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Swingende Strandarchitektur
Neue Zürcher Zeitung

Schalenbauten von Ulrich Müther an der Ostseeküste

Mit der Wiedereröffnung des «Teepotts» im Ostseebad Warnemünde wird nach zehn Jahren Leerstand einer der prominentesten Bauten von Ulrich Müther wieder genutzt. Seit den sechziger Jahren verwirklichte Müther an der Ostseeküste zahlreiche Betonschalen, die das Gesicht der DDR-Architektur entscheidend mitgeprägt haben.

8. August 2002 - Jürgen Tietz
Unmöglich, ihn nicht sofort ins Herz zu schliessen, wenn man zur Sommerfrische nach Warnemünde fährt: Gleich neben der Hafeneinfahrt, dort, wo grosse Ostseefähren und kleine Segelboote einlaufen, schwingt sein weit auskragendes, luftiges Dach dreimal auf und ab und setzt die bewegte Dünenlandschaft mit architektonischen Mitteln fort. Der runde «Teepott», eine Gemeinschaftsarbeit der Architekten Kaufmann, Pastor, Fleischhauer zusammen mit Ulrich Müther, ist Blickfang und Wahrzeichen für Warnemünde. Henkel und Tülle sucht man freilich vergeblich bei der einstigen Grossgaststätte des DDR-Konsums, die 1968 an die Stelle eines kleineren Vorgängerbaus aus den zwanziger Jahren getreten war. Doch schon die Bezeichnung Teepott treibt einem den Duft von kräftigem Schwarztee, Kluntjes und frischer Sahne in die Nase - passend zur salzigen Ostseeluft. Im Zusammenspiel mit dem alten Leuchtturm Warnemündes gleich nebenan, der seit rund hundert Jahren sein Leuchtfeuer fast bis an die dänische Grenze schickt, ist der gedrungene Baukörper des Restaurants Teil eines ebenso reizvollen wie ungleichen Duos am Ende der lang gestreckten Strandpromenade. Und seit dem 19. Juli können die Sommergäste auch wirklich wieder ihren Tee im Teepott nehmen - mit Blick auf Sandstrand und Hafeneinfahrt. Rund zehn Jahre stand das Baudenkmal zuvor leer. Als Spekulationsobjekt drohte es, zu einem Opfer der deutschen Wiedervereinigung zu werden. Nun aber hat ein Rostocker Investor den Teepott aus seinem Dornröschenschlaf erweckt und innerhalb eines halben Jahres für rund 7,5 Millionen Euro saniert und umgebaut; der drohende Abriss konnte abgewendet werden.


Dachschalen aus Beton

Ulrich Müther, der 1968 die nur sieben Zentimeter dicke Dachschale des Teepotts entworfen hatte, begleitete auch den Umbau. Fast 35 Jahre nach Fertigstellung des Gebäudes rechnete er die Betonkonstruktion nach. Und auch die besonderen aerodynamischen Rahmenbedingungen, denen das Haus durch seinen prominenten Standort direkt am Meer ausgesetzt ist, blieben nicht unberücksichtigt. Kein Zweifel, die sogenannte Hyparschale des Daches wird auch in den nächsten 35 Jahren Wind und Wetter trotzen. Und natürlich ist Müther die Erleichterung anzumerken, dass «sein» Gebäude nun endlich wieder in die Nutzung kommt. Dafür galt es, vom ursprünglichen Bestand einige Abstriche zu machen. So wurde die steinerne Fassade des Teepotts in den unteren Bereichen stärker geöffnet. Eine Metallskulptur des Berliner Bildhauers Fritz Kühn, die das Gebäude wie eine Manschette in der Mitte einfasste, wurde demontiert und eingelagert. Mehrere Restaurants, eine Cocktailbar und ein maritimes Museum sollen den Teepott mit seiner gläsernen Fassade nun wieder zum attraktiven Anlaufpunkt für Touristen machen.

Der Warnemünder Teepott ist nur einer von etlichen Müther-Bauten, die es entlang der Ostseeküste zu entdecken gilt. Sie alle eint ihre ungewöhnliche, geschwungene Dachkonstruktion. Über einem dichten Flechtwerk aus Stahl wird der Spritzbeton aufgebracht, so dass eine dünne Betonhaut entsteht, die dennoch über die notwendige Stabilität verfügt, um Druck, Zug und Schub standzuhalten. Müthers Schalenbauten stehen in einer Reihe mit den bedeutenden Schöpfungen des 20. Jahrhunderts. Sie reichen von den frühen Luftschiffhallen in Orly über Robert Maillarts Landi-Zementhalle in Zürich, Pier Luigi Nervis Sportpaläste in Rom oder Eero Saarinens TWA-Terminal in New York bis hin zu Jørn Utzons Opernhaus in Sydney und Heinz Islers Kuppelschalen. Eine besondere Rolle kommt den Bauten von Félix Candela zu, dessen Restaurant Los Manantiales im mexikanischen Xochimilco von 1958 auch auf Müthers Werk unmittelbaren Einfluss hatte. So erweist sich das Restaurant Seerose an der Havel in Potsdam (1980) als eine späte Reverenz an das Vorbild des Spaniers.


