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Wenn die Mitte im Wege steht
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Die Stadtpfarrkirche von Korneuburg ist kein Meisterwerk. In den Blickpunkt öffentlichen Interesses rückte sie freilich durch eine kürzlich abgeschlossene Umgestaltung. Ein Pfarrer, ein Kardinal, das Denkmalamt und 700 Unterschriften: Geschichte einer Erregung.

4. Januar 2003 - Christian Kühn
Sie ist kein herausragendes Meisterwerk des Kirchenbaus, die Stadtpfarrkirche von Korneuburg. Im 13. Jahrhundert als romanische Wehrkirche mit zwei niedrigen Seitenschiffen und einem hohen Mittelschiff errichtet, wurde sie im 14. Jahrhundert um einen langgestreckten Chor in den schlankeren Bauformen der Gotik erweitert.

1850 erhielt die Kirche ein Gewölbe im Langhaus, wobei auch die Höhen der drei Schiffe einander angenähert wurden. Um1900 errichtete man schließlich einen neugotischen Abschluß nach Westen. Der Versuch, das Langhaus durch die schlankeren Säulen und neuen Gewölbe an den Charakter des gotischen Chors anzugleichen, hat die spannungsvolle historische Substanz der im Mittelschiff ursprünglich flach gedeckten Anlage zwar grob beeinträchtigt, aber immerhin ist dem entstandenen Kirchenraum eine gewisse Großzügigkeit nicht abzusprechen.

Seit der jüngsten Renovierung, die im September vergangenen Jahres abgeschlossen wurde, hat die Geschichte dieses Raums mit einer neuen Facette aufzuwarten. Der Volksaltar befindet sich nun direkt im Hauptschiff auf einer oktogonalen Insel. Die Bänke im Langhaus sind so umgeordnet, daß die Gläubigen nun von drei beziehungsweise - wenn man die Bestuhlung auf den Stufen zum Chor mitzählt - von vier Seiten her der Messe beiwohnen können. Auch im Chor hat sich eine Veränderung ergeben: Das Taufbecken befindet sich nun direkt vor dem neugotischen Hochaltar in der Apsis des Chors und damit in der Hauptachse des Kirchenraums.

Diese Anordnung mit einem zentral aufgestellten Altar ist alles andere als revolutionär. Unter Berufung auf frühchristliche Zentralkirchen ist sie seit dem frühen 20. Jahrhundert im Gespräch und seit der Liturgiereform im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils auch offiziell zulässig.

Ausgeführt wurde sie nicht nur bei vielen Neubauten, sondern auch bei Revitalisierungen. Eines der bedeutendsten Beispiele dieser Art in Österreich ist St. Martin in Dornbirn, ein klassizistischer Bau, der 1967 durch Emil Steffann, neben Rudolf Schwarz der bedeutendste Kirchenbauer Deutschlands im 20. Jahrhundert, umgewandelt - oder besser: umgedeutet wurde.

Denn an der Bausubstanz selbst hat Steffann kaum etwas verändert, sondern vor allem an der Positionierung der liturgischen Elemente. Altar und Taufbecken stehen gewissermaßen als Brennpunkte auf der Mittelachse des Hauptschiffs und spannen zwischen sich einen rechteckigen liturgischen Aktionsraum auf. Die Bankreihen sind um 90 Grad gedreht und zu zwei großen Blöcken entlang der Seitenwände des Hauptschiffs zusammengefaßt, ein dritter, kleinerer Block schließt die Figur an der Schmalseite zum Eingang hin ab. Chorraum und Hochaltar liegen damit zwar außerhalb der Brennpunkte des liturgischen Geschehens, verlieren aber in der Gesamtfigur keineswegs an Bedeutung.

Architektonisch reicht die Lösung, die in Korneuburg gefunden wurde, nicht an St. Martin in Dornbirn heran. Das liegt zum einen am minimalen Budget von 350.000 Euro, das für die Gesamtrenovierung des Innenraums mit neuem Boden und Heizung zur Verfügung stand, zum anderen an subtilen Fragen von Proportion und Material, die man auch zu diesem Budget hätte anders lösen können.

Liturgisch erfüllt die Lösung aber die Anliegen, die auch die Neuordnung in St. Martin erreichen wollte: Die Gläubigen sitzen nicht in Bankreihen hintereinander, sondern erfahren einander als Gemeinde mit dem Altar im Zentrum.

Auch die Beziehung zwischen Priester und Gemeinde ist insofern verändert, als der Priestersitz zu einem Teil des den Altar umschließenden Kreises wird, wenn auch zu einem durch seine besondere Position auf der Hauptachse herausgehobenen Teil mit Chor und Hochaltar im Rücken.

Alles in allem also eine Veränderung, die nachvollziehbar ist, die sich großer Zustimmung in der Gemeinde erfreut und der man vielleicht einen einfallsreicheren Architekten gewünscht hätte, der auch mit einem kleinen Budget eine im Detail schlüssigere Lösung zustande gebracht hätte. Berichtenswert an dieser Umgestaltung ist freilich vor allem eines: Der Pfarrer der Gemeinde, Wolfgang Jöchlinger, hält einen vom Präsidenten des Bundesdenkmalamts, Georg Rizzi, unterzeichneten Brief in Händen, daß er die Versetzung des Altars unverzüglich rückgängig zu machen habe, da „durch die gesetzten Maßnahmen das historisch geprägte Erscheinungsbild des Kircheninneren und seine künstlerische Wirkung nachhaltig gestört sind“.

