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Kein Funken, keine Chance
Spectrum

Der Plan für das Areal des Flugfelds Aspern: Klassischer Stadtraum oder offene Partitur? Psychogramme der Wiener Stadtplanung, 1992 bis 2006.

11. März 2006 - Christian Kühn
Flugfeld Aspern: Begann dort nicht vor einigen Jahren die Zukunft des Wiener Städtebaus? 1995 stellte die Stadt ein Leitprojekt für die Entwicklung dieses rund 200 Hektar großen Areals im Nordosten Wiens vor, die Weiterentwicklung eines Entwurfs von Rüdiger Lainer aus dem Jahr 1992: Ausgehend von den Diagonalen der stillgelegten Landebahnen des Flugfeldes, glich das Leitbild einem bunten Schnittmusterbogen mit geheimnisvollen Linien, durchsetzt von bunt markierten Punkten für besondere öffentliche Nutzungen. Der Plan war durchzogen von Grünflächen und einem Verkehrssystem mit Hybridgaragen, in denen Parken mit anderen Nutzungen kombiniert werden sollte. „Die Form“, schrieb Rüdiger Lainer damals zur Warnung an alle, die sich zu sehr in die Buntheit dieses Bildes verlieben könnten, „ist nur Erläuterung. Die Stadt ist bestimmt durch den gesellschaftlichen Gebrauch. Das Projekt entwickelt daher eine Methode zur Steuerung eines offenen Systems.“ Beim bunten Bild handle es sich um eine Partitur für das große Orchester der Stadtentwicklung, in dem Investoren, Bürger, Landschafts- und Verkehrsplaner, Architekten, Politiker und viele andere zusammenspielen müssten. Dirigenten braucht dieses Orchester auch, und 1992, in der Ära des Planungsstadtrats Hannes Swoboda, konnte man sich in Wien noch vorstellen, dass die Stadtplanung diese Aufgabe übernehmen würde.

Vor wenigen Wochen stellte die Stadt einen neuen Plan für das Areal vor. Wenn Stadtpläne Psychogramme einer Gesellschaft sind, dann zeigt der Vergleich der beiden Pläne eine tief greifende Veränderung. Während das Projekt des Jahres 1992 beinahe in die Welt zu explodieren scheint, ist der aktuelle Plan auf sich selbst bezogen: ein See in der Mitte, eine Ringstraße mit Allee rundherum, dazwischen Blockrandbebauung mit eingestreuten Plätzen. Die U-Bahn-Linie fährt außen um das Areal und bietet zwei Stationen in Randlage, womit zwar nach Meinung der Jury „das Erschließungspotenzial dieses Verkehrsmittels nicht optimal genützt, der entstehende städtebauliche Ansatz jedoch als interessant beurteilt“ wird. Immerhin gibt diese Lösung Anlass für eine Bahnhofstraße, die in die Mitte des Stadtteils führt, ganz nach dem vertrauten Muster des 19. Jahrhunderts.

Das Projekt stammt vom schwedischen Büro Tovatt Architects and Planners, zum Zeitpunkt der Ausschreibung 2004 noch ein Gemeinschaftsbüro mit dem im vergangenen Jahr 91-jährig verstorbenen Ralph Erskine, Mitglied des legendären „Team 10“ und einer der klügeren Kritiker selbstgefällig gewordener Modernisten und Postmodernisten. Dass dieses Büro sich die Wiener Ringstraße zum Vorbild genommen hat, ist kaum anzunehmen. Man fühlt sich eher an aktuelle Stadtentwürfe europäischer Büros für China erinnert, und vielleicht mussten die Tovatt-Architekten ja wirklich nur ein Projekt für Jiangsu oder Jilin auf 50 Prozent skalieren und über die Asperner Ebene kippen.

Die Assoziation zur Ringstraße wird das Projekt trotzdem nicht so leicht loswerden, mit allem, was daran hängt: Denn immerhin verläuft die Ringstraße auf der Spur der Bastionen, mit denen sich Wien gegen äußere Feinde verteidigt hat. Als Symbol für Zukunftsorientierung und entschiedenen Blick über den Tellerrand, zum Beispiel ins ferne Pressburg, ist diese Figur jedenfalls nicht zu gebrauchen. Noch vor zehn Jahren hätte dieses Projekt nicht den Funken einer Chance in einem österreichischen städtebaulichen Wettbewerb gehabt. Heute wird es einstimmig zum besten Projekt erklärt, von einer Jury, zu der unter dem Vorsitz des renommierten Stadtplaners Carl Fingerhuth nicht nur der aktuelle Planungsstadtrat Rudi Schicker und sein Planungsdirektor Arnold Klotz gehörten, sondern auch Rüdiger Lainer.

