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Schaufeln für die Baukultur
Spectrum

Zum Thema Baukultur hat die neue Regierungserklärung nicht viel Konkretes zu bieten. Das Bekenntnis zur Förderung einer „qualitativen Baukultur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens“ macht zumindest Hoffnung.

28. Januar 2007 - Christian Kühn
Nun wird alles anders: Ein neu geschaffenes Ministerium ist zuständig für „Umwelt, Innovation und Baukultur“. Ein unabhängiges „Kuratorium für Baukultur“ wird als Koordinationsstelle die ganzheitliche Bewältigung der Querschnittsaufgabe Baukultur unterstützen. Und schließlich gibt es ein „Impuls-Paket für Baukultur“, das mit immerhin 73 Millionen Euro pro Jahr dotiert ist und von der Innovations- und Forschungsförderung bis zu einer Bildungsoffensive und zur Förderung des Planungsexports für die rasche Umsetzung baukultureller Strategien sorgt.

Ganz so, wie es sich die „Plattform für Architekturpolitik und Baukultur“, eine gemeinsame Initiative von Berufsvertretungen, Bildungseinrichtungen und Architekturzentren, im Herbst 2006 vor den jüngsten Nationalratswahlen gewünscht hat, ist es bekanntlich nicht gekommen. Im aktuellen Regierungsprogramm ist Baukultur nur mit einem Satz erwähnt. Im Kapitel über „Medien, Kunst, Kultur und Sport“ findet sich unter dem Stichwort „Architektur“ die lapidare Aussage: „Ausgehend vom Baukulturreport wird die Bundesregierung Maßnahmen zur Verankerung qualitativer Baukultur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens setzen und die Vermittlungstätigkeit für Baukultur und zeitgenössische Architektur forcieren.“ Das ist immerhin umfassend, wenn auch wenig konkret.

Wer das Programm genauer liest, findet aber an unerwarteten Stellen Aussagen mit Architekturbezug: Die beabsichtigte Förderung von „Vielfalt im Wohnbau“, „umweltschonendem Wohnen“ und „erschwinglichen Wohnungen für junge Menschen“ hat im Justizkapitel Platz gefunden; die „thermische Sanierung sämtlicher Nachkriegsbauten bis 2020“ und die Ankündigung, dass ab 2015 nur noch Wohnungen gefördert würden, die dem „Klima-Aktiv-Passivhaus-Standard“ entsprechen, im Kapitel „Ländlicher Raum, Energie und Umwelt“; die Umsetzung harmonisierter Bauordnungen - beschränkt auf den Bereich „barrierefreies Bauen“ - im Kapitel „Soziales“; und die „Optimierung der Raumplanungspolitik zwischen Gemeinden, Land und Bund“ im Kapitel „Forschung, Technologie und Infrastruktur“.

Es bleibt also alles beim Alten: Die Querschnittsmaterie Baukultur ist - ohne als solche genannt zu werden - aufgeteilt auf eine Vielzahl von Ressorts, und wenn das Wort Baukultur explizit ins Spiel kommt, wird es reflexartig dem Kunstbereich zugeordnet. Dort hat es aber nur wenig zu suchen. Baukultur muss ähnlich verstanden werden wie die Esskultur eines Landes. Esskultur beginnt dort, wo man nicht mehr allein deshalb isst, um satt zu werden. Sie drückt sich im persönlichen Geschmack aus, in der Lieblingsspeise, aber auch im Sozialen, in der Inszenierung eines gemeinsamen Essens oder eines Fests. Esskultur ermöglicht regionale kulturelle Unterscheidungen und stärkt damit lokale Identitäten. Weiter gefasst, bezieht sie heute auch globale Fragen mit ein, etwa ob die Zutaten unter ökologisch und sozial akzeptablen Bedingungen hergestellt und fair gehandelt wurden.

