Artikel

Bunte Moderne
Neue Zürcher Zeitung

Das frisch sanierte Dessauer Bauhaus feiert sich in einer Ausstellung

Nach zehnjährigen Sanierungsarbeiten erstrahlt das Bauhaus in Dessau zum Achtzigjahrjubiläum in neuem Glanz. Das Schlüsselwerk der Bauhausarchitektur, dem derzeit eine Ausstellung gewidmet wird, belegt, wie farbig die «weisse» Moderne eigentlich gewesen ist.

4. Dezember 2006 - Jürgen Tietz
Die Revision der Moderne ist in vollem Gang. Längst hat die architekturgeschichtliche Forschung offenbart, dass das Neue Bauen der zwanziger Jahre weitaus vielschichtiger war, als es die wortgewaltigen Propagandisten des Internationalen Stils glauben machen wollten. Nicht nur programmatisch unterschied man sich in den Zentren der Avantgarde in Paris, Berlin, Moskau und Amsterdam voneinander. Auch die architektonische Praxis der Jahre zwischen 1918 und 1940 war durch höchst unterschiedliche Charaktere und Konzepte geprägt. Vor allem war die «weisse» Moderne keineswegs jene strahlende Heldin im weissen Gewand, als die sie uns in zahllosen Schwarzweissfotografien entgegentritt.

Farbige Ikone

Die ursprüngliche Farbigkeit, die an den rekonstruierten Meisterhäusern in Dessau bereits seit einigen Jahren zu sehen ist, hat nun auch die Ikone der Bauhausarchitektur erreicht, das von Walter Gropius entworfene Dessauer Bauhaus, dessen Sanierung rechtzeitig zum Achtzigjahrjubiläum abgeschlossen werden konnte. Zusammen mit der Geschichte und der Rezeption des Hauses wird sie in der Ausstellung «Ikone der Moderne» vorgestellt, die sich in die Kapitel Erinnerung, Architektur, Sanierung und Erlebnis gliedert. In einem leichten Winkel zum Gebäude verschoben, stellt sich die Ausstellungsarchitektur dabei wie ein Duplikat des Bauhauses in den Ausstellungsraum, die ehemalige Tischlerwerkstatt. So entsteht für die Besucher eine Distanz zum Gebäude, die neue Blicke auf die Architektur ermöglicht, aber auch auf die Ausstellungsstücke: Fotografien aus der Bauhausgeschichte und einige wie Devotionalien inszenierte Bauhausobjekte, die auf verspiegelten Sockeln stehen. Ganz in Schwarz und Weiss gehalten, spielt die Ausstellungsarchitektur dabei mit den Erwartungshaltungen und Sehgewohnheiten einer weissen Moderne, deren neue alte Farbigkeit es ja am Bauhaus gerade erst zu entdecken gilt. Denn das wichtigste Exponat ist dabei das Haus selbst, dessen Kuben sich zu einem städtebaulichen Mikrokosmos mit revolutionärer Wirkung fügen: der berühmte Werkstattflügel mit seiner Stahl-Glas- Fassade, das hohe Ateliergebäude, in dem Jungmeister und Studierende wohnten, sowie der dreigeschossige Nordflügel. Ein Brückenbauwerk, in dem sich Gropius' Direktorenzimmer befand, verbindet ihn mit den übrigen Bauteilen.

Mit der nun abgeschlossenen Sanierung hat sich das Bild des Bauhauses verändert. Wer hätte sich eine hellrosa Eingangswand zum Festsaal vorstellen können oder silbrig schimmernde Decken? Ob leuchtend rote Treppenwangen oder blaue und gelbe Unterzüge, das Bauhaus war bunter und damit auch weit dekorativer als gedacht. Diese überraschende Farbigkeit geht vor allem auf den Entwurf von Hinnerk Scheper (1897 bis 1957) zurück, der die Bauhauswerkstatt für Wandmalerei leitete. Aufgrund von Befunden und einer Graustufenanalyse von Schwarzweissfotografien wurden die Farben nun rekonstruiert.

