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St. Petersburger Kukuruz
Der Standard

Die Zeit der fossilen Brennstoffe geht zu Ende. Doch bevor es so weit ist, haut die Gasprom noch einmal so richtig auf den Putz und zieht in St. Petersburg einen 300-Meter-Turm hoch. Eduard Steiner und Wojciech Czaja erzählen eine Geschichte des Wahnsinns.

9. Dezember 2006 - Eduard Steiner, Wojciech Czaja
Der Osten greift nach dem Westen. Bukarest, Sofia, Warschau, Kiew und allen voran Moskau ziehen ihre Immobilien-Projekte wie die Schwammerln hoch. Fesche Architektur wird zum neuen Aushängeschild ehemals kommunistischer Länder, über Ethik und Geschmack braucht man nicht zu diskutieren. Was zählt, ist Gigantomanie.

Lediglich St. Petersburg mit seinen etwa fünf Millionen Einwohnern humpelt ein wenig hinterher. Die romantische Stadt an der Newa - gerne spricht man auch vom Venedig des Nordens - wird vom großen Machtzentrum Moskau regelrecht überschattet. Wirtschaftlich und politisch spielt man hier nur die zweite Geige. Und so bleiben St. Petersburg nicht viel mehr als die weißen Nächte und die goldenen Spitzhauben der Admiralität. Allein, den Touristen gefällt's.

Doch jetzt haut man auf die Pauke. Putin und Konsorten haben beschlossen, St. Petersburg auf Vordermann zu bringen. Den Leithammel dieser Tendenz gibt niemand Geringerer als eine der größten russischen Ölfirmen - Gasprom-Neft. Schon zu Jahresbeginn kam die Stadtverwaltung auf die Idee, am rechten Flussufer einen Bürokomplex von etwa einer Million Quadratmeter zu errichten. Zentrum dieser so genannten Gasprom-City sollte ein 300 Meter hoher Turm sein.

Untypisch für Russland, dessen postsowjetische Architektur bislang von einem traditionellen Einheitsbrei einheimischer Monopolarchitekten geprägt ist, trat erstmals eine Reihe internationaler Architekten auf und schaffte es tatsächlich an die Spitze des Wettbewerb-Verfahrens, an dem sich insgesamt 45 Firmen beteiligt hatten. Mit Rem Koolhaas, Daniel Libeskind, Jean Nouvel, Massimiliano Fuksas, Herzog & de Meuron sowie dem britischen Büro RMJM wurden sechs Architekten zu einem Entwurf geladen. Vor wenigen Tagen tagte die Jury und gab der Presse Bescheid: Das Hochhaus-Projekt von RMJM wird zur Realisierung empfohlen. Kaum war das Ergebnis verlautbart, hatte das Kind auch schon einen Namen: Die russischen Medien nennen den neuen Wolkenkratzer schlichtweg Kukurus, den Maiskolben.

77 Stockwerke hoch wird sich der Turm an der Newa in die Wolken schrauben. Der fünfeckige Grundriss und die elegante Torsion, verlautbaren die Architekten, leite sich vom wandelnden Charakter des Wassers ab, von seinen Lichtspielen, Brechungen und Reflexionen. Tony Kettle, Managing Director des britischen Architekturunternehmens, kommentiert den Entwurf: „Wir haben etwas Einzigartiges und Zeitloses geschaffen, eine wunderschöne Landmark für eine Stadt, die in Zukunft neue Maßstäbe in puncto Energieerhaltung und Nachhaltigkeit setzen wird.“

Doch die euphemistischen Worte des international tätigen Büros, das dieser Tage in Moskau sein weltweit elftes Büro eröffnete, können den Groll der betroffenen Instanzen nicht beschwichtigen. „Und wenn der Turm aus purem Gold wäre“, wütet Vladimir Popow, Präsident des Petersburger Architektenverbandes, „er würde die Stadt doch umbringen.“ Popow hatte sich sogar geweigert, an der aus Wirtschaftsleuten, Politikern und Architekten bestehenden Jury teilzunehmen. Juri Sdobnov, Vizechef des russischen Architektenbundes, nannte die Möglichkeit eines solchen Baus überhaupt einen „Frevel“.

Geschlossen schrieb man einen Brief an Präsident Putin und an die Gouverneurin Walentina Matwijenko, in dem man darauf hinwies, dass man drauf und dran sei, den Status als Unesco-Weltkulturerbe zu verspielen. Und das für ein einziges Hochhaus. „Erst die niedrige Skyline macht die Vertikalen St. Petersburgs so großartig. Ein 300-Meter-Turm, der von allen wichtigen Plätzen der Stadt aus zu sehen ist, wird die fragile Silhouette der Stadt zerstören.“ Ein Wiener Déjà-vu, möchte man meinen. Doch im Vergleich zu den Wiener Luxusproblemchen steht im Falle von St. Petersburg tatsächlich einiges auf dem Spiel.

