten hat es nicht gefehlt: ein Architektursymposion „Architektur für die Stadt“, die Unesco-Konferenz „Welterbe und zeitgenössische Architektur“, der Stadtdialog mit seinen Diskussionsrunden.

Architekturrundfahrten führten gratis an wichtigen Bauten vorbei, und zur Förderung der jungen Wiener Architekturschaffenden wurde das Ausstellungsprojekt „Young Viennese Architects - YO.V.A.“ gestartet. Eine Zeitschrift mit dem originellen Namen „Capacity“ wurde vierteljährlich als Beilage zu großen Tageszeitungen verbreitet.

Ein Höhepunkt des „Architekturjahres“ war die „Wiener Architekturdeklaration“, mit der die Haltung der Stadt zu Architektur und Stadtplanung akzentuiert werden soll: „Es ist das politische Anliegen der Stadt Wien, durch die Weiterentwicklung der Instrumente die Verwirklichung gesamtgesellschaftlicher Ziele sicherzustellen, für breite und hohe Architekturqualität zu sorgen und zugleich den Spielraum für innovative Architektur offen zu halten,“ heißt es hier. Investorenarchitektur müsse das Potenzial des jeweiligen Ortes nutzen, dabei räumliche Qualitäten schaffen und zu einer langfristig tragfähigen Entwicklung beitragen. Zentrales Instrument zur Sicherung von Qualität und Transparenz im Planen und Bauen sei der Architekturwettbewerb, der sich nicht auf den Bereich der öffentlichen Hand beschränken solle: „Zusätzlich sind auch private Bauträger zu entsprechenden Verfahren zu motivieren.“

Mit konkreten Umsetzungen war das Jahr 2005 nicht gesegnet. Die Architekturdatenbank nextroom weist für 2004 in Wien 47 rezensierte Bauwerke aus, für 2005 nur 23. Auch bei den Highlights des Jahres tut man sich schwer: 2004 war mit dem T-Center von Domenig/archconsult ein herausragender Kandidat vorhanden. Heuer muss man sich an Projekte halten, etwa an Jean Nouvels Entwurf für ein Hotel am Donaukanal. Oder man verzichtet darauf, nicht das spektakulärste Projekt zum Haus des Jahres zu erklären, sondern sucht eines, das charakteristisch ist für die Art, wie in Wien allen Architekturdeklarationen zum Trotz nach wie vor Stadtentwicklung betrieben wird.

Für den Schwarzenbergplatz 5 wurde kürzlich das Projekt für ein neues Büro- und Wohngebäude an der Stelle des sogenannten „Steyr-Hauses“ vorgestellt. Die Vertreter der Stadt zeigten sich beglückt darüber, dass Wien wieder um ein „Stück spannende Architektur reicher“ werde. Gerüchte über das Projekt kursierten bereits länger. Der planende Architekt, Sepp Frank, hätte dem Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung bereits vor mehreren Jahren eine Studie vorgelegt, in der die Baulinie um zehn Meter in den Platz vorrückt. Der Fachbeirat und die für Stadtgestaltung zuständige Magistratsabteilung 19 sahen die Symmetrie des Platzes nicht gestört, womit einer Änderung des Flächenwidmungsplans nichts im Weg stand. Als Frank aber heuer seinen konkreten Entwurf für die Fassade vorlegte - eine einfallslose Glashaut mit diagonal versetzten Ziergliedern -, hätte der Fachbeirat diesen als unpassend abgelehnt. Der Investor war bereit, für die Fassade noch Entwürfe von Manfred Wehdorn und Martin Kohlbauer einzuholen, die vom Fachbeirat begutachtet wurden. Kohlbauers Entwurf, eine routinierte, zwischen Modernismus und klassischer Tektonik eingependelte Gliederung, wird ab kommendem Jahr zur Ausführung gelangen.

Weit bemerkenswerter als diese Fassade ist die Geschichte des Grundstücks. 1938 wurden die Parzelle und das dort befindliche Wohnhaus „arisiert“ und ins Eigentum der NSDAP übergeführt. Das Haus wurde im Krieg zerstört, das Grundstück ging 1945 in den Besitz der Republik über. 1947 - die Adresse lautete inzwischen Stalinplatz 2 - wurde es an die früheren Besitzer restituiert und von diesen 1954 um zwei Millionen Schilling an die Steyr-Daimler-Puch AG, also an ein Unternehmen der verstaatlichten Industrie, verkauft. Jenseits dieser Möglichkeit, die Kriegsruine zum Marktpreis zu verkaufen, scheint es keine weitere Kompensation an die Vorbesitzer gegeben zu haben. Die Steyr-Daimler-Puch AG gründete eine gemeinnützige Wohnbaugesellschaft, die 1958 auf dem Grundstück ein Wohnhaus für Mitarbeiter nach den Plänen des Architekten Karl Kupsky errichtete. Die Grünfläche vor dem Haus, annähernd symmetrisch zu jener vor der französischen Botschaft, wurde an die Stadt übertragen und in eine Nebenfahrbahn umgewandelt.

