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Aufbruch im Süden
Neue Zürcher Zeitung

Neues Interesse an regionaler Architektur in Deutschland

Anders als in Graubünden, in Vorarlberg oder in Südtirol spielte die regionale Kultur in der deutschen Architektur lange kaum eine Rolle. Doch jetzt keimt vor allem in Süddeutschland ein neuer architektonischer Regionalismus auf, der Tradition und Moderne verbindet.

2. Februar 2007 - Jürgen Tietz
Beim Begriff Regionalismus dachten die Deutschen lange Zeit an etwas Miefiges, Spiessig- Kleinkariertes, dem es zu entfliehen galt. Der fade Geschmack von Dorf und Kleinstadt wollte sich nicht zum verlockenden Duft der grossen weiten Welt fügen. Doch in den Zeiten der Globalisierung hat die einst als provinziell abgelehnte überschaubare Kleinheit von Heimat eine neue Qualität gewonnen. Regionalismen sind im «Europa der Regionen» längst zum Identitäts- und Marktfaktor aufgestiegen. Das reicht von den Reizen einer Küche mit regionalen Produkten bis zum marktgängigen Krimi mit Lokalkolorit.

Deutsche Befindlichkeiten

Regionale Spielarten der Baukunst prägten über Jahrhunderte hinweg das Erscheinungsbild der Kulturlandschaften. Doch während schon in den 1970er Jahren im Tessin, danach in Graubünden, in Vorarlberg und jüngst auch in Südtirol eine schulbildende Auseinandersetzung mit der Region zeigte, dass Regionalismus viel innovatives Potenzial besitzt, begegnete man dem Thema in Deutschland mit Misstrauen. Das lag freilich nicht nur am lautstark propagierten Internationalitätsanspruch der Nachkriegsmoderne, hinter dem sich allerdings bei näherer Betrachtung sehr individuelle - und oft auch regionale - Idiome verbargen. Das regionale Bauen war in Deutschland vor allem durch den «Heimatschutz» in Misskredit geraten. Dessen wichtigste Protagonisten aus der Zeit um 1900 liessen sich später willig für die «Blut und Boden»-Ideologie der Nationalsozialisten einspannen. Gleichwohl lohnt sich ein Blick zurück auf die Architektur des frühen 20. Jahrhunderts. Damals gelang es vielerorts, lokale Stilelemente und Baumaterialien mit einer modernen Architektur zu verbinden und so zeitgemässe Lösungen für neue Bauaufgaben zu liefern - vom Massenwohnungsbau über die Fabrikanlage bis zur städtischen Verwaltung.

Erst mit der Postmoderne kam auch in Deutschland die Geschichte zurück in die Entwurfszeichnungen - häufig in der Form des mitunter peinlichen Retrodesigns der Berliner Schule und des europäischen New Urbanism, der in Form einer «Kritischen Rekonstruktion» manchmal seltsame Blüten treibt. Erinnert sei nur an den Kulissenschwindel des Dresdner Neumarkts.

Weit entfernt davon bewegt sich jener Regionalismus, welcher derzeit vor allem in Süddeutschland zu beobachten ist und der sich aus der räumlichen Nähe zur Vorarlberger Architektur nährt. Erst kürzlich legte das «Architekturforum Kempten» eine Zwischenbilanz der «Architektur im Allgäu» der letzten fünfzehn Jahre vor (Verlag Josef Fink; Fr. 34.80), in der rund 50 Gebäude vorgestellt werden. Es sind Lösungen, die sich in einen Dialog mit ihrer Umgebung begeben. Vielfach aus Holz errichtete Bauten, welche die traditionelle Materialverwendung reflektieren, aber auch die Typologie der örtlichen Architektur aufnehmen, die zumeist in eine zeitgemässe Formensprache übersetzt wird. Doch trotz diesem bemerkenswerten Ansatz befindet sich die Entwicklung im Allgäu im Vergleich zu Vorarlberg «erst am Anfang», wie der Augsburger Architekt Titus Bernhard in der Einführung des Architekturführers feststellt.

