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Neue Zürcher Zeitung

Welche Bedeutung haben Architektur-Ikonen?

30. Januar 2006 - Jürgen Tietz
Ist es eine gläserne Zigarre im Rauten-Look? Oder doch eher eine Rakete, die gleich zum intergalaktischen Raumflug abheben wird? Norman Fosters Londoner Swiss-Re-Gebäude lässt Platz für Interpretationen. Egal ob gläsern kühl oder betongrau, ob geschwungen oder spitz, zeichenhafte Architektur ist dank dem Bilbao-Effekt von Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum auf dem ungebremsten Vormarsch. Mit seiner medien- und marktgerechten Architekturplastik hat Gehry jenen Impuls gegeben, der sich seitdem in einer Art Dominoeffekt um die ganze Welt fortsetzt. Erst schwappte er von Metropole zu Metropole, um sich dann in immer feineren Verästelungen auch in kleineren Städten zu verlieren, bis nach Graz oder Malmö - ja zuletzt gar bis nach Herford und Wolfsburg. Jeder, so scheint es, will ein Haus der Happy Few der Architektenszene, will seinen Gehry, seine Zaha Hadid oder seinen Daniel Libeskind. Zur Not auch nur als Light- Version oder gar als Surrogat.

Identität durch Architektur

Neben ihrem dreidimensionalen Alltag als Museum, Bibliothek, Bürohaus oder Einkaufszentrum führen diese gebauten Landmarken eine zweite Existenz als zweidimensionale Architekturbilder. Dabei gilt: Je signifikanter ein Gebäude ist, je unverwechselbarer es erscheint, umso besser ist es um seine Vermarktbarkeit bestellt. Diese Sehnsucht nach Einzigartigkeit ist kein neues Phänomen. Sie steht mit dem Turm zu Babel sogar ganz am Anfang allen Bauens. Und mit ihr jene Hybris, die als ewige Versuchung allen Bauwerken innewohnt. Das Haus selbst und das Bild vom Haus bilden von jeher ein untrennbar miteinander verwobenes Gespann, das seinen Platz im individuellen wie im kollektiven Bildgedächtnis besitzt. Denn neben der vertrauten Umgebung, dem Haus an der Ecke, gibt es auch jene übergreifenden kulturellen Festlegungen, die an bekannte Gebäude gebunden sind - und die dafür sorgen, dass einzelne Orte sofort erkennbar sind, egal ob wir sie je besucht haben oder nicht: Der Eiffelturm steht für Paris, der schiefe Turm für Pisa, das Kolosseum für Rom, die Akropolis für Athen. Doch was stand für Herford, ehe dort Gehrys MARTa-Museum eröffnet wurde?

Jahrhundertelang definierten die vertrauten Häuser der näheren Umgebung ein Stück Heimat, eine Identität, die von Generation zu Generation nur einem allmählichen Veränderungsprozess unterworfen war. Seit der industriellen Revolution ist dieser Prozess durch das Wachstum der Metropolen und die Verstädterung der Landschaft beschleunigt worden und aus den Fugen geraten. Heimat- und Denkmalschutz stellten den verzweifelten Versuch dar, das Vertraute zumindest partiell zu bewahren, es über den nächsten Tag zu retten. Und damit jenen kulturellen Architekturkanon, der seit der Renaissance in den Veduten eines Canaletto oder Gaspar van Wittel verbreitet worden war.

In den Zeiten einer fortschreitenden Globalisierung besitzen die Ikonen der Architektur, denen sich jüngst der Vorreiter der Postmoderne, Charles Jencks, ausführlich widmete (Iconic Building, Frances Lincoln, London 2005, £ 19,99), eine ganz neue Dimension. Längst entfalten sie ihre eigentliche Wirkung als virtuell verbreitete Markenzeichen, mit denen im Hinblick auf Investoren und Touristen der Wettstreit der Metropolen angeheizt wird. Ein Milliarden-Markt mit Imagefaktor. Kein Wunder also, wenn durch die neuen Architekturbilder weder Heimat noch Vertrautheit geschaffen werden. Wer würde schon den neuen Potsdamer Platz als Heimat bezeichnen? Höchstens einige Zweitwohnungsbesitzer, die dank gut gepolstertem Bankkonto hier ihren Koffer in Berlin abstellten. Doch wenn der Bezug zum Ort nicht mehr eingefordert, der Rückbezug zur gewachsenen Stadtstruktur in ihrer Einzigartigkeit ebenso wie in ihrer Widersprüchlichkeit zur Nebensache wird, dann verwundert es nicht, dass sich manche Architektur- Ikonen wie Aliens gebärden, welche die Kommunikation mit ihrer Umwelt verweigern. Sie bilden eine eigene, den Bezug zur Geschichte des Ortes negierende Matrix.