Im übrigen, so führt der Präsident weiter aus, stelle „die eigenmächtige Anordnung zur Versetzung des gegenständlichen Altars eine nicht legitime und nicht tolerierbare Vorgehensweise dar, die keinesfalls als Vorbild für ,Nachahmungstäter' dienen sollte“.

Die Verärgerung des Denkmalamts ist insofern verständlich, als der Pfarrer nicht nur eigenmächtig gehandelt hat, sondern auch entgegen der schon vorab in Gesprächen geäußerten Meinung des Denkmalamts. Zu berücksichtigen ist allerdings die Vorgeschichte: Die heftigste Ablehnung der neuen Altaraufstellung kam nämlich nicht vom Denkmalamt, sondern von der Erzdiözese, zuerst in Person der Diözesankustodin Hiltigund Schreiber, schließlich auch direkt durch Kardinal Schönborn, wobei für den Kardinal nicht die Denkmalpflege, sondern das Abgehen von der zum Hochaltar hin orientierten „Wegkirche“ ausschlaggebend war.

Ein Mitarbeiter des Denkmalamts hatte allerdings angedeutet, mit der Aufstellung leben zu können, wenn sie „temporären Charakter“ habe, und darauf berief sich der Pfarrer in seinem Antrag ans Denkmalamt, die Veränderungen nachträglich zu genehmigen. Das hölzernen Podest um den Altar sei ja offensichtlich nicht für die Ewigkeit gebaut.

Für das Denkmalamt wäre diese Genehmigung sachlich kein Problem. Die künstlerische Bedeutung des neugotisch geprägten Innenraums ist nicht herausragend, und nachhaltig gestört ist der Raum durch die neue Anordnung höchstens dann, wenn man eine bestimmte Art der Nutzung zum Teil des Denkmals erklärt - eine absurde Argumentation, bietet doch sogar das Denkmalschutzgesetz für religiöse Gebäude die Möglichkeit, bauliche Veränderungen zuzulassen, wenn sie liturgisch begründet sind.

Daß sich das Denkmalamt in diesem Fall so bereitwillig zur Exekution in einem an sich innerkirchlichen Streit hergibt, mag mit einem Anlaßfall zu tun haben, der schon einige Jahre zurückliegt. In der Wiener Augustinerkirche findet sich ein Altar aus dem Jahr 1999, den zu weihen sich Kardinal Schönborn bis heute weigert. Der Entwurf stammt von den Architekten Henke und Schreieck, ein schlanker Tisch aus zentimeterdünnen, massiven Stahlplatten, zwei Seitenwände und eine Platte darüber, darunter freistehend eine mehrschichtige transluzente Glasplatte, in deren einer Ecke das Reliquiar eingelassen ist. Das Denkmalamt hatte sich damals sehr für diesen Altar eingesetzt, obwohl die Patres der Augustinerkirche einen massiven marmorierten Block als Volksaltar vorgezogen hätten. Dieser hätte allerdings den Blick in den frisch renovierten Chor verstellt.

Henke und Schreieck versuchten mit ihrem Entwurf, einen Volksaltar zu schaffen, der gewissermaßen nur während der Meßfeier in Erscheinung tritt, ansonsten aber als zarter, dunkler Rahmen beinahe verschwindet.

Henke und Schreieck versuchten dabei, traditionelle Aspekte des Altaraufbaus zu berücksichtigen, etwa die ausgewogene Beziehung zwischen Altem und Neuem Testament, indem für die beiden Seitenteile und die Platte exakt dieselbe Stahlmenge verwendet wurde, aber auch bei der Oberfläche des Stahls, die für die Salbung bei der Altarweihe geeignet sein sollte.

Die Patres schienen dieser Idee nach vielen Diskussionen folgen zu können, verlangten aber, daß die ursprünglich nur als schmale Stele geplante Glasscheibe mit dem Reliquiar beinahe auf die gesamte Breite des Altars verbreitert wurde, ein Kompromiß, der den angestrebten Durchblick deutlich beeinträchtigt.

Nachdem der Altar unter großem Zeitdruck für die geplante Einweihung am 1. November 1999 fertiggestellt war, verweigerte der Kardinal die Weihe und beschränkte sich auf eine Segnung, offiziell mit der Begründung, die Bodenarbeiten um den Altar seien noch nicht abgeschlossen. An diesem Zustand hat sich bis heute nichts geändert, und aus dem Umfeld der Gemeinde ist zu hören, daß der Altar durch einen anderen ersetzt werden soll.

Die beiden Fälle sind auf seltsame Art miteinander verwoben. In Korneuburg geht es um grundsätzliche liturgische Fragen, um eine für die Gemeinde deutlich spürbare Neuordnung des Gottesdiensts. In der Augustinerkirche geht es scheinbar um eine rein formale Auseinandersetzung und eine Neuinterpretation konventioneller Standards.

Die Reaktion der kirchlichen Stellen läßt in beiden Fällen auf eine große Verunsicherung schließen. Das ist kein Wunder: Kirchenbau ist Theologie ohne Worte, aber mit großer sinnlicher Wirksamkeit. Deshalb fürchten die Schriftgelehrten und Kopfmenschen - und seien sie auch Kardinäle - diese Disziplin wie der Teufel das Weihwasser und fühlen sich im Bewahren des räumlichen und rituellen Status quo auf der sicheren Seite.

In Korneuburg haben inzwischen fast 700 Gemeindemitglieder eine Petition für die Beibehaltung der neuen Aufstellung unterschrieben. Es wäre fatal, wenn die Entscheidung durch einen Bescheid des Denkmalamts fiele und nicht in einer längst fälligen, offen geführten Debatte zwischen den wirklich Betroffenen.

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