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Lob der Bescheidenheit
Neue Zürcher Zeitung

Godber Nissen auf dem Hamburger Architektursommer

Bis in den Oktober lockt der «Hamburger Architektursommer» mit zahlreichen Veranstaltungen Architekturinteressierte in die Hansestadt. Neben dem gegenwärtigen Baugeschehen in der «Hafen-City» werden dabei auch mehrere Ausstellungen präsentiert: Eine Schau über Godber Nissen (1906-1997) in der Freien Akademie der Künste bildet den Auftakt.

9. Juni 2006 - Jürgen Tietz
Fast menschenleer liegen die im vergangenen Jahr fertig gestellten Magellan-Terrassen von EMBT Arquitectes aus Barcelona in der Nachmittagssonne am Hamburger Hafen. Begleitet von kuriosen Klinkerreliefs, wuchern dort seltsam exaltierte Metallgestänge in die Luft, ganz so, als wollten sie den Kränen Konkurrenz bereiten, die gleich nebenan auf dem Dalmannkai das Geschehen bestimmen. Die verdrehten Laternen beleuchten den ersten Abschnitt von Hamburgs Prestigeprojekt: der «Hafen-City». Deren medienwirksam propagiertes Flaggschiff soll mit der «Elbphilharmonie» am Ende des Dalmannkais entstehen. Dafür haben die Basler Architekten Herzog & de Meuron einen zeltartig expressiven Aufbau entworfen, den sie dem mächtigen Kaispeicher A von Werner Kallmorgen aufsetzen wollen. Bereits fertig gestellt worden sind gegenüber an der Wasserkante des Sandtorkais die ersten Solitäre. In Ziegel und Glas stehen sie da und schaffen mit ihren aufgebrochenen Kanten und gegeneinander versetzten Balkonen eine freundliche, aber antiseptische Atmosphäre, die auf Belebung wartet. Derweil wird weiter heftig an der Zukunft der Hafen-City gebaut und geplant.

Aufbruch an der Elbe

Kein Wunder also, dass die Hafen-City auch im diesjährigen «Hamburger Architektursommer» eine zentrale Rolle einnimmt. Bis in den Oktober kreisen über 270 Veranstaltungen in Hamburg um das Thema Architektur. Galt in den neunziger Jahren Berlin auf dem Sektor Architektur als Mass aller Dinge in Deutschland, so haben inzwischen Städte wie Stuttgart, München und nicht zuletzt Hamburg die bauliche Regie übernommen. Wie vielfältig und teilweise höchst qualitätvoll die Hamburger Architektur-Renaissance ist, dokumentiert ein von der Behörde für Stadtentwicklung jüngst herausgegebener Architekturführer im Taschenformat (Hamburg: Bauen für die wachsende Stadt. Jovis-Verlag, Berlin 2006. 312 S. Fr. 8.90). Als ebenso vielfältig erweist sich der sommerliche Hamburger Architekturmarathon, auch wenn sich in diesem Jahr einige der grossen Ausstellungshäuser der Stadt bei dem Architekturfest dezent zurückhalten. Zu den Höhepunkten gehört neben den Ausstellungen über die «Hamburger Stadtbaumeister 1841-1933» (Kunsthaus, ab 23. Juni) und über Franz Gustav Forsmann (1795-1878) im Jenisch-Haus (ab 13. Juni) auch eine Vortragsreihe, die um das nach wie vor aktuelle Thema «Architektur und Politik» kreist.

Hanseatische Zurückhaltung

Zum Auftakt des Architektursommers wirft die Freie Akademie der Künste allerdings erst einmal einen Blick zurück auf Godber Nissen, einen Hauptvertreter der Hamburger Nachkriegsmoderne. 1906 in Wladiwostok als Sohn eines deutschen Kaufmanns geboren, wurde er in seiner architektonischen Haltung vor allem durch seinen Berliner Hochschullehrer Heinrich Tessenow (1876-1950) geprägt. In schönen historischen Schwarzweissfotografien aus dem Bestand des Hamburgischen Architekturarchivs sowie mit einigen Modellen stellt die Ausstellung die Arbeiten dieses «Virtuosen der Einfachheit» in Werkgruppen gegliedert vor. Leider fehlen jedoch Hinweise über den gegenwärtigen Zustand der Bauten. Anstelle eines Kataloges wird in der Akademie der noch immer aktuelle Band «Godber Nissen. Ein Meister der Nachkriegsmoderne» angeboten, der auch ein Werkverzeichnis des langjährigen Präsidenten der Hamburger Freien Akademie der Künste enthält.

Bereits Nissens frühe Flugmotorenwerke für die Rüstungsindustrie der Nationalsozialisten in Arnimswalde bei Stettin (1937-1945) und bei Prag (1941-1945) zeigen jene sachlich reduzierte Formensprache, die auch sein Nachkriegswerk bestimmte. Keine Architektur ohne Eigenschaften - aber doch eine von betonter Zurückhaltung, ganz im Sinne seines Lehrers Tessenow. Zu den bestimmenden Elementen von Nissens Arbeit gehörte die «Suche nach der kleinsten städtebaulichen Einheit», wie es sein Schüler und späterer Mitarbeiter Bernhard Winking formuliert. Das Bestreben, Architektur für den Menschen und in ihrem Umfeld zu denken, spiegelt sich in den zahlreichen Krankenhausentwürfen der Jahre nach 1950 ebenso wider wie in den Bauten, die für die Zigarettenfirma Philipp Reemtsma entstanden. Darunter das luftig filigrane Verwaltungsgebäude von 1952-1954 oder das mit lichten hellgrünen Glasplatten verkleidete Zigaretten-Werk in Berlin (1957-1960), das leider noch immer nicht unter Denkmalschutz steht.

Obwohl Wohnbauten nicht den Schwerpunkt im Werk Nissens bildeten, gehören sie doch zu seinen schönsten Arbeiten. An ihrem unkompliziert freundlichen Duktus ist der gelegentlich unterschätzte Einfluss der skandinavischen Baukunst auf die Nachkriegsarchitektur in Norddeutschland ablesbar. Es sind Ziegelbauten mit sanft geneigten Dächern und knappem Dachüberstand, harmonisch gegeneinander gestaffelte Baukuben, deren plastische Durchbildung durch die kluge Placierung der Schornsteine häufig einen zurückhaltenden Akzent erfährt. Zweifelsfrei modern in der Ausführung, sind sie zugleich der Region und ihrer Tradition verhaftet. In ihrer unspektakulären Selbstverständlichkeit erweisen sich diese Bauten als kleine Meisterwerke. Das gilt auch für seinen Entwurf der Sonderschule in Böttelkamp mit ihren geschlossenen Ziegelwänden. Es ist dieses hanseatisch anmutende Understatement, das sich in Nissens Bauten der Nachkriegszeit ausdrückte und das sich bis heute an den besten Beispielen der Hamburger Architektur zeigt. Etwas mehr von dieser unaufgeregten Selbstverständlichkeit hätte man sich auch als Korrektiv für die Hochglanzarchitektur der ersten Bauten in der Hafen-City gewünscht, in denen immer wieder der Wunsch der Architekten aufkeimt, sich mit Aufgeregtheiten aus Glas und Stahl gegenseitig zu übertrumpfen.

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