Zugleich droht die wachsende Inflation auf dem Catwalk der Architekturbilder zur allgemeinen Verwirrung beizutragen. Stand dieses Haus in Hamburg, Tokio oder Paris? War es das Museum in Bern, Manchester oder Seoul? Hiess der Architekt Eisenman, Koolhaas oder Piano? Wer hat wann wo was gebaut? Schon purzeln die Bauten durcheinander. Im Zeitalter des Global Village rücken die Architekturbilder nebeneinander wie die Gemälde in einem Museum. Ganz so, als könne man sie alle paar Jahre neu hängen.

Das Dilemma einer im Zeitalter des Iconic Turn primär auf ihre Bildwirkung hin ausgerichteten Architektur liegt darin, dass sie auf den schnellen, flüchtigen Blick vertrauen muss. Auf ein möglichst leicht konsumierbares architektonisches Fast Food, das von emotionalen Stimmungswerten dominiert wird. Es ist kaum zu verhindern, dass dabei oft all das aus dem Blick gerät, was die eigentliche Qualität von Architektur ausmacht und über die Zeit trägt: ihre Materialität, ihre Substanz, ihre Details und ihre Raumwirkung. Ihre haptische und sinnliche Dimension. Die sind nämlich nur vor Ort und nur nach und nach am einzelnen Bauwerk erfahrbar.

Von hypermodern bis erzkonservativ

Das Überraschende aber ist, dass diese Bild-Bauten ganz unterschiedliche Formen annehmen können, je nachdem, welches Marktsegment mit ihnen bedient werden soll. Die Variationsbreite liegt zwischen hypermodern und erzkonservativ. Doch eines eint die neuen Bildstrategien - sie vermitteln ihrem Publikum eine klare Sicht auf die Welt. Zwischentöne, gleichsam der «architektonische Autorenfilm», gehören nicht zu ihren starken Seiten. Stattdessen dominiert die baukünstlerische Schwarzweissmalerei des Mainstreams.

Charakteristisch für die derzeit besonders beliebten konservativen Architekturbilder sind Wohnsiedlungen, die pseudotraditionelle Stadtstrukturen reproduzieren. Dem entspricht, dass gerade in Deutschland seit der Wiedervereinigung der geschichtlichen Dimension der Städte eine wachsende Bedeutung beigemessen wird. Und so positionieren sich Städte wie Dresden oder Berlin über historische Architekturbilder, auch wenn diese Bauten dafür erst wieder neu erfunden oder rekonstruiert werden müssen. Doch Zweifel sind angebracht, ob diese dünne Eisschicht über dem tiefen Meer von über 2000 Jahren europäischer Baukultur lange tragen wird. Kritische Nachfragen jedenfalls, was sich hinter den nivellierenden Architekturbildern eigentlich für ein Geschichtsverständnis verbirgt, erscheinen angesichts des allgemein verbreiteten öffentlichen Jubels höchst störend.

Doch auch der Baukasten der Moderne generiert laufend neue Bilder für die weltweite Vermarktung im Architekturzirkus: ökologisch ambitioniert bei Foster, elegant expressiv bei Gehry, zackig dekonstruiert bei Libeskind. Am Computer entworfen, vermischen sich die weltweit verfügbaren Ikonen miteinander. Virtuelle und wirkliche Welten überlagern sich längst, um sich zu einem Bild von Stadt zusammenzufügen, das wir für die eigentliche Stadt halten, obwohl es sich bestenfalls um die gebaute Hülle einer gelungenen Marketingstrategie handelt. Die Architektur, sie droht zum Klischee zu erstarren, während Potemkinsche Dörfer weiter unsere Alltagswelten erobern.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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