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Architektonische Alliterationen
Neue Zürcher Zeitung

Ein Gespräch mit Annette Gigon und Mike Guyer

Nach dem Archäologischen Museumspark Kalkriese in Norddeutschland konnten Annette Gigon und Mike Guyer vor wenigen Tagen mit der «Pflegi»-Wohnanlage in Zürich ein weiteres Werk vollenden. Mit dem Zürcher Architektenduo, dem soeben der Fritz-Schumacher-Preis zugesprochen wurde, sprach Rahel Hartmann.

1. November 2002 - Rahel Hartmann Schweizer
Sie haben vor einem Jahr den Wettbewerb für die Erweiterung des Kunstmuseums Basel gegen Herzog & de Meuron gewonnen. Das Projekt soll nun nicht gebaut werden. Sind Sie enttäuscht?

Gigon: Es wurde entschieden, auf den Erweiterungsbau zu verzichten und lediglich die bestehenden Gebäude zu renovieren. Dazu wäre kein Wettbewerb mit internationaler Jury nötig gewesen. Wir sind daher schon enttäuscht.

Dann sind Ihnen auch die Gründe, die zu diesem Entscheid geführt haben, nicht bekannt?

Guyer: Nun, wir können nur versuchen, uns einen Reim darauf zu machen.

Man hört, es gibt eine starke Fraktion, die einen Bau von Herzog & de Meuron will.

Guyer: Das mag sein. Aber die spektakuläre Geste von Herzog & de Meuron hätte doppelt so viel gekostet, als vorgegeben war. Zurzeit wird ja argumentiert, man habe noch nicht einmal die finanziellen Mittel für unser kostengünstiges Projekt.

Ihr Projekt ging auf den Kontext ein. Sie entwarfen eine der Hofsituation angemessene Pavillonarchitektur. War diese zu wenig spektakulär?

Gigon: Den Neubau als «Pavillon» mit filigraner Aussenhaut zu projektieren, entsprang keineswegs falscher Bescheidenheit. Wir wollten mit dem vergleichsweise kleinen Neubauvolumen nicht gegen die Massen von Kunstmuseum und Laurenzbau (ehemalige Nationalbank) ankämpfen, sondern dem lauschigen Rückraum des Laurenzbaus die Reverenz erweisen. Mehrere Schichten aus glänzenden Metallgittern hätten den Betonkern sowohl verschleiert als auch durchscheinen lassen. Ob das Gebäude eine zurückhaltende oder spektakuläre Wirkung gehabt hätte, wäre davon abhängig gewesen, ob die Fassade bewachsen lassen worden wäre oder nicht.


Die Idee des «All over»

Sie haben die Idee des «All over» umzusetzen versucht. Das Betondach ist mit metallischen Gittern abgedeckt und wird so zur fünften Fassade.

Gigon: Ja, aber statt von «All over» könnte man auch von einem gemeinsamen Nenner sprechen oder von einer Verwandtschaft zwischen verschiedenen Teilen - vergleichbar mit der Alliteration oder dem Reim in der Dichtung. Wir haben den Begriff «All over» verwendet, um unser Bestreben zu benennen, die vielen Bestandteile eines Bauwerks in einen konzeptionellen, aber auch optischen Zusammenhang zu setzen.

Guyer: Ein gutes Beispiel scheint mir das unlängst fertig gestellte Archäologische Museum im norddeutschen Kalkriese zu sein. Hier ist Stahl der gemeinsame Nenner fast aller Interventionen. Rostende Stahlplatten sind als Wegbedeckung eingesetzt, Stahllarsen (Spundwände) bilden die Begrenzung der tiefer gelegenen, nachgebauten Landschaft. Die Tragkonstruktion des Museums mit Aussichtsturm sowie die drei Pavillons im Park bestehen aus gestrichenen Stahlprofilen, die wiederum mit rostenden Stahlplatten verkleidet sind. Die Innenauskleidung des Museums schliesslich besteht aus grauen Stahlplatten.

Warum wählten Sie für die Stätte zum Gedenken an die Varusschlacht, in der sich Germanen und Römer im Teutoburger Wald bekämpften, Stahl? Wären Holz oder Stein nicht angemessener gewesen?

Gigon: Es sollte nicht der Eindruck erweckt werden, unsere Eingriffe seien Rekonstruktionen germanischer oder römischer Bauten - solche gab es dort nämlich nicht; Kalkriese war nur ein Schlachtfeld. Das moderne Baumaterial Stahl kennzeichnet unsere Interventionen im Gelände. Ausserdem erlaubte Stahl eine Skelettbauweise und damit minimale Eingriffe im fundträchtigen Boden. Weiter schien uns Stahl, dessen Alterungsprozess sichtbar wird, geeignet, um Vergangenheit oder besser «Vergänglichkeit» auszudrücken. Schliesslich waren hier die meisten Fundstücke metallischer Natur: vom Schuhnagel über Schleuderbleie bis zu den Münzen.