Organisch und dynamisch

Die besondere Wirkung der geschwungenen Dachkonstruktionen liegt in ihrer Leichtigkeit und Eleganz. Jenseits der kubischen Moderne der internationalen Nachkriegsarchitektur präsentieren sie eine besondere, eine skulpturale Spielart der Architektur, organisch bewegt und dem Vorbild der Natur abgeschaut. In ihren kühnen Formen und der faszinierenden Dynamik drücken die Schalenbauten ein beschwingtes Lebensgefühl aus, das man gemeinhin nicht mit der DDR in Verbindung bringen würde. Gleichwohl gelang es Müther, von den sechziger Jahren bis in die frühen achtziger Jahre eine ganze Reihe seiner Schalenkonstruktionen in der DDR zu verwirklichen. Und nicht nur dort. Auch am Planetarium im westdeutschen Wolfsburg baute der international renommierte Baumeister mit. Meist überspannten seine Hyparschalen Grossgaststätten, aber auch Messehallen wie in Rostock, Tagungszentren wie in Neubrandenburg und sogar ein Schwimmbad wie in Baabe auf Rügen fanden unter ihnen Platz. Die aufwendigen Konstruktionen bildeten so das architektonische Sahnehäubchen auf der seit den siebziger Jahren immer weniger überzeugenden Plattenbauarchitektur der DDR.

Doch nach 1989 verloren viele Bauten, an denen Müther mitgewirkt hatte, ihre ursprüngliche Nutzung. Zum Nachteil der Gebäude. Denn nun waren sie dem Vandalismus und der Witterung ausgesetzt, und die Bausubstanz nahm Schaden. Trotz ihrer herausragenden Bedeutung für die deutsche Nachkriegsarchitektur stehen noch immer Bauten Müthers leer oder werden durch eine unangemessene Nutzung beschädigt. Es sind auch bereits prominente Beispiele seiner Schalenbauten abgerissen worden. So wurde die Zerstörung des völlig intakten Ahornblattes auf der Fischerinsel in Berlins Mitte, das einst als Kantine des DDR-Bauministeriums gedient hatte, im Jahr 2000 zu einem Politikum, das ein schlechtes Licht auf die Berliner Stadtplanung warf. Und auch der Erstling Müthers von 1963, mit dem er seine Diplomarbeit verwirklichte, der Mehrzwecksaal des einstigen «Hauses der Stahlwerker» in Binz auf Rügen, musste den Umbauwünschen der neuen Eigentümer weichen.

Erst spät wurde Müthers Werk in Deutschland angemessen gewürdigt. Im Jahr 2000 veröffentlichte Winfried Dechau, Chefredaktor der «Deutschen Bauzeitung», ein schmales Bändchen über den «Landbaumeister aus Rügen». Mit der Renaissance der Architektur der sechziger Jahre setzt nun auch eine neue Rezeption von Müthers Entwürfen ein. Inzwischen befassen sich Diplomarbeiten mit der Umnutzung seiner Bauten. Noch allerdings ist der Glanz der einstigen «Ostseeperle» am Strand von Glowe auf Rügen mit ihrer segelartigen Dachschale recht matt; und auch die pilzförmige Schale des Panoramarestaurants Inselparadies in Baabe - ebenfalls auf Rügen - hat schon bessere Tage gesehen. Für beide Objekte soll es allerdings mittlerweile Investoren geben. So besteht zumindest die Hoffnung, dass auch sie in die Nutzung zurückgeholt werden können.

Ulrich Müther selbst will in der kleinen Rettungsstation in den Dünen von Binz auf Rügen eine kleine Ausstellung aus den Beständen seines Archivs einrichten. Selbstverständlich handelt es sich auch hier um einen Müther-Bau, der in Zusammenarbeit mit dem Architekten Dietrich Otto entstand. Wie ein futuristisches Ufo wächst der Bau pilzförmig über den Dünensaum und bietet einen freien Blick zum Meer. Nicht nur durch ihre prominente Lage am Strand, sondern vor allem auch durch ihre Zeichenhaftigkeit - wie beim Teepott in Warnemünde - unterstreichen Müthers Hyparschalen nachdrücklich, dass auch die Architektur der sechziger Jahre bemerkenswerte Akzente setzen kann und noch heute zum Wahrzeichen taugt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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