Alternativen hätte es gegeben, das Projekt von Heiner Hierzegger etwa oder jenes von Max Rieder, das auf den Ideen des Leitprojekts aus dem Jahr 1992 aufbaut. Dass Max Rieder, der persönlich gerne als personifizierter Genieblitz auftritt, chancenlos ist, wo Sicherheit statt Utopie gefordert wird – oder, zugespitzt gesagt: alle die Hosen voll haben vor der Zukunft –, verwundert nicht. Sein Projekt hat jedoch die Qualitäten, die ich mir von einem Entwicklungsplan an diesem Ort wünsche: Es stellt die Landschaftsplanung an den Anfang, definiert Grünzonen, die an die Erholungsgebiete in der Umgebung anschließen, und dichte Bebauungsfelder, die im Lauf der nächsten 20 Jahre ihre eigene Charakteristik entwickeln können. Eine große Figur gibt es nicht, dafür den Partiturcharakter, der offen ist für zukünftige Entwicklungen.
Aber Achtung, höre ich da meine Kollegin Karin Tschavgova rufen. Die bunten Schnittmusterbögen mögen ja der Architekturschickeria und dem Feuilleton gefallen, aber was ist mit den Bürgern? Warum sollen wir ihnen nicht die Straßen geben, die sie gewohnt sind? Den Stadtpark, wie sie ihn kennen und lieben, von mir aus mit Johann-Strauß-Denkmal. Warum sollen wir Verwaltung und Bauträger quälen, unsere schwülen Utopien von einer besseren Welt umzusetzen, wo alles doch viel einfacher geht?

Sicher: Darüber sollte man diskutieren, interdisziplinär, offen, mit Bürgern und Experten. Mein Standpunkt dazu ist klar: Ein System, das nichts mehr riskiert und nur noch auf scheinbar Bewährtes zurückgreift, gefährdet seine Zukunft. Es vertreibt seine Innovatoren und verspielt Chancen, weil es blind wird für neue Entwicklungen, sich in den alten Strukturen aber oft nicht mehr zu Hause fühlt. Ein Besuch auf dem Wiener Leberberg, einem Stadtentwicklungsgebiet der 1990er-Jahre, das exakt dieselben stadträumlichen Prinzipien verfolgt, wie sie jetzt für Aspern vorgeschlagen sind, hätte die Jury nachdenklich stimmen müssen: So grausig kann traditioneller Stadtraum sein, wenn man mit ihm nicht mehr umgehen kann.
Eine öffentliche Diskussion zu diesen prinzipiellen Fragen hat die Stadt Wien in diesem Fall mit der Wahl des Verfahrens vermieden. Statt einen Wettbewerb auszuschreiben, bei dem es ausschließlich um das beste Projekt geht und bei dem auch gemeinsame Diskussionen mit den beteiligten Teams erlaubt sind, wählte sie den Weg des Verhandlungsverfahrens. Hier sind Bieterkontakte verboten, und das Urteil über das Projekt mischt sich mit allen finanziellen Fragen der Leistungserbringung, die bei einem Wettbewerb erst nachgeschaltet sind. Für Carl Fingerhuth wäre bei einem Projekt dieser Dimension – immerhin geht es um 25.000 Arbeitsplätze und 8500 Wohnungen – überhaupt ein längerer Prozess mit Workshops und Fachdiskussionen sinnvoll. (So etwas gab es in Wien bereits: Der Wettbewerb des Jahres 1992 wurde vom damaligen, international und interdisziplinär besetzten Fachbeirat für die Stadtentwicklung begleitet.) Dass beim aktuellen Verfahren eine Entschädigung von 10.000 Euro pro geladenem Büro für ausreichend erachtet wurde, ist ein Indiz dafür, dass sich der Auftraggeber de facto nicht viel mehr erwartete als ein hübsches Bild.

Aber vielleicht wird die Diskussion am Flugfeld Aspern ja doch noch weitergeführt. Nach Aussage von Carl Fingerhuth ist die Ringstraße dort „das Unwichtigste“. Großartig: Dann weg damit. Und die Lage der U-Bahn lässt sich „ohne Reduktion der städtebaulichen Qualität“ korrigieren. Bestens: Legen wir sie quer durch. Dann wäre nur noch ein dem Ort angemessenes landschaftsplanerisches Konzept zu entwickeln. Und wenn wir schließlich die Akteure der Wiener Stadtplanung austauschen, könnte aus dem Flugfeld Aspern tatsächlich noch was werden.

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