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Vergessene Avantgarde
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt Richard Paulick

29. Juli 2006 - Jürgen Tietz
Deutlich in die Jahre gekommen, unterscheidet sich die Grossgarage an der Berliner Kantstrasse heute kaum von den typischen Parkhäusern andernorts. Wer ahnt schon, dass sich hinter ihrer Glasfassade eine Inkunabel der modernen Architektur der Stadt verbirgt? So unbekannt wie die 1928/29 errichtete Kant-Garage ist auch ihr Architekt Richard Paulick (1903-1979). Ein lesenswerter Sammelband ermöglicht nun seine überfällige Wiederentdeckung. Wolfgang Thöner zeichnet in seinem Beitrag die Begegnung Paulicks mit dem Bauhaus in Dessau nach, wo der gebürtige Rosslauer zum Leiter des Büros von Walter Gropius aufstieg. Doch im Juni 1933 sah sich Paulick zur Emigration gezwungen. Die aufreibende Zeit des Exils in Schanghai, die für Paulick bis 1949 dauern sollte, schildert Eduard Kögel.

Mit der Rückkehr in die DDR erlangte Paulick grössere Bekanntheit, wie aus den Beiträgen von Jörn Düwel und Peter Müller hervorgeht. In Ostberlin hatte er mit seiner «Meisterwerkstatt» die Organisation der Grossbaustelle Stalinallee inne, wo er auch selbst einen Komplex verwirklichte. Die Ambivalenz zwischen der von ihm gewollten Moderne und der staatlich verordneten Tradition im Sinne Moskaus wird bei Paulicks «Deutscher Sporthalle» (1951) anschaulich: Dem monumentalen Portal antwortete an den Seiten ein sachlich durchgebildeter Baukörper.

Der Wiederaufbau der Staatsoper Unter den Linden begründete Paulicks Ruf als «Roter Schinkel». Treffender aber wäre die Bezeichnung als «Roter Knobelsdorff» gewesen, wie Uwe Schwartz mit Blick auf den eigentlichen Architekten der Oper Friedrichs des Grossen verdeutlicht. Nachdem der Stil der «nationalen Tradition» in der DDR ausgedient hatte, knüpfte auch Paulick mit seinen rationalisierten Plattenbauten wieder an die Wurzeln der Vorkriegsmoderne an. Trotz seiner etwas überambitionierten Gestaltung macht das Buch neugierig auf die Arbeit dieses Architekten zwischen Moderne und Tradition.

[ Bauhaus-Tradition und DDR-Moderne. Der Architekt Richard Paulick. Hrsg. Wolfgang Thöner, Peter Müller. Deutscher Kunstverlag, München 2006. 192 S., 80 Abb., Fr 43.70. ]

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