Die Bedeutung der Farbe

Beim Kirchner-Museum war Glas das dominierende Material. Es erscheint in verschiedenen «Aggregatszuständen» - von Quarz und Siliciumcarbid, das in den Beton gemischt wurde, über Fensterglas bis zu den Glasscherben, die das Dach beschweren. Ähnlich verfuhren Sie in der soeben vollendeten «Pflegi»-Wohnanlage in Zürich.

Gigon: Bei der «Pflegi» ist Beton das vorherrschende Konstruktionsmaterial. Selbst die Fussböden bestehen aus Beton. Sie sind in grosse Felder geteilt und bilden gewissermassen riesige «Beton-Megalithen». Bestandteile von Beton - Armierungseisen und Kies - finden sich in der Umgebungsgestaltung wieder in Form von Kiesflächen und «Töpfen» aus Armierungseisen.

Neben dem Material bilden seit dem Davoser Sportzentrum in ihrem Werk Farben ein wichtiges Gestaltungselement. Dabei arbeiten Sie immer wieder mit Künstlern zusammen. Bei der «Pflegi» und dem Universitätshörsaal, der demnächst fertiggestellt wird, war das Adrian Schiess. Soll die Farbe ebenfalls vereinheitlichend wirken?

Guyer: Während die drei farbig gestrichenen Fassaden beim «Pflegi»-Areal die massive, reliefartige Wirkung des Betons kontrastieren und die Baukörper eher individualisieren, sind die unterschiedlichen Elemente beim neuen unterirdischen Hörsaal der Uni Zürich über das Thema der Farbe miteinander verknüpft: Die Akustikpaneele des Hörsaals sind farbig gestrichen, die Aussenwände bestehen aus schichtweise gegossenem, eingefärbtem Beton, und das Wasserbassin, das über dem abgesenkten Hörsaal zu liegen kommt, ist mit roter Farbe gestrichen. Die Wahl der Farbtöne ist auf die Farben des Universitätsgebäudes von Karl Moser abgestimmt und verhehlt dennoch nicht den neuen Eingriff.

Ihre Entwicklung geht also dahin, den «All over»-Charakter weiter zu fassen, von der deutlichen Lesbarkeit beim Kirchner-Museum zu heterogeneren Materialanwendungen und Konzepten?

Guyer: Im holländischen Almere planen wir zurzeit einen Wohnbau, dessen Tragkonstruktion aus Beton besteht. Weil der Bau aber ein objekthafter Solitär ist, erschien uns ein gläserner Charakter richtiger. Deshalb wird die äussere Erscheinung mehrheitlich aus Glas sein. Der vierzehnstöckige, vieleckig sich nach oben verbreiternde Baukörper wird voraussichtlich eine umlaufende Balkonschicht aus farbigen Gläsern haben. Das Farbkonzept stammt wiederum von Schiess.

Gigon: Das Kirchner-Museum bestand aber auch schon aus Betonkern und gläserner Fassade - und ist doch ganz anders. Ich würde daher nicht von einer Entwicklung im Sinne eines Fortschreitens sprechen, eher von Adaptionen an verschiedene Aufgabenstellungen an unterschiedlichen Orten. So reagierte das Kirchner-Museum auf das alpine Klima, die grossartige Landschaft sowie die städtebauliche Struktur von Davos. Das Museum Liner antwortete mit seiner Form und der matt metallischen Gebäudehülle auf die Bedingungen des Appenzeller Standorts. Die Museumserweiterung in Winterthur hingegen ist mit ihrer industriellen Bauweise nicht zuletzt auf das schmale Budget zurückzuführen, während das neue Museum Albers/Honegger in Mouans-Sartoux zugeschnitten ist auf einen Sammler wie Honegger, der immer wieder betont, dass er seine Kunst in wohnartiger Umgebung sieht und nicht in hehren Museumsräumen. Er und Sybil Albers gingen so weit, die klassischen Belichtungsstandards von Museen zu verwerfen und direktes Sonnenlicht zuzulassen. Das kleine Museum hat darum ganz simpel nur seitliche Fenster als Lichtquellen - mit Sonnenstoren allerdings.


Keine lineare Entwicklung

Daran wird aber eine Entwicklung ablesbar?

Gigon: Aber es ist keine lineare, sondern eine sternförmige Entwicklung. Wir werden wohl immer versuchen, ein Gebäude als eine Einheit zu konstruieren - sei es bezüglich seiner Materialität, seiner Struktur oder Farbe. Interessant ist aber, dass bei diesem Ansatz die Unterschiedlichkeit der Bauaufgaben schliesslich zu einer Vielfalt von architektonischen Lösungen führt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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