Eines ist dabei wichtig: Schnitzel, Sushi und Spaghetti stehen für unterschiedliche Esskulturen, über deren jeweilige Vor- und Nachteile man diskutieren kann. Eine Tiefkühlpizza in der Mikrowelle zu wärmen und beim Fernsehen zu verschlingen, ist dagegen keine andere Esskultur, sondern gar keine. Wer nur isst, um satt zu werden, hat keine Kultur. Dasselbe gilt fürs Bauen: Wer nicht mehr will als ein Dach über dem Kopf und ein warmes, sauberes Zimmer, hat keine Baukultur. Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit sind wichtig, aber wenn sie zu den zentralen, alles andere bestimmenden Faktoren werden, bleibt die kulturelle Qualität auf der Strecke. Zu Recht bedauern wir jeden, der sein Essen nur nach ihnen ausrichten muss. Beim Bauen sollte es nicht anders sein: Ohne ein Überschreiten des rein Zweckmäßigen gibt es keine Kultur.

Das gilt auch für Bereiche des Bauens, die scheinbar wenig mit Baukultur zu tun haben. Eine Straße dient nicht nur dem Zweck, möglichst schnell von A nach B zu kommen. Sie ist zugleich ein wichtiges Element der Kulturlandschaft und muss entsprechend sorgfältig trassiert und gestaltet werden. In der Landwirtschaft - aus deren Domäne der Begriff der „Kultur“ ja ursprünglich stammt - hat man dieses Prinzip längst begriffen. Österreichs Bauern sehen ihre Leistung nicht mehr allein im Ertrag ihrer Felder, sondern auch in ihrem immateriellen Beitrag zur Pflege der Kulturlandschaft, für den sie durchaus selbstbewusst öffentliche Förderungen beanspruchen.

Die Forderung der Plattform für Architekturpolitik und Baukultur nach einer direkten, massiven Förderung der Baukultur war, so betrachtet, weniger überzogen, als sie auf den ersten Blick erscheint. Schon heute fließen ins Bauen enorme öffentliche Mittel, freilich ohne klare Qualitätsbindung. Im Jahr 2005 betrugen die Bruttoinvestitionen der öffentlichen Hand inklusive der immer zahlreicheren ausgegliederten Gesellschaften 5,5 Milliarden Euro, also rund zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts, dazu kommt die Wohnbauförderung. Die Verantwortung der öffentlichen Hand, diese Beträge nicht nur zweckdienlich, sondern auch im Sinn der Baukultur einzusetzen, ist entsprechend groß. Um sie wahrzunehmen, müsste das klassische Spiel, Wirtschaftsförderung mit gut im Wahlkampf verkaufbarer Klientelpolitik zu kombinieren, um den Faktor Baukultur erweitert werden. Dann ginge es freilich nicht mehr so sehr um Quantität, sondern vor allem um Qualität, also nicht nur darum, wie viele Altenheime, Ortsumfahrungen und Volksschulen errichtet oder saniert wurden, sondern auch um die Frage, wie gut diese konzipiert, entworfen und ausgeführt sind. Das ist politisch freilich riskant, weil Qualitätsdiskussionen gerne emotional und kontroversiell geführt werden.

Die Absicht in der aktuellen Regierungserklärung, „qualitative Baukultur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu verankern und die Vermittlungstätigkeit für Baukultur und zeitgenössische Architektur zu forcieren“, ist, aus dieser Perspektive betrachtet, ein wesentlicher und sogar mutiger Schritt. Es wird darauf ankommen, wie er umgesetzt wird. Der Baukulturreport, von dem laut Regierungsprogramm dabei ausgegangen werden soll, liegt seit November 2006 vor. Seine breite Veröffentlichung als Buch und im Internet hängt - so die Gerüchteküche - nur noch von Budgetfragen ab, die in den nächsten Wochen geklärt sein sollten. Die Empfehlung, die Querschnittsmaterie Baukultur besser zu koordinieren und ein Impulsprogramm zu ihrer Förderung in die Wege zu leiten, wird sich wohl auch dort finden. Damit wären die nächsten Schritte vorgegeben. Es geht vor allem um die Bereitschaft, sich der ebenso mühsamen wie spannenden Qualitätsdiskussion zu stellen und Investitionen der öffentlichen Hand so zu koordinieren, dass sie an Qualitätskriterien gebunden sind. Auf die erste gemeinsame Erklärung der Minister Schmied, Bartenstein, Pröll und Faymann zum Thema Baukultur darf man jedenfalls gespannt sein.

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