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Zwischen den Welten
Neue Zürcher Zeitung

Das Exil des Architekten Adolf Rading

24. Juni 2006 - Jürgen Tietz
Er gehört zu den bekannten Unbekannten des Neuen Bauens: der Berliner Architekt Adolf Rading (1888-1957). Dabei zählte er als Büropartner von Hans Scharoun und Hochschullehrer in Breslau zu den erfolgreichen Architekten der zwanziger Jahre in Deutschland. So war er unter anderem an den beiden Werkbundausstellungen 1927 in Stuttgart Weissenhof und 1929 in Breslau beteiligt. Seine Emigration vor den Nationalsozialisten, die ihn nach Frankreich und später nach Palästina und England führte, bedeutete für Rading einen existenziellen Einschnitt. Diesem Bruch widmet sich die Arbeit der Kunsthistorikerin Regina Göckede, die anhand der bisher unveröffentlichten Schriften Radings aufzeigt, wie der Architekt das Exil reflektierte und sich die Exilerfahrung in seinem Werk widerspiegelte. Göckedes aufwendig recherchierte Arbeit bezieht dabei nicht nur Radings Nachlass in der Berliner Akademie der Künste ein, sondern wertet auch Archivalien aus der Entstehungszeit Israels aus. In einem ihrer ausführlichen Exkurse erläutert die Autorin die Architekturentwicklung in Palästina und die identitätsstiftende Rolle der Moderne im Vorfeld der Staatsgründung Israels und bemüht sich darum, Radings Exilarbeiten in einen grösseren bau- und kulturgeschichtlichen Zusammenhang einzubetten.

Doch auch der «Genese der Architektenkarriere» widmet sich Göckede. In Berlin und Breslau war Rading zunächst Mitarbeiter im Büro des Jugendstil-Architekten August Endell, ehe er in Breslau eine eigene Professur erhielt. Dort verwirklichte er auch seine ersten bedeutenden Bauten: die «Odd-Fellow-Loge» (1926) und den Umbau der Mohrenapotheke (1928). Radings Bauten dieser Zeit zeigen den reduzierten Duktus der «weissen Moderne», angereichert durch Motive aus der Schiffsarchitektur, mit denen er etwa seinem Gemeinschaftswohnhaus auf der Breslauer Werkbundausstellung Dynamik verlieh.

Nach dem Verlust seiner Professur wanderte Rading zusammen mit seiner jüdischen Frau 1933 zunächst nach Frankreich aus, ehe er 1936 nach Palästina weiterzog. Dort trat er 1943 in die Stadtverwaltung von Haifa ein. Neben grösseren Entwürfen entstanden kleinere Wohnbauten in Naharia, nördlich von Haifa, bei denen er sich mit der regionalen Architekturtradition auseinandersetzte. 1950 endete seine Zeit in Palästina. Es war «nicht primär das Ende des Zweiten Weltkrieges, das Rading (. . .) zur Zukunftsplanung zwingt, sondern die veränderten politischen Verhältnisse in Palästina-Israel selbst», konstatiert Göckede. «Die ohnehin vorhandene Vereinsamung Radings verstärkt sich nochmals.» Der Architekt kehrte nicht nach Deutschland zurück, sondern versuchte in England einen erneuten beruflichen Anfang. Mit dem Emigranten Frederick Herrmann ging er eine Büropartnerschaft ein. Es entstanden mehrere kleinere Häuser und das grosse Projekt für die «Marine Parade» in Dover 1953. Brieflich hielt Rading zwar bis zu seinem Tod 1957 den Kontakt zu seinen Kollegen aus den zwanziger Jahren, allen voran zu Richard Döcker und Hans Scharoun, in seine Heimatstadt Berlin kehrte er jedoch nicht mehr zurück.

Erst mit dem 1970 von Peter Pfankuch herausgegebenen Katalog der Berliner Akademie der Künste setzte die späte Erforschung von Radings Werk in Deutschland ein, zu der Göckede nun einen umfangreichen Beitrag liefert. Doch leider bedient sich die Autorin im theoretischen Teil ihrer Arbeit, der sich mit der Exilforschung auseinandersetzt, einer verquasten Wissenschaftssprache, die die Lektüre des Buches unnötig erschwert. Das ist schade, denn die materialreiche Arbeit trägt viel zum Verständnis des Exils eines bedeutenden Vertreters des Neuen Bauens bei.

[ Regina Göckede: Adolf Rading (1888-1957). Exodus des Neuen Bauens und Überschreitungen des Exils. Gebr.-Mann-Verlag, Berlin 2005. 504 S., Fr. 115.-. ]

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