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Schön schiach
Spectrum

Nach Architektur sieht es nicht aus, aber was ist es dann? Das „Fluc“ am Wiener Praterstern: über den fast gelungenen Versuch, ein Haus zu bauen, ohne es zu gestalten.

19. November 2006 - Christian Kühn
Auch wenn es kaum mehr wahrnehmbar ist: Der Praterstern, einer der großen Verkehrsknotenpunkte Wiens, hatte einmal eine Form. Unter Josef II. 1786 als Sternplatz angelegt, folgte sein Grundriss einem Dreiviertelkreis, aus dessen Zentrum strahlenförmige Alleen in die Aulandschaft führten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Form ausradiert, um die Funktion des Platzes zu verbessern. Die Bahn, die bis dahin der Kreisform gefolgt war, führt seit der Umgestaltung 1956 bis 1959 in Hochlage quer über den Platz, die sternförmigen Straßen sind in einen Verteilerkreis umgelenkt. Wer dessen Kontur genauer ansieht, entdeckt in der scheinbar rein funktionellen Verkehrsführung eine formale Präferenz, nämlich für die weich abgerundeten Geometrien der 1950er-Jahre. Man darf vermuten, dass im Radio gerade „Roll over Beethoven“ von Chuck Berry lief, als diese Nierentischkurve schwungvoll aufs Papier gebracht wurde.

Seine ursprüngliche Konnotation als Grenze zur Wildnis ist der Praterstern nie ganz losgeworden, auch wenn die Stadt längst über diese Grenze hinausgewachsen ist. Hier haust das Unheimliche, „Entrische“, dessen ausgelassenes Gesicht im Wurstelprater zum Vorschein kommt. Erst in der jüngeren Vergangenheit hat sich die Stadtplanung im Zuge des U-Bahn-Baus wieder des „verkommenen“ Platzes angenommen: Der Gleisbrücke wird gerade ein neues Bahnhofsgebäude nach einem Entwurf von Albert Wimmer übergestülpt, und Boris Podrecca darf sich um die Platzgestaltung zur „schönen“, zur Stadtseite hin kümmern, Glasbaldachin, Grünpergolen und lasierte Bodenplatten inklusive. Man kann diese Geschichte als eine Abfolge von Versuchen lesen, das Wilde, Andere in den Griff zu bekommen, zuerst mit formalen, dann mit funktionellen Mitteln und schließlich - im jüngsten Verschönerungsversuch durch Podrecca - wieder mit formalen.

Zwischendurch hat dieser lange vernachlässigte Platz an der Grenze eine Szene angezogen, die auf der Suche nach Raum für ihre Kunst- und Musikprojekte war. Die Künstlergruppe [ dy'na:mo ], die sich mit Klangarchitekturen und Soundinstallationen befasst und dafür den Begriff „fluctuatedrooms“ prägte, gründete 2002 das „Fluc“, einen Eventraum, der sich bald zu einem Brennpunkt der neuen Wiener Musikszene entwickelte. Als das „Fluc“ im Zuge des Bahnhofumbaus aus seinem Provisorium ausziehen musste, entstand die Idee, eine Straßenunterführung in Richtung Wurstelprater für die eigenen Zwecke zu adaptieren und den Architekten Klaus Stattmann mit einem Konzept dafür zu beauftragen.

Stattmann ist ein Schüler des Coop-Himmelb(l)au-Gründers Wolf Prix, der zum entschiedenen Formalismus seines Meisters auf Distanz zu gehen versucht. „Performativer Materialismus“ statt Form lautet die Devise, mit der er 2003 bei der Architekturbiennale in São Paulo zusammen mit „the next ENTERprise“ und Wolfgang Tschapeller ausstellte. Das neue „Fluc“ sollte möglichst so roh und ungestaltet aussehen wie das Vorgängerlokal. Diese formale Absichtslosigkeit musste aber schon allein aus baurechtlichen Gründen exakt geplant werden. Als Architekt gerät man hier in ein prinzipielles Dilemma: Ist eine absichtslose Ästhetik überhaupt möglich? Und gibt es am Ende einen Unterschied zur konventionellen Architektur, außer dass es sich eben um eine andere Konvention handelt, statt „schön“ eben „schön schiach“?

Mit ähnlichen Fragen hat sich ein Wiener Architekt befasst, den Stattmann als Referenz nennt: Hermann Czech. In einem Text über „Manierismus und Partizipation“ erklärte Czech schon 1977, dass es ihm nicht um eine Ästhetik des Hässlichen gehe. Architektur müsse aber offen sein fürs Zufällige, für Störungen, für den Einbruch des Fremden ins eigene Projekt. Diese Haltung fordert einerseits die Bescheidenheit zuzugeben, dass Architektur unsere Umwelt- und Lebensprobleme „nicht lösen wird, so wenig wie Musik unsere Lärmprobleme löst“. Und andererseits den Mut, trotzdem formale Entscheidungen zu treffen, die das Zufällige und Irreguläre enthalten. Der Manierismus - im Wortsinn die Auflösung eines Stils durch die persönliche Handschrift eines Künstlers - wird bei Czech zu einer Methode, sich den Zugang zur Wirklichkeit nicht durch Stile und Konventionen zu verstellen und auch dem Benutzer Raum für Interpretationen zu lassen. Architektur müsse robust genug sein, um sich anzulehnen, ansonsten aber im Hintergrund bleiben und nur sprechen, wenn sie gefragt wird.

In diesem Sinn kann man das neue „Fluc“ als fast geglückt bezeichnen. Es besteht aus Stahlcontainern, die teilweise modifiziert sind, um einen stützenfreien größeren Raum zu ergeben. Ein schräger Gitterträger überspannt den Wurzelbereich des angrenzenden Baumes, der besonders zu schützen war, und trägt zusätzlich einen Schanigarten über der Treppe, die hinunter in die Passage führt. Die Passage selbst bleibt unter der Straße unverändert. Am anderen Ausgang wurden allerdings einige Tonnen Beton herausgeschnitten, um über der Bühne einen überhöhten Aufbau mit großem Fenster zum Riesenrad zu schaffen, und der frühere Ausgang wurde in eine Tribüne mit Sitzstufen verwandelt.

Im Vergleich zu den Computervisualisierungen, mit denen die Stadt überzeugt werden konnte, das „Fluc“ de facto zum Auftakt des Wurstelpraters zu machen, ist die Realität weder schick noch dynamisch, was zu so viel Unmut bei der zuständigen Vizebürgermeisterin, Grete Laska, führte, dass die Containeransammlung mit einem Eins-zu-eins-Modell eines roten Riesenradwaggons garniert werden musste. Das fügt sich allerdings gut zu den blauen Sperrholzaufbauten, mit denen Stattmann selbst sein Projekt überzogen und damit die unabhängigen Teile, aus denen es besteht, ohne Grund wieder in ein Ganzes zusammengebunden hat. Könnten diese Formen - die aus einem früheren Projekt von Stattmann, einer „Riffstruktur“ für den Donaukanal, abgeleitet sind - sprechen, hätten sie wohl nicht mehr zu sagen als: Wir sind himmelb(l)au. Ganz ohne Stil scheint der „Performative Materialismus“ halt doch nicht auszukommen.

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