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Vom Provinzbaumeister zum Meisterarchitekten
Neue Zürcher Zeitung

Eine Monographie zum Werk von Otto Haesler

27. November 2002 - Jürgen Tietz
Celle, das in den zwanziger Jahren in einem Werbespruch als «die schöne Herzogsstadt» gepriesen wurde, war zugleich eine Hochburg des Neuen Bauens. Doch die Provinzstadt am Rand der Lüneburger Heide stand stets im Schatten von Metropolen wie dem «neuen Frankfurt» oder dem «neuen Berlin». Zu Unrecht, wie die Bauten des Architekten Otto Haesler (1880-1962) zeigen, die in einer Reihe mit den Arbeiten seiner berühmten Kollegen Walter Gropius, Bruno Taut oder Ernst May zu nennen sind. Gleichwohl galt der gebürtige Münchner Haesler nach 1945 lange Zeit eher als eine regionale Grösse und geriet in Vergessenheit, zumal er an seinem neuen Wohnort in der DDR kein Spätwerk verwirklichen konnte. Dank der materialreichen Haesler-Monographie der Kunsthistorikerin Simone Oelker wird nun endlich seine Rolle als eine der führenden Kräfte des Neuen Bauens in der Weimarer Republik aufgezeigt. Durch kleinere Exkurse verortet die Autorin Haeslers Werk zudem im architektonischen Geschehen der Zeit, so dass die Lektüre des Buches auch für Nichtfachleute zum Gewinn wird.

Als entscheidend für Haeslers Karriere erwies sich seine Teilnahme am Wettbewerb für den Umbau des Kaufhauses Freidberg in Celle, den er 1906 gewann. Zur Überwachung der Ausführung des Baus zog er von Frankfurt nach Celle. Schnell avancierte Haesler in Celle zum vielbeschäftigten Architekten. Vor allem mit seinen repräsentativen Wohnbauten traf er den Geschmack des bürgerlichen Publikums. Geprägt durch die «Karlsruher Architektenschule» um Herrmann Billing und dessen Mitarbeiter Ludwig Bernoully, in dessen Frankfurter Büro Haesler zwischen 1903 und 1906 gearbeitet hatte, setzte sich Haesler auch mit den Gedanken des Heimatschutzes sowie mit Hermann Muthesius' Überlegungen zum modernen Landhaus auseinander.

Für aktuelle Strömungen der Kunst und Architektur stets aufgeschlossen - wie Oelker nachweist -, öffnet sich Haeslers Werk nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend für expressionistische Stilelemente. Angeregt vom Magdeburger Vorbild Bruno Tauts, setzt er in Zusammenarbeit mit dem Maler Karl Völker mit der Siedlung Italienischer Garten 1923/25 einen farbigen Akzent in das Celler Stadtbild. Und noch eine Neuerung zeigen die kubischen Baukörper: Flachdächer. Sie finden sich auch bei der Siedlung Georgsgarten (1925/26), deren langgestreckte Zeilenbauten Haesler endgültig zu einem der führenden Vertreter der Moderne in Deutschland machten.

Mit industrieller Fertigung, Senkung der Baukosten sowie rationalisierten Grundrissen bemühte sich Haesler wie zahlreiche seiner Kollegen, dem drängendsten sozialen Problem der Weimarer Republik entgegenzuwirken: der Wohnungsnot. So entstand 1928/29 ein Versuchshaus in Stahlskelettkonstruktion für eine Siedlung mit Kleinstwohnungen. Als Siedlungsexperte wirkte Haesler nun auch ausserhalb Celles. So war er an der Karlsruher Dammerstock-Siedlung ebenso beteiligt wie an Siedlungen in Kassel und Rathenow. Im Entwurfsstadium stecken blieb die Leipziger Baumesiedlung. Dort plante Haesler 1930 im Kontext mit niedrigeren Zeilenbauten auch die Errichtung von Hochhausscheiben, wie sie in Deutschland letztlich erst nach 1945 entstanden.

Schwerpunkt seines Schaffens blieb jedoch Celle, wo er 1926/28 die Volksschule samt Turnhalle mit Oberlicht und Rektorenwohnhaus verwirklichte. Mit der Siedlung Blumläger Feld widmete sich Haesler noch einmal der Wohnung für das Existenzminimum. Seine spartanischen Grundrisslösungen wurden allerdings auch von Vertretern der Moderne wie Bruno Taut kritisch gesehen. Durch die jüngsten baulichen Veränderungen, denen weitere Abrissmassnahmen folgen sollen, hat die Siedlung Blumläger Feld jedoch ihren Charakter als herausragendes Zeugnis einer sozial engagierten Moderne weitgehend verloren (NZZ 27. 3. 99) und steht nun vor der Zerstörung. Als exponierter Vertreter der Moderne verlor Haesler mit der nationalsozialistischen Machtergreifung jede Gelegenheit, weiter in Celle als Architekt zu wirken. Haesler übersiedelte nach Eutin. Doch dort blieb ihm ebenso wie nach 1945, als er in der DDR lebte, der Erfolg der früheren Jahre versagt.


[Simone Oelker: Otto Haesler. Eine Architektenkarriere in der Weimarer Republik. Verlag Dölling und Galitz, Hamburg 2002. 352 S., Fr. 69.-.]

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