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Die unsichtbaren Städte
Neue Zürcher Zeitung

Die «TeleCity» in einer Ausstellung im Bauhaus Dessau

Das Handy am Ohr, die Zigarette im Mund, die Trinkdose in der Hand. Darunter der Slogan «Und wer fährt?». So ist es derzeit an deutschen Autobahnen plakatiert. Noch ist es eine Zukunftsvision, dass Autos die einprogrammierten Fahrziele ohne weiteres Zutun des Fahrers erreichen: sicher, sparsam, schnell. Aber wie lange noch?

3. Januar 2003 - Jürgen Tietz
Die Ausstellung «TeleCity» im Bauhaus Dessau beweist, dass die Zukunft längst begonnen hat. So ermöglicht das Global Positioning System (GPS) schon heute eine auf 20 Zentimeter genaue Ortung von Autos via Satelliten. Singapur etwa verfügt bereits über ein flächendeckendes System zur Überwachung und Lenkung des Verkehrs - und zur Kostenerhebung. Im Zeitalter von Handy und EC-Karte stellt sich weniger die Frage, auf welche Bereiche unserer städtischen Lebenswelten sich die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien schon ausgebreitet haben, sondern eher, auf welche noch nicht. Das geht bis in die private Wohnung hinein, wie Werner Sobeks Stuttgarter Haus R 128 zeigt, das rechnergestützt entwickelt und produziert wurde. Das intelligente Haus, der nachdenkliche Kühlschrank, der liebevolle Elektrohund, all das ist bereits Realität. In gut einem Jahrzehnt wurden unser Selbstverständnis und unser Alltag revolutioniert - bis hin zu jenen japanischen Convenience-Stores, die auf Wohnzimmergrösse alles bieten, was die Kunden brauchen. Der Datenfluss verrät, was wann wo am besten verkauft wurde, und das wird schon beim Verkauf nachbestellt. Alles im Interesse des Kunden, der das Basilikum neben den Tomaten und dem Mozzarella findet.

Das alles und noch viel mehr ist in der Ausstellung im Bauhaus Dessau - nicht zu sehen. Zumindest nicht in der gewohnten Form. Statt Schauvitrinen und Stellwänden mit Bildern präsentiert das Ausstellungskonzept einen leeren Raum - bietet einen freien Blick auf den Werkstattflügel von Walter Gropius' Bauhaus. Ein schöner Kunstgriff der Kuratoren: Die Ausstellung ist so unsichtbar wie der alltägliche Datenfluss. Einzige Orientierung für die Besucher bieten einige Farbpunkte auf dem Boden: Von dort aus müssen sie sich mit ihren Mobil-PC via Infrarot einloggen. Über ihre Kopfhörer bekommen sie dann die Informationen zu den neun Themen der Ausstellung: Wohnen, Verkehr, Handy, Smart Cards, Administration, Grenzen, Bibliothek, Büro und Einkaufen. Gegliedert sind diese Themen nach den Gesichtspunkten Produktion, Distribution, Kommunikation und Kontrolle.

Auf einen multimedialen Overkill, wie man ihn von anderen Ausstellungen kennt, hat man in Dessau bewusst verzichtet. Trotz den kleinen Handhelds, auf denen zu den Themen jeweils einige begleitende Bildchen flimmern, ist es bei aller Radikalität eine fast altmodische Ausstellung geworden, die an schöne Radiozeiten erinnert: Dafür sorgen die über Kopfhörer empfangenen Texte. Auch wenn die Schau für eingefleischte Computerfreaks nur bedingt Neues bieten dürfte, hält sie für die meisten Besucher eine Menge Informationen bereit rund um die schöne neue Welt der «TeleCity».

Durch den Besuch der Dessauer Ausstellung wird das Bewusstsein auch für die Gefahren der Kommunikationstechnologien geschärft. Den Bedenken stehen die Vorteile einer kabellosen Kommunikation über das Internet, die stete Erreichbarkeit über das Handy oder verkürzte Behördengänge durch eine Chipkarte gegenüber. Ohnehin: Ein Zurück aus der Informationsgesellschaft ist nicht mehr möglich. Höchstens ihr bewussteres Lenken und eine kritische Distanz. Übrigens: Anstelle eines Kataloges kann man sich eine E-Mail mit kurzen Texten und zusätzlichen Links zu den einzelnen Themen zuschicken lassen. Und natürlich sagt ein beigefügtes Protokoll jedem Ausstellungsbesucher, welche Rubriken er sich in der Ausstellung angehört hat und welche nicht. Automatisch.


[ Bis 2. Februar 2003 im Bauhaus Dessau. ]

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