Die Auseinandersetzung mit der Region erweist sich auch als ein - architektonischer - Selbstfindungsprozess, häufig verbunden mit dem Generationswechsel unter den Architekten. So begibt sich der «Treffpunkt Architektur Schwaben» auf die Suche nach dem, was die Identität Schwabens ausmacht. Für den Architekten Frank Lattke bedeutet dies nicht nur, über Neubauten nachzudenken, sondern sich vor allem auch damit auseinanderzusetzen, wie man in einer «kleinteilig zersiedelten Landschaft die Strukturprobleme der Dorfkerne» lösen kann.

Wie kleinstädtische Strukturen im Wettbewerb zukunftsfähig gemacht werden können, beschäftigt auch die Architekten Christian und Peter Brückner in der bayrischen Oberpfalz. Die Verschiebung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der letzten Jahre, die Abwanderung der Industrie in Billiglohnländer und die veränderte Altersstruktur lassen sich auch dort häufig am Stadtbild ablesen. Das reicht vom fehlenden Bauunterhalt bis zur Vernachlässigung des öffentlichen Strassenraums. Umso wichtiger sind gezielte Eingriffe, um die kleinen Städte für die Bewohner - und Investoren - attraktiv zu machen. Für Peter Brückner gilt es, in enger Kooperation mit Politik, Wirtschaft und Investoren städtebauliche Leitbilder zu formulieren. So entsteht ein aktives Standortmarketing, getragen vom architektonischen Bewusstsein für die Region, das die Tradition als wichtige Quelle für ihre weitere Entwicklung begreift. Dass bei Investoren die Bereitschaft vorhanden ist, sich vor Ort zu engagieren, beweist das Logistikunternehmen IGZ im Oberpfälzer Falkenberg, für das Brückner & Brückner ein neues Betriebsgebäude geschaffen haben. Es spielt mit der Typologie jener väterlichen Scheune, in der die jungen Unternehmer der IGZ vor ein paar Jahren ihre Karriere begonnen hatten.

Oberpfälzer Vorbild

Die Entscheidung für Falkenberg besitzt Signalwirkung für die Region, denn Arbeitsplätze für junge IT-Fachleute sind auch in der Oberpfalz rar. Mit dem neuen Betriebsgebäude hat die Firma einen gleichermassen repräsentativ modernen wie regionalen Rahmen gefunden: Der geböschte Sockel des Hauses aus Flossenbürger Granit, der noch die Bearbeitungsspuren zeigt, stammt aus dem nahen Steinbruch und nimmt die Gestaltung der Scheunen aus der Umgebung auf. Das gilt auch für die silbrig schimmernde Holzkonstruktion des Obergeschosses, dessen abwechslungsreicher Ausdruck den Baukörper in die Dorfstruktur einbindet und ihm doch eine besondere Wirkung verleiht. Im Inneren dieser «Denkscheune» flankieren zwei seitliche Riegel mit Arbeits- und Besprechungsräumen einen grosszügigen zentralen Mittelgang. Helles Eichenholz, Glas und dunkler Stahl bestimmen den Raumeindruck. Anstelle einzelner Bürozellen sind Grossraumbüros für die Projektgruppen des Unternehmens entstanden. Und das Essen für die Angestellten der IGZ wird im wöchentlichen Wechsel von zwei Restaurants aus der Umgebung angeliefert, darunter der «Rote Ochse» - mit 500 Jahren das älteste Wirtshaus der Oberpfalz.

Die Falkenberger Denkscheune steht exemplarisch für einen neuen Regionalismus, der sich nicht auf das Bekenntnis zu einem Ort und seinen Traditionen beschränkt. Er bezieht vor allem auch die Menschen und deren Zukunft mit ein. Indem er die unmittelbare Umgebung stärkt, trägt er dazu bei, dass die einzelnen regionalen Bausteine nicht eines Tages aus dem grossen Globalisierungspuzzle herausfallen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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