Das alte Steyr-Haus galt zu Recht als das hässlichste Gebäude am Schwarzenbergplatz. Umbauten, die dem Haus seine zeittypisch abgeschrägten Stützen im Erdgeschoß raubten und seine Fassade schließlich in einen Mantel aus Fertigteilen hüllten, folgten. Den Wert der Immobilie hatte die Steyr-Daimler-Puch AG aber längst erkannt: Spätestens seit Rudolf Streicher, zuvor SPÖ-Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten und später ÖIAG-Chef, 1992 Generaldirektor des Unternehmens wurde, gab es Überlegungen, an diesem Standort ein neues Gebäude, im Idealfall ein Hochhaus, zu errichten. Derartige Überlegungen scheiterten jedoch am Widerstand des Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung.

Aber auch so bot das Grundstück noch genug Potenzial für das, was Projektentwickler „Fantasie“ nennen. Sie war vor allem in jener ehemaligen Grünfläche zu finden, die 1958 an die Stadt übertragen worden war. Konnte man die Stadt davon überzeugen, diesen Grund zurück zu übertragen und mit einer Baulandwidmung auszustatten, ließe sich die Nutzfläche des Projekts beachtlich vergrößern. Wieso der Fachbeirat für Stadtgestaltung in der Vorrückung der Baulinie in den Platz um zehn Meter keine Beeinträchtigung der Symmetrie erkennen konnte, wird ein Geheimnis bleiben: Die Sitzungsprotokolle des Beirats werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Die Magistratsabteilung MA 19 dürfte überhaupt einer Autosuggestion erlegen sein. Sie gibt bis heute die Auskunft, dass durch die neue Bebauung die „frühere Symmetrie“ des Platzes wiederhergestellt werde. Mit dem Studium der Stadtkarte dürfte man sich dort nicht lange aufgehalten haben: Wiederhergestellt wurde das Eigentum an den Grundstücken, aber keineswegs die Platzkontur.

Eine entsprechende Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans erfolgte im Wiener Gemeinderat am 1. März 2002. Unmittelbar davor, im Februar 2002, war das alte Steyr-Haus in den Besitz der Investorengruppe um Rudolf Streicher übergegangen. Der Grundstücksteil mit Nebenfahrbahn und Grünfläche befand sich zu diesem Zeitpunkt als öffentlicher Grund allerdings noch im Besitz der Stadt. Ein Anspruch auf automatische Rückübertragung war bereits 1988, 30 Jahre nach der Abtretung, erloschen. Damit kommt die Abteilung für Liegenschaftsbewertung der Magistratsabteilung 69 ins Spiel, die in Wien nicht der Stadtplanung, sondern dem Ressort „Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung“ des Stadtrats Werner Faymann untersteht. Sie muss einen „ortsüblichen Marktpreis“ bestimmen, zu dem der Grund verkauft wird.

Angesichts der erzielbaren Nutzfläche schätzen Immobilienexperten den Wert des Grundstücks auf 3,2 bis 4,8 Millionen Euro. Tatsächlich wechselte es aufgrund eines Amtsgutachtens der MA 69 im Dezember 2002 jedoch um knapp unter 1,2 Millionen Euro den Besitzer. Im Februar 2004 wurde das Projekt schließlich an den Investor Breiteneder verkauft. Für die Projektentwickler ein voller Erfolg: Bei der Vorstellung des Projekts konnte der planende Architekt, Sepp Frank, stolz berichten, dass die Nutzfläche von 6000 Quadratmetern im alten Steyr-Haus auf 10.000 Quadratmeter, also um 66 Prozent, gesteigert werden konnte. Für die Wiener eine Niederlage: Abgesehen von den Widmungsgewinnen, die weit überproportional von Privaten lukriert wurden, gab es weder eine unabhängige städtebauliche Studie noch einen Projektwettbewerb, es sei denn, man wollte die Wahl zwischen Fassaden der Marken Frank, Wehdorn und Kohlbauer als solchen gelten lassen.

Das Muster, das bei diesem Projekt erkennbar wird, findet sich bei vielen großen Wiener Stadtentwicklungsprojekten der letzten Jahre. Beim Millenniumstower stand hinter Georg Stumpf Franz Vranitzky, bei Monte-Laa der ehemalige Vizebürgermeister Hans Mayr als Aufsichtsratsvorsitzender der PORR, am Wienerberg Friedrich Kadrnoska, einer der Vorstände der Bank Austria, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender von Wienerberger. Alle Projekte widersprechen den Stadtentwicklungsplänen oder haben sich - wie der Millenniumstower - über Widmung und Baulinien so lange hinweggesetzt, bis das Ergebnis durch neue Bebauungspläne legalisiert wurde. Die Stadtplanung war in keinem Fall stark genug, sich dem politischen Druck zu widersetzen. Als Nebeneffekt dieser Entwicklung sind besser geeignete, dem Stadtentwicklungsplan entsprechende Areale wie das Nordbahnhofgelände und die Aspanggründe bis heute unbebaut.

Eine „Wiener Architekturdeklaration“ allein wird an dieser Situation nichts ändern. Aber vielleicht legt die Stadt das „Architekturjahr 2006“ ja anders an, sachlicher und selbstkritischer, wirklich transparent und ohne Tabuzonen. Hoffen wird man ja noch dürfen.

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