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Architektur mit Aura
Neue Zürcher Zeitung

David Chipperfield in Deutschland

Das Londoner Büro von David Chipperfield gehört seit einigen Jahren zu den besonders erfolgreichen europäischen Architekturschmieden. Der längst weltweit tätige Chipperfield ist nicht zuletzt in Deutschland ein gefragter Mann. Nach einem Bürogebäude in Düsseldorf sind nun auch zwei Neubauten in Coesfeld-Lette und Gera fertig gestellt.

20. November 2002 - Jürgen Tietz
Während David Chipperfield in seiner englischen Heimat bisher vergleichsweise wenige Bauten verwirklichen konnte, ist er international gefragter denn je. Dabei reicht das Spektrum der Aufträge von der Ansaldo-Kulturstadt in Mailand über das Figge Arts Center in Davenport (Iowa) bis hin zur Grossstruktur des neuen Justizpalastes in Salerno - Bauten, die alle in den Jahren 2004 und 2005 fertig gestellt sein dürften. Aber auch in Deutschland ist Chipperfield seit den frühen neunziger Jahren mit zahlreichen Projekten präsent. So entstand zwischen 1994 und 1997 ein Bürogebäude am Düsseldorfer Hafen nach seinem Entwurf, und in Berlin verwirklichte er neben einem grosszügigen Einfamilienhaus in Zehlendorf auch eine Wohnhauszeile in Spandau. Derzeit befasst er sich in der deutschen Hauptstadt nicht nur mit dem Bau eines Apartmenthauses in der Nähe des Potsdamer Platzes, sondern hat mit der Herrichtung des Neuen Museums auf der Museumsinsel die wohl schwierigste denkmalpflegerische Herausforderung Berlins unter seinen Fittichen. Jetzt konnte Chipperfield in Deutschland zwei weitere Bauten fertig stellen: das Service-Center für ein Bekleidungsunternehmen in Coesfeld-Lette bei Münster sowie die Filiale der Bundesbank im thüringischen Gera.


Klare Kuben

Schon lange engagiert sich der Textilunternehmer Kurt Ernsting als Bauherr für gute Architektur. Seit den achtziger Jahren ist so im münsterländischen Coesfeld mit dem Vertriebszentrum seines bundesweit agierenden Filialunternehmens ein bemerkenswertes Architekturensemble entstanden: Santiago Calatrava, Fabio Reinhart und Bruno Reichlin (1983) sowie Johannes Schilling (1996) haben hier gebaut. Mit dem Service-Center hat Chipperfield nun den Schlussstein in diese Architekturwelt eingefügt. Im Zusammenspiel mit Peter Wirtz' bewegter Gartengestaltung fügen sich die drei grauen Kuben des Neubaus zu einer kunstvoll modellierten Gebäudegruppe mit Höfen und Gärten zusammen und ergänzen die vorhandenen Bauten um einen offenen Campus. Nicht nur bei der luftigen städtebaulichen Gestaltung fällt die Grosszügigkeit des Entwurfs auf. Sie setzt sich auch an der Fassade des doppelgeschossigen Baukörpers aus Betonfertigteilen fort, der durch den gleichmässigen Rhythmus der jeweils acht Meter breiten Loggien beherrscht wird. Der Glasfassade der Büros vorgelagert, verleihen sie dem Gebäude eine ungewöhnliche Tiefe. Das Schönste an Chipperfields Service-Center ist jedoch die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Architektur präsentiert. Völlig unaufgeregt entwickelt sich der Baukörper im Zusammenklang mit der Umgebung, ganz so, als könnte dies gar nicht anders sein.

Bereits durch die tiefen Loggien haftet dem Gebäude eine unterschwellig monumentale Note an, die am Eingang durch einen grauen Betonrahmen eine besondere Betonung erfährt. So entsteht eine offene Vorhalle, deren Rückseite durch eine Sichtbetonwand und den eigentlichen gläsernen Eingang akzentuiert wird. Im Inneren des Service-Centers schliesst sich eine luftige Halle mit Oberlicht an; wiederum ganz reduziert in ihrer Formensprache und doch von grosser Wirkung. Auch hier bietet sich eine Vielfalt von Blickachsen und Sichtbezügen: hinaus in den Garten oder hoch auf die Galerien des Obergeschosses, zu denen eine holzverkleidete Stahltreppe emporführt. Eigentlicher point de vue der Halle ist jedoch das grosse Relief «Eichenbaum» des Bildhauers Ludwig Gies (1887-1966), das der Halle eine fast sakral anmutende Aura verleiht. Die Grosszügigkeit des Gebäudes setzt sich auch in den Fluren und in den hohen Büros fort. Der derzeit in Deutschland gern bemühte Begriff der Baukultur findet in Coesfeld-Lette mit einem engagierten Bauherrn und einem kreativen Architekten seine lebendige Verkörperung. Einmal mehr stellt der Brite dabei seine Fähigkeit unter Beweis, von Mies van der Rohe bis zu Le Corbusier die unterschiedlichen Fäden aufzunehmen, die die Architektur der Moderne im zwanzigsten Jahrhundert begonnen hat zu spinnen, um sie zu einem neuen, ganz eigenen Band zusammenzuflechten.


Bank mit Stühlen

Auch bei der neuen Filiale der Bundesbank in Gera gibt Chipperfield dem Betrachter die Chance, das Gebäude als eine Auseinandersetzung mit der Architekturgeschichte zu lesen. Das thüringische Gera, das mit seiner Tuchindustrie einst zu den reichsten Städten Deutschlands zählte, bietet dafür mit der Industriearchitektur Thilo Schoders und einer Villa Henry van de Veldes gute Voraussetzungen. Gleichwohl fällt das dreigeschossige Bankgebäude gegenüber dem nahezu perfekten Verwaltungsbau in Coesfeld etwas ab. In Gera ist ein eher geschlossener Bau entstanden, dessen skulpturale Fassade mit einem grün schimmernden Kunststein verkleidet wurde. Gegliedert wird sie durch auskragende horizontale Bänder, zwischen die sich einzelne Fenstergruppen schieben. Dieser fast hermetische Charakter setzt sich auch im Inneren in der gebäudehohen Halle fort. Allerdings erhält sie durch Michael Craig-Martins auf einer lilafarbigen Wand gemaltes riesiges Cello und das winzige Piano eine eigene, spielerische Note, die im Kontrast zu der hohen steinernen Einfassung des unteren Hallenbereichs steht. Die funktionalen Büros mit ihrer Betonrippendecke öffnen sich mit breiter Glasfront zur Rückseite des Gebäudes. Dort befindet sich auch der Kubus des Tresors, der als eigener Baukörper neben der Bank ausgeführt wurde. Höhepunkt der Bundesbankfiliale ist die doppelgeschossige Kassenhalle mit ihrem langen Steintresen und einer weiteren Arbeit von Craig-Martin: Auf hellblauem Grund hat er eine gemalte Auswahl der Klassiker des Stuhldesigns versammelt. So wird hier Chipperfields Fähigkeit, grossen Räumen eine Aura zu verleihen, erneut deutlich und zugleich seine Architektur - mit einem Augenzwinkern - auf eine Bank mit den Klassikern der Sitzkultur placiert, von Mies van der Rohe bis Alvar Aalto.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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