Archäologie der Moderne

Doch das Bauhaus ist nicht nur ein Schauhaus seiner selbst, sondern auch ein Dokument für den schwierigen Umgang mit dem Erbe der Moderne in Deutschland. Nach seiner Schliessung 1932 auf Betreiben der NSDAP nutzten verschiedene Schuleinrichtungen das Gebäude. Noch 1945 wurde das markante Aushängeschild des Bauhauses, die freihängende Stahl-Glas-Fassade des Werkstattflügels, schwer beschädigt und später durch eine provisorische Lochfassade ersetzt, ehe 1960 an ihre Stelle langgestreckte Fensterbänder traten. Mit der Aufnahme des Bauhauses in die DDR-Denkmalliste ging 1964 eine erste Bestandsaufnahme einher, doch erst in den Jahren 1975/76 folgte eine Sanierung. An die Stelle der Fensterbänder trat dabei eine Rekonstruktion der Glasfront, allerdings aus Aluminium und nicht mehr aus Stahl.

Die jüngste Sanierung nun, die auf einem Konzept von Hans-Otto Brambach aus Halle an der Saale und Ruggero Tropeano aus Zürich beruht, versteht sich laut Projektleiterin Monika Markgraf vom Bauhaus als eine «Archäologie der Moderne», für die eine umfangreiche Bauforschung notwendig war. Je nach Erhaltungszustand und Bedeutung wurden unterschiedliche Bereiche definiert, in denen drei Zeitschichten ablesbar sein sollen: die Bauzeit 1926, die Restaurierung 1976 und die Gegenwart. Doch trotz diesem Bemühen, die Zeitschichten des Bauhauses erkennbar bleiben zu lassen, war die Hauptzielrichtung, ein Bild des Zustandes von 1926 zurückzugewinnen. Das betraf nicht nur die Rekonstruktion der Farbigkeit, sondern auch die Entfernung von Veränderungen, die während der Ursprungsnutzung des Bauhauses eingebracht worden waren. Müssen künftig Bauteile der Rekonstruktion von 1976 ersetzt werden, dann soll dies in Form von Nachbauten des Zustandes von 1926 geschehen.

Schleichende Rekonstruktion

So durchläuft das Denkmal einen Jungbrunnen, wird zur ewig schönen Diva der Architektur mit Schaueffekt, ganz so, als wäre nicht die Wechselhaftigkeit das Leitmotiv der ersten 80 Jahre Bauhaus gewesen. Doch nach der 17 Millionen Euro teuren Sanierung sieht man dem Haus sein wirkliches Alter höchstens noch an den reparierten Fussböden und Treppenstufen an. Wer das Bauhaus heute besucht und nicht um seine Geschichte weiss, der wird mit einer erstaunlich heilen Welt konfrontiert. Doch so heil, wie sie hier inszeniert wird, ist die Welt der Moderne keineswegs, steht die Architektur der Avantgarde doch vielerorts unter Beschuss: Gerade erst wurde in Berlin Oberschöneweide die denkmalgeschützte Fernmeldekabelfabrik abgerissen, ein Meisterwerk der Neuen Sachlichkeit, das Ernst Ziesel 1927/28 verwirklicht hatte. In Dessau dagegen lockt die Ikone Bauhaus Jahr für Jahr Tausende Besucher an, Tendenz steigend. Unabdingbar wird es daher sein, mit einem Pflegeplan auf die touristische Dauerbelastung des Denkmals zu reagieren.

Die Revision der Moderne geht beim Bauhaus, das seit 1996 zum Welterbe der Unesco zählt, mit einer schleichenden Rekonstruktion einher, die das Bild einer vermeintlichen Originalität erzeugt. Nicht verraten wird dabei freilich, dass das Ergebnis einer solchen auf die Bildwirkung fixierten «Rückgewinnung» bestenfalls eine Annäherung an das überformte Original bedeutet, jedoch keinesfalls das Original selbst.

[ Die Ausstellung «Ikone der Moderne» dauert bis 11. März 2007. Begleitpublikationen: Ikone der Moderne. Das Bauhausgebäude in Dessau. Hrsg. Walter Prigge, Edition Bauhaus, Band 24. Jovis- Verlag, Berlin 2006, Fr. 42.80. - Archäologie der Moderne. Sanierung Bauhaus Dessau. Hrsg. Monika Markgraf. Edition Bauhaus, Band 23. Jovis-Verlag, Berlin 2006, Fr. 50.-. ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: