Artikel

Im Zeichen des Pixels
Spectrum

Eine Serie von Ausstellungen und Workshops in neun europäischen Län dern. Ins Leben gerufen von einer Gruppe österreichischer Architekten. Derzeit zu Gast in Zagreb.

14. Januar 2006 - Christian Kühn
Der bunte Strichcode, von Rem Koolhaas und seiner Denkfabrik OMA als visuelles Symbol für die europäische Union entwickelt, beginnt sich im Rahmen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft ins allgemeine Bewusstsein einzuprägen. Es ist das erste Mal, dass dieses Logo im offiziellen Kontext Verwendung findet. Dass die österreichischen Nationalfarben anlassgemäß ein klein wenig aus der Reihe hervorragen, ist unerheblich. Alle sind gleich wichtig, will das Logo suggerieren, und werden in ihrer Vielfältigkeit respektiert. Die Form des Strichcodes weist allerdings auch dezent darauf hin, dass die EU primär als ökonomische Union wahrgenommen wird und nach der Meinung vieler Bewohner auch bleiben soll.

Eine Gruppe junger österreichischer Architektinnen und Architekten hat sich vor vier Jahren aufgemacht, die europäische Architekturlandschaft auf eine Art zu erforschen, die diesem Bild entspricht: Europa als kulturell vielfältiges Gebilde, das von der ökonomischen Sphäre wenn schon nicht dominiert, dann zumindest determiniert wird. Die Initiatoren lassen eine Ausstellung durch europäische Länder reisen, die von Land zu Land im Schneeballsystem wächst. Jedesmal kommen elf junge Büros dazu, die ihre Arbeiten auf kleinen Ausstellungstafeln von 40 mal 40 Zentimetern präsentieren dürfen. Die Tafeln sind auf Stäben befestigt und lassen sich damit leicht an unterschiedliche Situationen anpassen. Da ihre Anzahl gleich bleibt, ist dieses System nicht sonderlich gerecht: Am Ende, wenn 99 Teilnehmer aus neun Ländern ihre Arbeiten bei der Schlussausstellung zeigen werden, stehen jedem Büro nur noch je vier Tafeln zur Verfügung. Kompensiert wird diese Reduktion dadurch, dass sich der Schwerpunkt des Projekts immer mehr von der Ausstellung in Richtung Workshops und Publikationen verlagert.

Wonderland geht auf eine Initiative der jungen Kärntner Architektengruppe Spado zurück, hinter der Helmut Rainer, Harald Weber und Hannes Schienegger stehen. Im Jahr 2002 wurden Spado von einem ihrer Auftraggeber, Fundermax, für den sie die expressive Fassade des Funderwerks in St.Veit/Glan entworfen hatten, eingeladen, ihre Projekte in einer Ausstellung zu präsentieren. Spado nahmen die Einladung zum Anlass, ihrerseits weitere zehn Büros zu kontaktieren und eine gemeinsame Ausstellung vorzuschlagen.

Das Team mit dem bezeichnenden Namen „Share“, das aus Silvia Forlatti, Thomas Lettner und Hannes Bürger besteht, gewann einen internen Wettbewerb für das Ausstellungskonzept mit der Idee der Pixel und erfand den Titel „Wonderland“, über dessen tiefere Bedeutung man nur spekulieren kann. Ist es das Ziel junger Architekten, die Welt zum Staunen zu bringen? Oder fühlen sie sich vielleicht oft so verwirrt wie Alice im Wunderland, wenn sie die Universität verlassen und sich mit ei-ner Praxis konfrontiert sehen, die in hinterhältiger Weise zugleich pragmatisch und irrational sein kann?

Die Ausstellung wurde dreimal erfolgreich in Österreich gezeigt und nach gründlicher Überabreitung mit Unterstützung der Kunstsektion des Bundeskanzleramts auf eine Europareise geschickt, die in Pressburg und Prag begann. Als weitere Stationen folgten Berlin, Amsterdam, Paris und Venedig. Derzeit gastiert die Ausstellung in Zagreb, reist dann nach Laibach weiter, wo sie am 10. März eröffnet wird, und kehrt im Juni 2006 nach Österreich zurück. Die Idee, sich für weitere Büros zu öffnen, behielten die Organisatoren bei und baten Kontaktteams in diesen Ländern, weitere Büros für die Ausstellung zu gewinnen. Die Teamauswahl beruht auf persönlichen Beziehungen, die oft bei postgradualen Studien, etwa am Rotterdamer Berlage-Institut, geknüpft wurden.

