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Konstruktivistisches Elend
Neue Zürcher Zeitung

Eine Architekturausstellung in Dessau

7. August 2006 - Jürgen Tietz
Für das Haus des Centrosojus in Moskau, das Le Corbusier 1928 entwarf, stehen die Chancen einer denkmalgerechten Restaurierung in den nächsten Jahren nicht schlecht. Doch viele andere Moskauer Bauten der Moderne sind dem endgültigen Untergang geweiht - wenn nicht ganz schnell etwas geschieht. So lautet das Fazit der Ausstellung «Avantgarde - Diffamierung - Welterbe?», die derzeit im Dessauer Meisterhaus Schlemmer zu sehen ist. Anhand ausgewählter Beispiele zeigt sie den Umgang mit dem Bauerbe der Moderne in Deutschland und Russland. Dem euphorischen Aufbruch der zwanziger Jahre folgte in beiden Ländern eine Phase der Diffamierung der Avantgarde, im NS-Regime ebenso wie unter der Stalin-Diktatur.

Inzwischen sind die Bauten der klassischen Moderne in ihrer Denkmalwürdigkeit in Deutschland weitgehend akzeptiert, und das Bauhaus in Dessau geniesst sogar den Welterbe-Status. Die nicht minder bedeutenden Bauten der Konstruktivisten in Moskau sind dagegen nach wie vor ungeliebt und harren ihrer Wiederentdeckung im eigenen Land. Doch aufgrund ihrer «schlichten Fassadengestaltung werden sie bis heute als unrussisch empfunden», so Anke Zalivako, eine der Kuratorinnen der Ausstellung. Gleichgültigkeit und mangelnder Bauunterhalt sorgen dafür, dass wegweisenden Bauten der Moderne der Untergang droht. Dazu zählen das Norkofim Kommunehaus (1928/30) von Moissej Ginsburg oder das Verlagshaus der Prawda aus den dreissiger Jahren, das im Februar 2006 ausbrannte. Weit über Russland hinaus bedeutet dies einen unersetzlichen Verlust.

[ Die Ausstellung «Avantgarde - Diffamierung - Welterbe?» im Meisterhaus Schlemmer in Dessau dauert bis zum 27. August. ]

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