Schon seit dem 19. Jahrhundert kämpft die Stadt an der Newa gegen den größeren Bruder Moskau an. Damals stritten die Gelehrten darüber, welche der beiden Städte Russland wohl besser repräsentieren möge. Später entschieden sich die Bolschewiken für Moskau. Wenn heutzutage 80 Prozent aller finanziellen Transaktionen Russlands durch Moskau fließen, stellt sich die Frage längst nicht mehr. In der nunmehrigen Offensive, St. Petersburg an die westliche Marktwirtschaft anzuschließen, könnte man vom rollenden Rubel geblendet werden. So manch goldene Dachnadel der einzigartigen Stadtsilhouette könnte dabei zu Bruch gehen.

Nicht zufällig hat Putin große Veranstaltungen seiner Präsidentschaft in seiner nördlichen Heimatstadt abhalten lassen. Die 300-Jahr-Feier der Stadt 2003 war aufgelegt, der G-8-Gipfel im heurigen Sommer stellte sich als kräftige Aufwertung heraus. Der Hafen wurde umgebaut und wickelt den aus dem Baltikum abgezogenen Ölexport ab. Russische Firmen siedeln mit ihren Headquarters allmählich nach St. Petersburg. Und der Umzug des Verfassungsgerichts in den Norden ist nur noch eine Frage der Zeit.

Dass der Ölgigant Gasprom da mitzieht, ist keine große Überraschung. Mit insgesamt 330.000 Mitarbeitern, 14,7 Milliarden Umsatz und drei Milliarden Dollar Gewinn kann man sich schon ein Stelldichein mit einer historischen und sensiblen Stadtstruktur erlauben. Die Selbstherrlichkeit des monopolistischen Gaskonzerns, der sich wie selbstverständlich über die Baunormen der ganzen Stadt hinwegsetzt, erzeugt Unmut, der von den Architekten, Behörden und Denkmalschützen längst auf die übrige Bevölkerung übergeschwappt ist - sogar auf einige wenige Bänke in der Politik.

Die Abgeordnete Natalja Evdokomova, die sich einer Protestgruppe aus Parlamentsabgeordneten - immerhin drei aus 49 - angeschlossen hat, erinnert: „Im Zielprogramm der Stadtverwaltung hat man die maximal erlaubten 48 Meter festgeschrieben. Hat man das jetzt vergessen?“ Prominente Unterstützung erhielten die Gegner vom Direktor der Eremitage, Michail Piotrowski, der in der Petersburger Zeitung Vedomosti seiner Furcht um das Antlitz der Stadt Ausdruck verlieh: „Wir haben diese fantastische Stadt durch Zufall geerbt. Wir dürfen sie nicht beschädigen.“

Die kleine Abgeordnetengruppe richtete ihr Ersuchen bereits an den russischen Generalstaatsanwalt Juri Tschaika. Dieser soll nun die Stadtsubvention für das Projekt überprüfen. Insgesamt 60 Milliarden Rubel (1,75 Milliarden Euro) sollen in den kommenden Jahren aus der Stadtkasse in die Gasprom-City - und ihre Managerwohnungen - fließen.

Mit zunehmender Straffheit des autoritären Regimes wird Kritik obsolet. Derzeit deckt die mächtige Gasprom ein Viertel des europä-ischen Gasbedarfs. Glaubt man den Wünschen, die aus dem Kreml dringen, so soll die Gasprom noch mächtiger werden und zur Nummer eins auf dem Weltenergiemarkt heranwachsen. Dann ist jede Kritik ohnehin sinnlos. „Was gut ist für Gasprom, ist gut für den Staat“, lautet das Motto des Gasmonopolisten.

Bleibt noch die Frage der Realisierung. Immer wieder führt der sumpfige Grund dazu, dass Wasser in die unendlich tief gebaute U-Bahn eintritt. Das wird auch beim Gasprom-Turm nicht anders sein. Seine Fundamente - so wird gemunkelt - sollen in preislicher Hinsicht dem oberirdischen Gebäude beinahe gleichkommen. Doch darüber brauchen sich die Architekten von RMJM nicht den Kopf zu zerbrechen. Aus der Stadtregierung ist zu vernehmen, dass RMJM lediglich Konzept und Entwürfe vorlegen dürfe. Den Rest erledige man schon lieber selbst.

„Natürlich gibt es Debatten und viel Widerstand“, sagen die Architekten und vergleichen sich prompt mit Monsieur Gustave Eiffel, „aber denken Sie nur einmal an Paris! Durch den Eiffelturm mit seinen 324 Meter Höhe wurde das wertvolle Paris sogar noch wertvoller.“ Die Grenzen zwischen Kultur und Turbokapitalismus scheinen verschwommen. Leider ist die Architektenschaft in der Riege der Besten um jeden Preis käuflich. Sie bricht ihr Versprechen, einen guten Beitrag für eine bessere Welt leisten zu wollen. Und damit macht sich die Stararchitektur zur Hure der Mächtigen

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