Die intellektuellen und formalen Wurzeln der Büros sind daher durchaus verwandt, treffen aber auf völlig unterschiedliche lokale Produktionsbedingungen. Die Länder des ehemaligen Ostblocks erlebten einen Bauboom, in dem sich auch Nachwuchsbüros rasch etablieren konnten. Junge slowenische Architekten konnten oft noch vor Abschluss des Studiums erste Projekte realisieren. Ganz anders die Situation in Deutschland, wo die neuen Länder zwar eine enorme Bautätigkeit entfalteten, die aber von etablierten Büros aus dem Westen dominiert wurde und inzwischen dramatisch zurückgegangen ist. Junge deutsche Büros müssen sich heute ihre Arbeit oft in Grenzbereichen zur bildenden Kunst selbst schaffen, wenn sie eigenständig überleben wollen. Eine drastische Veränderung der Zukunftsperspektive ist auch in den Niederlanden zu beobachten, dem Architekturwunderland der 1990er-Jahre, wo der Verdrängungswettbewerb unter den Büros nach Wegfall der massiven staatlichen Förderung, die nicht zuletzt die jungen stärken sollte, als besonders brutal empfunden wird.

Vor diesem Hintergrund entstand unter den Initiatoren von Wonderland die Idee, den Schwerpunkt von der Ausstellung auf den Erfahrungsaustausch zwischen Büros einer bestimmten Generation und damit ähnlicher Entwicklungsstufe zu verlegen. Aufbauend auf einer EU-Förderung im Rahmen des „European Architectural Network Development“, gelang es, Workshops zur Ausstellung inklusive der Reisekosten für die teilnehmenden Teams zu finanzieren und die Aktivitäten auf einer Website (www.wonderland.cx) zu dokumentieren. Gestaltet ist die Website von „nan architects“, einer Gruppe, deren Portfolio typisch ist für die Wonderland-Generation und vom Webdesign bis zur Landschaftsgestaltung reicht. Dass hinter solchen spartenübergreifenden Aktivitäten keine Einzelpersonen stehen können, sondern Gruppen, versteht sich von selbst: Durchschnittlich hat ein Wonderland-Team 2,75 Chefs - mit allen Problemen, die sich in Marketing und Organisation daraus ergeben. Von den 99 Teams firmieren 76 unter mehr oder weniger fantasievollen Markennamen. Nur 23 tragen den Namen der Architekten, einige bleiben aber auch so originell, wie etwa der Italiener Francesco Matucci, der sich als Ein-Mann-Büro mit Standorten in Kopenhagen, Florenz und Madrid deklariert. Von ihm stammt auch die Anregung, Wonderland als virtuelles Großbüro zu organisieren und damit in China auf Auftragssuche zu gehen.

Für Roland Gruber von „non:conform“, gemeinsam mit Elisabeth Leitner für die Organisation der „Wonderland Europa tour“ verantwortlich, ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Die nächste Stufe im Konzept ist die von Silvia Forlatti und Anne Isopp - für künftige Architekturhistoriker: Letztere ist Mitglied der Gruppe „morgenbau“ - betreute Herausgabe einer Zeitschrift, die als Beilage zu Hans Ibelings Europäischem Architekturmagazin „A10“ zweimal im Jahr erscheinen wird und sich speziell mit den Problemen junger Büros in Europa befasst. Die Ausstellung gastiert Anfang Juni noch einmal in Wien, parallel zur Tagung des Europäischen Forums für Architekturpolitik und zur Eröffnung der „Österreichischen Architekturtage“ am 8. Juni. Auf dem Programm für hartgesottene Architekturfreaks: 99 Kurzvorträge der Wonderland-Architekten.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: